Zum heutigen Pfingstfest veröffentlichen wir den 2014 verfaßten Bericht über die Pfingstwallfahrt der Tradition, die alljährlich in drei Tagen die hundert Kilometer zwischen Paris und Chartres und andersherum zu Fuß zurücklegt, und empfehlen ihn der Aufmerksamkeit unserer Leser. Eine Gemeinschaft von 17.500 Pilgern pilgert gerade im Zuge des 41. Pèlerinage de Pentecôte von Paris Richtung Chartres; eine sehr große Zahl der 35. Pfingstwallfahrt der Piusbruderschaft zeitgleich in umgekehrter Richtung von Chartres nach Paris .
Von Giuseppe Nardi
Das Pfingstfest bedeutet alljährlich einen prophetischen Ruf für die Kirche. Pfingsten ist der Gründungstag der von Christus gestifteten Kirche durch die Herabkunft des Heiligen Geistes im Sturmesbrausen. Das Fest wird von der Weltkirche auf dem ganzen Erdenrund begangen, doch kaum woanders wird der prophetische Ruf hörbarer als bei der Internationalen Fußwallfahrt der Tradition durch die Île-de-France. Um genau zu sein, ist im Plural zu sprechen, denn es sind gleich zwei Wallfahrten, die zur gleichen Zeit denselben Weg zurücklegen, nur in entgegengesetzter Richtung.
Der 32. Pèlerinage de Pentecôte führte 2014 von der Kathedrale Notre-Dame de Paris zur Kathedrale Notre-Dame de Chartres. Die Internationale Fußwallfahrt der Piusbruderschaft führte den umgekehrten Weg von Chartres nach Paris. An dieser Stelle soll nicht auf diese Doppelung eingegangen werden. Es soll auch nicht auf die schmerzliche Tatsache eingegangen werden, daß die Wallfahrer der Piusbruderschaft außerhalb der großartigen gotischen Kathedralen bleiben und daher auch 2014 immer Feldmessen zelebrieren mußten. Es soll vielmehr insgesamt, wenn auch bestenfalls ansatzweise auf die Bedeutung dieses Pfingstereignisses in der Kirche eingegangen werden. Die Wallfahrer von Chartres nach Paris mögen das Gesagte umgekehrt mitdenken.
Jugend, Jugend, Jugend
Sowohl an der einen Wallfahrt als auch an der anderen nahmen mehr als 15.000 Wallfahrer teil, und das mit einem grob geschätzten Altersdurchschnitt von 21 Jahren. Ganze Familien, kleine Kinder bis hin zu einigen älteren Katholiken, vor allem aber Jugend, Jugend, Jugend. Hundertschaften von jungen, schönen Gesichtern mit oder ohne Pfadfinderkluft, vor allem aus Frankreich, aber auch aus vielen anderen Ländern, sogar aus Mexiko, den USA, dem Irak und dem Libanon sowie aus allen deutschsprachigen Ländern, wie die mitgeführten Fahnen bezeugten. Keine Jugend, deren kirchliche Vereinsvorsitzende und Jugendseelsorger Kirchenkritiker und Priesterrebellen oder der Meinung sind, mit „demokratischen“ Abstimmungen über die Glaubenslehre, Entertainment und Rock- und Popmusik neben dem Anbetungszelt bei Laune halten zu müssen, wie beim Besuch von Papst Benedikt XVI. 2011 in Freiburg geschehen.
Anstand und Sauberkeit
Gehen bei einer Veranstaltung kaum zehn beliebige Menschen über ein Stück Land, liegt danach Müll herum. In der Île-de-France zogen Tausende Katholiken nach Chartres und Paris und es fand sich kein Stück Abfall, kein Papierchen, keine Plastikflasche, kein Becher am Wegesrand. Ein perfekt eingespieltes Organisationskomitee und eine Vielzahl eifriger, arbeitsamer, stiller Hände ermöglichen den reibungslosen Ablauf eines solchen Großunternehmens vom Zeltlager-Auf- und Abbau, Pausen, den Maltesern, auf eine Strecke von 100 Kilometern unzählige Straßenquerungen zu sichern, Getränke- und Essensausgabe.
Tausende von Wallfahrern, die oft bis an die Grenze des physisch Ertragbaren gingen, um in zweieinhalb Tagen die 100 Kilometer zu Fuß zu bewältigen. Jeder mit seinem Rucksack voller Anliegen. Mit dem großen Vertrauen auf die Erhörung von Gebetsanliegen, dem festen Willen Buße zu tun oder der Bereitschaft Sühne zu leisten. Kaum einmal wird die von den Beichtvätern aufgetragene Buße so konkret wie im Aufopfern der Schmerzen, die bei jedem Schritt durch die oft blasenreichen Zehen, brennenden Fußsohlen, Muskel- und Gelenkschmerzen oder die Erschöpfung spürbar werden.
