
Von Virginia Coda Nunziante*
In wenigen Tagen wird der traurige Jahrestag der Verabschiedung des Gesetzes 194 begangen, mit dem vor vierundvierzig Jahren, am 22. Mai 1978, die Abtreibung in Italien zugelassen wurde. Von diesem Tag an bis heute wurden nach Angaben des Höheren Gesundheitsinstituts ISS [des italienischen Robert-Koch- und Paul-Ehrlich-Instituts in einem] mehr als 6 Millionen Kinder im Mutterleib abgetrieben, wobei diese Zahl nur die Krankenhausabtreibungen betrifft, nicht aber die pharmakologischen Abtreibungen. Wir wissen, daß die Zahl viel höher ist.
Wir können daher den Jahrestag einer Tragödie, die sich jeden Tag wiederholt, nicht vergessen. Es gibt jedoch einen Grund zu großer Hoffnung für die Zukunft, der aus den Vereinigten Staaten kommt, einem Land, das so oft als Symbol für moralische Dekadenz bezeichnet wird, das aber auch in der Lage zu sein scheint, Keime der Wiedergeburt und der moralischen Reaktion zum Ausdruck zu bringen.

Vor kurzem ist ein Entwurf für ein Votum des Obersten Gerichtshofs der USA durchgesickert, in dem es heißt, daß die Grundsätze des Urteils Roe vs. Wade, mit dem 1973 die Abtreibung legalisiert wurde, im Widerspruch zur US-Verfassung stehen. Wenn der Oberste Gerichtshof das berüchtigte Urteil Roe vs. Wade aufhebt, wird diese Entscheidung außerordentliche Auswirkungen haben, nicht nur in den USA, sondern auch in allen unseren Ländern. Das Urteil des Gerichtshofs wird offiziell im Juni verkündet, aber die Nachricht ließ man wahrscheinlich durchsickern, um eine Reaktion gegen die Pro-Life-Richter zu schüren. Diese Reaktion war sofort zu spüren, obwohl nach amerikanischem Recht ein absolutes Demonstrationsverbot besteht, um die „Entscheidungsträger“ (in diesem Fall die Richter, aber auch Minister oder Träger anderer Staatsämter) nicht zu beeinflussen. Die Telefonnummern und Privatadressen der Richter wurden in den sozialen Medien veröffentlicht, Häuser wurden von Unruhestiftern umstellt, Familien bedroht … aber die Regierung Biden hat nichts getan, um diese Gewalt zu verhindern.
Steven Mosher, Vorsitzender des Population Research Institute, das sich seit 40 Jahren für das Lebensrecht und gegen Abtreibung einsetzt, versichert jedoch, daß sich die Richter nicht einschüchtern lassen werden und die Entscheidung ihren Lauf nehmen wird. Die historische Entscheidung wird die Vereinigten Staaten wahrscheinlich in zwei Hälften spalten, da es jedem einzelnen Bundesstaat überlassen sein wird, sein eigenes Recht zu bestimmen, und nicht mehr der Bundesebene. Die derzeitige Situation zeigt, daß in der einen Hälfte der Staaten die Abtreibung möglich sein wird und in der anderen Hälfte, mit mehr oder weniger restriktiven Gesetzen, verboten sein wird. An diesem Punkt wird sich der Kampf der Pro-Life-Bewegung auf die Liberal States konzentrieren, um zu versuchen, auch dort den Kurs zu ändern. Schon jetzt ist absehbar, daß der große Marsch für das Leben, der bisher jedes Jahr im Januar in Washington am Jahrestag der Verabschiedung von Roe vs. Wade stattfand, sich in die einzelnen Bundesstaaten verlagern wird. Der Marsch für das Leben wird sich vervielfachen und mit der Zeit die ungerechten Gesetze gegen das Leben kippen.
Ich bin überzeugt, daß alle Märsche für das Leben, die seit 1974 in den USA stattgefunden haben, eine sehr wichtige Rolle dabei gespielt haben, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Politiker auf das Lebensrechtsthema und den besonderen Schutz des unschuldigen Lebens zu lenken. Es liegt an uns, der Zivilgesellschaft und den Politikern, diesen besonders günstigen Moment nicht verstreichen zu lassen und die richtige Botschaft zu vermitteln: Abtreibung ist ein Staatsverbrechen und muß ausnahmslos und kompromißlos bekämpft werden. Das Gesetz 194 kann aufgehoben werden, wie jedes Abtreibungsgesetz auch in Europa aufgehoben werden kann. In den USA wird der nächste Schritt darin bestehen, Abtreibungsorganisationen wie Planned Parenthood definitiv die staatliche Finanzierung zu entziehen. Auch bei uns sollten wir eine Kürzung der Mittel fordern, die das Gesundheitsministerium und die Krankenkassen für die Abtreibung bereitstellen: Anstatt Babys zu töten, sollten wir Familien helfen, Kinder zu bekommen.
Am 21. Mai findet der nächste Marsch für das Leben in Rom statt. Am Vorabend dieser neuen Pro-Life-Demonstration hoffen wir, daß die Botschaft gegen das Abtreibungsgesetz so klar sein wird, wie sie es in den Vereinigten Staaten seit 49 Jahren ist: Wenn wir keine Kompromisse mit der Kultur des Todes eingehen, ist ein Sieg möglich.
*Virginia Marchesa Coda Nunziante di San Ferdinando, Mitinitiatorin und Sprecherin des Organisationskomitees des seit 2012 stattfindenden Marsches für das Leben in Italien. Von ihr stammt der Satz: „Eine Nation, die das Leben nicht fördert, ist eine Nation, die stirbt.“
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Marcia per la vita/LifeSiteNews