
Am 8. Juli veröffentlichte Msgr. Salvatore Cordileone, Erzbischof von San Francisco (USA), im National Catholic Register einen Kommentar zu Gerüchten, Rom plane ein faktisches Verbot des überlieferten Ritus, und zu einer Petition bekannter Persönlichkeiten, die sich an Papst Franziskus wenden, von einem solchen Verbot abzusehen und stattdessen den freien Zugang zum überlieferten Ritus zu gewähren. Erzbischof Cordileone zelebriert seit 2021 selbst einmal im Monat im überlieferten Ritus. Das ist seine Reaktion und Antwort auf das repressive Motu proprio Traditionis custodes von Papst Franziskus. Aufgrund seiner Bedeutung dokumentieren wir den vollständigen Text seines Kommentars:
Die objektive Schönheit der traditionellen lateinischen Messe evangelisiert
Von Erzbischof Salvatore Cordileone
Als die Kathedrale Notre Dame de Paris am 15. April 2019 in Flammen aufging, kam die ganze Welt zusammen, um den Verlust einer großen alten und heiligen Schönheit zu betrauern, die Herzen und Seelen berührte, sogar über die Katholiken hinaus, die dort beten, und die Katholiken auf der ganzen Welt.
Ich war damals beeindruckt von diesem Phänomen, und ich bin in gewisser Weise beeindruckt von einem ähnlichen Phänomen, das sich jetzt als Reaktion auf Gerüchte abspielt, daß Rom plant, die Zelebration der katholischen Messe nach dem Missale Romanum von 1962 (im Volksmund als „traditionelle Messe“ oder „lateinische Messe“ bekannt) weiter einzuschränken.
Am 3. Juli unterzeichneten mehr als 40 britische Persönlichkeiten einen Brief an Papst Franziskus, in dem sie ihn auffordern, den Zugang zur lateinischen Messe zu erhalten. Zu den Unterzeichnern gehörten Katholiken und Nichtkatholiken, Gläubige und Nichtgläubige.
Wie die Unterzeichner der Petition aus dem Jahr 1971, die die lateinische Messe in England bewahrt hat, betonen sie neben den geistlichen Anliegen auch die Sorge um das kulturelle Erbe der Welt, falls der Zugang zur lateinischen Messe immer mehr erschwert werden sollte. In ihrer eigenen Petition verwenden die Unterzeichner die gleiche Sprache wie in der Petition von Agatha Christie aus dem Jahr 1971, indem sie erklären, daß „der fragliche Ritus in seinem herrlichen lateinischen Text auch unschätzbare Leistungen … von Dichtern, Philosophen, Musikern, Architekten, Malern und Bildhauern aller Länder und Epochen inspiriert hat. Es gehört somit zur universellen Kultur“.
Diesem Anliegen fügen die heutigen Unterzeichner ihre eigene Stimme hinzu: „Die überlieferte Liturgie ist eine ‚Kathedrale‘ aus Text und Gesten, die sich wie diese ehrwürdigen Gebäude über viele Jahrhunderte entwickelte. Nicht jeder weiß ihren Wert zu schätzen, und das sei jedem unbenommen; aber sie zu zerstören scheint ein unnötiger und unsensibler Akt in einer Welt, in der die Geschichte nur allzu leicht in Vergessenheit geraten kann.
Sie betonen: „Dieser Aufruf ist, wie sein Vorgänger, ‚völlig ökumenisch und unpolitisch‘. … Wir bitten den Heiligen Stuhl inständig, jede weitere Einschränkung des Zugangs zu diesem großartigen geistigen und kulturellen Erbe zu überdenken.“
Die Tatsache, daß eine der Unterzeichnerinnen die bekannte Menschenrechtsaktivistin Bianca Jagger ist, unterstreicht den unpolitischen und unideologischen Charakter der Petition. Sicherlich kann „Starrheit“ eine so außergewöhnliche und vielfältige Liebe zu dieser liturgischen Form nicht erklären.
Ich bin besorgt, daß aufgrund einiger weniger Extremisten im Internet ein voreingenommener Eindruck von den Liebhabern der lateinischen Messe entstanden ist. Wie diese und andere Petitionen zeigen, hat die lateinische Messe eine merkwürdige Anziehungskraft.
