Der überlieferte Ritus steht seit dem Motu proprio Traditionis custodes von Papst Franziskus schwer unter Druck. Laut päpstlichem Willen sei er nicht nur überflüssig, sondern Ausdruck des Widerspruchs. Wer sich zu ihm bekennt, gebe sich als Opponent des amtierenden Papstes und der kirchlichen Einheit zu erkennen, so die Logik hinter Traditionis custodes. Dieser setzt Erzbischof Carlo Maria Viganò, der ehemalige Apostolische Nuntius in den USA, der die Verstrickung von Papst Franziskus in den McCarrick-Skandal aufdeckte, eine neue Initiative entgegen: Das Bekenntnis, indem er schildert, wie er selbst den überlieferten Ritus wiederentdeckte. Zugleich wendet er sich an seine Mitbrüder im Bischofsamt und an alle Priester, selbst Zeugnis abzulegen bzw. sich aufzumachen, um den überlieferten Ritus jetzt und gerade jetzt wiederzuentdecken oder neu zu entdecken.
Dilecta mea
Ihr, die ihr euch erlaubt, die apostolische Heilige Messe zu verbieten, habt ihr sie jemals zelebriert? Ihr, die ihr von euren hohen liturgischen Lehrstühlen aus scharfe Urteile über die „alte Messe“ sprecht, habt ihr jemals über ihre Gebete, ihre Riten, ihre uralten und heiligen Gesten nachgedacht? Ich habe mir diese Frage in den vergangenen Jahren mehrmals gestellt, weil ich selbst, der ich diese Messe seit meiner Kindheit kannte und, als Ministrant, als ich noch kurze Hosen trug, gelernt hatte, auf den Zelebranten zu antworten, sie fast vergessen und verloren hatte. Introibo ad altare Dei. Im Winter vor dem Weg zur Schule auf den eisigen Stufen des Altars knien. In der Hitze mancher Sommertage schwitze ich unter meinem Gewand als Meßdiener. Ich hatte diese Messe vergessen, die auch die meiner Priesterweihe am 24. März 1968 war: eine Zeit, in der man bereits die Zeichen der Revolution spüren konnte, die die Kirche bald ihres wertvollsten Schatzes berauben würde, um einen gefälschten Ritus einzuführen.
Nun, die Messe, welche die Konzilsreform in meinen ersten Priesterjahren ausgelöscht und untersagt hatte, blieb wie eine ferne Erinnerung, wie das Lächeln eines lieben, aber fernen Menschen, wie der Blick eines verstorbenen Verwandten, wie der Klang eines Sonntags mit seinem Glockengeläut und seinen freundlichen Stimmen. Aber es hatte etwas Nostalgisches, das die Jugend betraf, mit dem Enthusiasmus einer Zeit, in der die kirchlichen Verpflichtungen noch vor uns lagen, in der wir alle glauben wollten, daß die Welt die Nachkriegszeit und die Bedrohung durch den Kommunismus mit einem neuen geistigen Schwung überwinden könnte. Wir wollten glauben, daß der wirtschaftliche Wohlstand irgendwie mit einer moralischen und religiösen Wiedergeburt des Landes einhergehen könnte. Trotz 68, der Besetzungen, des Terrorismus, der Roten Brigaden, der Nahostkrise. Inmitten von Tausenden von kirchlichen und diplomatischen Verpflichtungen hatte sich in meinem Gedächtnis aber die Erinnerung an etwas herauskristallisiert, das eigentlich ungelöst geblieben war und jahrzehntelang „vorübergehend“ beiseitegelegt wurde. Etwas, das geduldig wartete, mit der Nachsicht, die nur Gott uns entgegenbringt.
Meine Entscheidung, die Skandale der amerikanischen Prälaten und der Römischen Kurie anzuprangern, hat mich dazu gebracht, nicht nur meine Rolle als Erzbischof und Apostolischer Nuntius in einem anderen Licht zu betrachten, sondern auch die Seele dieses Priestertums, das der Dienst zuerst im Vatikan und dann in den Vereinigten Staaten irgendwie unvollständig gelassen hatte: mehr wegen meines Priesterseins als wegen des Amtes. Und was ich bis dahin nicht verstanden hatte, wurde mir durch einen scheinbar unerwarteten Umstand klar, als meine persönliche Sicherheit in Gefahr zu sein schien und ich mich trotz allem gezwungen sah, fast im Untergrund zu leben, weit weg von den Palästen der Kurie. Damals führte mich diese gesegnete Absonderung, die ich heute als eine Art mönchische Entscheidung betrachte, zur Wiederentdeckung der heiligen tridentinischen Messe. Ich erinnere mich gut an den Tag, an dem ich anstelle der üblichen Kasel das traditionelle Gewand mit dem Ambrosianischen Cappino und der Manipel trug: Ich erinnere mich an die Befürchtungen, die ich empfand, als ich nach fast fünfzig Jahren die Gebete aus dem Meßbuch aussprach, und die mir wieder aus dem Mund kamen, als hätte ich sie noch bis vor kurzem rezitiert. Confitemini Domino, quoniam bonus, anstelle des Psalms Judica me, Deus des Römischen Ritus. Munda cor meum ac labia mea. Es waren nicht mehr die Worte des Meßdieners oder des jungen Seminaristen, sondern die Worte des Zelebranten, die Worte von mir, der ich zum ersten Mal wieder vor der Allerheiligsten Dreifaltigkeit zelebrierte. Denn es stimmt zwar, daß der Priester eine Person ist, die im wesentlichen für andere lebt – für Gott und für den Nächsten –, aber es stimmt auch, daß sein Apostolat so unfruchtbar ist wie eine klingende Zimbel, wenn er sich seiner eigenen Identität nicht bewußt ist und seine eigene Heiligkeit nicht pflegt.
Ich bin mir bewußt, daß diese Überlegungen jene teilnahmslos lassen, wenn nicht sogar Mitleid erregen, die nie die Gnade hatten, die überlieferte Messe zu feiern. Aber das Gleiche passiert jenen, so stelle ich es mir vor, die noch nie verliebt waren und die die Begeisterung und die keusche Hinwendung des Geliebten zu seiner Geliebten nicht verstehen, denen, die die Freude nicht kennen, sich in ihren Augen zu verlieren. Der graue römische Liturgiker, der Prälat mit seinem maßgeschneiderten Clergyman und dem Brustkreuz in der Tasche, der Consultor einer Kongregation mit der neuesten Ausgabe von Concilium oder Civiltà Cattolica in der Hand, betrachten die Messe des heiligen Pius V. mit den Augen des Entomologen (jener Wissenschaft, die Insekten studiert), der eine Perikope unter die Lupe nimmt wie ein Naturforscher die Adern eines Blattes oder die Flügel eines Schmetterlings. In der Tat frage ich mich manchmal, ob sie das nicht mit der Asepsis eines Pathologen tun, der mit dem Skalpell in einen lebenden Körper schneidet. Aber wenn ein Priester mit einem Mindestmaß an innerem Leben sich der überlieferten Messe nähert, unabhängig davon, ob er sie schon einmal gekannt hat oder sie zum ersten Mal entdeckt, wird er von der geordneten Majestät des Ritus tief bewegt, als ob er aus der Zeit hinaustritt und in die Ewigkeit Gottes hinein.
Ich möchte meinen Mitbrüdern im Bischofs- und Priesteramt verständlich machen, daß diese Messe an sich göttlich ist, weil man in ihr das Heilige auf eine ganz intuitive Weise wahrnimmt: Man wird buchstäblich in den Himmel entrückt, in die Gegenwart der Allerheiligsten Dreifaltigkeit und des himmlischen Hofes, weit weg vom Lärm der Welt. Sie ist ein Liebeslied, in dem die Wiederholung der Zeichen, Ehrerbietungen und heiligen Worte nichts Unnützes an sich hat, so wie die Mutter nicht müde wird, ihr Kind zu küssen, und die Braut ihrem Bräutigam immer wieder „Ich liebe dich“ zu sagen. Alles ist vergessen, denn alles, was dort gesagt und gesungen wird, ist ewig, alle Gesten, die dort ausgeführt werden, sind immerwährend, außerhalb der Geschichte und doch eingebettet in ein Kontinuum, das den Abendmahlssaal, den Kalvarienberg und den Altar, auf dem sie zelebriert wird, vereint. Der Zelebrant wendet sich nicht an die Versammlung, um verständlich zu sein oder sich sympathisch zu machen oder à la page zu erscheinen, sondern an Gott: Und vor Gott gibt es nur das Gefühl der unendlichen Dankbarkeit für das Privileg, die Gebete des christlichen Volkes, die Freuden und Sorgen so vieler Seelen, die Sünden und Fehler derer, die um Vergebung und Barmherzigkeit flehen, die Dankbarkeit für die empfangenen Gnaden und die Fürbitten für unsere lieben Verstorbenen mittragen zu dürfen. Man ist allein, und gleichzeitig doch eng verbunden mit einer unendlichen Schar von Seelen, die Zeit und Raum umspannen.
