
(Canberra) Ein Berufungsgericht bestätigte die Verurteilung von Kardinal George Pell wegen sexuellen Mißbrauchs.
Der ehemalige Erzbischof von Sydney und ehemalige Präfekt des Wirtschaftssekretariats an der Römischen Kurie war im vergangenen Februar von einem Geschworenengericht schuldig gesprochen worden, 1996/1997 zwei Ministranten im Alter von 13 Jahren sexuell mißbraucht zu haben. Der Kardinal wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.
Kardinal Pell beteuerte seine Unschuld und legte gegen das Urteil Berufung ein. Anstatt Hausarrest zu beantragen, bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, ging er stattdessen ins Gefängnis.
Nun fand vor einem Richtersenat, immer im Staat Victoria, die Berufungsverhandlung statt. Der Kardinal hatte im Vorfeld seine Hoffnung auf einen Freispruch zum Ausdruck gebracht. Auch vor dem Berufungsgericht beteuerte er, sich nicht der unsittlichen Tat schuldig gemacht zu haben, die ihm zur Last gelegt wird. Die Mehrheit der drei Berufsrichter kam allerdings zu einem anderen Schluß. Mit zwei gegen eine Stimme wurde das Urteil erster Instanz bestätigt. Zumindest ein Richter sah die Sache anders. Sein Minderheitenvotum wird vor dem Obersten Gerichtshof noch eine Rolle spielen.
Die Medien, so auch Associated Press, eine der internationalen Big Three-Presseagenturen, berichten von den Anwälten „der Opfer“. Die Information ist allerdings nicht richtig, auch nicht der Eindruck der damit vermittelt wird. Kardinal Pell wurde zwar schuldig gesprochen, damals zugleich zwei Ministranten sexuell mißbraucht zu haben. Angeklagt wurde er aber nur von einem, da der andere bereits tot ist.
Der Rechtsbeistand des Kardinals pochte im Berufungsverfahren auf diese Tatsache, daß zwar im ganzen Verfahren im Plural gesprochen wurde, aber sich alles auf die Aussage eines einzigen Anklägers stützt. Zwei Richter halten diesen aber für glaubwürdig.
Höchst unwahrscheinlich erscheinen dennoch die Umstände des Mißbrauchs in der Sakristei der St. Patricks-Kathedrale von Melbourne, deren Erzbischof er damals war, Der Mißbrauch soll unmittelbar nach einem Hochfest stattgefunden haben, und das durch einen hohen Kirchenvertreter, der soeben zum neuen Erzbischof dieser Diözese ernannt worden war. In der Sakristei wären der Erzbischof und die beiden Ministranten zu keinem Zeitpunkt allein gewesen, heißt es von einem Komitee, das zur Unterstützung des Kardinals ins Leben gerufen wurde.
Die Anwälte des Anklägers zeigten sich nach der heutigen Urteilsbestätigung hocherfreut und sprachen von einem wichtigen Sieg für „alle Opfer von sexuellem Mißbrauch durch Kleriker“. Kardinal Pell ist der ranghöchste Kirchenvertreter, der je von einem weltlichen Gericht in einem solchen Fall verurteilt wurde.
Der Kardinal vernahm die Entscheidung mit versteinerter Miene.
Ihm bleibt noch die Möglichkeit, sich an den Obersten Gerichtshof zu wenden. Seine Rechtsanwältin Katrina Lee kündigte an, daß die Urteilsbegründung genau studiert und alle Möglichkeit geprüft werden, den Fall vor das Höchstgericht zu bringen. „Kardinal Pell ist natürlich enttäuscht über das Urteil“, so Lee.
Der Vatikan, der sehr spät – zu spät wie manche sagen – eigene Ermittlungen einleitete, verwies bereits in der Vergangenheit auf die Unschuldsbeteuerungen des Kirchenfürsten. Zugleich betonte er, allen Opfern sexueller Gewalt nahezusein. Die Australische Bischofskonferenz, der Kardinal Pell seit seiner Berufung nach Rom 2014 nicht mehr angehört, erklärte, daß vor dem Gesetz „alle gleich sind“. Melbournes Erzbischof Peter Comensoli gab bekannt: „Ich vernehme die Entscheidung des Gerichts mit Respekt und rufe die ganze Welt auf, es ebenso zu tun.“
Kardinal Pell ist de facto bereits seit 2017 aller Aufgaben an der Römischen Kurie entbunden, formal bestätigt wurde das definitiv im Zusammenhang mit der Verurteilung ersten Grades.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL