
(Rom) Der bekannte Historiker Roberto de Mattei befaßt sich in seinem jüngsten Aufsatz mit der Frage nach dem rechten Verhältnis von Zweck und Mittel. Ein Verhältnis, zu dem auch unter Katholiken heute große Verwirrung herrsche. Er geht dabei auf das richtige Verständnis des Papsttums ein. Angesichts jüngster Entwicklungen sieht der traditionsverbundene Intellektuelle die Notwendigkeit zu einer Präzisierung. Dabei behandelt er die Frage nach dem wahren Gehorsam, den jeder Katholik dem Papst schulde. Ein Gehorsam, der nicht der Person des Papstes gelte, sondern Christus, dessen Vertreter der Papst auf Erden ist. Dem Papst sei immer Respekt geschuldet, aber kein Gehorsam, wenn er vom Willen Gottes, der im Naturrecht, im göttlichen Gesetz und in der Tradition der Kirche Ausdruck findet, abweichen sollte. Vielmehr sei ihm dann respektvoller, aber entschiedener Widerstand zu leisten. Die Zwischentitel wurden von der Redaktion gewählt.
Der Zweck und die Mittel
von Roberto de Mattei
In der aus dem Gleichgewicht geratenen Welt, in der wir leben, entstehen viele Verhaltensfehler aus der Verwirrung der Ideen und Begriffe. Eines der größten Mißverständnisse betrifft das Verhältnis zwischen Zweck und Mittel menschlichen Handelns. Dabei geht es grundlegend darum, warum für einen Katholiken, mag der Zweck auch noch so gut sein, der Einsatz von unerlaubten Mitteln zu dessen Erreichung nicht gestattet ist.
Man kann nicht das Böse tun, um das Gute zu erreichen. Die Achtung und Einhaltung des moralischen Gesetzes muß absolut sein und duldet keine Ausnahmen. Es gibt im christlichen Leben jedoch einen weiteren Grundsatz, wonach die Mittel, so edel und erhaben sie auch sein mögen, nie über dem Zweck stehen, sondern diesem immer untergeordnet sein müssen. Andernfalls würde es zu einer Umkehrung der Werte zwischen Zweck und Mitteln kommen.
Eigentlicher und letzter Zweck des menschlichen Daseins ist die Verherrlichung Gottes
Der Zweck menschlichen Handelns kann vielfältig sein und noch zahlreicher die Mittel zu seiner Erreichung. Es gibt jedoch einen letzten Zweck, von dem alle anderen abhängen. Dieser Zweck ist Gott, Urgrund und Endpunkt jeglicher Existenz, von dem alles kommt und zu dem alles zurückkehrt: „das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“, wie die Offenbarung (22,13) enthüllt. Die Ehre Gottes ist das einzige Ziel aller Dinge und auch ihr einziges Gut.
Dom François Pollien (1853–1936) erinnert daran, daß Himmel und Erde, Engel und Menschen, Kirche und Gesellschaft, Gnade und Sakramente, Tiere und Pflanzen, Handeln und Kraft der Wesen, historische und kosmische Ereignisse, da Geschöpfe, als Instrumente und nichts anderes als Instrumente zu betrachten sind, als Mittel mit Blick auf den letzten Zweck: die Verherrlichung Gottes, mit der untrennbar unser Glück gekoppelt ist. Das gilt für jedes Geschöpf, und sei es das höchste.
Auch der Papst als Edelstes der Geschöpfe ist Instrument und nicht Zweck
Selbst die Person des Papstes, als Stellvertreter Christi auf Erden das Edelste der Geschöpfe, ist Instrument und nicht Zweck und als solches muß es zum Einsatz kommen, wenn wir das Verhältnis zwischen Mittel und Zweck nicht verkehren wollen. Das zu betonen ist wichtig, gerade in einem Moment, in dem vor allem unter frommen Katholiken viel Verwirrung in diesem Zusammenhang herrscht. Der Katechismus lehrt uns, daß man dem Papst zu gehorchen hat, weil Gehorsam eine moralische Tugend ist, die uns an den Willen des Vorgesetzten bindet, und unter allen Autoritäten der Erde gibt es keine höhere als den Papst. Aber auch der Gehorsam dem Papst gegenüber ist ein Instrument und nicht ein Zweck.
