Patriarchen: „Wir bitten um Gebet, Aufmerksamkeit und Handeln der Christen weltweit“

Solidarität mit den Christen von Taibeh


Christliche Vertreter im Heiligen Land, darunter der Lateinische Patriarch Kardinal Pizzaballa (Mitte), nahmen zu den Angriffen auf Taibeh Stellung
Christliche Vertreter im Heiligen Land, darunter der Lateinische Patriarch Kardinal Pizzaballa (Mitte), nahmen zu den Angriffen auf Taibeh Stellung

Tai­beh ist das ein­zi­ge ver­blie­be­ne, voll­stän­dig christ­li­che Dorf im Hei­li­gen Land. Es liegt nord­öst­lich von Ramal­lah. Sei­ne Geschich­te reicht bis in die Zeit der frü­hen Chri­sten­heit zurück. Heu­te leben dort haupt­säch­lich grie­chisch-ortho­do­xe Chri­sten, aber auch Katho­li­ken und ande­re christ­li­che Grup­pen. Jüngst wur­de Tai­beh zur Ziel­schei­be von Angrif­fen radi­ka­ler jüdi­scher Sied­ler. Die Patri­ar­chen und ande­re christ­li­che Ver­tre­ter haben Tai­beh besucht und den Chri­sten ihre Soli­da­ri­tät zum Aus­druck gebracht. 

Anzei­ge

Auch die Stadt Beth­le­hem hat­te durch die Jahr­hun­der­te eine christ­li­che Mehr­heit. Wer sich Bil­der aus der Zwi­schen­kriegs­zeit des 20. Jahr­hun­derts ansieht, wird nur Kirch­tür­me über den Dächern der Stadt erken­nen, aber kei­ne Mina­ret­te. Das Stadt­bild hat sich inzwi­schen radi­kal ver­än­dert. Um etwa 2000 haben die Chri­sten die Mehr­heit in der Stadt ver­lo­ren und sind zur Min­der­heit gewor­den. Der Groß­teil der Ein­woh­ner­schaft ist heu­te mos­le­misch. Die zahl­rei­chen gewalt­sa­men Ein­grif­fe im Hei­li­gen Land seit der Nak­ba (1948), als von jüdi­scher Sei­te hun­dert­tau­sen­de Palä­sti­nen­ser, Mos­lems wie Chri­sten, aus ihrer Hei­mat ver­trie­ben wur­den, führ­ten zu mas­si­ven demo­gra­phi­schen Ver­än­de­run­gen. Durch Gewalt, wirt­schaft­li­che Schwie­rig­kei­ten, Arbeits- und Per­spek­ti­ven­lo­sig­keit zogen Chri­sten nach jeder Eska­la­ti­on in Schü­ben in die Dia­spo­ra und wur­den durch Mos­lems ersetzt, die sich in Beth­le­hem nie­der­lie­ßen. Als die Kon­trol­le über Beth­le­hem 1995 der Palä­sti­nen­si­schen Auto­no­mie­be­hör­de über­ge­ben wur­de, begann eine behörd­lich geför­der­te Ansied­lung von Mos­lems, sodaß die Chri­sten zur Min­der­heit in ihrer Stadt wurden.

Tai­beh ist daher heu­te der ein­zi­ge Ort im Hei­li­gen Land mit einer christ­li­chen Mehr­heit und hat eine beson­de­re kul­tu­rel­le und reli­giö­se Bedeu­tung für das Selbst­be­wußt­sein der Chri­sten in der Regi­on. Tai­beh liegt etwa zehn Kilo­me­ter öst­lich von Ramal­lah im West­jor­dan­land und gilt als das bibli­sche Ephra­im, in das sich Jesus vor sei­ner Pas­si­on zurück­zog (Joh 11,45–57).

Wäh­rend der römi­schen und byzan­ti­ni­schen Zeit war die Regi­on bereits ein bedeu­ten­des christ­li­ches Zen­trum. Die byzan­ti­ni­sche Ära (ca. 4. bis 7. Jahr­hun­dert n. Chr.) spiel­te eine Schlüs­sel­rol­le in der Ver­brei­tung des Chri­sten­tums im Hei­li­gen Land.

Auch nach der isla­mi­schen Erobe­rung im 7. Jahr­hun­dert blieb die christ­li­che Gemein­de in Tai­beh bestehen. Das gilt durch die Jahr­hun­der­te auch über das Ende der Kreuz­rit­ter­zeit (11.–13. Jahr­hun­dert) hin­aus, obwohl der christ­li­che Ein­fluß im Hei­li­gen Land damals stark zurück­ge­drängt wur­de. Die blo­ße Exi­stenz des christ­li­chen Tai­beh ist ein fas­zi­nie­ren­des histo­ri­sches Phä­no­men, das durch die etwas iso­lier­te, da gebir­gi­ge Lage erklärt wird.

