Von Roberto de Mattei*
Das internationale Szenario des Frühlings 2020 ist neu, unerwartet und dramatisch. Es dominiert Verwirrung, denn niemand kann sagen, daß er wirklich weiß, was passiert: Woher das Coronavirus kommt, wann es verschwindet und wie man damit umgehen sollte. Sicher ist jedoch, daß sich vor dem Hintergrund dieses Szenarios zwei Städte weiterhin in der Geschichte kämpfen: die Civitas Dei und die Civitas diabuli. Ihr Ziel ist es, sich gegenseitig zu vernichten. Sie sind die beiden Städte, von denen der heilige Augustinus sagt:
„Hierin liegt in der Tat der große Unterschied, der die beiden Staaten, die wir meinen, voneinander scheidet, die Genossenschaft der frommen Menschen und die der gottlosen, jede mit den zugehörigen Engeln, in denen zuerst in die Erscheinung trat hier die Liebe zu Gott, dort die Liebe zu sich selbst“ (De Civitate Dei, lib. XIV, c. 13,1).
Dieser tödliche Kampf wurde von Pius XII. in seiner Ansprache an die Angehörigen der Katholischen Aktion vom 12. Oktober 1952 mit wirksamen Worten in Erinnerung gerufen. Der Papst sagte, die Welt sei von einem Feind bedroht, der weitaus schlimmer sei als es Attila, die „Geißel Gottes“ im fünften Jahrhundert war.
„Fragt uns nicht, wer der ‚Feind‘ ist oder welche Kleidung er trägt. Er ist überall und inmitten von allem zu finden. Er kann gewalttätig und subtil sein. In den vergangenen Jahrhunderten versuchte er, die intellektuelle, moralische und soziale Auflösung der Einheit im geheimnisvollen Leib Christi zu betreiben. Er wollte die Natur ohne Gnade, die Vernunft ohne Glauben, die Freiheit ohne Autorität und manchmal die Autorität ohne die Freiheit. Er ist ein ‚Feind‘, der immer konkreter wurde mit einer Rücksichtslosigkeit, die noch immer erstaunt: Christus ja, Kirche nein. Dann: Gott ja, Christus nein. Endlich der gottlose Schrei: Gott ist tot. Mehr noch: Gott hat es nie gegeben. Das ist der Versuch, die Struktur der Welt auf Grundlagen zu errichten, die wir ohne Zögern als Hauptschuldige der Gefahr sehen, die der Menschheit droht: eine Wirtschaft ohne Gott, ein Recht ohne Gott, eine Politik ohne Gott.“
Diesem schrecklichen Feind hat die konterrevolutionäre Denkschule, die sich auf die Lehre der Päpste beruft, den Namen Revolution gegeben: ein jahrhundertealter historischer Prozeß, dessen Ziel die Zerstörung der Kirche und der christlichen Zivilisation ist. Die Revolution hat als Agenten alle geheimen Kräfte, die öffentlich oder im Verborgenen für diesen Zweck arbeiten. Die Konterrevolutionäre sind jene, die sich diesem Auflösungsprozeß widersetzen und für die Errichtung der christlichen Zivilisation kämpfen, der einzigen Zivilisation, die diesen Namen verdient, wie der heilige Pius X. betont (Enzyklika Il fermo proposito vom 11. Juni 1905).
Der Konflikt zwischen Revolutionären und Konterrevolutionären setzt sich in der Coronavirus-Ära fort. Es ist logisch, daß jeder von ihnen versucht, aus der neuen Situation den größten Vorteil zu ziehen. Die Existenz beunruhigender revolutionärer Manöver, um die Ereignisse auszunutzen, bedeutet jedoch nicht, daß diese Kräfte die Situation geschaffen haben, sie kontrollieren und lenken, in der wir uns befinden. Die Vertreter der verschiedensten Regierungen, von China bis zu den Vereinigten Staaten, von Großbritannien bis Deutschland, von Ungarn bis Italien, haben in ihren Ländern die gleichen Hygienemaßnahmen wie die Quarantäne verhängt, denen einige zu Beginn skeptisch gegenüberstanden. Sind die politischen Führer von einer Gesundheitsdiktatur beherrscht, die ihnen von Virologen aufgenötigt wird? Die Virologen wiederum, die ursprünglich gespalten waren, weil einige von ihnen Coronavirus nur als „schlimme Grippe“ betrachteten, wurden von der Realität eingeholt und sind sich heute einig, daß drastischere Maßnahmen zur Eindämmung des Virus erforderlich sind. Die Wahrheit ist, daß sich die Medizin als unfähig erwiesen hat, das Virus zu bezwingen. Die Entscheidung für eine Quarantäne, die seit Jahrtausenden bei einer schweren Epidemie verhängt wird, ergibt sich aus dem gesunden Menschenverstand und nicht aus ihrer spezifischen medizinischen Kompetenz.