Der Gehorsam in der Kirche bedeutet für den Untergebenen immer die Pflicht, nicht den Willen des Vorgesetzten zu erfüllen, sondern einzig und allein den Willen Gottes. Daher ist der Gehorsam nie ein blinder oder bedingungsloser Gehorsam. Er hat seine Grenzen im Willen Gottes, der im Naturrecht und im Gottesrecht sowie in der Tradition der Kirche zum Ausdruck kommt, deren Bewahrer und nicht Urheber der Papst ist.
Die heute so weitverbreitete Tendenz, jedes Wort und Verhalten des Papstes in den Rang der Unfehlbarkeit zu erheben, entspringt einer historistischen und immanentistischen Mentalität, die das Göttliche in den Menschen und in der Geschichte sucht und die unfähig ist, die Menschen und die Geschichte im Licht jenes Natur- und Gottesrechts zu beurteilen, das der direkte Reflex Gottes ist. Die Kirche Christi, die die Geschichte übersteigt, wird ersetzt durch die modernistische, die eingetaucht in die Geschichte lebt. Das ewige Lehramt wird durch das „lebendige“ ersetzt, das in einer gefühlsbetonten und vagen pastoralen Lehre zum Ausdruck kommt, die sich jeden Tag verändert und ihre regula fidei im Subjekt der Autorität und nicht im Objekt der vermittelten Wahrheit hat.
Tendenz jeder Geste des Papstes „Unfehlbarkeit“ zuzuschreiben – Gefahr der Papolatrie
Es verfehlt sich, wer gegenüber dem Papst sarkastische und respektlose Worte gebraucht. Die gebührende Ehrerbietung, die dem Stellvertreter Christi zukommt, gilt aber nicht dem Menschen, sondern dem, den er vertritt. Dem Menschen als solchen kann man, in Ausnahmefällen, sogar widerstehen. Die treuen Katholiken rühmten sich sogar der Bezeichnungen Papisten und Ultramontane, die ihnen von den Feinden der Kirche abschätzig verpaßt wurden. Aber kein wirklicher Katholik ist je einer Papolatrie verfallen, die in einer Art von Vergöttlichung des Vikars Christi besteht, die so weit geht, dadurch Christus selbst zu ersetzen. Die Papolatrie ist Ausdruck einer Verwechslung der Mittel mit dem Zweck und ist ein psychologisches Verhalten, dem ein doktrinärer Irrtum zugrunde liegt.
Der Theologe aus dem Passionistenorden Enrico Zoffoli (1915–1996) erinnert uns in seinem Buch Potere e obbedienze nella Chiesa (Macht und Gehorsam in der Kirche, Rom 1996), daß Petrus, der erste Stellvertreter Christi, seiner Pflicht nicht nachkam, nicht etwa weil er die Wahrheit verraten hätte, aber weil er es zuließ, daß die Gläubigen im Zweifel blieben und daher in der Verwirrung. Paulus aber wagte es, ihn öffentlich zu ermahnen („Als Kephas aber nach Antiochia gekommen war, bin ich ihm offen entgegengetreten, weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte“, Galater 2,11), weil die Pflicht recht zu wandeln entsprechend der Wahrheit des Evangeliums (Galater 2,14) wichtiger ist, als gehorchen und schweigen.
