
Von Wolfram Schrems*
Vorbemerkung: Dieser Text ist die leicht überarbeitete Version eines im Attersee Report Nr. 36 (Oktober 2023) veröffentlichten Aufsatzes. Die Aufgabenstellung war, das Thema Friede aus katholischer Sicht im Umfang von etwa 12.000 Zeichen zu beleuchten. Redaktionsschluß war Mitte September. Der Attersee Report ist das Publikationsorgan des Atterseekreises in der Freiheitlichen Partei Österreichs, somit ein parteipolitisches Organ, dessen Leser politisch aktiv oder mindestens interessiert, aber nicht notwendigerweise katholisch sind. Die Weiterverwendung erfolgt wie schon bei früheren Anlässen mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
In der Geschichte der Menschheit nach dem Sündenfall sind Friedenszeiten ein seltener Zustand. Auch diejenige Zeit, in der „das Evangelium vom Frieden“ (Eph 6,15) in Europa die kulturprägende – und die Folgen des Sündenfalls abmildernde – Doktrin war, kannte Kriege, von außen der Christenheit aufgezwungene und innere. Das zwanzigste nachchristliche Jahrhundert, also das am meisten fortgeschrittene und fortschrittlichste, sah dann ein Novum: totalitäre Ideologien mit Millionen Toten und zwei mehrjährige Weltkriege mit bis dahin unvorstellbaren Zerstörungen und Kriegsverbrechen. Mittlerweile schritt die Menschheit zu einer brisanten Situation planmäßiger Provokation eines Krieges fort, der sich zu einem weiteren Weltkrieg auswachsen muß. Im Gegensatz zur Zeit der mittelalterlichen Christenheit hat sich das Verantwortungsbewußtsein vor Gott nicht nur „von selbst“ verflüchtigt, es wird von mächtigen Gruppen bekämpft. Dem sollen hier einige Punkte der geoffenbarten Lehre vom Frieden entgegengestellt werden. Die Grundaussage dieses Aufsatzes ist, daß wahrer Friede nur das Resultat des Strebens der einzelnen Menschen nach dem Frieden Gottes sein kann.
Der Plan der folgenden Ausführungen ist dieser:
Zunächst werden Aussagen des kirchlichen Lehramtes zum Frieden präsentiert. Im zweiten Teil beschäftigen wir uns mit der Haltung des gegenwärtigen Menschen zu Krieg und Frieden. Der dritte Teil thematisiert den „gerechten Krieg“. Im Resümee gehen wir auf eine bedingungsweise Friedensverheißung Gottes ein.
1. Warum Krieg?
Jeglicher Krieg geht letztlich auf die irrationale Rebellion des Lichtträger-Engels gegen Gott zurück (Jud 6, vgl. Offb 12,7). Wie man sich das genau vorzustellen hat und welche Motive hinter einem von vorneherein aussichtslosen Aufstand standen, ist Gegenstand des mehr oder weniger erfolgreichen Nachdenkens der Theologen in Scholastik (Anselm von Canterbury, De casu diaboli) und Gegenwart (besonders zu nennen der US-Theologe und Exorzist P. Chad Ripperger). Dieser erste „kriegerische“ Akt verursachte sozusagen einen Riß in der Wirklichkeit. Dieser Riß kann durch keinerlei „Integration“ geheilt werden und wird auf dieser Erde bis zum Ende der Zeit bestehen, danach kommt die endgültige Scheidung. Darum versteht sich dieser Beitrag auch als Kritik an Utopien aller Art. Derzeit werden Utopien den Menschen bekanntlich geradezu gewalttätig aufs Auge gedrückt: Der gerettete, CO2-freie, weitgehend menschenleere und mit Windrädern zur Mondlandschaft umgestaltete Planet ist derzeit die am aufdringlichsten oktroyierte. Angesichts der für viele überraschend aufgetauchten Kriegsbegeisterung ist dagegen die Friedensutopie etwa der achtziger und neunziger Jahre momentan etwas ausgesetzt. Aber die Propaganda, daß die Staaten, also die heutzutage so in Mißkredit geratenen Nationalstaaten, die Quelle der Kriege sein sollen, ist allgegenwärtig: Wenn daher die Staaten in einen Weltstaat überführt werden, dann werde „ewiger Friede“ sein oder so ähnlich. Das ist natürlich eine Illusion. Unter den konkreten Bedingungen des Menschseins, wie es zwischen Sündenfall und eschatologischer Wiederherstellung (Apg 3,21) nun einmal abseits aller Utopie ist, muß sich das menschliche Streben nach Wohlwollen und Frieden unter Anleitung der göttlichen Gebote bewähren. Friede beginnt im Inneren und verlangt Arbeit. Realistisch sagt dazu der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK): „Wenn Jesus an das Gebot: ‚Du sollst nicht töten‘ (Mt 5,21) erinnert, fordert er den Frieden des Herzens und verurteilt die Unsittlichkeit des mörderischen Zorns und des Hasses. Zorn ist ein Verlangen nach Rache. ‚Nach Rache zu verlangen zum Schaden dessen, der bestraft werden soll, ist unerlaubt; aber nach Rache zu verlangen zur Bestrafung der Laster und zur Bewahrung der Gerechtigkeit ist lobenswert‘ [Thomas v. Aquin] Falls der Zorn so weit geht, daß man den Mitmenschen absichtlich töten oder schwer verwunden möchte, ist er eine schwere Verfehlung gegen die Liebe und damit eine Todsünde. Der Herr sagt: ‚Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein‘ (Mt 5,22)“ (KKK 2302). Das revolutionäre – oder angesichts der Revolution des Lichtengels besser als „konterrevolutionär“ bezeichnete – Element im Christentum ist der Befehl des Wohlwollens gegenüber jedem, auch dem Feind: „Haß gegen einen Mitmenschen ist eine Sünde, wenn man diesem absichtlich Böses wünscht. … ‚Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet‘ (Mt 5, 44–45)“ (KKK 2303). Damit ist eine innere Haltung gefordert, für die jeder persönlich verantwortlich ist und für die er einst zur Verantwortung gezogen wird. Diese Haltung schafft kein Paradies, macht das Leben aber um vieles erträglicher. Im öffentlichen Bereich herrscht der Friede „nur dann, wenn die persönlichen Güter gesichert sind, die Menschen frei miteinander verkehren können, die Würde der Personen und der Völker geachtet und die Brüderlichkeit unter den Menschen gepflegt wird“ (KKK 2304). Hier werden auch die berühmten Definitionen des Friedens als „Ruhe der Ordnung“ (Augustinus, De civ. Dei 19, 13) und „Werk der Gerechtigkeit“ (Jes 32,17) genannt. Christus ist der „Fürst des Friedens“ (Jes 9,5) und selbst „unser Friede“ (Eph 2, 14). Christus hat durch sein Blut „in seiner Person die Feindschaft getötet“ (Eph 2, 16). Er gibt den Frieden, wie ihn die Welt nicht geben kann (Joh 14,27). – Da Jesus diejenigen, die Frieden stiften, seligpreist (Mt 5,9), haben sich beispielsweise Verantwortungsträger im 10. und 11. Jahrhundert aus dieser Motivation um kriegseinschränkende und friedensstiftende Maßnahmen (Pax Dei und Treuga Dei, daraus unser Landfriede) bemüht. Wichtig in diesem Zusammenhang ist es, den ausdrücklich christlichen Inhalt dieser Friedensinitiativen zu betonen. Sie kontrastieren mit solchen aus dem 20. Jahrhundert, die auf unrealistischen anthropologischen Vorstellungen beruhten und daher fruchtlos waren. Darüber hinaus erinnern wir uns, daß „Friede“ eine hypnotisierende Propagandalüge der sowjetischen Außenpolitik war. Momentan wird die Rede vom „friedlichen Islam“ von den meisten nur mehr ironisch eingesetzt, ist aber immer noch „offizielle“ Sprachregelung. Aber ist „Friede“ tatsächlich immer das, was die Leute wollen? Dazu eine grundsätzliche Beobachtung:
2. Die ambivalente Haltung des Menschen zum Frieden
„Friede“ ist, sollte man meinen, die Sehnsucht jedes Menschen. Oder wird manchen eh fad, wenn es zu friedlich ist? Ein Gedankenexperiment: Stellen wir uns eine Welt ohne Krieg vor, eine Welt ohne Grund zum Krieg, ohne Übelwollen und Haß. Unwillkürlich werden sich manche fragen: Ja, was tun denn die Leute da den ganzen Tag, wenn es nichts zum Streiten gibt? Ist eine Welt ohne Feindseligkeit nicht tödlich langweilig? Heißt das also, daß der Zeitgenosse in unseren Breiten, der keinen Krieg erlebte, tief in seinem Inneren bezüglich des Friedens zwiespältig ist? Woher kommt nämlich die Manie mit den Kriegsspielen am Rechner? Woher die Manie mit dem martialisch (und clownesk) in Flecktarn adjustierten Virenjäger? Woher die aktuelle Kriegsbegeisterung? Richtig: Ohne Auseinandersetzung spüren wir das Leben nicht, oder? „Das Leben nimmt sich nur im Wettkampf auf Leben und Tod wahr“, wie es jemand sagte. Eine vollständig friedliche Welt würde uns dieses Lebensgefühls berauben. Andererseits findet der entscheidende Kampf ohnehin woanders statt: gegen die totalitäre Eigendynamik der Welt, gegen die Versuchungen des Teufels, gegen die Tendenz der „Flucht vor Gott“ (Max Picard) und um die Konformität mit dem Gewissen. Schmal ist der Weg, der zum Leben führt. Hier beginnt der eigentliche, innere Krieg (von dem der äußere nur ein Abbild ist). Demjenigen, der ihn aufnimmt, wird nie wieder fad sein. Nur die gottlose Welt ist langweilig, darum sprangen auch so viele begeistert auf die Corona-Maßnahmen auf, die, wie es der Psychologe Mattias Desmet in Psychologie des Totalitarismus schrieb, eine hochwillkommene Abwechslung und „Befreiung aus dem unerträglichen und sinnlosen Trott des Arbeitslebens“ waren. Viele „hatten das dringende Bedürfnis nach einem gemeinsamen Feind“: Der Kampf gegen Impf-Dissidenten und Selbstdenker als Lebenssinn-Surrogat? So schaut es aus. Vielleicht ist das auch die Antwort auf die bange Frage, wie das sein kann, daß der „heiße“ Krieg nun wieder nach Europa gekommen ist – trotz aller Friedensabkommen. Nun, weil manche Leute eben partout Krieg wollen und weil viele Konformisten mitziehen. Mit Entsetzen hört man von der Verleumdung jener, die Frieden stiften wollen, als „gefallene Engel aus der Hölle“. Es ist nicht erinnerlich, daß Friedensstifter oder „Friedensaktivisten“ jemals dermaßen scharf vom System kritisiert worden wären. Selig sind aber die Friedensstifter. Unter den Bedingungen des nachparadiesischen Menschseins wird es auch dem gerechtesten und wohlwollendsten Friedensstifter nicht gelingen, den schlechthin paradiesischen Frieden zu vermitteln. Aber zwischen dem Wiener Kongreß und den Pariser Vorortediktaten gibt es einen großen Unterschied. Damit zum dritten Punkt:
3. Friede und gerechter Krieg
Der KKK mahnt die Verpflichtung der Bürger und Regierenden ein, sich für die Vermeidung von Kriegen einzusetzen. Sind aber in Kriegsgefahr alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft, könne man einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen: „Die Bedingungen, unter denen es einem Volk gestattet ist, sich in Notwehr militärisch zu verteidigen, sind genau einzuhalten. Eine solche Entscheidung ist so schwerwiegend, daß sie nur unter den folgenden strengen Bedingungen, die gleichzeitig gegeben sein müssen, sittlich vertretbar ist: Der Schaden, der der Nation oder der Völkergemeinschaft durch den Angreifer zugefügt wird, muß sicher feststehen, schwerwiegend und von Dauer sein. Alle anderen Mittel, dem Schaden ein Ende zu machen, müssen sich als undurchführbar oder wirkungslos erwiesen haben. Es muß ernsthafte Aussicht auf Erfolg bestehen. Der Gebrauch von Waffen darf nicht Schäden und Wirren mit sich bringen, die schlimmer sind als das zu beseitigende Übel. Beim Urteil darüber, ob diese Bedingung erfüllt ist, ist sorgfältig auf die gewaltige Zerstörungskraft der modernen Waffen zu achten. Dies sind die herkömmlichen Elemente, die in der sogenannten Lehre vom ‚gerechten Krieg‘ angeführt werden. Die Beurteilung, ob alle diese Voraussetzungen für die sittliche Erlaubtheit eines Verteidigungskrieges vorliegen, kommt dem klugen Ermessen derer zu, die mit der Wahrung des Gemeinwohls betraut sind“ (KKK 2309).
Daraus folgt mehreres: Ein unprovozierter Angriffskrieg ist unmoralisch. Unmoralisch ist es, das eigene Land einer auswärtigen Macht als Aufmarschgebiet gegen einen benachbarten Staat zur Verfügung zu stellen. Es ist verwerflich, einen Krieg aus geopolitischen Gründen zu initiieren. Verwerflich ist es, den Gegner als personifiziertes Böses darzustellen. Es ist ein schweres Verbrechen, abertausende zwangsweise rekrutierte Soldaten in sinnlosen „Gegenoffensiven“ zu verheizen. Ein, wie es ein berühmter Historiker sagt, „schlafwandlerisches“ Hineintaumeln in einen Krieg scheint übrigens als verharmlosende Darstellung der Dinge.
Resümee
Wie schon im Attersee Report Nr. 13/2017 ausgeführt, enthält die Offenbarung von Fatima (1917) eine konkrete Friedenszusage, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind: die Weihe Rußlands an das Unbefleckte Herz Mariens durch Papst und Weltepiskopat und die kirchenamtliche Promulgation der Sühnesamstage. (In Fatima zeigte sich im Jahr 1916 zuerst der „Engel des Friedens“ den Seherkindern.) Leider hat die Kirchenführung nicht entsprochen. – Wir können hier an alle politisch Tätigen nur appellieren: „Meide das Böse und tu das Gute, suche Frieden und jage ihm nach!“ (Ps 34, 15) Der Horror des Krieges sollte jeden Versuch nach Verhandlungsfrieden, Deeskalation und Kompromissen wagen lassen, genauso wie den Verzicht auf Utopien.
*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro-Lifer
Bild: MiL