Der unbequeme Gast im Vatikan?

Die Audienz für P. Hans Zollner und die Erwartungen an das neue Pontifikat


Am Freitag wurde P. Hans Zollner SJ von Papst Leo XIV. in Audienz empfangen und dabei ging es sicher auch um die Mißbrauchsfrage
Am Freitag wurde P. Hans Zollner SJ von Papst Leo XIV. in Audienz empfangen und dabei ging es sicher auch um die Mißbrauchsfrage

Am Frei­tag wur­de P. Hans Zoll­ner, deut­scher Jesu­it und lang­jäh­ri­ger Exper­te im Bereich des kirch­li­chen Umgangs mit sexu­el­lem Miß­brauch, von Papst Leo XIV. in Audi­enz emp­fan­gen. Der Ter­min fällt in eine Pha­se, in der die Päpst­li­che Kom­mis­si­on für den Schutz von Min­der­jäh­ri­gen, auch bekannt als Päpst­li­che Kin­der­schutz­kom­mis­si­on erneut mit grund­le­gen­den Fra­gen nach ihrer Wirk­sam­keit, ihren Struk­tu­ren und ihrer tat­säch­li­chen Durch­set­zungs­kraft kon­fron­tiert ist.

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P. Zoll­ner gehör­te der Kom­mis­si­on über Jah­re hin­weg an. Bereits vor sei­nem Rück­tritt im Jahr 2023 hat­te er öffent­lich Kri­tik an ihrer Arbeits­wei­se erken­nen las­sen. Nach sei­nem Aus­schei­den sprach er offen von der Not­wen­dig­keit struk­tu­rel­ler Ver­än­de­run­gen. In kirch­li­chen Beob­ach­ter­krei­sen galt er zeit­wei­se als mög­li­cher Nach­fol­ger von Kar­di­nal Seán Patrick O’Malley, dem frü­he­ren Vor­sit­zen­den der Kom­mis­si­on. Dazu kam es jedoch nicht. Zoll­ner ver­ließ das Gre­mi­um sicht­bar ernüch­tert, ohne sei­ne fach­li­che Tätig­keit im Bereich Prä­ven­ti­on und Auf­ar­bei­tung aufzugeben.

Vor die­sem Hin­ter­grund darf ange­nom­men wer­den, dass bei der heu­ti­gen Audi­enz nicht nur Höf­lich­kei­ten aus­ge­tauscht wur­den. Soll­te Zoll­ner sei­ne bekann­ten Vor­be­hal­te gegen­über der Funk­ti­ons­wei­se der Kom­mis­si­on wei­ter­hin tei­len, wäre es nahe­lie­gend, dass er die­se auch gegen­über dem neu­en Papst zur Spra­che brach­te. Viel­mehr dürf­te Zoll­ners Kri­tik sogar der Haupt­grund gewe­sen sein, wes­halb Leo XIV. gera­de sei­ne Mei­nung hören wollte.

Zeit­gleich erschien ein Inter­view der spa­ni­schen Nach­rich­ten­agen­tur EFE mit dem amtie­ren­den Sekre­tär der Kom­mis­si­on, Bischof Luis Manu­el Alí Her­rera. Dar­in bestä­tigt die­ser in bemer­kens­wer­ter Offen­heit zen­tra­le Kri­tik­punk­te, die seit Jah­ren von Betrof­fe­nen und Fach­leu­ten vor­ge­tra­gen werden.

Alí räumt ein, daß Opfer sexu­el­len Miß­brauchs durch Kle­ri­ker vor allem eines bekla­gen: die man­geln­de Zügig­keit kirch­li­cher Ver­fah­ren. Zwar exi­stier­ten Pro­zes­se und Richt­li­ni­en, doch ihre Umset­zung erfol­ge häu­fig in Zeit­räu­men, die der Dring­lich­keit des erlit­te­nen Leids nicht gerecht wür­den. „Die Trä­nen war­ten nicht“, so der Bischof — ein Satz, der unfrei­wil­lig die Kluft zwi­schen insti­tu­tio­nel­len Abläu­fen und mensch­li­cher Not offenlegt.

