
Ein Kommentar von Don Michael Gurtner*
Das neue „synodale Denken“, welches der Gesamtkirche recht unsynodal von oben herab aufgelegt wird, macht auf eindrucksvolle Weise den „katholischen Atheismus“ greifbar, welcher tief in die Kirche eingedrungen ist. Der offenkundige Unglaube gerade auch innerhalb des Klerikerstandes ist wie ein lähmendes Nervengift, das den „mystischen Leib Christi“, welcher die Kirche ist, in bezug auf deren „irdische Hülle“ geistig starr und geistlich unbeweglich macht. Die Vergiftungserscheinungen übersetzen sich in Taubheit für die Offenbarung Gottes und das „Wort Gottes“, welches nicht einfach die Bibel, sondern Christus selber ist, Stummheit für das Vertreten der Wahrheit, Blindheit für das ganz offensichtliche Versagen des letzten Konzils und dessen Reformen und Lahmheit in der Umkehr und der Rückkehr auf den einzig rechten Weg, jenen der Christusnachfolge als Glieder jenes Mystischen Leibes Christi, welcher die katholische Kirche ist.
Zunächst ist eine ungesunde Autoreferenzialität zu beklagen: Die Kirche ist schon seit Jahren in einer geschlossenen Schleife gefangen, aus der sie sich nicht mehr befreien zu können scheint und in der sie ständig um sich selbst kreist. Eine Kirche, die sich aber ständig nur selbst betrachtet und von sich selbst spricht wie ein Narzisst, blickt nicht mehr auf Christus, spricht nicht mehr von ihm und kommt folglich seinem Auftrag nicht mehr nach. Eine solche Kirche ist aber überflüssig, ein unbrauchbarer Skandal, sie ist wie ein kaputter Gegenstand, der seine Funktion aufgegeben hat und weggeworfen wird, weil er ansonsten nur im Wege ist. Eine Kirche ohne tiefen Glauben an den, der sie eingesetzt hat und dank dessen sie überhaupt ist und deren Seinsgrund erst darin gelegen ist, treu zu dessen Diensten zu sein, ist wie ein Leib ohne Leben, eine seelenlose Hülle, die, so sie nicht begraben wird, alsbald zu verwesen beginnt, sich zersetzt und dabei Unannehmlichkeiten ausströmt und zur seuchenverbreitenden Gefahr für die Gesundheit wird – im Fall der Kirche eine Gefahr für die Gesundheit der Seelen. Sie droht, die Seuche des katholischen Atheismus, von dem sie befallen ist, zu verbreiten.
Die konkrete Gefahr einer innerlich toten Kirche ist, daß sie Irrlehren als Wahrheiten ausbreitet, Glauben und Glaubenswissen nicht fördert, sondern mindert, ihren eigentlichen Auftrag durch eigenwilliges Tun ersetzt und letztlich Seelen nicht zu Christus führt, sondern von ihm abhält. Für die Kirche gilt dasselbe Gesetz wie für Staat und Gesellschaft: Überall dort, wo Gott einst war und dann verdrängt wurde, entsteht zunächst ein Leerraum, in den schon alsbald anderes eindrängen wird und gerne dessen Platz einnimmt, sich so selbst zum unangreifbaren Gott emporhebt und sich dadurch zum gefährlichen Götzen macht.
Der Prozeß der Atheisierung der Kirche im großen Stil, wie wir ihn schon seit Jahrzehnten, namentlich seit dem letzten Konzil, beobachten und der in der Umstrukturierung der Kirche in eine „synodale Kirche“ derzeit einen neuen Höhe- bzw. Tiefpunkt erfährt, ist dabei auch eine Folge einer entgöttlichten Liturgie, die es seit ihrer letzten Reform nicht mehr verstand, Gott in ihr Zentrum zu setzen – ja welche dies gemäß dem Willen einer kleinen, aber lauten und vor allem auch einflußreichen Gruppe a priori schon gar nicht mehr wollte: Um den Menschen müsse es gehen, er sei, ganz gemäß dem Konzilswillen, das eigentliche Zentrum und deshalb müsse der Priester als liturgische Umsetzung dieses Grundsatzes die Gläubigen ansehen, zu ihnen sprechen anstatt betend zu Gott, wobei er einst die Gläubigen dabei sozusagen in „mein und euer Opfer“ mit hineinnahm. Eine Kirche, welche jedoch nicht einmal mehr in den wenigen Augenblicken der heiligen Liturgie fähig ist, Gott und ihn allein im Mittelpunkt zu belassen, wird dies noch viel weniger in ihrem Denken vermögen. Und dieses Unvermögen bricht nun in der Synodalitätsdebatte in seiner vollen Wucht hervor.
Auf lange Sicht mußten solche Versuche, die Kirche durch eine anthropologische Wende, die nur in einer Atheisierung enden konnte, freilich scheitern, weil es ihnen schlicht an Wahrheit und innerer Stimmigkeit fehlt. Die innere Aushöhlung des Glaubens konnte nur zu jener Implosion führen, deren Augenzeugen wir wurden.
Aus dem goldenen Kalb wurde der güldene Mensch, (der mittlerweile reichlich Grünspan angesetzt hat, weil er eben doch nicht so edel ist, wie er sich wähnt!) mitsamt seinem politischen Gepäck, um den die Kirche nun wild geworden herumtanzt. Gott wurde aus der Kirche entfernt, um an seine Stelle scheinbar den Menschen, in Wirklichkeit aber eine rein politische Agenda zu setzen. Die Kirche wurde so zum politischen Propagandamittel einer linksgrünwoken Politik, um mit mit moralischem Druck und mit religiöser Rhetorik vorgebrachten Argumenten, an welche sie selbst nicht einmal mehr glaubt, die Gläubigen kräftig nach links zu schieben.
Zum weiteren ist aber auch auf die mangelnde Legitimation hinzuweisen: Es gilt in jedem Rechtssystem der Grundsatz, welchen der römische Jurist Gnaeus Domitius Annius Ulpianus geprägt hat: Nemo dat quod non habet. Niemand kann etwas geben, namentlich eine Vollmacht, welche er nicht selbst besitzt. Das gilt nicht lediglich für das Sachrecht, sondern ist auch auf andere Bereiche übertragbar, namentlich auch auf das göttliche Recht. Das heißt für uns übersetzt: Die Synode kann sich nicht selbst eine himmelgegebene Verbindlichkeit, den Stempel des göttlichen Willens aufdrücken, da sie dazu keinerlei göttliche Befugnis hat noch göttlich eingesetzt ist. Sie kann sich selbst nicht eine Autorität verleihen und eine Verbindlichkeit für sich beanspruchen, welche allein Gott ihr verleihen könnte. Und nicht nur die Synode selbst kann sich keine Autorität und Verbindlichkeit verleihen, sondern nicht einmal die Kirche kann ihr dies zugestehen, weil die „Synodalität“, so wie sie derzeit verstanden und umgesetzt wird, klar der hierarchischen Konstituiertheit der Kirche widerspricht, welche im Gegensatz zur Synodalität sehr wohl der göttlichen Verfassung entspricht.
Die zwei großen Grunddefekte der Synodalität sind, daß sie einerseits kein hierarchisches Instrument ist, d. h. sie ist vom Weihesakrament als Voraussetzung für kirchliche Leitungsakte losgelöst. Zum anderen maßt sie sich schamlos an, über Dinge frei zu entscheiden, die selbst der kirchlichen Hierarchie, d. h. den Bischöfen und dem Papst als Sonderfall des Bischofsamtes, und in Anteilhabe daran auch den Priestern, nicht zum freien Entscheid stehen. Weitere Defekte leiten sich daraus noch ab, aber die beiden Hauptmängel, welche jegliche Autorität der Synodalität ausschließen, auch völlig unabhängig von ihren Themen und Positionen, sind diese.
Im Zusammenhang mit dem erstgenannten Grunddefekt der mangelnden Hierarchizität ist noch auf etwas Entscheidendes hinzuweisen, was viel Verwirrung und Mißverständnis verursacht hat, und das wohl auch gewollt: Man muß sich bewußt sein, daß die „Synodalität“ im Sinne des aktuellen Umstrukturierungsprozesses inhaltlich etwas wesentlich anderes ist und meint als die Synoden im klassischen Sinn. Anders gesagt: Man benutzt dasselbe, vertraute und unverdächtige Wort für eine im Wesen komplett andere Sache. Es ist kaum denkbar, daß dies nicht bewußt und als ebenso geschickter als auch hinterhältiger strategischer Schachzug geschehen ist, um das neue Produkt als etwas Harmloses und Etabliertes verkaufen zu können.
Denn Synoden hat es in der nachapostolischen Zeit seit spätestens dem Jahre 251 gegeben. Sie wurden bei Bedarf im Umfang der Notwendigkeit einberufen, wobei es zunächst noch keine klare Unterscheidung zum Konzil gab, das ebenso lokal begrenzt sein konnte. Beides waren einfach Kirchenversammlungen, auf denen man beriet, stritt und entschied. Erst später kristallisierte sich ein Unterschied heraus: Synoden beraten, Konzile entscheiden, wobei man auf einer rein sprachpragmatischen Ebene bis heute beide Begriffe oft synonym verwendet und nicht immer präzise unterscheidet, speziell was (frühe) Lokalsynoden betrifft.
