Historische Überlegungen zum Moskauer Patriarchat (Teil 2)

Das Streben nach der Union mit Rom


Fahne und Wappen Moskaus zeigen den heiligen Georg als siegreichen Drachentöter. Die älteste Darstellung findet sich auf Münzen von Großfürst Wassili II. (1425–1433). 1924 wurden sie durch Hammer und Sichel und einen roten Stern ersetzt, aber 1993 wiederhergestellt.
Fahne und Wappen Moskaus zeigen den heiligen Georg als siegreichen Drachentöter. Die älteste Darstellung findet sich auf Münzen von Großfürst Wassili II. (1425–1433). 1924 wurden sie durch Hammer und Sichel und einen roten Stern ersetzt, aber 1993 wiederhergestellt.

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

In der katho­li­schen Kir­che geht der Ursprung der Patri­ar­cha­te auf das Kon­zil von Nicäa (325) zurück, das den Bischö­fen von Alex­an­dria und Antio­chi­en, die dem von Rom unter­stellt waren, eine beson­de­re Ober­ho­heit ein­räum­te. Auf dem Kon­zil von Kon­stan­ti­no­pel (381) wur­de der Bischof von Kon­stan­ti­no­pel und auf dem Kon­zil von Chal­ce­don (451) der Bischof von Jeru­sa­lem in die Rei­he der Patri­ar­chen auf­ge­nom­men. Die Ent­schei­dung über die Legi­ti­mi­tät des Patri­ar­chen­ti­tels wur­de stets dem Papst zuer­kannt, und auch heu­te noch behält der Codex Cano­num Eccle­si­arum Ori­en­ta­li­um der ober­sten Auto­ri­tät der Kir­che von Rom die Errich­tung, Wie­der­her­stel­lung und Ände­rung von Patri­ar­chats­kir­chen vor (cano­nes 55–62).

Das Patri­ar­chat von Kon­stan­ti­no­pel, das unter Pho­ti­us bereits 867 den Papst wegen der Ein­fü­gung der For­mel „fili­o­que“ in das Glau­bens­be­kennt­nis exkom­mu­ni­ziert hat­te, zer­brach 1054 mit Micha­el Keru­la­ri­os end­gül­tig die Ein­heit mit der Kir­che von Rom. Das Schis­ma wur­de 1439 been­det, als der Patri­arch von Kon­stan­ti­no­pel Joseph II. auf dem Kon­zil von Flo­renz mit der Kir­che von Byzanz zum römi­schen Glau­ben zurück­kehr­te. Sei­ne Nach­fol­ger Metro­pha­nes II. und Gre­gor III. Mam­mas blie­ben der Uni­on mit Rom treu. Über Atha­na­si­us II., den letz­ten Patri­ar­chen, bevor Kon­stan­ti­no­pel 1453 in die Hän­de der Tür­ken fiel, ist wenig bekannt, wohl aber, daß Sul­tan Meh­med II. aus Haß gegen die katho­li­sche Kir­che 1454 das schis­ma­ti­sche Patri­ar­chat wie­der­her­stell­te und Gen­na­di­us II. als Ober­haupt der byzan­ti­ni­schen Chri­sten im Osma­ni­schen Reich einsetzte.

Auch in Ruß­land setz­ten die Mos­kau­er Für­sten, von Was­si­li II. bis Iwan IV., der 1547 den Titel eines Zaren annahm, die grie­chisch-schis­ma­ti­sche Reli­gi­on durch. Nach dem Tod Iwans IV. im Jahr 1584 und dem Auf­stieg des Zaren Fjo­dor I. mach­te sich des­sen Bera­ter Boris Godunow dar­an, das Pre­sti­ge des Rei­ches durch die Errich­tung eines Mos­kau­er Patri­ar­chats zu festi­gen. Der Anlaß war die Ankunft des Patri­ar­chen von Kon­stan­ti­no­pel, Jere­mi­as II., in Mos­kau, der um Hil­fe gegen die tür­ki­schen Unter­drücker bat. Der Patri­arch wur­de unter Haus­ar­rest gestellt und ihm mit­ge­teilt, daß er nur dann frei­ge­las­sen wird, wenn er Mos­kau als neu­en Patri­ar­chats­sitz kir­chen­recht­lich aner­kennt. Im Janu­ar 1589 wur­de Jere­mi­as auf einem im Kreml ein­be­ru­fe­nen loka­len Kon­zil in Anwe­sen­heit des Zaren und der Boja­ren­du­ma gezwun­gen, Metro­po­lit Jov (Job, Hiob) zum ersten Patri­ar­chen von Mos­kau und der gan­zen Rus zu ernen­nen. Pater Ste­fa­no Caprio merkt an, daß die­ser Akt for­mal die erste Form der Auto­ke­pha­lie inner­halb der Ortho­do­xie begrün­de­te und ihre ekkle­sio­lo­gi­sche Natur ver­än­der­te, von öku­me­nisch zu eth­nisch. „Wenn man bedenkt, daß sich die ande­ren ortho­do­xen Kir­chen in einem Zustand der Unter­wer­fung unter die osma­ni­schen Tür­ken befan­den, kann man ver­ste­hen, war­um Mos­kau sich seit­her nicht ein­fach als eines von vie­len natio­na­len Patri­ar­cha­ten betrach­te­te, son­dern als die reprä­sen­ta­tiv­ste Kir­che der gesam­ten ortho­do­xen Welt.“ 1

