Schuldspruch gegen den katholischen Medienunternehmer

Ein Menetekel für Hongkongs Freiheit


In dem gepanzerten Gefangenentransportfahrzeug wurde Jimmy Lai nach dem Schuldspruch abtransportiert. Das genaue Strafmaß wird in einer weiteren Verhandlung festgelegt werden.
In dem gepanzerten Gefangenentransportfahrzeug wurde Jimmy Lai nach dem Schuldspruch abtransportiert. Das genaue Strafmaß wird in einer weiteren Verhandlung festgelegt werden.

Mit dem gest­ri­gen Schuld­spruch gegen den katho­li­schen Medi­en­un­ter­neh­mer und Demo­kra­tie­ak­ti­vi­sten Jim­my Lai hat die Justiz Hong­kongs ein Signal aus­ge­sen­det, des­sen Bedeu­tung weit über den kon­kre­ten Fall hin­aus­reicht. Lai, 78 Jah­re alt, Grün­der der inzwi­schen auf­ge­lö­sten Zei­tung Apple Dai­ly, wur­de wegen Auf­wie­ge­lung und Ver­schwö­rung gegen die Behör­den für schul­dig befun­den. Im Raum steht eine mög­li­che lebens­lan­ge Haft­stra­fe. Das Urteil mar­kiert einen wei­te­ren Tief­punkt in der Ent­wick­lung eines Rechts­raums, der Son­der­ver­wal­tungs­zo­ne Hong­kong, der einst als Inbe­griff rela­ti­ver Frei­heit inner­halb der Volks­re­pu­blik Chi­na galt.

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Der Pro­zeß, der sich über zwei Jah­re hin­zog, rich­te­te sich nicht allein gegen eine Per­son, son­dern auch gegen ein publi­zi­sti­sches Pro­jekt. Nach Auf­fas­sung des Gerichts sol­len Lai und sei­ne Medi­en aus­län­di­sche Ein­fluß­nah­me begün­stigt und inter­na­tio­na­len Druck auf Peking und die Füh­rung Hong­kongs beför­dert haben. Die Argu­men­ta­ti­on der Rich­ter zeich­net das Bild eines Man­nes, der sei­ne publi­zi­sti­sche Macht gezielt zur Desta­bi­li­sie­rung des tota­li­tä­ren kom­mu­ni­sti­schen Regimes ein­ge­setzt habe. Lais eige­ne Aus­sa­gen wur­den dabei als aus­wei­chend und unglaub­wür­dig verworfen.

Unab­hän­gig von der juri­sti­schen Bewer­tung im enge­ren Sin­ne läßt sich die poli­ti­sche Dimen­si­on des Ver­fah­rens kaum über­se­hen. Jim­my Lai sitzt bereits seit Ende 2020 in Haft – ver­haf­tet auf Grund­la­ge des von Peking im Juni 2020 durch­ge­setz­ten Natio­na­len Sicher­heits­ge­set­zes, das Delik­te wie „Auf­wie­ge­lung“ und „aus­län­di­sche Ein­mi­schung“ weit aus­legt. Zuvor war er bereits zu meh­re­ren Haft­stra­fen ver­ur­teilt wor­den, unter ande­rem wegen Betrugs und der Teil­nah­me an nicht geneh­mig­ten Demon­stra­tio­nen. Beob­ach­ter spre­chen von einer syste­ma­ti­schen Kri­mi­na­li­sie­rung. Sein Name ist untrenn­bar mit der Nie­der­schla­gung der Pro­test­be­we­gung ver­bun­den, die 2019 Hun­dert­tau­sen­de auf die Stra­ßen Hong­kongs brachte.

Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Human Rights Watch sehen in dem Ver­fah­ren ein abschrecken­des Exem­pel, das kri­ti­sche Stim­men zum Schwei­gen brin­gen soll, und ver­wei­sen auf erheb­li­che rechts­staat­li­che Defi­zi­te – von der Aus­wahl der Rich­ter über die lan­ge Unter­su­chungs­haft bis hin zu Ein­schrän­kun­gen bei der Ver­tei­di­gung. Hin­zu kom­men ernst­haf­te Sor­gen um den Gesund­heits­zu­stand des betag­ten und damit schutz­be­dürf­ti­gen Ange­klag­ten, der an Dia­be­tes lei­det und Berich­ten zufol­ge zuneh­mend geschwächt ist.