Gleichgesinnte
Jeder Wallfahrer rüstet sich in der ihm geeignet scheinenden Form aus. Sie tragen Bergschuhe, Wanderschuhe, Militärstiefel, Turnschuhe, Trekkingschlappen, manche gehen barfuß. Der Weg führt über heißen Asphalt, Schotterpisten, Feldwege, Ackerland, sanfte Waldmatten, durch aufgeweichten Lehmboden, bei jeder Witterung, ob bei stechender Mittagshitze oder bei Wolkenbruch, ob über festen Waldboden oder Schlammpisten, die zur Rutschpartie werden. Der Zug der Tausenden schiebt sich vorwärts, denn alle sind Gleichgesinnte, alle verbindet ihr heiliger Glaube und alle haben ein klares Ziel vor Augen. Sie ziehen zur Gnadenmutter von Chartres, jener großartigen Kathedrale auf einem sanften Hügel, jenem Prototypen der prachtvollen gotischen Kathedralen, wo der Überlieferung nach der Schleier Mariens aufbewahrt und verehrt wird. Sie tun es als Bekenntnis für ihren Gott vor der Welt und sie tun es als Akt der Demut, der Unterwerfung und der Anbetung für die Hochheiligste Dreifaltigkeit und sie tun es für die liebevoll verehrte Gottesmutter und Fürsprecherin.
Priester und Ordensleute unter denselben Strapazen
Wie die Gläubigen tun es auch die Seminaristen, Mönche und Ordensschwestern. Selbst die Priester genießen nicht etwa Privilegien. Sie alle marschieren mit ihren Chapitres (Kapiteln), mit ihren Gruppen als geistliche Assistenten, als Vorbeter, Vortragende, Unterweisende und vor allem als Beichtväter. Saubere Soutanen der Priester, blütenweiße Ordensgewänder mancher Ordensschwestern, aber mit schlammbedeckten bodennahen Enden zeugen untrüglich, daß sie denselben Weg zurückgelegt haben. In jüngster Zeit wurde das Wort geäußert, die Hirten sollten den Geruch ihrer Schafe annehmen. Wie auch immer diese kryptische Aussage zu verstehen sein mag, in der Île-de-France, in diesem „Kleinfranken“, dem Kernstück des alten Frankenreiches, findet dieser Vergleich seine bestmögliche Umsetzung, indem die Hirten mit ihren Schafen ziehen, diese geistlich führen, ihnen psychisch wie physisch den Weg weisen und sie vor der Zielankunft durch die Beichte reinigen.
Ein letzter Wolkenbruch begrüßte die 15.000 Wallfahrer vor der Kathedrale von Chartres, in der nur ein Teil Platz fand. Nach wenigen Minuten verzog sich das Gewitter und strahlend blauer Himmel herrschte während des Pontifikalen Hochamtes.
Die „Kirche auf dem Weg“ ist keine herumirrende Kirche
Die Internationale Fußwallfahrt durch die Île-de-France, durch die Straßenfluchten von Paris, dessen Vorstädte, durch kleine ländliche Gemeinden und Weiler, durch bis zum Horizont reichende Getreidefelder findet nicht nur zu Pfingsten statt, sondern ist ein Pfingstereignis. Sie bringt die wirkliche pilgernde Kirche zum Ausdruck. Sie bringt zum Ausdruck, daß das eigentliche Ziel der Himmel ist, daß das irdische Dasein aber kein zielloses Umherirren sein muß, kein Wandern und Bewegtsein, um des sich Bewegens willen, wie ein bloßer Aktionismus vortäuscht.
Pfingstereignis: Heute die Kirche von morgen sehen zu dürfen
Die Fußwallfahrt ist vor allem aber ein Pfingstereignis, weil beim Einzug in die Kathedrale von Chartres wie kaum woanders, heute, hier, die Gnade geschenkt wurde, die Kirche von morgen zu sehen. Die jungen Seminaristen, Priester, Mönche, Chorherren, Ordensleute, alle nach einer Fußwallfahrt von 100 Kilometern, alle aufrechten Schrittes zum Altar hintretend, denn mit Beginn der Heiligen Messe waren die Schmerzen an Muskeln, Füßen und anderen Gliedern nicht verschwunden, aber ein dankbares Gottesvolk kniete vor dem Allmächtigen und bekannte den wahren Glauben.
Das Heerlager der Heiligen
Und noch etwas: Jedes Chapitre hatte einen Heiligen zum Patron, nach dem es benannt ist. Die Banner und Fahnen mit diesen heiligen Patronen zogen in die Kathedrale ein. Hier in diesem prachtvollen Gotteshaus, in diesem Augenblick wurde wirklich das „Heerlager der Heiligen“ (Jean Raspail) greifbar. Es fällt dem im Materiellen gefangenen Menschen schwer, sich die immaterielle Welt vorzustellen. Es fällt schwer, sich den Schutzengel jedes Getauften mitzudenken, ebenso die Engel, die vor jedem Tabernakel und während jeder Heiligen Messe kniende Anbetung halten. Um so schwerer fällt es, die Heiligen mitzudenken, die den Kern des Gottesvolkes bilden. In Chartres beim Vorbeizug der unzähligen Heiligenbanner, ob bedruckt, gemalt, gestickt, groß oder klein, ob der Heilige Pfarrer von Ars, der Heilige Patrick, die Heilige Johanna von Orléans, die Heilige Anna Schäffer oder die große Teresa von Ávila, ob getragen von einem stramm dahinziehenden Pfadfinder, einem nur mehr humpelnd sich fortschleppenden Jugendlichen oder oft – ein besonders berührender Anblick – von einem kleinen Kind, hier wurde das Heerlager der Heiligen sichtbar. Es dürfte nicht wenigen bewußt geworden sein, nach den feuchten Augen und manchen Tränen, die man bei dieser Heerschau ringsum sehen konnte. Hier wurde der prophetische Ruf der Kirche vernehmbar.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Notre-Dame de Chrétienté/Catholicus/MiL