Die Bischofssynoden im modernen Sinne als regelmäßige Beratungsversammlungen haben sich im Laufe ihrer Entwicklung mehr und mehr von der eigentlichen Grundidee der Synode als solcher entfernt, bis sie plötzlich so weit weg waren, daß sie in der „Synodalität“ im neuen Sinne etwas wesentlich anderes wurden: Sie sollen ein Instrument der Kirchenleitung sein, ohne daß die Zugehörigkeit zur kirchlichen Hierarchie noch als notwendige Voraussetzung betrachtet wird. Damit hat man auch im Leitungsamt vollzogen, was man zuvor bereits im Lehramt mit der Laienpredigt getan hat.
Damit sind jedoch Kompetenzgrenzen ganz klar überschritten, weil die gottgefügte Anbindung an das Weihesakrament aufgelöst ist. Leitung entwächst nicht mehr aus dem Sakrament und damit aus der sakramentalen Anbindung an Christus, sondern wird nun zum Umschlagplatz zufälliger Meinungen zufällig ausgewählter Menschen, die vielleicht getauft sein mögen, aber damit noch nicht aus einer Anteilhabe am Priestertum Christi heraus handeln können. Allein das macht die Synodalität zu etwas wesenhaft anderem, weil man die Kirchenleitung so zu einer rein menschlichen Leitung macht.
Um es in einem biblischen Bild zu sagen: Man macht die Schafe zu Hirten und die Hirten zu Schafen, vertauscht ihre Rollen, sagt aber, alles sei beim alten geblieben, denn es gäbe ja nach wie vor Hirten und Schafe. Daß man die Schafe aber einfach Hirten nennt und als solche vielleicht auch anerkennt, macht sie noch lange nicht wirklich zu solchen – sie werden ihre Wolle deshalb nicht verlieren und weiterhin grasen und blöken.
Die Weihe ist keine Garantie für eine Kirchenleitung im Sinne Christi, sehr wohl jedoch eine Voraussetzung dafür. Auch ein Bischof oder Papst kann die Kirche schlecht leiten, indem er rein menschlich handelt und entscheidet, weil er auf seine Weihegnaden in einer bestimmten Angelegenheit verzichtet: Nicht jeder Entscheid eines Klerikers ist schon in sich Ausdruck göttlichen Willens und Handelns. Umgekehrt kann aber auch nur ein Kleriker überhaupt Gewährsmann dafür sein, daß Christus selbst durch jenes Sakrament handelt, das er eigens dazu eingesetzt hat.
Die neue Synodalität denkt hier jedoch von der Welt her, völlig profan und in keinster Weise mehr sakral, sondern rein politisch und pragmatisch. Sie möchte Christus die Leitung seiner Kirche entreißen und in die Hände des Menschen legen, indem sie die göttliche Weisung und auch das Weiheamt de facto nicht mehr anerkennt: Für sie gibt es letztlich nur noch das Taufpriestertum aller. Gott zählt nichts mehr, man hat ihn freundlich verabschiedet und noch zum Kirchenportal hinausbegleitet – gelebter katholischer Atheismus.
Einer solchen Synodalität und all ihren Entscheidungen jedoch darf man in keinster Weise gehorchen, man darf ihr nicht durch ein synodalitätskonformes Verhalten eine Autorität zuerkennen, die sie nicht hat und nicht haben kann, die sie sich aber trotzdem selbst anmaßt. Sich ihr zu beugen würde bedeuten, Christus endgültig zu verraten, und seine Frage „Ihr aber – wollt auch ihr mich verlassen?“ mit einem Ja zu beantworten.
Zum letzten ist noch auf die völlige Irrelevanz der Synodalität hinzuweisen, auch wenn dies nicht einmal das Hauptproblem in der ganzen Sache ist: Die Synode bildet lediglich die persönlichen Probleme einiger weniger ab, läßt diese dabei aber allen zum Problem werden. Kirche wird dadurch mehr und mehr zu einer Belastung, der sich – nachvollziehbarer Weise – immer mehr Menschen entziehen. Die bange Frage, ob die katholische Kirche wirklich noch katholisch ist, verneinen immer mehr Gläubige. Übrig bleiben zunächst noch die katholischen Atheisten, bevor auch sie sich eine neue Spielwiese suchen werden, wenn es sich in den Trümmern und Ruinen, die sie hinterlassen, nicht mehr leben läßt.
