(Paris) In Frankreich stellen die Richter die Zelebration öffentlicher Messen wieder her. Der Oberste Verwaltungsgerichtshof widersprach der Regierung, die am 11. Mai zahlreiche Lockerungen bekanntgab, aber die Gottesdienste weiterhin verbieten wollte.
Die Situation in Frankreich ähnelt jener in Italien. Auch auf der Apenninenhalbinsel gab die Regierung für den 4. Mai die „Phase 2“ der Corona-Maßnahmen bekannt. Während die Ausgangssperre aufgehoben und vieles wieder erlaubt wurde, blieb die Wiederzulassung der öffentlichen Messen davon ausgeschlossen. Es kam zu Mißstimmung und hektischen Verhandlungen hinter den Kulissen. Papst Franziskus selbst mußte bei Ministerpräsident Giuseppe Conte intervenieren. Schließlich wurden die Messen am Montag, dem 18. Mai wiederzugelassen.
In Frankreich traten am 11. Mai vergleichbare Lockerungen in Kraft, und auch dort blieb die öffentliche Messe davon ausgenommen. Wochenlang stellte sich die Regierung von Staatspräsident Emmanuel Macron, die von Premierminister Édouard Philippe geführt wird, für die Wünsche der katholischen Kirche taub. Die Appelle der Bischöfe und von 67 Parlamentsabgeordneten verhallten im Nichts. Nun wiederholte der Staatsrat die Aufforderung und tat es nicht als Bittsteller, sondern mit der Autorität eines Höchstgerichts. Der Conseil d’État ordnete der Regierung an, das generelle und absolute Verbot von Gottesdiensten aufzuheben.
Édouard Philippe und die Laïcité
Daß der christliche Glauben in den französischen Eliten keine besondere Rolle spielt, vielmehr marginalisiert wird, ist geradezu Teil der Staatsdoktrin. So ist es nicht ohne Ironie, daß die Schelte vom Staatsrat kommt, jener Institution, an der Édouard Philippe seine steile Karriere begann.
Er selbst sieht sich als geistiger Grenzgänger, andere in ihm mehr einen Karrieristen. 1995–1997 absolvierte er die elitäre École nationale d’administration (ENA), in der Frankreich seinen innersten Kreis der Staatsdiener ausbildet (jährlich 40–80 französische Absolventen). Der rote Teppich zur Macht war ihm damit ausgerollt. Seine politische Zugehörigkeit ist schillernd. Das gilt allerdings nur, wenn man Politik nach Parteietiketten mißt und weniger nach Inhalten. In den 90er Jahren war er Mitglied der Sozialistischen Partei (PS) und darin Sympathisant des linken Flügels um den ENA-Absolventen Michel Rocard. 2002 holte ihn der Gaullist und ebenfalls ENA-Absolvent Alain Juppé an führender Stelle als hauptamtlichen Parteifunktionär zur bürgerlichen Neugründung UMP, deren liberalem Flügel Philippe angehörte. Mit dem politischen Fahrschein des bürgerlichen Staatspräsidenten und ENA-Absolventen Jacques Chirac (UMP) erhielt er 2007 einen Direktorenposten im staatsnahen Konzern Areva (heute Orano). Man war auf ihn aufmerksam geworden.
2011 kam er ins Programm zur Nachwuchsförderung der French-American Foundation, der französischen Entsprechung der deutschen Atlantik-Brücke, die beide aus dem Umfeld des Council on Foreign Relations (CFR) stammen. Es handelt sich um Kaderschmieden, mit denen sich bestimmte Kreise der USA treue Verbündete heranbilden, die vor allem in den Bereichen Außen- und Verteidigungspolitik eingesetzt werden. Schon seit Jahren wird in wichtigen EU-Staaten kaum jemand Außen oder Verteidigungsminister, der sich aus diesem Kreis stammt. So sehr sich die Interessen mit jenen der US-Außenpolitik überschneiden, handelt es sich dabei um „Privatinitiativen“ des CFR. Gefördert werden Vertreter aller politischen Parteien, die das transatlantische Bündnis stützen, seit dem Fall der Berliner Mauer bevorzugt solche des linksliberalen Spektrums.