Die meisten, die die lateinische Messe besuchen, besuchen auch den Novus Ordo (umgangssprachlich als Messe nach dem Zweiten Vatikanum bekannt). Sie wissen, daß katholisch sein bedeutet, im Schifflein des Petrus zu bleiben, egal wie stürmisch die See ist. Sie setzen sich nicht gegen die neue Messe ein, sondern für die Form, die sie lieben, die sie nährt und inspiriert, und zwar in dem Maße, daß sie einen sichtbaren Anteil derjenigen ausmachen, die zu Schöpfern neuer Kunst und Schönheit werden, die die Welt teilt und feiert. Aus diesem Grund hat die lateinische Messe die Unterstützung von Nicht-Gläubigen gewonnen, die ihre entscheidende Rolle bei der Entstehung der westlichen Zivilisation verstehen.
Zu den Unterzeichnern der jüngsten Petition gehören viele große klassische Musiker: Sänger, Pianisten, Cellisten, Dirigenten und natürlich Sir James MacMillan, der diese Initiative ins Leben gerufen hat. MacMillan ist der am meisten gefeierte und aufgeführte katholische klassische Komponist unserer Zeit. Der Vatikan gab sein Stabat Mater in Auftrag, das in der Sixtinischen Kapelle aufgeführt wurde.
Zu den anderen wichtigen Künstlern gehört der gefeierte, mit dem Oscar, dem Emmy und dem Tony Award ausgezeichnete Romanautor, Drehbuchautor und Filmregisseur Julian Fellowes. Fellowes ist vielleicht am bekanntesten für seine Rolle als Schöpfer der Fernsehserie Downton Abbey. Ein weiterer Unterzeichner, Andrew Lloyd-Webber, ist vielleicht der erfolgreichste Musical-Schöpfer unserer Zeit (darunter Cats, Evita, Joseph and the Amazing Technicolor Dream Coat und das moderne Passionsspiel Jesus Christ Superstar).
Zu den Unterzeichnern der Agatha-Christie-Petition von 1971 gehörten auch so berühmte Künstler und Literaten wie die Dichter Robert Lowell, Robert Graves, David Jones und der englische Poet-Laureat Cecil Day-Lewis, Romanautoren wie Graham Greene, Nancy Mitford, Djuna Barnes und Julian Green sowie der berühmteste argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges, dessen literarisches Werk die Bewegung des „Magischen Realismus“ des späten 20. Jahrhunderts unter spanischen Schriftstellern in Amerika begründete. Zu den Unterzeichnern gehörten auch die anglikanischen Bischöfe Robert Cecil Mortimer von Exeter und John Moorman von Ripon.
1966 gab es eine ähnliche Petition, die von Cristina Campo, der Übersetzerin von Marcel Proust (ein weiteres Beispiel für einen laxen Katholiken, der den Wert der lateinischen Messe für die Bewahrung der Zivilisation, auch in einem säkularen Sinne, verstanden hat), organisiert und an Papst Paul VI. gerichtet wurde, mit der Bitte, die lateinische Messe zumindest in den Klostergemeinschaften beizubehalten. Es wurden Unterschriften von 37 Schriftstellern und Künstlern gesammelt, darunter zwei Nobelpreisträger. Zu den Unterzeichnern gehörten W. H. Auden, Evelyn Waugh, Jacques Maritain, der französische Roman-Nobelpreisträger François Mauriac, der Komponist Benjamin Britten und Gertrud von Le Fort, Autorin des katholischen Klassikers Dialog der Karmelitinnen, der später die Grundlage für eine Oper von Francis Poulenc bildete.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat uns gelehrt, die Zeichen der Zeit zu deuten. Eines davon ist: Schönheit evangelisiert.
Wir leben in einer Zeit, in der wir uns die Kraft der Schönheit zunutze machen müssen, um Verstand, Herz und Seele zu erreichen, denn Schönheit hat die Qualität einer unausweichlich realen Erfahrung, die nicht bestritten werden kann. Die derzeitige kulturelle Maxime „Du hast deine Wahrheit und ich habe meine“ führt zu einer Weigerung, auch nur die offensichtliche physische und biologische Realität anzuerkennen, während die Schönheit den kognitiven Prozeß umgeht und direkt die Seele erreicht. Die sakrale Schönheit entführt uns aus der Welt der Zeit und läßt uns einen Blick auf das werfen, was die Zeit übersteigt, was letztlich Bestand hat, was unser Ziel und unsere letzte Heimat ist: die Wirklichkeit Gottes.
