
Antonio Socci befaßte sich in diesen Tagen mit den Katholiken in den USA. Sein Blick richtet sich vor allem auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. Diese politische Sichtweise verlangt nach Simplifizierungen. Socci sieht in der katholischen Kirche in den USA sogar ein Modell für die Weltkirche. Das mag alles zu weit gehen, dennoch ist sein Artikel lesenswert.
Von Antonio Socci*
Vom 17. bis 21. Juli fand in Indianapolis der Nationale Eucharistische Kongreß der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten statt. Er wurde durch die größte eucharistische Wallfahrt der Geschichte vorbereitet. Vier Pilgerzüge brachen gleichzeitig von verschiedenen symbolischen Orten auf und durchquerten die USA. Sie zogen ein ideales Kreuz über das Land, indem sie Indianapolis erreichten. Einige Bilder finden Sie hier, hier und hier. Aber es gibt noch viel mehr zu sagen über die katholischen Amerikaner.
Vor ein paar Tagen hat Matthew Schmitz, Herausgeber des Online-Magazins Compact [nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen deutschen Magazin, gegen das derzeit eine rabiate Bundesinnenministerin vorgeht und dabei die Meinungs- und Pressefreiheit torpediert] in einem Artikel in der New York Times mit der Überschrift: „Katholische Konvertiten wie JD Vance formen die republikanische Politik neu“ darüber geschrieben.
Dem Autor zufolge „behält der Katholizismus im amerikanischen Leben weiterhin eine überraschende Resonanz, insbesondere in bestimmten elitären Kreisen. Er hat sich in vielen der Spitzenuniversitäten als die größte und vielleicht lebendigste religiöse Gruppe erwiesen. Sechs der neun Richter des Obersten Gerichtshofs sind Katholiken. Er gewinnt weiterhin prominente Konvertiten und ihre Soziallehre übt einen (oft uneingestandenen) Einfluß auf öffentliche Debatten aus und inspiriert politische Denker, die sowohl die kulturelle Linke als auch die Laissez-faire-Rechte herausfordert.“
Diese Überlegungen sind heute umso wichtiger, da der Katholik Robert F. Kennedy jr. entschieden hat, sich auf der Seite von Donald Trump zu stellen. Er ist der Neffe von John F. Kennedy, dem ersten katholischen Präsidenten in der amerikanischen Geschichte: Sein religiöser Glaube warf seinerzeit viele Probleme auf, weil die US-Elite traditionell WASP – weiße angelsächsische Protestanten – waren und keine Katholiken, meist irischer oder italienischer Herkunft, mochte. (Siehe dazu das Buch von Shaun Casey, The Making of a Catholic President: Kennedy vs. Nixon, Oxford University Press). Robert Kennedy jr. ist der Sohn von Bob Kennedy, der ebenfalls bei einem Attentat getötet wurde. Er hat mit der Demokratischen Partei gebrochen, weil er behauptet, sein Vater und sein Onkel würden sich in ihr nicht mehr wiedererkennen: eine historische Brüskierung für die Demokraten, die die beiden ermordeten Kennedy-Brüder stets als ihre Symbole zur Schau gestellt haben. Nun ist eine harte Medienkampagne gegen Robert Kennedy jr. zu erwarten.
Dieser hatte in bezug auf seinen persönlichen Glauben gesagt, daß seine Lieblingsheiligen Augustinus und Franziskus sind (sein und seines Vaters zweiter Vorname), dem er auch eines seiner Bücher gewidmet hat.
In einem Interview mit Vatican News erklärte er, „der Glaube meines Vaters war der Glaube von Dorothy Day, der Evangelien. Es war der Katholizismus, in dem Papst Johannes XXIII. und Franz von Assisi glaubten, für den die Kirche ein Instrument der Gerechtigkeit und Güte in der Welt sein sollte“. Eine Vision, von der er glaubt, daß sie jener von Papst Franziskus entspricht.
Doch zurück zu Trumps Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten, James D. Vance: Er ist erst kürzlich konvertiert und wurde 2019 in die katholische Kirche aufgenommen. Seine katholischen Überzeugungen scheinen fundierter zu sein als die von Kennedy jr.
Schmitz erklärt, daß er sich „einer einflußreichen Gruppe von konservativen Konvertiten angeschlossen hat, darunter die Rechtswissenschaftler Erika Bachiochi und Adrian Vermeule, der Politikwissenschaftler Darel Paul, der Kolumnist Ross Douthat, der Theologe R. R. Reno und der Schriftsteller Sohrab Ahmari“, die „eine Kombination aus sozialem Konservatismus“ und der Entschlossenheit darstellt, sich sowohl den Neocons entgegenzustellen, was die Herrschaft des Marktes und die Globalisierung angeht, als auch den Liberalen, was die anthropologische Deregulation und die Woke-Ideologie betrifft.
„Dabei können sie“, schreibt Schmitz, “eine Rechtfertigung aus der katholischen Soziallehre entnehmen.“ Es überrascht nicht, daß Vance 2019 erklärte: „Meine Ansichten zur öffentlichen Politik und darüber, wie der optimale Staat sein sollte, stimmen mit der katholischen Soziallehre überein.“
Sie betreffen die Verteidigung des Lebens und die traditionelle Anthropologie, den Patriotismus, den Frieden (in Übereinstimmung mit Trumps Ablehnung des Krieges) und sogar wirtschaftliche Fragen mit ganz anderen Ideen als jenen der konservativen katholischen Intellektuellen der Vergangenheit, die – wie Michael Novak – sehr vom Markt und der Globalisierung überzeugt waren.
Die Idee der Verteidigung der Löhne und der Offenheit gegenüber den Gewerkschaften (Senator Marco Rubio war einer der ersten, der dies unter Berufung auf die Soziallehre der Kirche tat) trifft sich mit Trumps Politik zugunsten der durch die Globalisierung verarmten amerikanischen Arbeiter.
In der Tat war es sehr bezeichnend, daß Sean O’Brien, Vorsitzender einer der größten Gewerkschaften in den USA und Kanada (der International Brotherhood of Teamsters) zum ersten Mal in der Geschichte auf dem Parteitag der Republikaner sprach.
Der wachsende Einfluß der Katholiken, so Schmitz, der „die Art und Weise verändert hat, wie die Republikanische Partei an die Politik herangeht“ und in einigen Fällen dazu beigetragen hat, „einen neuen Konsens über die Parteigrenzen hinweg zu schaffen“, ist nicht die Folge der Stärke katholischer Lobbys und katholischer Institutionen, sondern geht auf den Wert ihrer realistischen und menschlichen Sichtweise zurück: Es ist die katholische Vision, die versucht, die verhängnisvollen Auswüchse der vorherrschenden Ideologien zu vermeiden, indem sie den Schatz des sozialen Lehramtes der Päpste, von Leo XIII. bis heute, zu nützen weiß.
Es gibt jedoch auch einen wichtigen soziologischen Wandel, der die katholische Stimme bei den Präsidentschaftswahlen entscheidend macht. Heute leben 72 Millionen Katholiken in den USA, und der Katholizismus ist die weitaus größte organisierte Religion des Landes (aber natürlich weniger als die Summe der vielen protestantischen Konfessionen).
Dies stellt einen Wendepunkt in der amerikanischen Geschichte dar und macht die katholische Kirche in den USA – die einen weitgehend kompakten und sehr einflußreichen Episkopat hat, der eine gläubige und aktive katholische Bevölkerung führt – zusammen mit der afrikanischen Kirche, deren Zahl an Gläubigen (257 Millionen) und Priestern trotz der islamistischen Verfolgung, unter der sie leidet, rasch wächst, zu einem Modell für die gesamte Kirche.
Mit Johannes Paul II. blickte man auf das polnische Modell, das dann mit Solidarnosc, geboren aus dem Besuch des Papstes in seinem Heimatland, nicht nur der Funke war, der zum Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa führte, sondern vor allem einen unblutigen Weg aufzeigte, durch den die kommunistischen Nomenklaturen erkannten, daß sie die Macht ohne ein Blutbad aufgeben konnten.
Später war es das Modell des italienischen Katholizismus, das von einer „italienischen Ausnahme“ sprechen ließ: Diese ging auf den starken Einfluß von Karol Wojtyla und Joseph Ratzinger, die neuen Bewegungen, die zu dieser Zeit aufblühten, und die Führung von Kardinal Ruini im Episkopat zurück.
Der neue Wind für die Kirche kommt heute von den Rändern: aus Afrika und aus den Vereinigten Staaten. Aber es ist auch ein neuer Wind für Europa und die Welt.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Lo straniero (Screenshot)