Autorität des Papstes endet, wo sie sich gegen die Wahrheit richtet oder sie nicht ausreichend verteidigt
Die menschliche Autorität endet, wo sie ihre Grenzen überschreitet und die Wahrheit beleidigt oder die Wahrheit nicht in ausreichender Form verteidigt, auf daß sie nicht verraten werde. „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apostelgeschichte 5,29), hatte Petrus selbst vor dem Sanhedrin in Jerusalem erklärt. Auch der Heilige Thomas von Aquin, im Zusammenhang mit dem Verhalten des Petrus einer Meinung mit dem Heiligen Augustinus, ist der Meinung, daß man aus Furcht vor einem Skandal nicht auf die Wahrheit verzichten darf: „Veritas numquam dimittenda est propter timorem scandali“ (Super epistolam B. Pauli ad Galatas 2, 11–14, lect. 3, n. 80). Gegen den Gehorsam kann man sich durch Übertreibung verfehlen, indem man rechtswidrigen Dingen gehorcht, oder durch Mangel, indem man den rechtmäßigen Dingen nicht gehorcht.
Angesichts eines ungerechten Befehls, der nur unsere Person schädigt, verhält man sich sogar heldenhaft, wenn man gehorcht; wenn der Befehl jedoch das Natur- und Gottesrecht und damit Allgemeinwohl schädigt, findet das Heldentum seinen Ausdruck im Widerstand: gehorchen wäre dann nämlich reiner Servilismus. Man darf in dieser Hinsicht keine Furcht haben. Pater Enrico Zoffoli erinnert daran, daß keine Zensur – und sei es sogar die päpstliche – irgendeinen Wert hat, wenn sie auf objektiv falschen Motiven beruht oder nicht den Bereich des Glaubens oder der Sitten betrifft. Tatsächlich besagt das Kirchenrecht: „Niemand wird bestraft, es sei denn, die von ihm begangene äußere Verletzung von Gesetz oder Verwaltungsbefehl ist wegen Vorsatz oder Fahrlässigkeit schwerwiegend zurechenbar“ (Can. 1321).
Das Kriterium nach dem der Gläubige einem ungerechten Befehl der höchsten kirchlichen Autorität widerstehen kann, gründet nicht auf den freien Willen, dem das Prinzip der Unabhängigkeit der menschlichen Vernunft von jeder Autorität zugrunde liegt, sondern auf dem sensus fidei, der jedem Getauften gemeinsam ist, oder anders gesagt, auf jenem Glauben, der aus jedem Katholiken im Dienst für die Wahrheit einen freien Menschen macht. Wenn ein Papst zum Beispiel das gemeinsame Gebet mit den Moslems einführen, den überlieferten Römischen Ritus abschaffen oder den Priesterzölibat aufheben wollte, dann wäre ein respektvoller aber entschlossener Widerstand nötig. Der sensus fidei würde sich widersetzen. Allerdings je stärker der Widerstand wäre, um so mehr müßte er stets von einer erneuerten Liebe zum Papsttum, zur Kirche und zu ihrem Stifter Jesus Christus begleitet werden.
In Momenten der Verwirrung Blick auf Christus und Maria richten
Zwischen Gott und den Geschöpfen gibt es eine unerschöpfliche Fülle von Vermittlung, mit Hilfe derer die Kreaturen leichter ihren Zweck erreichen können. Nach Jesus Christus, Gottes Sohn und selbst Gott, nach dem alles gestaltet ist, gibt es nur eine perfekte Vermittlung, jene der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria, Miterlöserin und Mittlerin aller Gnaden, die ohne Erbsünde Gezeugte und daher frei von jeder Sünde und jedem Irrtum. Die Gottesmutter, bevorzugte Tochter des Vaters, Mutter des Sohnes, Braut des Heiligen Geistes wird von den Theologen als complementum Trinitatis gesehen. Sie und nur Sie, ist nach Jesus Christus die perfekte Mittlerin.
In Momenten des Zweifels, der Verwirrung, der Verdunkelung erhebt der Christ seine Augen zu seinem Ziel und gibt sich voll Vertrauen dem vorzüglichsten aller Mittel, dem einzigen unfehlbaren Mittel zur Erreichung seines Ziels: der seligen Jungfrau Maria, jener, die allein in der Nacht auf den Karsamstag nicht schwankte, als die Apostel flohen, während sie den Glauben der entstehenden Kirche in sich zusammenfaßte.
Text: Corrispondenza Romana
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana