
Besprechung von Wolfram Schrems*
Wie in der Vorstellung der Biographie von Ezequiel Moreno (1848–1906) angekündigt, soll hier ein kurzer Blick auf die starken und klugen Hirtenbriefe und Rundschreiben des heiligen Bischofs, der unter seinen Diözesanen außerordentlich beliebt war, geworfen werden. Eine Auswahl dieser Schreiben wurde heuer von Konstantin Stäbler übersetzt und bei Books on Demand am 16. Juli herausgebracht, also am selben Tag wie das gehässige Motu proprio zur Vernichtung der Messe.
Bischof Moreno formulierte deutlich, einprägsam und „schmissig“. Die Texte liest man mit großem Gewinn. Sie eignen sich als geistliche Lesung wie auch als Gegenstände theologischer und historischer Studien. Ezequiel war, wie schon in der Lebensbeschreibung festgestellt, ein Mann lauterer Absichten, hoher Bildung und vorbildlichen Starkmutes.
Zum Hintergrund: Bürgerkrieg und Aufstände der Liberalen
Der Übersetzer erklärt die Ausgangslage für das Wirken von Bischof Moreno:
„Während die Lage in Ecuador auch nach der Ermordung des großen katholischen Staatsmannes Gabriel García Moreno, des Gründers der Konservativen Partei Ecuadors, bis in die 1890er Jahre verhältnismäßig ruhig blieb, schwelten in Kolumbien bereits ab den 1850er Jahren bewaffnete Konflikte und Bürgerkriege zwischen den beiden Seiten, die ihren Höhepunkt in der sogenannten Guerra de las Soberanías im Jahr 1860 fanden, als die Liberalen unter dem General Tomás Cipriano de Mosquera erfolgreich die Macht an sich rissen. Es folgten Jahre der Verfolgung der Kirche“ (11).
Msgr. Moreno wurde 1894 zum Vikar von Casanare ernannt, 1895 zum Bischof von Pasto. Seine größte Sorge war das ewige Schicksal der Seelen, darum war er auch ein „Seelsorger“ im eigentlichen Wortsinn.
Hirtenbrief in Casanare
In gegenständlichem Band ist zunächst ein Hirtenbrief vom 1. Mai 1894 aus seiner Zeit in Casanare abgedruckt:
Die Grundaussage ist, gemäß der immerwährenden Lehre der Kirche, die dann 1925 von Papst Pius XI. bestätigt werden sollte: Nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Völker müssen sich Christus unterordnen (17).
Für die Gegenwart wird folgende Passage besonders interessant sein. Bekanntlich lassen sich einige superreiche Männer „Philanthropen“, also „Menschenfreunde“ oder „Menschenliebende“, nennen (oder auch „Wohltäter“, Lk 22,25). Der heilige Bischof stellt klar, daß die katholischen Missionare die wahren Menschenfreunde sind und für die Menschen Mühsal und auch den Tod auf sich zu nehmen gewillt sind:
„Die, die sich Freunde der Menschheit nennen, Phi…lan…thro..pen (cymbalum tinniens [»Klingende Schelle«, in Anlehnung an die Worte des hl. Paulus im ersten Korintherbrief]), haben nie daran gedacht, nur einen Schritt zum Wohl der Wilden zu tun, und man kann nicht davon berichten, so ein weiser Schriftsteller, dass auch nur einer von ihnen einen Tropfen Blut in Japan oder China vergossen hätte, um sie aus ihrer Barbarei zu holen. Die katholische Kirche hingegen holt sie an ihr Herz; um den Preis der Mühen, der Opfer und selbst des Lebens ihrer Missionare versucht sie, ihnen den Glauben zu vermitteln, die Zivilisation und den Himmel selbst. Ach! Dies tut kein Bekenntnis, keine Sekte, keine Gesellschaft, so philanthropisch sie sich auch nennen mag“ (29).
Erster Hirtenbrief in Pasto: Glaube, Gnade, Philosophie und Sittlichkeit
Als neubestellter Bischof von Pasto schärft Fray Ezequiel seinen Diözesanen ein, daß „der Glaube notwendig ist, um die ewige Seligkeit zu erlangen, denn Jesus Christus hat klar und eindeutig gesagt, dass der, der nicht glaubt, verdammt wird“ (41).
