
(Riad) Wo ist der saudische Kronprinz Mohammed ibn Salman al-Saud? Die Rede ist von einem mutmaßlichen, versuchten Staatsstreich in Saudi-Arabien, der in der Nacht des 21. April stattgefunden habe, aber vertuscht wird. Der Kronprinz, der zugleich saudischer Verteidigungsminister und stellvertretender Premierminister ist, soll dabei verletzt oder sogar getötet worden sein. Sicher ist vorerst nur, daß er seit jenem Datum nicht mehr gesehen wurde, nicht einmal bei so wichtigen Terminen wie dem Besuch des neuen US-Außenministers Mike Pompeo in Riad. Unterdessen ruft ein saudischer Prinz im Exil zum Aufstand gegen die saudische Staatsführung auf.
Westliche Medien und über soziale Netzwerke werden in diesen Tagen widersprüchliche Nachrichten über das Schicksal von Mohammed ibn Salman, den 32 Jahre alten Kronprinzen von Saudi-Arabien verbreitet. Grund dafür ist, daß der Kronprinz seit dem 21. April nicht mehr öffentlich aufgetreten ist.
Vor einem Jahr war er der aufstrebende Stern des saudischen Königshauses, und wurde bereits als künftiger Herrscher des Wahabitenreiches genannt. Im Machtkampf um die Nachfolger des 82 Jahre alten Königs Salman ibn Abd al-Aziz al-Saud setzte er sich gegen den damaligen Kronprinzen Mohammed ibn Naif durch. Beide sind Enkel des ersten saudischen Königs. Seit 1953 haben fünf Söhne des Gründers des Königreiches auf der arabischen Halbinsel regiert. Nun steht der Wechsel zur dritten Generation der Sauds bevor.

Seit Juni 2017 ist Mohammed ibn Salman offiziell Kronprinz des Landes. Im Gegensatz zu seinem Vetter ibn Naif, der für eine passive Hegemonie Saudi-Arabiens eintrat, gilt der 26 Jahre jüngere ibn Salman als Hardliner. Während ibn Naif sich einer direkten Militärintervention Saudi-Arabiens im Jemen widersetzte, führte ibn Salman den Militäreinsatz an.
Die aggressive Salman-Fraktion unterstützt seit Jahren die Anti-Assad-Opposition und ist an einer Destabilisierung Syriens interessiert. Auch hinter den Katar-Konflikt, der im vergangenen Jahr zur internationalen Isolierung des Emirats führte, wurde die Salman-Fraktion und ihr Hegemonialstreben gesehen. Seine Fraktion gilt auch als eine der Hauptunterstützer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die für Saudi-Arabien den aktiven Kampf gegen die Schiiten, die Erzfeinde der Sunniten, führt. Saudi-Arabien beansprucht die Vormachtstellung in der islamischen Welt.
Auch im Landesinneren ging der neue Kronprinz entschieden gegen Konkurrenten vor. Im Zuge einer großangelegten Anti-Korruptions-Kampagne, die ihm ein Sauermannimage verschaffte, ließ er auch tatsächliche und potentielle Gegner und Rivalen kaltstellen.
Saudische Medien bestreiten mit Nachdruck, daß es im April rund um den Königspalast in Riad zu Feuergefechten gekommen sei und es einen Putschversuch gegeben habe. Seither halten sich aber hartnäckig Gerüchte, daß der Kronprinz verletzt oder sogar getötet wurde.
Die offizielle saudische Sprachregelung spricht von einer Drohne, die sich dem Palast zu sehr genähert habe und von Angehörigen der königlichen Wachgarde beschossen wurde. Die Staatspropaganda verbreitete zudem ein Foto des Kronprinzen, das ihn bei einer Regierungssitzung zeigt, aber ohne Angabe eines Datums.
Die Zweifel verstummen nicht, weil gerade der Kronprinz im Gegensatz zur bisherigen Gepflogenheit des Königshauses das Mittel der öffentlichen Präsenz verstärkt nützte. Seit der neue US-Außenminister Mike Pompeo Ende April Riad besuchte – die USA sind der wichtigste Verbündete Saudi-Arabiens –, und der Kronprinz nicht einmal zu diesem Anlaß in Erscheinung trat, gilt als sicher, daß ihm etwas zugestoßen sein muß.
Der Twitter-Account al-Ahd al-Jadeed, stets gut informiert über Angelegenheiten des saudischen Königshauses, berichtete, daß ibn Salman seit dem 21. April nicht nur öffentlich, sondern auch innerhalb der saudischen Machtstrukturen nicht mehr gesehen wurde.
Während des mutmaßlichen Staatsstreichs soll er in einen Bunker nahe einer US-kontrollierten Militärbasis gebracht worden sein. Vergangene Woche berichtete die iranische Tageszeitung Kayhan, unter Berufung auf den Geheimdienst eines „arabischen Landes“, daß der Kronprinz während des Angriffs von zwei Kugeln getroffen worden und an den Folgen der Verletzungen gestorben sei.

Saudi-Arabien dementiert alle Gerüchte. Der Kronprinz bereite für die nächsten Tage einen öffentlichen Auftritt vor, heißt es. Allzulange wird diese Linie ohne Fakten nicht durchzuhalten sein.
Unterdessen werden Stimmen nach einem Führungswechsel laut. Diese Forderung erhob jüngst auch ein saudischer Prinz, Khalid ibn Farhan, der sich seit 2013 in Deutschland im Exil lebt. Er rief zwei andere Prinzen, Ahmed ibn Abdulaziz und Muqrin ibn Abdulaziz, zum Staatsstreich auf. Beide sind ebenfalls Söhne des ersten Königs, der mit mindestens 17 Frauen mehr als 50 Kinder zeugte. Khalid ibn Farhan behauptet, daß „99 Prozent der Angehörigen der königlichen Familie, der Sicherheitskräfte und der Armee bereit sind, einen Staatsstreich zu unterstützen“.
Unklar ist, welche innerislamischen, regionalen und internationalen Auswirkungen die Machtkämpfe in Saudi-Arabien haben.
Fest steht, daß die Aufkündigung des Atom-Abkommens mit dem Iran und neue Sanktionen gegen Teheran durch US-Präsident Donald Trump, obwohl von der internationalen Staatengemeinschaft mehrheitlich abgelehnt, nicht nur auf entsprechende Forderungen von Israel zurückgehen, sondern auch Riad dafür seinen Einfluß in Washington geltend machte.
Zu den aktivsten Stimmen der Anti-Iran-Propaganda in den USA gehört die MSLGroup, die mehrere Millionen Dollar in Propagandamaterial gegen das Atom-Abkommen investierte, um die politische Meinung in Washington zu beeinflussen. Die MSLGroup, ein internationaler Gigant für „Kommunikationsstrategien“, mit einem Jahresumsatz 2016 (Holding) von fast zehn Milliarden Euro, verfügt seit 2008 auch über eine Niederlassung in der Bundesrepublik Deutschland. Seit einigen Jahren ist Publicis, die Holding, zu der die MSLGroup gehört, vertraglich für für die „internationale Kommunikation“ Saudi-Arabiens zuständig.
Fest steht auch, daß die Christen des Nahen Ostens zu den großen Leidtragenden der Machtspiele im Nahen Osten sind, was im Westen weder die Regierungen noch die Christen sonderlich interessiert. Beides hat nicht zuletzt damit zu tun, daß deren Schicksal nicht Teil von teuren „Kommunikationsstrategien“ ist. Diese zielen auf andere Interessen ab.
Text: Andreas Becker
Bild: AsiaNews/Wikicommons