Bei all dem gerät ein Aspekt leicht aus dem Blick, der für das Ver­ständ­nis der Per­son Jim­my Lai jedoch zen­tral ist: Lai ist prak­ti­zie­ren­der Katho­lik. Sein öffent­li­ches Enga­ge­ment spei­ste sich stets auch aus einem christ­lich gepräg­ten Frei­heits- und Ver­ant­wor­tungs­be­griff. Er selbst beton­te wie­der­holt, daß sein Wider­stand gegen poli­ti­sche Bevor­mun­dung nicht aus irgend­ei­nem ihm vom Regime unter­stell­ten Macht­stre­ben, son­dern aus Gewis­sens­über­zeu­gung erwach­se. Die­se Dimen­si­on ver­leiht sei­nem Schick­sal eine zusätz­li­che mora­li­sche Tie­fe. Es geht nicht nur um einen Medi­en­mo­gul oder Oppo­si­tio­nel­len, son­dern um einen gläu­bi­gen Chri­sten, der bereit war, per­sön­li­che Kon­se­quen­zen für sei­ne Über­zeu­gun­gen zu tragen.

Gera­de vor die­sem Hin­ter­grund wirkt das weit­ge­hen­de Schwei­gen kirch­li­cher Spit­zen­ver­tre­ter irri­tie­rend. Wäh­rend glo­ba­le The­men wie Kli­ma­ethik oder sozia­le Gerech­tig­keit regel­mä­ßig kirch­li­che Stel­lung­nah­men erfah­ren, blieb der Fall Lai bis­lang auf­fäl­lig rand­stän­dig. Ob aus diplo­ma­ti­scher Rück­sicht­nah­me oder poli­ti­schem Kal­kül – die­se Zurück­hal­tung steht in einem Span­nungs­ver­hält­nis zum Anspruch, welt­weit für Men­schen­wür­de und Gewis­sens­frei­heit einzutreten.

Der hoch­be­tag­te eme­ri­tier­te Bischof von Hong­kong, Kar­di­nal Joseph Zen, der dem­nächst 94 wird, ist die leuch­ten­de Aus­nah­me und wur­de selbst bereits nach dem Natio­na­len Sicher­heits­ge­setz von 2020 ver­haf­tet und vor Gericht gestellt. Auch in die­sem Fall offen­sicht­lich mit dem Ziel, eine zen­tra­le mora­li­sche Auto­ri­tät der Frei­heits­be­we­gung zum Schwei­gen zu bringen. 

Inzwi­schen lei­tet bereits Zens drit­ter Nach­fol­ger das Bis­tum Hong­kong, wobei die für die Grund- und Frei­heits­rech­te erho­be­ne Stim­me immer ein wenig lei­ser wur­de. Der von Papst Fran­zis­kus 2021 ernann­te Ste­phen Kar­di­nal Chow Sau-yan SJ sucht seit sei­nem Amts­an­tritt auf der Linie der berg­o­glia­ni­schen Ost­po­li­tik den Dia­log mit Peking. So gab es bis­her auch kei­ne Stel­lung­nah­me zur Ver­ur­tei­lung von Jim­my Lai.

Der Schuld­spruch gegen Lai ist somit mehr als ein natio­na­les Straf­ur­teil. Er ist ein Prüf­stein für die Glaub­wür­dig­keit rechts­staat­li­cher Prin­zi­pi­en in Hong­kong, aber auch für die Belast­bar­keit inter­na­tio­na­ler Soli­da­ri­tät – und nicht zuletzt für die Bereit­schaft, einen Chri­sten zu unter­stüt­zen, der aus sei­nem Glau­ben her­aus bereit war, öffent­lich Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Sein Fall wird bereits jetzt als Mene­te­kel für die poli­ti­sche Instru­men­ta­li­sie­rung der Justiz und das Ende wirk­li­cher Auto­no­mie Hong­kongs ver­stan­den. Und das ist wohl auch der gewünsch­te Effekt.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: You­tube (Screen­shot)

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