Der Bischof stellt das Offenkundige fest, der wahre Glaube vertreibt die Diktatur der Dämonen:

„Um etwas von der Erleuchtung zu verstehen, die der Glaube dem menschlichen Verstand vermittelt hat, muss man sich nur an die Zeiten erinnern, die der Predigt des Evangeliums vorausgingen, um die monströsen Irrtümer zu sehen, die er mit seinem strahlenden und schönen Licht vertrieb“ (42).
Die „monströsen Irrtümer“ sind genau jene heidnischen Greuel und Pachamamas, die von der „Amazonas-Synode“ gleichsam wiederbelebt wurden. Zwischen der Synode und dem Wirken von Bischof Moreno fand bekanntlich das Konzil statt, das in Dignitatis humanae den „monströsen Irrtümern“ per Menschenwürde eine gewisse Legitimität zuerkannte.
Hochinteressant und scharfsinnig ist die Bewertung der antiken Philosophen und Weisen durch den Bischof. Er führt die heidnischen Ausschweifungen, Exzesse und Barbareien auf die falschen Götter zurück und stellt die praktische Wirkungslosigkeit auch wohlmeinender und weiser Menschen fest:
„Vor der Predigt des Evangeliums gab es bereits Männer, die auch heute noch als Weise bezeichnet werden; es gab bereits Männer, die auch heute noch als große Philosophen bezeichnet werden. Doch trotz ihrer Weisheit blieb die Welt in derselben Finsternis in Bezug auf Gott und die Moral. Sie war weiterhin abgöttisch und lasterhaft, und versank täglich tiefer in den Abgrund des Unwissens, des Aberglaubens, der Unsittlichkeit und der Barbarei. Die Menschen, selbst die weisesten, zeigten sich unfähig, die Völker zu erleuchten und sie aus der Dunkelheit und Erniedrigung zu holen, in der sie sich fanden“ (44).
Damit drückt er aus, was auch ein säkularer Historiker konstatieren muß: Sokrates, Platon und Aristoteles waren die größten Pioniere der Philosophie, ja geradezu deren Erfinder, aber sie spielten in ihrer eigenen Zeit praktisch keine Rolle. Erst im Rahmen der Kirche gelangte das Beste der griechischen Philosophie sozusagen zu sich selbst und konnte für den Glauben und das Handeln der Christen fruchtbar gemacht werden.
Darüber hinaus macht der wahre Glaube jeden Menschen in gewisser Hinsicht zum „Philosophen“:
„Mit der Lehre des Evangeliums kamen die Menschen mittels des Glaubens in den Besitz von Wissen, das sie nie von selbst hätten wissen können, selbst wenn sie über außerordentliches Talent verfügt und sich alle dem Studium gewidmet hätten, ohne einer anderen Beschäftigung nachzugehen. Und das Bewundernswerteste daran ist, dass diese so erhabenen Kenntnisse, diese herrliche Wissenschaft, diese Weisheit, die so weit über die hinausgeht, die die wenigen Männer hatten, die im Altertum Weise genannt wurden, sich auf alle gesellschaftlichen Schichten erstreckt hat, selbst auf die unglücklichsten und bescheidensten, und das Volk war durch den Glauben erleuchteter als die angesehensten heidnischen Philosophen. Darum ruft Minucius Felix aus: »Es scheint, dass alle Christen wirkliche Philosophen waren oder alle Philosophen Christen geworden waren«“ (46).
Der Bischof weist mit einem rhetorischen Kunstgriff darauf hin, daß die sittenbildende Kraft des Evangeliums sogar von einem der entschlossensten Feinde desselben anerkannt wurde, und zitiert diesen:
„»Das göttliche Buch des Evangeliums«, sagt einer von ihnen, »ist das einzig notwendige für einen Christen, und es ist sogar das nützlichste für diejenigen, die keine Christen sind. Man muss nur darüber nachsinnen, um in der Seele Liebe für seinen Autor zu empfinden und in ihr den Wunsch zu wecken, seine Gebote zu erfüllen. Nie wurde die Tugend mit einer so lieblichen und verführerischen Sprache ausgedrückt, noch sprach je die tiefste Weisheit mit einer so bewundernswerten Energie und Einfachheit«“ (48).