Wenn ich die apostolische Messe zelebriere, denke ich daran, daß auf demselben Altar, der mit den Reliquien der Märtyrer geweiht ist, schon viele Heilige und Tausende von Priestern zelebriert haben, indem sie dieselben Worte gebraucht haben wie ich, dieselben Gesten wiederholten, die gleichen Verbeugungen und Kniebeugen machten und dieselben Gewänder trugen. Vor allem aber haben sie mit demselben Leib und Blut unseres Herrn kommuniziert, dem wir alle uns durch die Darbringung des heiligen Opfers gleichgemacht haben. Wenn ich die Messe zelebriere, erkenne ich auf die erhabenste und vollständigste Weise die wahre Bedeutung dessen, was die Lehre uns lehrt. Das Handeln in persona Christi ist keine mechanische Wiederholung einer Formel, sondern das Wissen, daß mein Mund dieselben Worte spricht, die der Erlöser im Abendmahlssaal über Brot und Wein gesprochen hat; daß ich, wenn ich Hostie und Kelch zum Vater erhebe, die Opferung wiederhole, die Christus am Kreuz vollzogen hat; daß ich bei der Kommunion das Sühneopfer zu mir nehme und mich von Gott ernähre, und nicht an irgendeinem Festchen teilnehme. Und mit mir ist die ganze Kirche: die triumphierende Kirche, die sich meinem flehenden Gebet anschließt, die leidende Kirche, die darauf wartet, den Aufenthalt der Seelen im Fegefeuer zu verkürzen, die kämpferische Kirche, die sich im täglichen geistlichen Kampf stärkt. Wenn aber, wie wir im Glauben bekennen, unser Mund der Mund Christi ist, wenn unsere Worte bei der Konsekration die Worte Christi sind, wenn die Hände, mit denen wir die heilige Hostie und den Kelch berühren, die Hände Christi sind, welche Ehrfurcht sollten wir dann vor unserem Körper haben und ihn rein und unversehrt halten? Gibt es einen besseren Anreiz, in der Gnade Gottes zu bleiben? Mundamini, qui fertis vasa Domini [Haltet euch rein, denn ihr tragt die Geräte des Herrn, Jes 52,11]. Und mit den Worten des Missale: Aufer a nobis, quæsumus, Domine, iniquitates nostras: ut ad sancta sanctorum puris mereamur mentibus introire [Herr, wir bitten Dich: Nimm unsere Sünden von uns weg und laß uns mit reiner Seele ins Allerheiligste eingehen, Gebet des Priesters beim Aufstieg zum Altar].
Der Theologe wird mir sagen, daß dies die allgemeine Lehre ist, und daß die Messe genau das ist, unabhängig vom Ritus. Ich leugne es nicht, rational gesehen. Aber während die Zelebration der tridentinischen Messe eine ständige Erinnerung an die ununterbrochene Kontinuität des Erlösungswerkes ist, das mit Heiligen und Seligen umrahmt ist, scheint mir das beim reformierten Ritus nicht der Fall zu sein. Wenn ich auf den Tisch versus populum schaue, sehe ich den lutherischen Altar oder den protestantischen Tisch; wenn ich die Einsetzungsworte in Form einer Erzählung des letzten Abendmahls lese, höre ich dort die Änderungen von Cranmers Common Book of Prayer und Calvins Gottesdienst; wenn ich durch den reformierten Kalender blättere, finde ich dort genau die Heiligen getilgt, die die Ketzer der Pseudo-Reformation ausgelöscht haben. Das Gleiche gilt für die Gesänge, die einen englischen oder deutschen Katholiken entsetzen müßten: Unter den Gewölben einer Kirche die Chöre jener zu hören, die unsere Priester gemartert und das Allerheiligste Sakrament aus Trotz gegen den „päpstlichen Aberglauben“ mit Füßen getreten haben, sollte die Kluft zwischen der katholischen Messe und ihrer konziliaren Fälschung verstehen lassen. Ganz zu schweigen von der Sprache: Die ersten, die die lateinische Sprache abschafften, waren die Ketzer selbst, im Namen eines besseren Verständnisses der Riten für das Volk; ein Volk, das sie täuschten, indem sie die offenbarte Wahrheit in Frage stellten und den Irrtum verbreiteten. Im Novus Ordo ist alles profan. Alles ist vorübergehend, alles zufällig, alles kontingent, variabel, veränderbar. Es gibt nichts Ewiges, denn die Ewigkeit ist unveränderlich, so wie auch der Glaube unveränderlich ist. So unwandelbar, wie Gott ist.