Seit der bri­ti­schen Man­dats­zeit und beson­ders seit der Grün­dung des Staa­tes Isra­el gestal­tet sich das Leben der christ­li­chen Min­der­heit zuneh­mend schwie­rig. Das gilt beson­ders seit der Inti­fa­da um 1990. Da die christ­li­che Dorf­ge­mein­schaft von rund 2500 Per­so­nen sich kom­pakt hal­ten konn­te, gelang es den Chri­sten bis­her alle Schwie­rig­kei­ten zu überwinden.

Die Kir­che des Hei­li­gen Georg ist eines der mar­kan­te­sten Wahr­zei­chen und ein wich­ti­ger Pil­ger­ort. Die­se Kir­che geht auf die byzan­ti­ni­sche Zeit zurück und wur­de im 19. Jahr­hun­dert restauriert.

Das Dorf ist auch bekannt für sei­ne Wein­pro­duk­ti­on, da es in der Regi­on vie­le Wein­ber­ge gibt, aber auch für sei­ne klei­ne, 1994 gegrün­de­te Bier­braue­rei, der ein­zi­gen im West­jor­dan­land, die ein­zi­ge palä­sti­nen­si­sche Braue­rei und auch die ein­zi­ge im Hei­li­gen Land, in der nach dem tra­di­tio­nel­len deut­schen Brau­ver­fah­ren gebraut wird. Zoll­bar­rie­ren, Grenz­kon­trol­len und wirt­schaft­li­che Ein­schrän­kun­gen, die das täg­li­che Leben in der Regi­on beein­flus­sen, haben dem Unter­neh­men von Anfang an schwer zuge­setzt. Die Chri­sten von Tai­beh haben jedoch durch­ge­hal­ten und so wur­de die klei­ne Braue­rei zu einem wirt­schaft­li­chen Aus­hän­ge­schild und durch Export über das Hei­li­ge Land hin­aus auch zu einer Ver­bin­dungs­tür zur Welt.

In den ver­gan­ge­nen Wochen wur­de Tai­beh zwei­mal von radi­ka­len jüdi­schen Sied­lern ange­grif­fen. Die jüdi­sche Sied­lungs­be­we­gung strebt die Errich­tung von Groß­is­ra­el (Erez Isra­el) an und besetzt, teils mit, teils ohne israe­li­sche Unter­stüt­zung in den besetz­ten Palä­sti­nen­ser­ge­bie­ten Land der Palä­sti­nen­ser, ver­treibt die­se und errich­tet jüdi­sche Sied­lun­gen. Die­ser Ver­drän­gungs­pro­zeß, der eine eth­ni­sche Säu­be­rung zum Ziel hat, hält seit den 1970er Jah­ren an. Isra­els Mini­ster­prä­si­dent Jitzack Rabin, obwohl über­zeug­ter Zio­nist, wur­de 1995 von einem Mit­glied der jüdi­schen Sied­ler­be­we­gung ermordet. 

Die Chri­sten im Hei­li­gen Land kämp­fen aber nicht nur mit den Pro­ble­men vor Ort, ein­ge­klemmt zwi­schen Juden und Mos­lems wie zwi­schen zwei Mühl­stei­nen, son­dern auch gegen die Gleich­gül­tig­keit unter den Chri­sten vor allem im Westen, wo eine phi­lo­se­mi­ti­sche Strö­mung (die nicht sel­ten phi­lo­zio­ni­stisch ist) meint, die Augen vor der Not der Chri­sten im Nahen Osten ver­schlie­ßen zu müssen.

Die inter­na­tio­na­le media­le Auf­merk­sam­keit ist ganz auf den Gaza-Kon­flikt und die Span­nun­gen zwi­schen Isra­el und dem Iran kon­zen­triert. Zudem gibt es ein Inter­es­se, bestimm­te nega­ti­ve Mel­dun­gen aus den Schlag­zei­len der Welt­öf­fent­lich­keit fern­zu­hal­ten. Jeder Kon­flikt ist immer auch ein Kampf um die öffent­li­che Meinung.

Die Patri­ar­chen des Hei­li­gen Lan­des, mit dem Latei­ni­schen Patri­ar­chen Pier­bat­ti­sta Kar­di­nal Piz­za­bal­la an der Spit­ze, haben eine Erklä­rung zu den Angrif­fen auf Tai­beh abge­ge­ben. Hier der voll­stän­di­ge Wortlaut.

Erklärung der Patriarchen und christlichen Oberhäupter des Heiligen Landes

Wir, der Rat der Patri­ar­chen und Kir­chen­ober­häup­ter von Jeru­sa­lem, sind heu­te hier in Tai­beh, um unse­re Soli­da­ri­tät mit der ört­li­chen Gemein­schaft aus­zu­drücken, die zuneh­mend syste­ma­ti­schen und geziel­ten Angrif­fen aus­ge­setzt ist. Wir bit­ten um Gebet, Auf­merk­sam­keit und Hand­lung der Welt, ins­be­son­de­re der Chri­sten weltweit.