Die Errich­tung des Mos­kau­er Patri­ar­chats war ein emi­nent poli­ti­scher Akt in der ideo­lo­gi­schen Per­spek­ti­ve eines „Drit­ten Roms“, das das Erbe des byzan­ti­ni­schen Cäsar­opa­pis­mus gegen Rom und die Tür­ken antrat. Doch wäh­rend das Patri­ar­chat von Kon­stan­ti­no­pel dem Staat unter­ge­ord­net war, wur­de jenes in Mos­kau vom Staat selbst geschaffen.

Die Ant­wort der katho­li­schen Kir­che ließ nicht lan­ge auf sich war­ten. Mit der Uni­on von Lub­lin hat­te 1569 ein rie­si­ger Staat das Licht der Welt erblickt, der das König­reich Polen und das Groß­her­zog­tum Litau­en ver­ein­te. Die pol­nisch-litaui­sche Kon­fö­de­ra­ti­on umfaß­te auch Ver­tre­ter des ortho­do­xen Epi­sko­pats, die unter dem mis­sio­na­ri­schen Ein­fluß der Gegen­re­for­ma­ti­on begon­nen hat­ten, Rom als reli­giö­sen Bezugs­punkt zu betrach­ten. Sie wur­den Ruthe­nen (von Rus) genannt, weil sie aus den Regio­nen Weiß­ruß­land und Klein­ruß­land stamm­ten, die den heu­ti­gen Staa­ten Weiß­ruß­land und Ukrai­ne entsprechen.

Hypa­ti­os Pociej, unier­ter Metro­po­lit von Kiew

Nach­dem der grie­chi­sche Patri­arch Jere­mi­as gezwun­gen wor­den war, Jov als Patri­arch von Mos­kau anzu­er­ken­nen, kehr­te er nach Kon­stan­ti­no­pel zurück, ver­stieß ihn und weih­te im August 1589 Erz­bi­schof Micha­el Raho­za zum Metro­po­li­ten von Kiew, Gali­zi­en und der gan­zen Rus. 1590 unter­zeich­ne­te Raho­za zusam­men mit den ruthe­ni­schen Bischö­fen ein Doku­ment, in dem er die Uni­on mit der katho­li­schen Kir­che wünsch­te, unter der Bedin­gung, daß der byzan­ti­ni­sche Ritus und die kano­ni­schen Regeln für Kle­ri­ker bei­be­hal­ten würden.

Die Ver­hand­lun­gen mit dem Hei­li­gen Stuhl ver­lie­fen rei­bungs­los. Am 23. Dezem­ber 1595 ver­sam­mel­te Papst Cle­mens VIII. die in Rom anwe­sen­den Kar­di­nä­le, den gesam­ten Hof und das diplo­ma­ti­sche Corps im Kon­stan­tins­saal des Apo­sto­li­schen Pala­stes zu einer fei­er­li­chen Zere­mo­nie. Die bei­den Bischö­fe natio­nis Rus­sorum seu Ruthe­no­rum, Hypa­ti­os Pociej und Kyrill Ter­lets­ky, die den Metro­po­li­ten Raho­za und die ande­ren ruthe­ni­schen Bischö­fe ver­tra­ten, sag­ten sich vom Schis­ma los und leg­ten ein öffent­li­ches Bekennt­nis zum katho­li­schen Glau­ben nach einer For­mel ab, die jene der Kon­zi­li­en von Nicäa, Flo­renz und Tri­ent ent­hielt. In den Augen des Pap­stes leuch­te­ten Freu­den­trä­nen, schreibt der Histo­ri­ker Lud­wig von Pastor.

„Unser Herz ist heu­te von Freu­de erfüllt, die sich nicht in Wor­te fas­sen lässt, weil Sie in die Kir­che zurück­ge­kehrt sind“, sag­te der Papst. Wir dan­ken beson­ders dem unsterb­li­chen Gott, der durch den Hei­li­gen Geist Ihren Ver­stand so gelenkt hat, daß Sie Ihre Zuflucht in der Hei­li­gen Römi­schen Kir­che suchen, der Mut­ter von Ihnen und allen Gläu­bi­gen, die Sie mit Lie­be unter ihren Kin­dern wie­der auf­nimmt.“ 2

Eine Gedenk­me­dail­le erin­ner­te an das wich­ti­ge Ereig­nis, mit dem andert­halb Jahr­hun­der­te nach der Uni­on von Flo­renz das Band der Ein­heit zwi­schen der rus­si­schen und der römi­schen Kir­che wie­der­her­ge­stellt wurde.

Cle­mens VIII. ver­kün­de­te dies mit der Apo­sto­li­schen Kon­sti­tu­ti­on Magnus Domi­nus et lau­da­bi­lis nimis der gesam­ten Kir­che und erklär­te mit dem Apo­sto­li­schen Schrei­ben Bene­dic­tus sit Pastor vom 7. Febru­ar 1596, daß die Bräu­che und legi­ti­men Riten der ruthe­ni­schen Kir­che, die bereits auf dem Kon­zil von Flo­renz zuge­las­sen wor­den waren, unan­ge­ta­stet blei­ben konn­ten. Die Uni­on wur­de am 16. Okto­ber 1596 in Brest am Bug offi­zi­ell ver­kün­det.3

Hl. Josa­phat Kun­ze­witsch (1580–1623)

Das zwi­schen der ruthe­ni­schen Kir­che und dem Hei­li­gen Stuhl unter­zeich­ne­te Abkom­men war der Beginn der katho­li­schen Kir­che des öst­li­chen Ritus, zu der heu­te die ukrai­ni­sche grie­chisch-katho­li­sche Kir­che und die weiß­rus­si­sche grie­chisch-katho­li­sche Kir­che4 gehö­ren. Die Wie­der­her­stel­lung der vol­len Gemein­schaft mit dem Hei­li­gen Stuhl wur­de von vie­len Päp­sten in Erin­ne­rung geru­fen, dar­un­ter Pius XII. in sei­ner Enzy­kli­ka Ori­en­ta­les omnes vom 23. Dezem­ber 1945 und Johan­nes Paul II. in sei­nem Apo­sto­li­schen Schrei­ben vom 12. Novem­ber 1995 zum vier­hun­dert­sten Jah­res­tag der Uni­on von Brest.

Weni­ge Jah­re spä­ter wur­de die Rück­kehr nach Rom mit dem Blut eines Mär­ty­rers geweiht. Am 12. Novem­ber 1623 wur­de Josa­phat Kun­ze­witsch, Erz­bi­schof von Polock und Witebsk, von den Schis­ma­ti­kern mit Pfei­len getrof­fen und mit einer gro­ßen Axt erschla­gen. Am 29. Juni 1867 sprach ihn Pius IX. im Peters­dom in Anwe­sen­heit von etwa 500 Bischö­fen, Erz­bi­schö­fen, Metro­po­li­ten und Patri­ar­chen der ver­schie­de­nen Riten aus aller Welt hei­lig mit den Worten:

„So Gott will, soll dein Blut, o hei­li­ger Josa­phat, das du für die Kir­che Chri­sti ver­gos­sen hast, ein Unter­pfand jener Ver­ei­ni­gung mit die­sem Hei­li­gen Apo­sto­li­schen Stuhl sein, nach der du dich immer gesehnt hast und die du Tag und Nacht mit inbrün­sti­gem Gebet von Gott, der höch­sten Güte und Macht, erfleht hast. Und damit dies end­lich in Erfül­lung geht, wün­schen wir uns von gan­zem Her­zen, dich als eif­ri­gen Für­spre­cher bei Gott selbst und dem himm­li­schen Hof zu haben.“

Die sterb­li­chen Über­re­ste des hei­li­gen Josa­phat war­ten wie die des ande­ren Glau­bens­kämp­fers, Isi­dor von Kiew, im Peters­dom auf die Auf­er­ste­hung der Toten, wo er im Altar des hei­li­gen Basi­li­us des Gro­ßen ruht.

(Fort­set­zung folgt)

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

Bücher von Prof. Rober­to de Mat­tei in deut­scher Über­set­zung und die Bücher von Mar­tin Mose­bach kön­nen Sie bei unse­rer Part­ner­buch­hand­lung beziehen.

Übersetzung/​Anmerkungen: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana/​Wikicommons


1 Ste­fa­no Caprio: Rus­sia: fede e cul­tu­ra (Ruß­land. Glau­be und Kul­tur), Rom 2010, S. 97.

2 Lud­wig von Pastor, hier zitiert nach der ita­lie­ni­schen Aus­ga­be sei­ner Geschich­te der Päp­ste: Sto­ria dei Papi, Bd. XI, Des­clée, Rom 1942, S. 418.

3 Sie­he für eine aus­führ­li­che Dar­stel­lung der histo­ri­schen Ereig­nis­se Oscar Halecki: From Flo­rence to Brest (1439–1596), Ford­ham Uni­ver­si­ty Press, New York 1958.

4 Umgangs­sprach­lich so genannt, vom Hei­li­gen Stuhl aber als „Gemein­schaft“ bezeichnet.

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