Die Folge der Ausbildung war, daß Philippe 2012 für die UMP in die französische Nationalversammlung (Erste Kammer des Parlaments) gewählt wurde. Da der ENA-Absolvent Hollande und seine Sozialisten (PS) die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gewannen, mußte Philippe allerdings auf die Oppositionsbank. Formal war er nur einer von 577 Abgeordneten, zudem ein Oppositioneller, der weder in den Parlamentsausschüssen noch im Plenum auffiel. Dennoch wurde er für höhere Aufgaben aufgebaut. Der Hinterbänkler Philippe wurde 2016 zur Bilderberger-Konferenz eingeladen. Der Sozialist und ENA-Absolvent Emmanuel Macron, damals schon Wirtschaftsminister in der Regierung Hollande, war bereits 2014 zu diesem exklusiven Stelldichein gebeten worden. Untrügliches Zeichen dafür, daß ein solcher Politiker potentiell für die höchsten Staats- und Regierungsämter auserkoren wurde und eine entsprechende Beförderung unmittelbar bevorsteht.
Und in der Tat: 2017 wurde Macron Staatspräsident und machte Philippe zum Premierminister. Macron, der sich schnell zuvor seines sozialistischen Parteibuchs entledigt hatte, stellte sich an die Spitze der Retortengründung En Marche. Für Philippe, der zu der Zeit bereits das vierte Parteibuch hatte, zuletzt das der Republikaner (Les Républicains), ein kaum glaubwürdiger Weg, weshalb er parteilos wurde. Der Exkurs war nötig, um kurz in das reale politische System Frankreichs einzuführen.
Die Ohrfeige des Staatsrats
Das Oberste Verwaltungsgericht, das den Einspruch katholischer Bewegungen prüfte, kam zum Schluß, daß eine noch längere Aussetzung öffentlicher Gottesdienste „auf schwerwiegende und offenkundig illegale Weise“ die Kultusfreiheit verletzt und umgehend durch eine weniger restriktive Maßnahme zu ersetzen ist. Dafür gab der Staatsrat der Regierung acht Tage Zeit.
Die geltende Bestimmung der Regierung sei „unverhältnismäßig in Bezug auf das Ziel der Wahrung der öffentlichen Gesundheit“. Vielmehr werde dadurch eine Grundfreiheit in Frage gestellt, zu der „auch das Recht der kollektiven Teilnahme an Zeremonien gehört“.
Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für Premierminister Philippe, der das Gottesdienstverbot auch in der sogenannten „Phase 2“ der Corona-Maßnahmen beibehalten wollte und eine eventuelle Lockerung frühestens für den 2. Juni in Aussicht stellte.
Die Französische Bischofskonferenz begrüßte das Urteil. In ihrer Stellungnahme verwiesen sie darauf, daß es ganz mit dem übereinstimme, was sie Philippe am 15. Mai in einem Schreiben mitgeteilt hatten, ohne damit Gehör zu finden. Die Bischöfe erwarten sich nun eine Rücknahme der Restriktionen innerhalb der nächsten Tage. Erzbischof Éric de Moulins-Beaufort, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, hatte sich die Wiederaufnahme der Messen bereits mit dem Ende der „Phase 1“ der Corona-Maßnahmen erhofft und Staatspräsident Macron mittels Videokonferenz mitgeteilt, daß das kirchliche Leben „ab 11. Mai wieder seinen vollständigen Gemeinschaftscharakter zurückerhalten“ sollte. Das Regierungsdekret vom 11. Mai war daher für die Gläubigen und die Bischöfe eine kalte Dusche, wie es wenige Tage zuvor auch das Dekret der italienischen Regierung für Italiens Bischöfe und Katholiken war.
