Von Fabio Fuiano*
Am 17. November wurde die Welt Zeuge des assistierten Selbstmordes der berühmten Kessler-Zwillinge, zwei bekannter Entertainerinnen und Tänzerinnen der 60er und 70er Jahre. Wega Wetzel, Sprecherin der Organisation Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), bestätigte die Durchführung des Verfahrens: „Die Zwillinge hatten diese Entscheidung bereits seit geraumer Zeit erwogen. Sie waren seit über sechs Monaten Mitglieder der Organisation. Ein Anwalt und ein Arzt führten vorbereitende Gespräche mit ihnen.“ Datum und Ort standen fest: ihre Wohnung in Grünwald. Laut DGHS-Tarif hätten Alice und Ellen Kessler 6.000 Euro bezahlt – für medizinische Betreuung, rechtliche Unterstützung und organisatorische Kosten.
Im Rahmen des Suizidverfahrens bereitete ein Arzt eine tödliche Infusion mit Anästhetikum vor. Ein medizinischer Assistent setzte die Nadel in die Arme der Zwillinge, die anschließend die Infusion selbst auslösten. Wetzel erklärt: „Es muß strikt der Patient selbst sein, der das Ventil öffnet. Vor der Verabreichung wird erneut geprüft, ob man sich der Tragweite dessen, was man tun wird, vollständig bewußt ist. Es wird auch ein technischer Test mit Kochsalzlösung durchgeführt. Erst danach konnten die Kessler-Zwillinge sich die tödliche Dosis selbst verabreichen, die einen sofortigen Herzstillstand verursacht.“
Die beiden Frauen verkörperten den Geist, aus der schwierigen Realität einer vom Zweiten Weltkrieg gezeichneten Welt entkommen zu sein. In Italien unterhielten sich die Familien seit den Anfängen des Fernsehens über Generationen mit ihren musikalischen Darbietungen und konnten so zeitweise dem Alltag entfliehen. Dieses Gefühl von Sympathie und Dankbarkeit, verstärkt durch die Medien, verschleierte die Tragweite ihrer Handlung: Die Zwillinge haben wissentlich ihr eigenes Leben beendet – jenes Leben, das niemandem gegeben wurde und das folglich niemandem zusteht, es zu nehmen.
Bis zum letzten Moment kann ein Mensch Reue empfinden und sich mit Gott versöhnen. Die Kessler-Zwillinge, möglicherweise ohne zu erkennen, daß die Seele den Körper überdauert, verharrten in diesem Unheil bis zum Augenblick der Vollstreckung, der ihren Willen für die Ewigkeit „kristallisierte“.
Ihre Tat ist weitaus schwerwiegender als die eines Selbstmörders, der im Moment der Verwirrung von einer Brücke springt, denn letzterer verfügt zumindest noch über die Zeitspanne zwischen Absprung und Aufprall, um seine Tat zu bereuen und um Vergebung zu bitten.
Im dritten Gesang des Purgatoriums begegnet Dante Alighieri den exkommunizierten Seelen, darunter jener von Manfred. Bewegend sind die Worte, mit denen Manfred erklärt, warum er trotz seines Todes im Zustand der Exkommunikation im Fegefeuer gerettet wurde: Kurz bevor er an zwei tödlichen Wunden starb, übergab er seine Seele, reumütig und weinend, „dem, der gerne vergibt“.