Es handelt sich dabei um ein Zitat aus den Pensées von J. J. Rousseau (!).
Nach einer Erklärung über die positive Kraft des katholischen Glaubens für Wohlfahrtspflege und Fürsorge und für die Eindämmung von Barbarei, Frauenverachtung und Grausamkeit kommt Ezequiel Moreno auf die Feinde der Kirche zu sprechen. Diese seien „Söhne des Vaters der Lüge“ und „Gesandte des Engels des non serviam“. Sie propagieren großspurig „Fortschritt, Reichtümer, Glück und alle denkbaren Güter“. Aber in der Praxis funktioniert das nie (57ff).
Fastenhirtenbrief 1897: Warnung vor den Geheimgesellschaften und Staatseingriffen
Die Zerstörung der Sitten ist ein bewußtes Mittel, dessen sich Geheimgesellschaften bedienen, um den katholischen Glauben in den Herzen der Menschen und Völker zu vernichten (77). Der Bischof warnt daher auch vor jedem „Dialog“ mit Ungläubigen und Feinden der Kirche. Der Staat mischt sich oft in kirchliche Belange ein und allzu viele Katholiken glauben, sich bei den Autoritäten einschmeicheln zu müssen, aber niemand kann zwei Herren dienen, wie in diesem Zusammenhang schon Papst Pius IX. bemerkt hatte (81).
Eucharistie
Der fünfte Hirtenbrief ist ein Aufruf zur Sühne für eine schreckliche Entweihung des Allerheiligsten durch Revolutionäre in Riobamba (Ecuador). Dort finden sich schöne Betrachtungen zur Eucharistie und Realpräsenz im Altarsakrament. In den Worten seines Ordensvaters Augustinus sagt er, daß Gott nicht mehr hätte geben können als Christus in der Eucharistie (95ff).
Das Dauerthema: Liberalismus als Einfallstor der Beliebigkeit, des Bösen, der Anarchie, Strafe Gottes
Besonders wichtig ist das Rundschreiben, das dem vorliegenden Band den Titel gibt: Katholizismus oder Liberalismus (109). (Es ist auch in der Biographie bereits abgedruckt.) Hier geht es um eine profunde Analyse des Liberalismus im Anschluß an Donoso Cortés und Papst Leo XIII. Der Bischof warnt vor jeder Fraternisierung. Anlaß ist eine Abhandlung des Priesters Baltasar Vélem, der zur Versöhnung mit dem Liberalismus aufruft.
In den weiteren Hirtenbriefen weist der Bischof auf die Vorgangsweise Gottes hin: Wenn die Menschen trotz der Warnungen sündigen, verläßt Gott sie und sie müssen mit den Folgen leben. Auch das ist in Zeiten der Corona-Diktatur aktuell. Die Sünde ist dann die Demütigung des Sünders. Auf politischer Ebene ist der Anarchismus die legitime Folge des Liberalismus. Folgen sind Mord, Raub, Brandstiftung, Untergang (174). Die innere Gleichförmigkeit mit Gott verschafft aber auch in den Situationen der Strafe inneren Frieden (179).
Äußerst kritisch sieht Ezequiel die Sünden der Presse mit ihren vielen Lügen und Blasphemien, sowie die Sünden im Bildungssystem, „die zum Himmel schreien, da sie sich gegen die Kinder wenden, die der göttliche Erlöser so sehr liebt“ (197).
Wenn es notwendig ist, zur Verteidigung von Glauben und Vaterland zur Waffe zu greifen, muß man es tun, Pazifismus ist hier unangebracht (201).
Eindrucksvoll ist die sozusagen kollektive Selbstkritik, die der Bischof äußert, und sehr beherzigenswert für heute:
„Wir alle sind mehr oder weniger verantwortlich für die Übel, die wir als Nation erleiden, denn wir waren alle mehr oder weniger Komplizen, wenn nicht gar die Urheber der Sünden, die den Zorn Gottes heraufbeschwören“ (203).