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt der traditionellen Heiligen Messe, den ich hervorheben möchte und der uns mit den Heiligen und Märtyrern der Vergangenheit verbindet. Seit der Zeit der Katakomben und bis herauf zu den letzten Verfolgungen ist der Priester, wo immer er das Heilige Opfer darbringt, ob auf dem Dachboden oder im Keller, im Gebüsch, in einer Scheune oder sogar in einem Lieferwagen, auf mystische Weise mit dieser Schar heroischer Glaubenszeugen verbunden, und auf jedem noch so behelfsmäßigen Altar ruht der Blick der Heiligsten Dreifaltigkeit, vor ihm verneigen sich alle Engelscharen in Anbetung, vor ihm schauen die Seelen im Fegefeuer. Auch darin, vor allem darin, versteht jeder von uns, wie die Tradition über die Jahrhunderte hinweg ein unauflösliches Band schafft, nicht nur in der eifersüchtigen Bewahrung dieses Schatzes, sondern auch in der Bewältigung der Prüfungen, die sie mit sich bringt, bis hin zum Tod. Angesichts dieses Gedankens muß uns die Arroganz des gegenwärtigen Tyrannen mit seinen wahnwitzigen Dekreten in unserer Treue zu Christus bestärken und uns als integralen Bestandteil der Kirche aller Zeiten fühlen lassen, denn man kann nicht die Siegespalme gewinnen, wenn man nicht bereit ist, das bonum certamen [den guten Kampf] zu kämpfen.
Ich möchte, daß meine Mitbrüder das Undenkbare wagen: Ich möchte, daß sie sich der tridentinischen Messe nähern, nicht um sich an der Spitze eines Chorhemdes oder der Stickerei eines Messgewandes zu erfreuen, oder aus bloßer rationaler Überzeugung über ihre kanonische Legitimität oder die Tatsache, daß sie nie abgeschafft wurde, sondern mit der Ehrfurcht, mit der Moses sich dem brennenden Dornbusch näherte; in dem Wissen, daß jeder von uns, wenn wir nach dem letzten Evangelium vom Altar herabsteigen, in gewisser Weise innerlich verklärt ist, weil wir dort dem Allerheiligsten begegnet sind. Nur dort, auf jenem mystischen Sinai, können wir das Wesen unseres Priestertums verstehen, das vor allem Selbsthingabe an Gott ist, die Hingabe des eigenen Wesens zusammen mit Christus, dem Opfer, zur größeren Ehre Gottes und zur Rettung der Seelen, ein geistliches Opfer, das seine Kraft und Stärke aus der Messe bezieht; Selbstverleugnung, um dem Hohepriester Platz zu machen; ein Zeichen wahrer Demut, in der Vernichtung des eigenen Willens und der Hingabe an den Willen des Vaters, nach dem Beispiel des Herrn; eine Geste echter „Gemeinschaft“ mit den Heiligen, indem man dasselbe Glaubensbekenntnis und denselben Ritus teilt. Und ich wünsche mir, daß diese „Erfahrung“ nicht nur von denen gemacht wird, die seit Jahrzehnten den Novus Ordo zelebrieren, sondern vor allem von den jungen Priestern und denen, die ihren Dienst an vorderster Front ausüben: Die Messe des heiligen Pius V. ist für unbeugsame Geister, für hochherzige und heldenhafte Seelen, für Herzen, die vor Liebe zu Gott und zum Nächsten brennen.