Am Mon­tag, dem 7. Juli 2025, setz­ten radi­ka­le Israe­lis aus benach­bar­ten Sied­lun­gen absicht­lich Feu­er in der Nähe des Fried­hofs der Stadt und der Kir­che des Hei­li­gen Georg, die bis ins 5. Jahr­hun­dert zurück­reicht. Tai­beh ist die letz­te ganz christ­li­che Stadt im West­jor­dan­land. Die­se Taten stel­len eine direk­te und absicht­li­che Bedro­hung für unse­re ört­li­che Gemein­schaft dar, vor allem, aber auch für das histo­ri­sche und reli­giö­se Erbe unse­rer Vor­fah­ren und hei­li­gen Stätten.

Ange­sichts sol­cher Bedro­hun­gen besteht die größ­te Tap­fer­keit dar­in, wei­ter­hin zu behaup­ten, daß dies eure Hei­mat ist. Wir ste­hen an eurer Sei­te, wir unter­stüt­zen eure Wider­stands­kraft und ihr habt unse­re Gebete.

Wir dan­ken den Bewoh­nern und Feu­er­wehr­leu­ten, daß sie das Feu­er gelöscht haben, bevor unse­re hei­li­gen Stät­ten zer­stört wer­den konn­ten. Aber wir schlie­ßen uns den Stim­men der ört­li­chen Prie­ster an – grie­chisch-ortho­do­xe, latei­ni­sche und mel­ki­ten-grie­chisch-katho­li­sche – und erhe­ben einen kla­ren Appell um Unter­stüt­zung ange­sichts der wie­der­hol­ten, syste­ma­ti­schen Angrif­fe die­ser Radi­ka­len, die immer häu­fi­ger werden.

In den letz­ten Mona­ten führ­ten die Radi­ka­len ihr Vieh in die land­wirt­schaft­li­chen Gebie­te im Osten von Tai­beh – die land­wirt­schaft­lich genutz­te Flä­che – wo sie besten­falls unzu­gäng­lich gemacht wur­den, im schlimm­sten Fall jedoch die Oli­ven­hai­ne beschä­dig­ten, von denen die Fami­li­en abhän­gig sind. Im letz­ten Monat wur­den meh­re­re Häu­ser von die­sen Radi­ka­len ange­grif­fen, die Feu­er leg­ten und ein Pla­kat errich­te­ten, auf dem auf eng­lisch über­setzt stand: „Es gibt kei­ne Zukunft für euch hier.“

Die Kir­che hat in die­ser Regi­on fast 2.000 Jah­re treue Prä­senz gezeigt. Wir leh­nen die­se Bot­schaft der Aus­gren­zung ent­schie­den ab und bekräf­ti­gen unser Enga­ge­ment für ein Hei­li­ges Land, das ein Mosa­ik unter­schied­li­cher Glau­bens­rich­tun­gen ist, die in Wür­de und Sicher­heit fried­lich zusammenleben.

Der Rat der Patri­ar­chen und Kir­chen­ober­häup­ter for­dert, daß die­se Radi­ka­len von den israe­li­schen Behör­den zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den, die ihre Prä­senz rund um Tai­beh ermög­li­chen und unter­stüt­zen. Selbst in Kriegs­zei­ten müs­sen hei­li­ge Stät­ten geschützt wer­den. Wir for­dern eine sofor­ti­ge und trans­pa­ren­te Unter­su­chung dar­über, war­um die israe­li­sche Poli­zei nicht auf Not­ru­fe der loka­len Gemein­schaft reagiert hat und war­um die­se abscheu­li­chen Taten wei­ter­hin unge­straft bleiben.

Die Angrif­fe der Sied­ler gegen unse­re Gemein­schaft, die in Frie­den lebt, müs­sen auf­hö­ren, sowohl hier in Tay­beh als auch an ande­ren Orten im West­jor­dan­land. Dies ist ein­deu­tig Teil der syste­ma­ti­schen Angrif­fe auf Chri­sten, die wir in der gesam­ten Regi­on beobachten.

Wir bit­ten zudem Diplo­ma­ten, Poli­ti­ker und Kir­chen­ver­tre­ter welt­weit, der öku­me­ni­schen Gemein­schaft in Tay­beh eine beten­de und laut­star­ke Stim­me zu ver­lei­hen, damit ihre Prä­senz gesi­chert wird und sie in Frie­den leben kön­nen, um frei zu beten, ohne Gefahr Ern­te ein­zu­brin­gen und in einem Frie­den zu leben, der der­zeit viel zu sel­ten ist.

Wir schlie­ßen uns unse­ren Mit­brü­dern im Kle­rus in Tai­beh an, indem wir die­se Hoff­nung im Ange­sicht einer anhal­ten­den Bedro­hung wie­der­ho­len: „Wahr­heit und Gerech­tig­keit wer­den letzt­lich sie­gen.“ Und wir erin­nern uns an die Wor­te des Pro­phe­ten Amos, die in die­ser schwie­ri­gen Zeit unser Gebet wer­den: „Laß Gerech­tig­keit wie Was­ser flie­ßen und Recht wie einen immer flie­ßen­den Bach.“

Die Patri­ar­chen und Kir­chen­ober­häup­ter von Jerusalem

Text/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Latei­ni­sches Patri­ar­chat von Jerusalem

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