
(Prag) Zuerst wurden die sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter et al. als „die“ der Demokratie angemessenen Kommunikationsformen schlechthin gepriesen. Sobald die Massen angelockt waren, aber bei Wahlen ihre Kreuzchen nicht mehr wunschgemäß machten, schnappte die Falle zu. Die Kommunikationsgiganten wurden zu Zensoren, die immer systematischere Löschorgien durchführen, um nicht erwünschte Meinungen mundtot zu machen. Opfer der Zensur wurde auch der tschechische Kardinal Dominik Duka, der Erzbischof von Prag und Primas von Böhmen.
Wie sein Pressesprecher Jirí Prinz bekanntgab, wurde dem Kardinal der Zugang zu seinem Twitter-Kanal gesperrt. Ein Grund für die Sperrung wurde von Twitter nicht mitgeteilt. Es ist auch niemand an den Kardinal herangetreten, um ihn darauf aufmerksam zu machen. Ende vergangener Woche fand eine Sitzung im erzbischöflichen Ordinariat statt, um eventuelle Schritte zur Lösung des Problems zu besprechen.
Die tschechische Nachrichtenseite Echo24 mutmaßte, daß die Sperrung mit einem Artikel der tschechischen Internetzeitung Konzervativní noviny (Konservative Zeitung) zu tun haben könnte, den Kardinal Duka am vergangenen 1. Oktober verlinkt hatte. In diesem Artikel wurde die Nominierung von Amy Coney Barett zur Richterin am Obersten Gerichtshof der USA begrüßt. Offenbar wollte Twitter die Verbreitung dieses Artikels „eindämmen“, wie aus dem Gesamtverhalten des Mikroblogging-Dienstes geschlossen wird. Der Sprecher des Kardinals wollte darüber nicht spekulieren, da offiziell von Twitter keine Begründung genannt wurde. Tatsache ist aber die ausgeübte Zensur.
Das Beispiel verdeutlicht das Ausmaß der Zensur, die innerhalb weniger Jahre etabliert wurde. Konkret Anlaß dafür war der Wahlsieg von Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen im November 2016. Am Tag danach gab die New York Times den sozialen Netzwerken die Schuld am Sieg Trumps, der die politische Linke und Washingtons Establishment schockierte. Die sozialen Netzwerke hätten die ungefilterte Nachrichtenverbreitung ermöglicht. Dieses Wesensmerkmal der Demokratie und des Grundrechts der Meinungsfreiheit war mit einem Schlag nicht mehr „in Mode“. Im Umkehrschluß hatte das linksliberale Weltleitmedium erklärt, daß die öffentliche Meinung kontrolliert werden müsse, was bisher durch die veröffentlichte Meinung der Mainstream-Medien geschehen war. Diese Kontrolle sei durch die Etablierung neuer Medien mit Hilfe der sozialen Netzwerke gefährdet und müsse dringend zurückerobert werden.
Opfer der seither immer intensiver praktizierten Zensur wurde nun auch ein Kardinal der katholischen Kirche, weil er auf einen Artikel verlinkte, dessen Meinung dem Establishment offensichtlich nicht gefällt. Dabei schreibt der Kardinal auf tschechisch und sitzt in Prag, also fernab der USA. Die Zensur-Algorithmen der Internetriesen scheinen jedoch keinen Unterschied zu machen.
Amy Coney Barrett wurde vor einer Woche dennoch als Richterin bestätigt und noch am selben Tag von US-Präsident Donald Trump vereidigt. Um so offensichtlicher ist der Zensurvorgang gegen Kardinal Duka und wirft Fragen auf, die nach Antworten verlangen.
Die neue Zensur verlangt nicht einmal einen Knopfdruck. Sie ist weitgehend entmenschlicht und wird Computern überlassen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Twitter (Screenshot)