Resümee
Der heilige Bischof behandelt öfter dieselben Themen, daher wiederholt sich manches: repetitio docet. Der Leser gewöhnt sich schnell an den (uns heute natürlich etwas fremden) Stil des Bischofs und nimmt das Buch gerne zur Hand. Ob Laie, Priester oder Bischof, jeder kann in dieser Publikation Inspiration und Anregung finden. Dank gilt dem Übersetzer und Herausgeber für die ausgezeichnete Arbeit. Es gibt zwar einige Verschreibungen mehr als in der Biographie, aber sie sind nicht weiter der Rede wert.
Unser Dank gilt aber besonders dem heiligen Bischof, der seinen Zeitgenossen und nun auch uns Licht und Orientierung bietet.
Deo gratias.
- Entweder Katholizismus oder Liberalismus, Hirtenschreiben und Rundbriefe des heiligen Ezequiel Moreno y Díaz, Aus dem Spanischen übersetzt von Konstantin Stäbler, Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt, 2021, 285 S., Vertrieb über Falkmedien.de, in Österreich auch Sarto.at.
*Wolfram Schrems, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro Lifer, beherzigt den Rat von C. S. Lewis, Literatur vergangener Epochen zu konsultieren, um den Einseitigkeiten der jeweiligen Mode zu entgehen.
Kann man wirklich sagen, daß Aristoteles und Platon in der vorchristlichen Antike keine Rolle spielten? Was ist z. B. mit den Neuplatonismus, der das geistige Leben in der Spätantike beherrschte?
deM Neuplatonismus natürlich…
Oder was ist mit den Philosophenkaisern Hadrian, Marc Aurel, Julian (hat bei den Christen natürlich einen schlechten Ruf)
„aber sie spielten in ihrer eigenen Zeit praktisch keine Rolle“ heißt es im Text.
@Adam Rau
Franz Lechner ist mir jetzt zuvorgekommen. Ich möchte ergänzend festhalten:
Es ist wichtig zu verstehen, daß Platon und Aristoteles zu ihrer eigenen Zeit keine gesellschaftsverbessernde Wirkung im großen Maßstab entfalteten. Da hatte Bischof Ezequiel ganz recht.
Platon schreibt in seinem 7. Brief selbst über das mißlungene Experiment in Syrakus. Die Akademie verbesserte das Los und die Sitten der Athener wenig oder nicht. Aristoteles war der Erzieher von Alexander dem Großen. Wie es aussieht, hat auch Aristoteles keine Wirkung im großen Maßstab zum Positiven hin verursacht.
Der Neuplatonismus, also etwa 400 oder 500 Jahre nach Platon, wurde von Leuten getragen, die sich gegen das Christentum wandten. Es stellt sich erstens die Frage, ob der Neuplatonismus ein legitimes Kind Platons ist oder nicht. Viele bestreiten das. Sicher übten die Neuplatoniker geistigen Einfluß aus. Aber hier ist die zweite Frage: Nützte das der zeitlichen Wohlfahrt und der Sittenverbesserung der breiten Masse? Also etwa im Vergleich mit dem Wirken der Kirche.
Marc Aurel war ein Christenverfolger, desgleichen Julian. Und auch wenn Julian ein entschlossener Anhänger des Heidentums war, so kamen seine Sittenstrenge bei den eigenen Leuten nicht gut an. Vielen erschienen seine Aktivitäten als Kopie der Kirche und als Pedanterie.
Ich gebe zu bedenken, daß weder die Platonische noch die Aristotelische Schule, also Akademie und Lyzeum (bzw. Peripatos), ihre Lehren (von denen vieles dem gesunden Menschenverstand entspricht) selbst durch die Zeiten bis heute tradieren konnten. Es waren die Klöster, die vieles bewahrten. Die Kirche erkannte im Besten der heidnischen Philosophie Teilhabe am Logos. Ohne diese Unterstützung wäre alles oder fast alles verloren gegangen. Augustinus und Thomas erwiesen sich als Lebensretter des Besten der antiken Philosophie, die Akademie selbst bspw. verfiel in Skeptizismus.