Ich weiß: Das Leben der Priester besteht heute aus tausend Prüfungen, aus Streß, aus dem Gefühl, allein gegen die Welt zu kämpfen, aus dem Desinteresse und der Ächtung durch die Oberen, aus einer langsamen Abnutzung, die von der Besinnung, vom inneren Leben, vom geistlichen Wachstum ablenkt. Und ich weiß sehr wohl, daß dieses Gefühl der Belagerung, sich wie ein einsamer Seemann zu fühlen, der ein stürmisches Schiff steuern muß, weder das Vorrecht der Traditionalisten noch der Progressiven ist, sondern das gemeinsame Schicksal all derer, die ihr Leben dem Herrn und der Kirche geopfert haben, jeder mit seinen eigenen Nöten, wirtschaftlichen Problemen, Mißverständnissen mit dem Bischof, Kritik der Brüder, Bitten der Gläubigen. Und diese Stunden der Einsamkeit, in denen die Gegenwart Gottes und die Begleitung der Jungfrau zu verschwinden scheinen, wie in der dunklen Nacht des heiligen Johannes vom Kreuz. Quare me repulisti? Et quare tristis incedo, dum affligit me inimicus? [Warum hast du mich verstoßen? Warum muß ich trauernd umhergehen, von meinem Feind bedrängt?, Ps 43,2]. Wenn der Teufel böswillig durch Internet und Fernsehen schleicht, quærens quem devoret [und sucht, wen er verschlingen kann, 1 Pet 5,8], und unsere Müdigkeit heimtückisch ausnutzt. In diesen Fällen, denen wir alle gegenüberstehen, wie unser Herr in Gethsemane, ist es unser Priestertum, das Satan angreifen will, indem er sich überzeugend wie Salome vor Herodes präsentiert und uns den Kopf des Täufers als Geschenk anbietet. Ab homine iniquo, et doloso erue me [Rette mich vor bösen und tückischen Menschen!, Ps 42,1]. In der Prüfung sind wir alle gleich, denn der Sieg, den der Feind erringen will, ist nicht nur über unsere arme Seele als Getaufte, sondern über Christus, den Priester, dessen Salbung wir tragen.
Aus diesem Grund ist die heilige tridentinische Messe heute mehr denn je der einzige Rettungsanker für das katholische Priestertum, denn in ihr wird der Priester jeden Tag in jener privilegierten Zeit der innigen Vereinigung mit der heiligen Dreifaltigkeit erneuert und schöpft daraus die unentbehrlichen Gnaden, um nicht in Sünde zu verfallen, um auf dem Weg der Heiligkeit voranzuschreiten und um das gesunde Gleichgewicht zu finden, mit dem er sich dem Amt stellen kann. Wer glaubt, daß all dies als eine rein zeremonielle oder ästhetische Angelegenheit abgetan werden kann, hat nichts von seiner eigenen Berufung verstanden. Denn die Heilige Messe „aller Zeiten“ – und das ist sie wirklich, da sie immer vom Widersacher bekämpft wurde – keine willfährige Geliebte, die sich jedem anbietet, sondern eine eifersüchtige und keusche Braut, so wie der Herr eifersüchtig ist.
Wollt ihr Gott gefallen oder denen, die euch von Ihm fernhalten? Letztlich geht es immer um diese eine Frage: die Wahl zwischen dem sanften Joch Christi und den Ketten der Sklaverei des bösen Feindes. Die Antwort wird euch klar werden, wenn auch ihr, staunend über diesen unermeßlichen Schatz, der euch vorenthalten wurde, entdeckt, was es bedeutet, das heilige Opfer nicht als armselige „Vorsteher der Versammlung“ zu zelebrieren, sondern als „Diener Christi und als Verwalter von Geheimnissen Gottes“ (1 Kor 4,1).
Nehmt das Missale in die Hand, bittet einen befreundeten Priester um Hilfe und steigt hinauf zum Berg der Verklärung: Emitte lucem tuam et veritatem tuam: ipsa me deduxerunt, et adduxerunt in montem sanctum tuum, et in tabernacula tua [Sende dein Licht und deine Wahrheit, damit sie mich leiten; sie sollen mich führen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung, Ps 43,3]. Wie Petrus, Jakobus und Johannes werdet ihr ausrufen: Domine, bonum est nos hic esse, „Herr, es ist gut, daß wir hier sind“ (Mt 17,4). Oder, mit den Worten des Psalmisten, die der Zelebrant beim Offertorium wiederholt: Domine, dilexi decorem domus tuæ, et locum habitationis gloriæ tuæ [Herr, ich liebe den Ort, wo dein Tempel steht, die Stätte, wo deine Herrlichkeit wohnt, Ps 26,8].
Wenn ihr das entdeckt habt, wird euch niemand mehr das nehmen können, wofür der Herr euch nicht mehr als Knechte bezeichnet, sondern Freunde nennt (Joh 15,15). Niemand wird euch jemals dazu überreden können, darauf zu verzichten, und euch zwingen, sich mit ihrer Verfälschung durch rebellische Geister zufrieden zu geben. Eratis enim aliquando tenebræ: nunc enim lux in Domino. Ut filii lucis ambulate. „Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts!“ (Eph 5,8). Propter quod dicit: Surge qui dormis, et exsurge a mortuis, et illuminabit te Christus. Deshalb steht geschrieben: „Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten und Christus wird dein Licht sein“ (Eph 5,14).
+ Carlo Maria Viganò, Erzbischof
2. Januar 2022
Sanctissimi Nominis JESU
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: NLM/Youtuve (Screenshot)