Natürlich ist das Problem nicht nur ein gesundheitliches Problem, und in der vernetzten Gesellschaft könnte das Virus seine schwerwiegendsten Folgen auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene haben. Aber die Lösung für diese Art von Problemen, die sich auf der ganzen Welt verschlechtern, liegt bei den Politikern, nicht bei den Ärzten. Wenn sich die internationale politische Klasse, um ihre Entscheidungen zu treffen, hinter den Gesundheitsbehörden versteckt, liegt das an der Unzulänglichkeit jener, die heute die Welt regieren. Das politische Versagen geht mit dem des Gesundheitswesens Hand in Hand. Ist es schon vergessen, daß die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die oberste internationale Gesundheitsbehörde, vor dreißig Jahren dank des Projekts Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000 „eine Welt ohne Epidemien “ angekündigt hatte mit der Folge, daß in vielen Ländern die Mittel für die Gesundheitsversorgung gekürzt oder hauptsächlich gegen seltene Krankheiten eingesetzt wurden? Der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, der politisch dem kommunistischen China nahesteht, reiste am 28. Januar 2020 nach Peking, wo er nach einem Treffen mit Staats- und Parteichef Xi Jinping der Welt erklärte, daß in Wuhan alles unter Kontrolle sei, und auf diese Weise das Ausmaß der Katastrophe herunterspielte. Erst nach langem Zögern nahm die WHO die Realität zur Kenntnis, log aber weiterhin über die Anzahl der Infektionen und Todesfälle, in den von ihr verbreiteten Angaben, die mit Sicherheit nicht überschätzt, sondern eher unterschätzt wurden.
Zu den wirtschaftlichen und sozialen Problemen kommen noch solche von psychologischer und moralischer Ordnung hinzu, die nicht minder schwerwiegend sind und wegen der anhaltenden Quarantäne auf eine radikale Veränderung des Lebens durch das Coronavirus zurückzuführen sind. Aber hier würde das Wort mehr den Priestern, Bischöfen und letztendlich dem obersten Hirten der Weltkirche zustehen als Ärzten und Politikern. Aber das Bild, das Papst Franziskus im Ostertriduum abgab, war das eines Mannes, der niedergeschlagen und depressiv ist, und der die Katastrophe mit den ihm zur Verfügung stehenden geistlichen Waffen nicht bewältigen kann. Gleiches gilt für die überwiegende Mehrheit der Bischöfe. Die kirchliche Klasse, die über keine ernsthaften theologischen Studien und kein authentisches geistliches Leben verfügt, erweist sich als ebenso unzureichend wie die politische Klasse, um ihre Herde in der gegenwärtigen Dunkelheit zu leiten.
Was sollten die Konterrevolutionäre, die Gläubigen der Tradition, die eifrigen Katholiken, erfüllt von apostolischem Geist, in dieser Situation tun? Was sollte ihre Strategie angesichts der Manöver der Mächte der Finsternis sein?
Sie sollten zunächst aufzeigen, daß eine Welt zusammenbricht, jene globalisierte Welt, die die deformierten Projekte von Bill Gates und seiner Freunde trotz aller Bemühungen nicht mehr aufrechterhalten können. Das Ende dieser Welt, die ein Kind der Revolution ist, wurde vor hundert Jahren in Fatima angekündigt, und der Horizont, dem wir uns gegenübersehen, ist nicht die Zeit der definitiven Diktatur des Antichristen, sondern die des nicht mehr aufzuhaltenden Triumphs des Unbefleckten Herzens Mariens, dem die von der Gottesmutter angekündigten Strafen vorausgehen, wenn die Menschheit sich nicht bekehrt.
Selbst unter den besten Katholiken gibt es heute einen psychologischen Widerstand dagegen, von Strafe und Bestrafung zu sprechen. Joseph Graf de Maistre mahnt jedoch:
„Die Strafe regiert die gesamte Menschheit, die Strafe schützt sie, die Strafe wacht, während die Menschenwächter schlafen. Der Weise betrachtet die Strafe als Vollendung der Gerechtigkeit“(Les Soirées de Saint-Pétersbourg ou Entretiens sur le gouvernement temporel de la Providence und Traité sur les Sacrifices, ital. Ausgabe, Rusconi, Mailand 1971, S. 31).[1]
Der heilige Karl Borromäus erinnert daran, daß „unter all den anderen Zurechtweisungen, die Seine Göttliche Majestät sendet, die Strafe der Pest in besonderem Maße Seiner Hand zugeschrieben wird“, und erklärt dieses Prinzip am Beispiel von David, den König und Sünder, den Gott als Strafe zwischen Pest, Krieg und Hunger wählen ließ. David wählte die Pest mit den Worten:
„Melius mihi est ut incidam in manus Domini, quam in manus hominum“.
Es ist besser für mich, wenn ich in die Hand des HERRN gerate als in die Hand der Menschen. Daher gelangt der heilige Karl Borromäus zum Schluß, daß „zwischen Krieg und Hunger besonders die Pest der Hand Gottes zugeschrieben wird“ (Memoriale ai Milanesi di Carlo Borromeo, Giordano Editore, Mailand 1965, S. 34).
Es ist Zeit, die barmherzige Hand Gottes in den Geißeln zu erkennen, die beginnen, die Menschheit zu schlagen.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
[1] Deutsche Ausgabe: Die Abende von St. Petersburg oder Gespräche über das zeitliche Walten der Vorsehung, hrsg. v. Jean J. Langendorf und Peter Weiß, Karolinger, Wien 2008