Nehmen wir das Beispiel des Filmemachers Martin Scorsese. Bei aller Kritik an seinen kontroversen Darstellungen religiöser Themen und sogar des Herrn selbst ist Scorsese ein moderner Künstler, dessen Vorstellungskraft durch den Kontrast zwischen dem, was die lateinische Messe vermittelt, und der knallharten Kultur der Straßen von New York geprägt wurde. Wie es in einem Profil in der New York Times 2016 hieß:
„Im Inneren der alten Kathedrale wurde deutlich, wie viel Scorsese buchstäblich nie vergessen hat, weder die Pracht der Kirche noch die unmittelbare Gegenwart von Leid und Tod, Sünde und Erlösung. Der Pfarrer wies ihn auf die Details einer Renovierung hin: Die Heiligenfiguren wurden in ihren ursprünglichen Farben retuschiert, die Marmor- und Messingleuchten des Altars so wiederhergestellt, wie sie vor einer Modernisierung im Jahr 1970 aussahen. Scorsese, der das Viertel 1965 verlassen hatte, brauchte keinen Führer. Er kannte jeden Winkel und jede Ecke des Ortes. ‚Stellen Sie sich hier einen 8jährigen Jungen in einer weißen Soutane vor, der ein Gebet auf Latein spricht. Das bin ich‘, überlegte er laut. Ich bat ihn, eine Verbindung zwischen [seinem 2016 gedrehten Film] ‚Silence‘ und dem herzustellen, was er in der alten Kathedrale gesehen hatte. Er tippte sich mit zwei Fingern an die Stirn. ‚Die Verbindung besteht darin, daß es nie unterbrochen wird. Es ist kontinuierlich. Ich bin nie weggegangen. In meinen Gedanken bin ich jeden Tag noch hier.‘“
In einer Zeit der Angst und der Unvernunft ist Schönheit also eine weitgehend ungenutzte Ressource, um Menschen, insbesondere junge Menschen, mit der Botschaft des Evangeliums der Hoffnung zu erreichen. Es bleibt noch viel zu tun, aber die Würdigung und Ermutigung der besonderen Berufung der Künstler ist ein wichtiger Teil dieser Arbeit.
In einem entchristlichten Zeitalter, das zunehmend unfreundlich gegenüber jeglichem traditionellen Sinn für Religion ist, muß die Kirche auf allen Zylindern laufen. Die traditionelle lateinische Messe und die Schönheit, die sie ausstrahlt, ist ein solcher Motor. Die Tatsache, daß selbst Nichtgläubige von ihr angezogen werden, beweist dies.
Warum sollte man etwas unterdrücken, das eines der erfolgreichsten Mittel ist, um mit Seelen in Kontakt zu treten, die weit von Christus entfernt sind, und sie zu einer liebenden und rettenden Begegnung mit ihm in der Gemeinschaft seiner Braut, der Kirche, zu führen?
Ich hoffe und bete, daß dieser Aufruf von Künstlern und anderen prominenten britischen Persönlichkeiten gehört und als das gesehen wird, was er ist: daß er, anstatt die Welt im Namen ideologischer Reinheit zu spalten, eine Gelegenheit ist, die Welt um der Schönheit willen zu vereinen, ein Weg, der letztlich und unausweichlich zu der immer alten Schönheit, der immer neuen Schönheit führt.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: lmsclifton (Screenshot)
Warum ich diesen Brief nicht unterstütze: Es ist das unscheinbare, aber gewichtige Wörtchen „weitere“
„Wir bitten den Heiligen Stuhl inständig, jede weitere Einschränkung des Zugangs zu diesem großartigen geistigen und kulturellen Erbe zu überdenken.“
Hätte es geheißen: „Wir bitten den Heiligen Stuhl inständig, jede Einschränkung des Zugangs zu diesem großartigen geistigen und kulturellen Erbe zurückzunehmen“, dann hätte ich das unterstützt.