Was bislang nach einer düsteren Dystopie klang, scheint in Nicaragua traurige Wirklichkeit zu werden: Bücher gelten als verdächtig, Bibeln als potentielle Bedrohung, das gedruckte Wort als Risiko an der Landesgrenze. Das sandinistische Regime um das Diktatorenehepaar Daniel Ortega und Rosario Murillo treibt seinen Feldzug gegen das freie Denken auf eine neue, erschreckende Spitze – und nähert sich dabei mit beunruhigender Konsequenz den Methoden klassischer totalitärer Systeme an, wie man sie bislang vor allem aus den finstersten Kapiteln des 20. Jahrhunderts kannte.
Mehrere Transportunternehmen, die den Personenverkehr zwischen Costa Rica und Nicaragua abwickeln, sehen sich mittlerweile genötigt, ihre Kunden ausdrücklich zu warnen. Wer Bücher im Gepäck mitführt, muß damit rechnen, daß sie von den nicaraguanischen Behörden beschlagnahmt werden. Die lapidare Empfehlung lautet, „Unannehmlichkeiten zu vermeiden“, wie La Prensa berichtet, die älteste Tageszeitung Nicaraguas, die seit 2021 aufgrund von repressiven Maßnahmen des sandinistischen Regimes nur mehr als Internetausgabe im Exil existiert.
Die Grenze als Zensurinstanz
Diese Warnungen sind keine Übertreibung, sondern Ausdruck bitterer Realität. Reisende berichten übereinstimmend von akribischen, ja schikanösen Kontrollen an den Grenzübergängen. Gepäckstücke werden durchwühlt, Druckerzeugnisse aussortiert, Literatur wird zur Beute staatlicher Willkür. Die Grenze selbst wird zur ideologischen Schleuse, an der entschieden wird, welches Gedankengut das Land noch betreten darf – und welches als staatsfeindlich gilt.
Ein Krieg gegen Geist und Gewissen
Der neue Bücherbann ist kein isoliertes Ereignis, sondern fügt sich nahtlos in die seit Jahren eskalierende Repressionspolitik des Regimes ein. Spätestens seit den blutig niedergeschlagenen Protesten des Jahres 2018, die über 300 Todesopfer forderten, führt die Regierung einen offenen Krieg gegen jede Form kritischer Reflexion. Universitäten wurden geschlossen, unabhängige Medien zerschlagen, Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle verfolgt, eingeschüchtert oder ins Exil gezwungen.
Besonders ins Visier geraten sind Autoren, die sich kritisch mit dem Machtapparat auseinandersetzen. Werke wie Tongolele no sabía bailar des renommierten Schriftstellers Sergio Ramírez gelten als unerwünscht. Literatur wird nicht länger als Ausdruck kultureller Identität verstanden, sondern als subversive Gefahr bekämpft.
Doch der Zugriff des Staates endet nicht an der Schwelle zur Belletristik. Auch politische Gefangene berichten, daß ihnen selbst in den Gefängnissen der Zugang zu Büchern systematisch verwehrt wird. Darunter – man halte inne – religiöse Schriften. Ja, selbst die Bibel, jenes Buch, das Generationen von Christen Trost, Orientierung und Hoffnung geschenkt hat, wird von den Machthabern als Bedrohung eingestuft.
Bibeln verboten – das wahre Gesicht der Diktatur
Besonders empörend ist die jüngst bekannt gewordene Praxis, die Einfuhr von Bibeln, religiösen Zeitschriften und selbst Zeitungen grundsätzlich zu untersagen. Entsprechende Hinweise wurden bei internationalen Busunternehmen ausgehängt. Neben Alltagsgegenständen wie Drohnen oder scharfen Werkzeugen erscheint dort plötzlich die Heilige Schrift – eingeordnet in eine Reihe mit potentiellen Waffen.
Daß es sich hierbei nicht um einen lokalen Irrtum, sondern um eine systematische staatliche Anordnung handelt, bestätigen mehrere Quellen aus verschiedenen mittelamerikanischen Ländern. Internationale Organisationen zur Verteidigung der Religionsfreiheit schlagen Alarm. Sie sprechen von einer zutiefst beunruhigenden Entwicklung in einem ohnehin repressiven politischen Klima.
Wenn ein Staat beginnt, Bibeln an der Grenze zu konfiszieren, dann ist dies mehr als ein Verwaltungsakt. Es ist ein Offenbarungseid. Das Land reiht sich ein in die Praxis, wie sie in Nordkorea gilt und in der Sowjetunion galt. Es ist das Eingeständnis eines Regimes, das um die Fragilität seiner eigenen ideologischen Konstruktion weiß. Wer das Wort Gottes fürchtet, fürchtet letztlich jede Wahrheit, die nicht aus dem eigenen Machtzentrum stammt.
Der lange Schatten Nordkoreas
Der Vergleich mit Nordkorea drängt sich tatsächlich auf – aus nüchterner Analyse. Auch dort ist der Besitz nicht genehmigter Literatur strafbar, auch dort gilt unabhängiges Denken als staatsfeindlich. Auch dort und nur dort werden Bibeln an den Grenzen systematisch beschlagnahmt. Daß Nicaragua, einst ein Land mit lebendiger kultureller und kirchlicher Tradition, nun in diese Richtung marschiert, nennen lateinamerikanische Beobachter erschütternd und beschämend zugleich.
Ein Regime, das Bibeln fürchtet, hat seinen moralischen Bankrott erklärt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: La Prensa (Screenshot)

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