
Ein Beitrag von Clemens Victor Oldendorf.
Nachdem am 20. Juni 2020 drei neue Anrufungen in die Lauretanische Litanei eingefügt worden waren, was teils zu kontroversen und ideologisch motivierten Diskussionen geführt hatte, ist am 1. Mai 2021 ein Schreiben der Gottesdienstkongregation an die Vorsitzenden der nationalen Bischofskonferenzen im Bollettino Vaticano publiziert worden, mit dem diese über sieben zusätzliche Anrufungen informiert werden. Damit ergänzt Papst Franziskus anlässlich des Josephsjahres die Litanei zum heiligen Joseph, die ursprünglich von Papst Pius X. 1909 für den öffentlichen liturgischen Gebrauch approbiert worden war. Bisher umfasste sie fünfundzwanzig an den heiligen Joseph adressierte Anrufungen.
Unter Angabe der Stelle, wo die neue Anrufung in die bestehende Litanei jeweils einzufügen ist, werden die Erweiterungen hier in ihrer amtlichen, lateinischen Fassung bekanntgegeben und mit einem deutschen Übersetzungsvorschlag versehen:
1
Nach Dei Genitricis sponse – Du Bräutigam der Gottesgebärerin ist einzufügen:
- Custos Redemptoris – Du Beschützer des Erlösers.
2, 3
Nach Christi defensor sedule – Du eifriger Beschirmer Christi erfolgt:
- Serve Christi – Du Knecht Christi und unmittelbar anschließend
- Minister salutis – Du Diener des Heiles.
4
Nach Familiarum columen – Du Säule der Familien wird ergänzt:
- Fulcimen in difficultatibus – Du Stütze in Schwierigkeiten.
5, 6, 7
Nach Spes aegrotantium – Du Hoffnung der Kranken wird noch eine Dreiergruppe neuer Anrufungen in folgender Reihenfolge eingeschoben:
- Patrone exsulum – Du Patron der Verbannten,
- Patrone afflictorum – Du Patron der Betrübten und schließlich
- Patrone pauperum – Du Patron der Armen.
Kritik und Entgegnung
Wie schon vor einem Jahr bei der Lauretanischen Litanei wurde vor allem aus Kreisen Traditionstreuer Kritik an den neuen Anrufungen laut. Dazu ist zu sagen, dass zwar nicht jeder Papst Einfügungen in die approbierten Litaneien vorgenommen hat, dass dies Päpste aber immer wieder getan haben. Wer nicht bestreitet, dass der Papst der Papst ist oder konkret, dass Franziskus der derzeit rechtmäßig amtierende Papst ist, hat kein Argument, sein Recht zu solchen Erweiterungen in Abrede zu stellen. Da die Ablässe, die mit der Verrichtung der approbierten Litaneien verknüpft sind, deren vollständige Rezitation voraussetzen, darf man die neuen Anrufungen nicht bewusst auslassen, wenn man sicher sein will, auch tatsächlich in den Genuss dieser Ablässe zu kommen.
Wieder wird auch stilistische oder inhaltlich-ideologische Kritik an gewissen Anrufungen formuliert.
So wird eingewandt, servus und minister seien gleichbedeutend. Zwar können beide Begriffe gleichlautend im Deutschen mit Diener übersetzt werden, aber wenn im Lateinischen zwei Vokabeln vorliegen, darf man nicht oberflächlich meinen, es ginge hier bloß um Abwechslung im Originaltext. Wie schon oben angegeben, schlage ich also vor, im Deutschen servus mit Knecht zu übersetzen. Man darf hier auf den heiligen Joseph Mt 25, 21 anwenden, wo vom guten und getreuen Knecht die Rede ist, eine Anwendung, die Liturgie und Frömmigkeit auch bisher schon gemacht haben, sei es direkt oder indirekt. Übrigens steht auch im biblischen Text servus im Vokativ, was die Inspiration und Parallele noch verstärkt. Servus und minister sind außerdem schon in der römischen Rechtssprache keineswegs gleichbedeutend. Servus ist der unfreie Diener, sogar der Sklave, minister bezeichnet den freien oder freigelassenen Diener. Minister salutis kann Joseph wegen seiner einzigartigen Rolle im Erlösungswerk genannt werden, die er – gerade in dessen frühestem Stadium – an der Seite Mariens und im Dienste Christi gespielt hat.
Kritisiert wird sodann, Patrone exsulum trage auch in die Josephslitanei politisch-ideologisch die Flüchtlingsfrage hinein. Derselbe Vorwurf wurde bei der Lauretanischen Litanei bereits der hinzugefügten Anrufung Solacium migrantium gemacht. Damals hatte ich vorgeschlagen, im Deutschen den profanen und politisch aufgeladenen, geradezu vereinnahmten Begriff Migranten in der Übersetzung für den liturgischen Gebrauch nicht heranzuziehen, stattdessen beispielsweise Trost der Zufluchtssuchenden zu sagen. In Patrone exsulum klingt jetzt phonetisch die Alltagssprache nicht an, es sei denn, man höre Exilanten heraus. Aber dann müsste man auch am Salve Regina und den dort zitierten exsules filii Hevae als Selbstbezeichnung aller, die sich an die Mutter der Barmherzigkeit wenden, Kritik üben. Außer Du Patron der Verbannten könnte man auch Du Patron der Heimatlosen übersetzen, da einerseits sicherlich mit dieser neuen Anrufung nicht eine rein theologische Bedeutung verknüpft werden soll, in der ziemlich abstrakt alle Menschen infolge des Verlustes des Paradieses Verbannte sind, andererseits Patron der Verbannten im Deutschen akustisch den Hörfehler Patron der Verdammten provozieren könnte, was natürlich unsinnig wäre, sogar zu absichtlichen Verballhornungen Anlass bieten könnte.
Ferner behauptet man, Patrone afflictorum bringe den heiligen Joseph in Konkurrenz (!) zur Consolatrix afflictorum, statt darin das Zusammenspiel Josephs mit der Allerseligsten Jungfrau Maria, seiner Braut, zu erkennen. Außerdem müsste sich dann die Kritik nicht an Papst Franziskus wenden, sondern an zahlreichen klassischen Theologen und Heiligen abarbeiten, die noch ganz andere und weitergehende Entsprechungen zwischen den persönlichen Gnadenprivilegien und Aufgaben Mariens und denjenigen des heiligen Joseph gesehen haben.
Schließlich kritisiert man noch, dass Patrone pauperum unnötig den Amator paupertatis wiederhole. Sonst sind es immer andere, die überflüssige Doppelungen in der Liturgie vermeiden oder ausmerzen wollen. Erstens ist der heilige Joseph gerade als Liebhaber der Tugend der Armut auch ein berufener Patron der Armen, und zweitens ließe sich mit der gleichen Begründung auch Kritik an der Lauretanischen Litanei üben, und zwar nicht an den drei neuen Anrufungen, die 2020 vorgeschrieben wurden, sondern beispielsweise an der Redundanz von Virgo virginum und Regina virginum.
Liturgisches Interesse und Desinteresse zweier Päpste
Schon die Hauptüberschrift spielt auf eine Beobachtung an, die man an verschiedenen Beispielen Illustrieren kann. Benedikt XVI. war der feinsinnige Theologenpapst, der theoretisch sehr stark an Fragen der Liturgie interessiert war und der bei der Gestaltung der päpstlichen Liturgien sich auch deutlich als Vorbild einer Ars celebrandi verstand. Vom Motuproprio Summorum Pontificum (und in diesem Bereich der neuformulierten Karfreitagsfürbitte für die Juden) abgesehen, hat er mit den rechtlichen Mitteln und Möglichkeiten, die er als regierender Papst besaß, nicht in die Liturgie ordnend eingegriffen oder sich, wie beim pro multis und dessen Wiedergabe in den Volkssprachen, nicht wirksam durchgesetzt. Wenn man wollte, könnte man dies ihm im Endeffekt als liturgisches Desinteresse an der in Aussicht gestellten und von seinem Pontifikat vielfach erhofften Reform der Reform auslegen. Erst lange nach seinem Pontifikat wurde – und bis jetzt nur teilweise – sein Auftrag erfüllt, das Missale Romanum von 1962 um die Möglichkeit neuer Heiliger und Präfationen zu bereichern. Noch fehlt ein angekündigter Faszikel mit zusätzlichen Eigentexten, und wiederum ist – wenn man ehrlich und realistisch ist – nur ein rein zahlenmäßig objektiv minimaler Teil der Kirche, der sich aufgrund eigener Neigung und Vorliebe völlig freiwillig auf Summorum Pontificum stützt, betroffen. Selbst das im Falle neuer Heiliger und Präfationen strenggenommen nur theoretisch, da niemand verpflichtet wird, von diesen neu erlaubten Möglichkeiten Gebrauch zu machen.
Ganz anders Papst Franziskus. 2019 hat er das infolge des Codex Rubricarum von 1960 abgeschaffte Loretofest im neuen Generalkalender von 1969 zumindest als nichtgebotenen Gedenktag wiederhergestellt. Inwieweit es deshalb auch nach dem MR1962 wieder gefeiert werden kann, ist bis jetzt offiziell ungeklärt, aber eher zu bejahen. 2020 ergänzt er die Lauretanische Litanei, jetzt diejenige zu Ehren des heiligen Joseph. Sehr fleißig für einen vermeintlich liturgisch kaum interessierten Papst.
Deswegen ist es nicht so unrealistisch oder aussichtslos, diesen Papst anzuregen, das frühere Schutzfest des heiligen Joseph wieder einzuführen, was ich an anderer Stelle am 1. Mai ausführlicher getan und begründet habe: „Joseph der Arbeiter“.
Abschließende Gebrauchsanweisungen für die neuen Anrufungen zum heiligen Joseph
Fulcímen in difficultatibus schafft vermutlich zuerst einmal mehr Probleme, als durch die Anrufung gelöst werden, besonders beim Vortrag nach einer der Choralmelodien wird der heilige Joseph vor allem den Gesang stützen müssen. Vielleicht ist dies zum Josephsjahr auch das selbstironisch-humorvolle Geschenk eines Papstes, der nicht singen kann, an Kantoren und Scholasänger der Kirche.
Durch die drei neuen Anrufungen, die mit Patrone/Du Patron beginnen, entsteht eine ganz neue Gruppe oder ein neuer Abschnitt von vier Anrufungen des heiligen Joseph als Patron. Da muss der Vorbeter oder ‑sänger sehr darauf bedacht sein, die sich anschließende Anrufung Terror daemonum – Du Schrecken der bösen Geister nicht aus Unachtsamkeit als Patrone daemonum – Du Patron der bösen Geister vorzutragen. Eine unfreiwillige Komik der Situation würde unweigerlich die Folge sein.
Bild: Da mihi animas/Youtube (Screenshot)
die sich anschließende Anrufung Terror daemonum – Du Schrecken der bösen Geister
– Du Schrecken der Paschama