Auch im Jah­res­be­richt der Kom­mis­si­on wer­de erneut sicht­bar, daß Prä­ven­ti­on in der Welt­kir­che kein durch­gän­gig syste­mi­scher Pro­zeß sei. Wäh­rend man­che Orts­kir­chen über jah­re­lan­ge Erfah­rung ver­füg­ten, stün­den ande­re erst am Anfang. Wie­der ande­re zeig­ten wei­ter­hin Wider­stän­de. Ein­heit­li­che Stan­dards, so das Ein­ge­ständ­nis, exi­stie­ren bis­lang nicht.

Beson­ders pro­ble­ma­tisch ist Alís Hin­weis, daß in man­chen Diö­ze­sen noch immer eine wirk­lich empa­thi­sche Beglei­tung der Opfer feh­le. Ver­fah­ren zur Ent­ge­gen­nah­me von Anzei­gen sei­en unzu­rei­chend abge­stimmt, bewähr­te Model­le wür­den nicht kon­se­quent über­nom­men, der Aus­tausch zwi­schen Diö­ze­sen blei­be lückenhaft.

In bezug auf kon­kre­te Fäl­le — etwa die Unter­su­chung gegen den Bischof von Cádiz wegen mut­maß­li­cher Taten aus den 1990er Jah­ren — betont Alí, daß es weni­ger um ein­zel­ne Per­so­nen als um mög­li­che syste­mi­sche Ver­säum­nis­se gehe. Auch dies unter­strei­che, daß die Kri­se nicht allein mora­li­scher, son­dern struk­tu­rel­ler Natur sei.

Papst Leo XIV., der über eine kano­ni­sti­sche Aus­bil­dung ver­fügt und als frü­he­rer Ordens­obe­rer, Diö­ze­san­bi­schof und Kuri­en­prä­fekt mit kirch­li­cher Lei­tungs­ver­ant­wor­tung ver­traut ist, scheint die Pro­ble­ma­tik zumin­dest klar zu erken­nen. Er traf sich bereits mehr­fach mit der Kom­mis­si­on und hör­te auch Opfer per­sön­lich an — Gesprä­che, die bewußt Zeit in Anspruch nahmen.

Doch die ent­schei­den­de Fra­ge bleibt offen: Reicht das aus? Solan­ge Schutz­kon­zep­te nicht welt­weit ver­bind­lich, Ver­fah­ren nicht zügig und trans­pa­rent und Ver­ant­wor­tung nicht klar zuge­ord­net wer­den, bleibt der Abstand zwi­schen kirch­li­chem Anspruch und kirch­li­cher Rea­li­tät bestehen.

Die heu­ti­ge Audi­enz von P. Hans Zoll­ner ist daher mehr als ein sym­bo­li­scher Ter­min. Sie ist ein stil­ler Hin­weis dar­auf, dass selbst inner­halb des vati­ka­ni­schen Reform­ap­pa­ra­tes die Über­zeu­gung wächst: Ohne struk­tu­rel­le Kon­se­quen­zen bleibt jeder Bericht Stückwerk.

Vor allem aber blei­ben grund­le­gen­de Fra­gen und ver­bind­li­che Rich­tungs­ent­schei­dun­gen wei­ter­hin aus. Unter Papst Fran­zis­kus, der im Jahr 2014 die Vati­ka­ni­sche Kom­mis­si­on für den Schutz von Min­der­jäh­ri­gen ins Leben rief, wur­de zwar aus­gie­big über Miss­brauch, des­sen Bekämp­fung und Prä­ven­ti­on gespro­chen; die zen­tra­le Ursa­che zahl­rei­cher Miss­brauchs­fäl­le im kirch­li­chen Kon­text jedoch wur­de kon­se­quent aus­ge­klam­mert. Sie wur­de gemie­den wie sprich­wört­lich der Teu­fel das Weihwasser.

Min­de­stens 80 Pro­zent der von Kle­ri­kern began­ge­nen sexu­el­len Miss­brauchs­fäl­le wei­sen einen homo­se­xu­el­len Cha­rak­ter auf. Die­ses soge­nann­te Homo-Pro­blem, von Kri­ti­kern auch als „Homo-Häre­sie“ bezeich­net, stellt in sei­nen kon­kre­ten Aus­wir­kun­gen den sprich­wört­li­chen rosa Ele­fan­ten im Raum dar, den nie­mand wahr­neh­men will. Unter dem Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus war dies zumin­dest der Fall.

Wird Papst Leo XIV. einen ande­ren Kurs einschlagen?

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati­can­Me­dia (Screen­shot)

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