Am 2. Juni 2025 verkündete die Erzdiözese Toulouse die Ernennung von Abbé Dominique Spina zum Kanzler und Delegaten für Ehefragen. Eine Entscheidung, die für Empörung sorgte – und schließlich revidiert wurde. Denn Spina ist kein unbeschriebenes Blatt. Die Frage geht jedoch tiefer.
1993 wurde Dominique Spina als homosexueller Mißbrauchstäter verurteilt. Wegen der Vergewaltigung eines 16jährigen Jungen verbüßte er eine fünfjährige Haftstrafe. Seine Ernennung, trotz einer solchen Vergangenheit, in eine Schlüsselposition der Diözesanverwaltung löste bei Gläubigen und Öffentlichkeit Proteste aus.
2016 war Spina zum Pfarrer in Fronton in der Erzdiözese Toulouse ernannt worden. Auch damals führte seine Vergangenheit zu öffentlicher Empörung, woraufhin er seinen Posten niederlegte. Damals versprach die Erzdiözese öffentlich, Spina werde keinen direkten oder indirekten Kontakt mehr zu Jugendlichen haben. Neun Jahre später erfolgte nun seine Beförderung zum Kanzler des Erzbistums – eine Position, die mit hoher Verantwortung und innerkirchlicher Autorität verbunden ist, allerdings keinen direkten Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen bedeutet.
Verteidigung durch Erzbischof de Kerimel
Statt auf die Kritik der Gläubigen einzugehen, verteidigte Erzbischof Guy de Kerimel de Kerveno öffentlich seine Entscheidung und berief sich auf die christliche Prinzipien Vergebung und Barmherzigkeit. De Kerimel verwies dabei konkret auf Papst Franziskus. In einem Schreiben vom 10. Juli 2025 sprach er zudem weniger zu den Gläubigen als mehr über sie. Zudem problematisierte er die Rolle der Medien, die seiner Ansicht nach ein „skandalisierendes“ Bild erzeugt hätten. Mit allen diesen Punkten hatte der Erzbischof sicher recht. Dennoch ließ er es an Sensibilität fehlen, da er darauf vergessen hatte, die Entscheidung vorab zu begründen.
Am 10. August folgte eine Stellungnahme der Französischen Bischofskonferenz, in der de Kerimel offen zur Rücknahme seiner Entscheidung aufgefordert wurde – ein sehr ungewöhnlicher Schritt, da diese Personalentscheidung allein in der Jurisdiktion des betreffenden Bischofs liegt. Die Stellungnahme zeigte jedoch das Ausmaß der medialen Polemik und die große Sorge der anderen Bischöfe um das Ansehen der Kirche.
Der Rücktritt – wortkarg und widerwillig
Am 16. August ließ der Erzbischof verlauten, Spina sei „auf meine Bitte hin“ von seinem Amt zurückgetreten. Eine unmittelbare Erklärung der widersprüchlichen Schritte erfolgte jedoch nicht. Stattdessen wurde nüchtern der Nachfolger benannt. Den Schritt zurück scheint Msgr. de Kerimel offenbar nur widerwillig gemacht zu haben.
Erst in einem später veröffentlichten Kommuniqué versuchte der Erzbischof, den entstandenen Schaden rhetorisch zu reparieren. Darin spricht er von einem „Mißverständnis“ und entschuldigt sich allgemein bei den Opfern sexuellen Mißbrauchs – jedoch ebenso bei Abbé Spina, dem er weiterhin sein Vertrauen zu schenken scheint.
Zwischen Vergebung und Verantwortung
Erzbischof Guy André Marie de Kerimel de Kerveno entstammt altem bretonischem Adel. Er selbst schloß sich in seiner Studentenzeit der Gemeinschaft Emmanuel an, deren Leitungsgremium er einige Jahre angehörte und der er bis heute verbunden ist. Als Bischof von Grenoble schränkte er die Zelebrationen im überlieferten Ritus gemäß dem bergoglianischen Motu proprio Traditionis custodes stark ein. Insgesamt sprach er sich in liturgischen Fragen für repressive Maßnahmen gegen den überlieferten Ritus aus, wenn dieser einem „Widerstand“ gegen das Zweite Vatikanische Konzil diene.
Zugleich weihte er seine 2021 erhaltene Erzdiözese Toulouse dem Heiligsten Herzen Jesu gegen eine blasphemische künstlerische Provokation, wünscht aber von seinen Seminaristen, daß sie außerhalb des Seminars nicht die Soutane tragen, um, so seine Berufung auf Papst Franziskus, dem „Klerikalismus“ vorzubeugen.

De Kerimels Schreiben ist geprägt von theologischen Überlegungen zu Versöhnung, Vergebung und Gerechtigkeit. Er zieht Vergleiche mit biblischen Figuren wie Paulus und Maria Magdalena, um zu betonen, daß auch schwer belastete Menschen eine zweite Chance verdient hätten. Seine Argumentation gipfelt in einem Plädoyer für eine „wiedergutmachende Gerechtigkeit“, die auf Umkehr statt Ausgrenzung setzt.
Erzbischof de Kerimel hat es allerdings verpaßt, in einem heiklen und schwierigen Kontext Führungsstärke zu zeigen. Stattdessen folgte er zuerst seinen Vorstellungen, um dann unter dem Druck seiner Mitbrüder im Bischofsamt und der veröffentlichten Meinung einen Rückzieher zu machen.
Der Fall Dominique Spina stellt sich daher als persönliches Fehlurteil dar. Zugleich ist er aber auch symptomatisch für die anhaltenden Schwierigkeiten der Kirche, angemessen mit dem Mißbrauchsproblem umzugehen – und vor allem, daraus zu lernen.
Unbestreitbar ist – wie auch der Fall Spina zeigt –, daß sexueller Mißbrauch in der Kirche in überwiegendem Maße (mindestens 80 Prozent der Fälle) homosexueller Art ist. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage, ob die Kirche ein grundsätzliches Homo-Problem hat – allerdings ein ganz anderes als allgemein behauptet wird – und ob der Mißbrauchsskandal nicht lediglich dessen sichtbar gewordene Spitze darstellt. Auch von Erzbischof de Kerimel ist bisher keine Benennung des eigentlichen Problems bekannt, das dem Mißbrauchsskandal zugrundeliegt.
Kirchliche Institutionen – namentlich die Deutsche und die Belgische Bischofskonferenz, aber auch Papst Franziskus – weigerten sich beharrlich, diesen Zusammenhang überhaupt zu benennen, geschweige denn anzuerkennen. Der eigentliche Vertuschungsskandal dürfte genau in dieser Weigerung liegen. Sie macht den Mißbrauchsskandal nicht nur möglich, sondern erzwingt in der Folge in gewissem Sinne auch die vielfach beklagte Mißbrauchsvertuschung durch die Kirche.
Die Hofierung der Homo-Lobby, wie sie für den 6. September im Rahmen des Heiligen Jahres in Rom geplant ist, vertieft den Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit und leistet jenen homophilen Kräften in der Kirche Vorschub, die für den eigentlichen Vertuschungsskandal verantwortlich sind.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: toulouse.catholique.fr (Screenshots)