Der Kern von Manfreds Aussage läßt sich in folgender kostbarer Zusammenfassung wiedergeben:
„Schrecklich waren meine Sünden;
doch die unendliche Güte hat so große Arme,
daß sie das aufnimmt, was sich ihr zuwendet“ (III, 123).
Bis zum letzten Moment ist es möglich, sich durch die Barmherzigkeit Gottes zu retten, insbesondere durch die mütterliche Fürsprache der Heiligen Maria. Das Schicksal der Kessler-Zwillinge scheint leider einen anderen Verlauf genommen zu haben: Ein Augenblick vorher befindet man sich noch in der Zeit, in der Reue möglich ist, einen Augenblick später jedoch in der Ewigkeit, wo kein Reueakt mehr möglich ist, da jede menschliche Handlung nur in der Zeit vollzogen werden kann. Die Situation wird zusätzlich verschärft durch das Fehlen einer gesellschaftlichen Ächtung ihres Handelns: Die nahezu einhellige, emotional getragene Zustimmung zu ihrer „Entscheidung“ kann nur zu dem verheerenden Effekt der Nachahmung führen.
Das einzige Gegenmittel liegt darin, die unendliche Liebe Gottes für den Menschen wiederzuentdecken. Thomas von Aquin erinnert daran:
„Obgleich die Geschöpfe nicht von Ewigkeit her existieren, sondern in Gott, kennt Gott sie von Ewigkeit her in ihrer Natur und liebt sie aus demselben Grund“ (Summa Theologiae, I, q. 20, a. 2 ad 2).
Pater Federico Rouvier SJ (1851–1925) erklärt in seinem Meisterwerk Saper Soffrire („Leiden können“, Edizioni Fiducia, Rom 2023, S. 7–11) anschaulich die Beziehung zwischen Gottes Güte und der Schöpfung.
Alles, was wir besitzen und sind, haben wir von Ihm erhalten: „Niemand hat uns mehr gegeben als Gott, und niemand gibt uns Tag für Tag mehr, als Gott uns gibt. Niemand hat uns daher mehr geliebt oder liebt uns mehr als Gott. Diese unermeßliche Liebe, die Gott von Ewigkeit her in seinem väterlichen Herzen für uns trägt, ist der Grund unserer Existenz. Denn aus Liebe hat Er uns erschaffen; aus jener Liebe, die unaufhörlich über seine Geschöpfe strömt aus jenem Ozean unendlicher Güte, der von Ewigkeit her in seinem Inneren ruht. Wenn es nicht diese Liebe gäbe, warum hätte Er uns aus dem Nichts erschaffen?“
Bischof Jacques-Bénigne Bossuet (1627–1704) schrieb: „Alle, die ihren Besitz anderen geben, sagt Augustinus, tun dies aus einem von drei Gründen: entweder aus einer höheren Gewalt, die sie dazu zwingt, und geben dann aus Notwendigkeit; oder aus einem Vorteil, der ihnen daraus erwächst, und tun es aus Nutzen; oder aus wohltätiger Neigung, und dann aus Güte. So gibt uns die Sonne ihr Licht, weil Gott ihr dieses Gesetz auferlegt hat; das ist Notwendigkeit. Ein großer Herr verteilt seine Schätze, um sich treue Anhänger zu schaffen; er handelt aus Nutzen. Ein Vater gibt reichlich an seinen geliebten Sohn aus Güte.
Es kann jedoch nicht die Notwendigkeit sein, die Gott dazu bewegt, seine Großzügigkeit über uns auszugießen, da Er keiner höheren Macht unterliegt; auch nicht der Nutzen, da Gott seine Geschöpfe nicht braucht. Es bleibt daher allein die Güte, die Quelle aller Gnaden…“

Die erste aller Gnaden, Grundlage aller weiteren, „war es, uns ins Dasein zu rufen; daraus folgt, daß Gott uns aus Güte und Liebe erschaffen hat“. Johannes von Damaskus hebt hervor: „Da Gott unendlich gut und aller Güte überlegen ist, genügte es Ihm nicht, die Kontemplation Seiner selbst zu genießen; aus Seiner immensen Güte wollte Er, daß die Geschöpfe ins Dasein kommen, daß sie Wirkung Seiner Wohltaten seien und an Seiner Güte teilhätten. Daher erschuf Er aus dem Nichts alles, Sichtbares und Unsichtbares, ebenso den Menschen, bestehend aus Seele und Körper“ (De fide orthodoxa, L. II, c. 2).
Rouvier schließt daraus: Als Gott aus dem Schoß der Ewigkeit „die Abgründe Seiner unerschaffenen Weisheit betrachtete, richtete Er Sein Augenmerk auf alle Wesen, die Er wie Spiegel Seiner Majestät und göttlichen Macht aus dem Nichts rufen konnte; […] und besonders, angesichts jener unermeßlichen Zahl menschlicher Seelen, die Er ins Dasein hätte rufen können, faßte Gott das herrliche Dekret, jedem von uns das Leben frei zu schenken, ohne irgendwelche vorangehende Verdienste unsererseits. Es ist offensichtlich, da wir noch nicht existierten, daß Sein einziges Motiv die Güte war. Daraus folgt, daß Gott uns aus Güte und aus Liebe zu uns aus dem Nichts ins Leben rief.“
Auch die Kessler-Zwillinge wurden aus dem Nichts erschaffen, durch die Liebe Gottes, die Er von Ewigkeit her für sie hegte. In der bewußten Ablehnung dieser Güte liegt die Schwere ihrer suizidalen Entscheidung.
*Fabio Fuiano hat an der Universität Roma Tre einen Master in Bioingenieurwesen erworben. Derzeit ist er Doktorand in Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen an der gleichen Universität. Er ist Vorsitzender der universitären Pro-Life-Bewegung „Universitari per la Vita“.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/Youtube (Screenshots)

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