Gerade in ihrer überbetonten Menschenzentriertheit zielt die Synodalität völlig am Menschen vorbei: Von einigen wenigen, aber dafür umso lauteren Irrlichtern abgesehen, interessiert es den gläubigen Menschen nicht, mitzuregieren. Er will sich nicht an Entscheidungsprozessen beteiligen (müssen), er hat gar kein Bedürfnis „engagiert“ oder „mitsammen unterwegs zu sein“, sondern er will wissen, wie er recht sein kann und soll vor Gott, und wo er es nicht mehr ist, wie er es wieder werden kann. Er will wissen, ob die armen Seelen seiner buckligen Verwandtschaft ihn sehen, ob er ihnen noch irgendwie helfen kann – oder ob gar sie ihm noch zu helfen imstande sind. Er will wissen, warum er durch das Blut des Sohnes Gottes gerettet sein soll und wovon, und warum der Vater den Sohn sterben ließ, ob da nicht auch nur ein Tropfen seines kostbaren Blutes gereicht hätte.
Menschen wollen schöne, fromme, „betige“ Liturgien – und möglichst feierlich. Und wo man beklagt, sie kämen nicht mehr zur heiligen Messe: Viele sind ferngeblieben, weil wir selbst vorher die Liturgie entseelt haben, sie kopf- und wortlastig gemacht haben, vielleicht recht für einen vollnüchternen Jesuitenprofessor, für den es nichts Schlimmeres gibt als zu jubilieren, rubrizieren und kantillieren, aber sicher nicht angemessen für einen normalen Gläubigen. Ihre Kinder kommen nicht mehr, weil wir ihnen all die schönen Volksandachten mit den wundervollen, die Seelen zum Himmel emporreißenden Volksgesängen genommen und durch seelenlose Wortlastgottesdienste ersetzt haben, die nicht viel mehr als eine langweilige Bibellesestunde sind und die eben nicht der frommen Volksseele, sondern äußerst fragwürdigen Expertenköpfen entstammen.
Menschen wollen an sich glauben, sie wollen dann aber auch das Göttliche, und nicht schon wieder nur das öde Menschliche, auf das sie auch sonst schon überall treffen. Sie suchen eben das andere, das sie sonst nirgends finden können außer in der Kirche. Frage ich nach Gott und bekomme dann doch wieder nur den Menschen vorgesetzt, so stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit. Der Mensch will in der Kirche zu Gott erhoben, nicht wieder nur auf sich selbst zurückgeworfen werden.
Es gibt Dinge, die kann man, wenn, dann nur in der Kirche finden. Werden sie mir aber auch dort vorenthalten, dann gibt es keine wirklichen alternativen Fundstellen. Nur scheinbare, aber keine wirklichen. Die nachkonziliare, und mehr noch die synodale Kirche enthält den Menschen aber ausgerechnet das Schönste, das zugleich das Wichtigste ist, systematisch und vorsätzlich vor. Anstatt ihre Kinder mit einem warmen Wecken Brot zu speisen, speist sie sie mit einem kalten Brocken Stein ab. Deshalb ist das Fernbleiben nicht die Schuld der Ferngebliebenen, mindestens nicht hauptsächlich. Es ist die natürliche Reaktion auf eine vorangegangene Aktion, an der sie gar nicht teilhaben wollen, weil sie ihnen nicht das zu geben vermag und auch gar nicht geben will, wonach sie eigentlich suchen und fragen.
Am Ende des Tages ist der katholische Atheismus eben doch zu weit von Gott und auch zu weit vom Menschen entfernt, als daß er noch in der Lage wäre, Gravitationskräfte auf ihn auszuüben.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen (Corona-) Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Von ihm stammt die Kolumne „Zur Lage der Kirche“.
Bild: MiL
Ich kann diesem Text nur aus ganzem Herzen zustimmen und bin froh, dass es Priester gibt, die den Mut haben, die Wahrheit über den Verfall des Papsttums und der Kirche öffentlich klar zu benennen. Natürlich müssen wir daraus auch Konsequenzen ziehen. Nur „rumeiern“ hilft uns nicht weiter. Leider gibt es keine geschlossene Front aufrechter Katholiken, die einem abgefallenen Papst und einer neoheidnischen Synodalkirche die Stirne bieten, aber ich hoffe, dass das endlich geschieht! Darum ist es wichtig, dass möglichst viele Priester in der Weise klare Worte finden, wie dies der verehrte Mitbruder in diesem Essay tut. Großen Respekt und herzlichen Dank! „Der Worte sind genug gewechselt. Nun, Brüder, lasst uns Taten sehen!“
Ein Problem für die „Synodalen“ könnte darin bestehen, daß der Hausherr von Santa Martha völlig unberechenbar ist, meistens linke, aber auch rechte Haken schlägt. Kaum jemand kann bei ihm sicher sein, denn er selber läßt sich nicht von anderen auf irgendetwas festlegen. Verlassen können sich die Protagonisten nicht auf ihn. Sein Geheimnis: er haßt sie allesamt.