Der Staatsrat führte die Regierung nun auf seine Art und Weise auf den Weg des gesunden Menschenverstandes zurück. Zugleich legte er der Regierung Macron noch weitere Zügel an, indem er den Einsatz von Drohnen durch die Polizei untersagte, um die Einhaltung der Corona-Maßnahmen durch die Bürger zu überwachen. Solche Corona-Maßnahmen haben auch in der französischen Öffentlichkeit eine Diskussion über die Gefahr eines autoritären Regimes ausgelöst.
Dazu hatten auch besorgniserregende Übergriffe beigetragen, von denen einige die Kirche betrafen, wenn etwa bewaffnete Polizei während der Messe in die Pariser Kirche Saint-André-de‑l’Europe eindrang und deren sofortigen Abbruch verlangten, obwohl sich darin nur eine Handvoll Personen aufhielt. Msgr. Michel Aupetit, der Erzbischof von Paris, reagierte ungewöhnlich deutlich:
„In der Kirche waren keine Terroristen! Es ist Zeit, mit solchen Szenen Schluß zu machen. Andernfalls werden wir das Wort ergreifen und die Stimme erheben.“
Solche Übergriffe auf die Kirche hätten zu unterbleiben, „sonst werden wir sehr laut“, so der Erzbischof.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
Wenn die Kirche doch auch in Österreich den Weg zu einem Höchstgericht beschritte! Eine eklatantere Ungleichbehandlung ist kaum denkbar: In der Gastronomie dürfen vier Personen mit ihren minderjährigen Kindern an einem Tisch sitzen. Natürlich ohne Mund- und Nasenschutz, weil sie sonst ja nichts konsumieren könnten. Ob sie in einem gemeinsamen Haushalt leben oder nicht, spielt keine Rolle. Und in den Kirchen? Auf 10 m² darf nur eine Person kommen, wobei zwischen den Personen zudem ein Abstand von 2 m eingehalten werden muss! Geht’s noch?
Lieber Johann Hahn, so recht Sie mit Ihren Einlassungen auch haben, das Problem ist tiefer: Es ist die Abschaffung des Heiligen Opfers. Dies erscheint mir das wahre Ziel. Die dafür oben angegebenen Abstandsregeln sind im Grunde lächerlich und haben mit Seuchenhygiene nichts zu tuen.Schikane für die Maßnahmen ist ein sehr noble Bezeichnung. Wir leben in der Zeit, in der das Heilige Opfer abgeschafft werden soll. Aber ich fürchte, das ist erst der Anfang. Wir müssen den Durchblick behalten.
Lieber Hans2, ich bin mir dessen vollkommen bewusst. Am liebsten spricht und schreibt man heute nur noch von „Gottesdienst“. Allenfalls noch von „Eucharistiefeier“. Ganz vereinzelt vielleicht noch von „Heiliger Messe“. Sicher aber nicht mehr vom „Heiligen Messopfer“. Ich erinnere mich übrigens noch lebhaft an Zeiten, zu denen auch die Bezeichnung „Allerheiligstes Sakrament des Altares“ oder verkürzt „Altarssakrament“ gang und gäbe war.
Dabei handelt es sich allerdings um eine terminologische „Entwicklung“, die längst vor der jetzigen Corona-Pandemie schon stattgefunden hat und in Wahrheit auch bereits abgeschlossen war.
Lieber Johann Hahn, Sie beurteilen die Situation vollkommen richtig. Wir erkennen die Abschaffung des Hl. Opfers, nicht mehr und nicht weniger. Die Frage ist, ist das die Abschaffung des Hl. Opfers, die von Daniel prophezeit wurde und dem Ende vorausgeht? Es gibt Bistümer, welche versuchen den altn Zustand wiederherzustellen, aber es gibt auch Bistümer, welche versuchen die Wiederherstellung des Hl Opfers (= Messopfer) bis zum St. Nimmerleinstag hinauszuschieben. In einem solchen Bistum (Trier) lebe ich.In meinem Nachbarbistum Aachen gibt es wieder Sonntagsmessen und die Anzahl der Messangebote wurde erhöht, um jedem Gläubigen die Mitfeier der Hl. Sonntagsmesse zu ermöglichen. So unterschiedlich ist die Überzeugung der deutschen Bischöfe.