(Rom) Zum ersten Mal wurde gestern im Vatikan von einem Strafgericht eine Verurteilung in einem sexuellen Mißbrauchsfall ausgesprochen: Das Berufungsgericht des Kirchenstaates hob ein Urteil erster Instanz auf und verurteilte Don Gabriele Martinelli zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis.
Die Verurteilung des heute 30jährigen Martinelli erfolgte wegen Verführung eines Minderjährigen, konkret eines um sieben Monate jüngeren Mitschülers am Kleinen Seminar St. Pius X. In dieser vatikanischen Einrichtung sind die Ministranten untergebracht, die im Petersdom Dienst tun. Die Vorfälle ereigneten sich zwischen 2007 und 2012, als beide, Opfer und Täter, noch minderjährig, aber teilweise strafmündig waren.
Ein vatikanisches Gericht erster Instanz hatte Martinelli 2021 wegen Verjährung und aus Mangel an Beweisen vom sexuellen Mißbrauch freigesprochen. Freigesprochen wurde auch der damalige Regens des Seminars, Don Enrico Radace, vom Verdacht der Vertuschung. Don Radace und Don Martinelli sind beide Priester einer norditalienischen Diözese.
Der Rechtsbeistand des Opfers, Rechtsanwältin Laura Sgró, begrüßte das Urteil als „historisch“:
„Das ist ein historisches Urteil. Nach vielen Jahren wurden nicht nur die Tatsachen anerkannt, sondern auch das Leid und der Schmerz meines Mandanten, der Gerechtigkeit erlangen konnte“.
Die Verurteilung stützt sich nicht nur auf die Anschuldigungen des Opfers, sondern auch auf Aussagen eines Augenzeugen. Es handelt sich um den Polen Kamil Jarzembowski, der als Ministrant zur damaligen Zeit auch in der Einrichtung untergebracht war.
Martinellis Verteidigung plädierte auf nicht schuldig, da die Anschuldigungen des Opfers ein „Racheakt“ nach dessen Ausschluß aus dem Seminar seien.
Der vatikanische Justizpromotor (Staatsanwalt) Roberto Zannotti hatte das Berufungsverfahren eingeleitet. Martinelli wurde die Strafunmündigkeit für die vor dem 9. August 2008 begangenen Taten zuerkannt.
Bereits das Gericht erster Instanz hatte festgestellt, daß „sexuelle Beziehungen unterschiedlicher Art und Intensität zwischen dem Angeklagten und der geschädigten Person als erwiesen gelten müssen“, allerdings, so der Richter, gebe es keine Beweise, daß sie erzwungen wurden. Daran änderte auch das Berufungsverfahren nichts. Allerdings wurde die für das Verfahren erster Instanz geltende Verjährung für den Straftatbestand der Verführung Minderjähriger aufgehoben, da Martinelli sieben Monate vor seinem Kommilitonen strafmündig war. Für die in diesen sieben Monaten 2008/2009 begangenen Taten wurde der heutige Priester verurteilt.
Das erklärt auch, weshalb Martinelli zu zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, obwohl die Staatsanwaltschaft sechs Jahre Haft gefordert hatte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL