Die altsüdamerikanischen Götter (2)

Blick auf Südamerika


Götter und Religion der Inkas – einschließlich Menschenopfer.
Götter und Religion der Inkas – einschließlich Menschenopfer.

Von Anto­nio Tortillatapa*.

Anzei­ge

Zwi­schen ca. 18.000 und 13.000 v.Chr., wäh­rend der soge­nann­ten Wis­con­sin-Kalt­zeit (Wis­con­sin Gla­cial Epi­so­de), wur­de der ame­ri­ka­ni­sche Kon­ti­nent über die Beringlandbrücke/​Beringmeeresstraße in meh­re­ren Wel­len besiedelt.

Recht rasch nach­ein­an­der wur­den Nord‑, Mit­tel-und Süd­ame­ri­ka besie­delt, wobei es durch den gewal­ti­gen Umfang des Ter­ri­to­ri­ums, die eher klei­nen Grup­pen von Wan­de­rern und die gro­ßen Unter­schie­de in Reli­ef und Kli­ma zu einer sehr aus­ge­präg­ten Auf­split­te­rung von Spra­chen, Gedan­ken­welt und reli­giö­sen Ansich­ten kam.

Das gro­ße Inter­es­se der Völ­ker­kund­ler und der Kunst­freun­de führ­te zum ver­glei­chen­den Stu­di­um der mittel‑, nord- und süd­ame­ri­ka­ni­schen India­ner und der mit ihnen ver­wand­ten Asia­ten (Mon­go­len, Sibi­ria­ken) und Polynesiern.

Cha­rak­te­ri­stisch für die süd­ame­ri­ka­ni­schen India­ner war ein aus­ge­präg­ter Ani­mis­mus, eine aus­ge­präg­te Angst vor bösen Gei­stern, eine Unmen­ge von klei­nen loka­len Göt­tern und mit dem Auf­tre­ten der Kul­tur der Chi­mu das Ent­ste­hen eines mono­the­istisch-phi­lo­so­phi­schen Grund­prin­zips der Welt und des Lebens. 

Von den vie­len Göt­tern und Göt­tin­nen wur­den sehr vie­le bild­li­che Dar­stel­lun­gen in Metall und Stein, als Male­rei und in Kera­mik gemacht. Die­se wur­den von den Völ­ker­kun­de- und Kunst­mu­se­en in Euro­pa und den USA beson­ders im 19. und 20. Jahr­hun­dert sehr flei­ßig gesammelt. 

Die sorg­fäl­tig kata­lo­gi­sier­ten und unter­such­ten Kunst­schät­ze, ver­bun­den mit den loka­len schrift­li­chen Berich­ten, geben ein sehr gutes Bild von der reli­giö­sen Welt der Mit­tel- und Süd­ame­ri­ka­ner in den letz­ten tau­send Jahren.

Auf­fal­lend bei den Mayas und den Azte­ken ist die gro­ße Furcht und der Respekt vor der Nacht und der Dunkelheit.

Nacht­tie­re wie Hund, Wolf und Jagu­ar wer­den häu­fig abge­bil­det, tot­emi­stisch ver­ehrt und beschwo­ren. Füh­rend im Göt­ter­pan­the­on war der Mond, übri­gens immer weib­lich dargestellt.

Der sehr genaue Kalen­der war dann auch ein Mond­ka­len­der. Der Mond wur­de als domi­nant gegen­über der Son­ne angesehen.

Die weib­li­chen Gott­hei­ten wur­den äußerst grau­en­voll dar­ge­stellt: z. B. bei den Azte­ken die grau­sa­me Göt­tin Couat­li­cue mit Raub­tier­tat­zen, einem Rock aus Schlan­gen gefloch­ten und mit einem abge­schla­ge­nen Haupt.

So auch die Göt­tin Teteo­innan.

Hier sind zwei­fel­los ata­vi­sti­sche Äng­ste einer von Män­nern domi­nier­ten Gesell­schaft gegen­über Frau­en nach­weis­bar, und wohl beson­ders auch bei der geheim­nis­vol­len Geburt eines Men­schen, was mit vie­len Tabus einherging.

Auf­fal­lend in der mit­tel- und süd­ame­ri­ka­ni­schen Kunst das nur äußerst sel­te­ne Auf­tre­ten von ero­ti­schen Sze­nen. Nackt und mit einem Mikro­pe­nis wer­den nur die Kriegs­ge­fan­ge­nen abge­bil­det, die dann durch Men­schen­op­fer­ri­tua­le getö­tet werden.

In die­sen har­ten Kul­tu­ren war kein Platz für uni­ver­sa­le Kin­der­lie­be: Kin­der­op­fer wur­den häu­fig durch­ge­führt, um die blut­rün­sti­gen Göt­ter und Göt­tin­nen zu besänftigen.

Das Phä­no­men der Schwan­ger­schaft wur­de eben­falls mit Furcht und mit Respekt wahr­ge­nom­men, und mit vie­len Tabus und  Beschwö­rungs­ze­re­mo­nien umgeben.

Sehr bekannt in Ama­zo­ni­en ist die Tra­di­ti­on bei bestimm­ten India­ner­stäm­men, wo sich bei einer ein­deu­tig fest­ge­stell­ten Schwan­ger­schaft der Vater/​das Sip­pen­ober­haupt in ein beson­ders geschmück­tes „Geburts­bett“ legt und dort die Ehren­be­zeu­gun­gen der Gra­tu­lan­ten entgegennimmt.

Die Mut­ter gebiert das Kind völ­lig abge­son­dert, und das neu­ge­bo­re­ne Kind wird erst nach eini­ger Zeit mit vie­len Rei­ni­gungs­ze­re­mo­nien dem Vater/​Sippenoberhaupt gezeigt, der dann ent­schei­det, ob das Neu­ge­bo­re­ne in die Sip­pe auf­ge­nom­men oder ob es ver­sto­ßen wird.

Es gal­ten (und gel­ten teil­wei­se noch immer) har­te Sit­ten, ohne roman­ti­sche Ansich­ten von Frucht­bar­keit und Schwangerschaft. 

Süd­ame­ri­ka wur­de zual­ler­erst an der Pazi­fik­kü­ste besiedelt.

Der Pazi­fi­sche Oze­an mit dem kal­ten Hum­boldt­strom kon­tra­stiert dort mit einer sehr trocke­nen und kar­gen Küste.

Etwas mehr im Lan­des­in­ne­ren, und wohl gera­de in den erwei­ter­ten Fluß­bet­ten und Oasen der klei­ne­ren Flüs­se der Anden zum Westen hin, fin­den sich die gro­ßen künst­le­ri­schen und tech­ni­schen Zen­tren mit hoch­ent­wickel­ter Land­wirt­schaft und her­vor­ra­gen­der Metallverarbeitung.

Die höchst­ent­wickel­te Kul­tur dort war die der Mochi­ca, wor­auf die spä­te­ren Inkas zurückgriffen.

Wiraqucha (Viracocha), die vorkolumbianische Schöpfergottheit der Anden
Wir­aqu­cha (Vira­co­cha), die vor­ko­lum­bia­ni­sche Schöp­fer­gott­heit der Anden

Die Mee­res­göt­tin, zugleich mit dem Mond asso­zi­iert (Gezei­ten­zy­klus) und auch sehr gefürch­tet wegen der Tsu­na­mis, Stür­me und Win­de, war Mama­quil­la.

Ihr gegen­über stand der männ­li­che Haupt­gott Inti (titi Inti /​ Tay­ta Inti).

Die Inkas leg­ten in ihrem mili­tä­risch erober­ten und ver­wal­te­ten Reich über­all den Son­nen­kult (Tay­ta Inti) als Staats­re­li­gi­on auf, teils identifiziert/​superponiert auf Wiraqucha.

Der erste Inca (Inka­herr­scher) wur­de als Sohn des Inti ange­se­hen, und alle sei­ne Nach­fol­ger berie­fen sich für ihre Per­son auf die­se Abstammung.

Sym­bol des Inti war die Son­nen­schei­be mit den vie­len Strah­len, davon abge­lei­tet das dünn­bän­di­ge, far­ben­fro­he Ban­ner des Incas.

(440 Jah­re spä­ter dien­te es als Modell für die Regen­bo­gen­fah­ne u.a. der Hom­obe­we­gung.)

Die Inkas bekämpf­ten in ihrem rie­si­gen Reich nicht die vie­len, schon von alters her ver­ehr­ten Göt­ter der unter­wor­fe­nen Völker.

Im Gegen­teil: Sie trans­por­tier­ten die Dar­stel­lun­gen der loka­len Göt­ter in ihre Haupt­stadt Cuz­co und hiel­ten sie dort in Siche­rungs­ver­wah­rung, in einer Art Geiselhaft.

Typisch für Oasen- und Fluß­bett­land­wirt­schaft ist, daß nicht die Erde der ent­schei­den­de Fak­tor ist, son­dern die Bewässerung.

Dies zeigt sich beson­ders gut am Kult um Pachacamac/​Pachacamaq (Quechua/​Araukana: „Schöp­fer der Welt“).

Pacha­ca­mac war, so die Vor­stel­lung, der Schöp­fer des ersten Man­nes und der ersten Frau; er ließ sie jedoch hungern.

Der Mann starb. Die Frau ver­fluch­te den Schöp­fer­gott. Dar­auf­hin mach­te Pacha­ca­mac sie frucht­bar. Pacha­ca­mac töte­te den von ihr gebo­re­nen Sohn und zer­stückel­te die Lei­che. Hier­aus ent­stan­den die ver­schie­den­sten Obst- und Gemü­se­pflan­zen, und Pacha­ca­mac erfand die Bewäs­se­rungs­tech­nik mit Kanä­len. Ein zwei­ter Sohn konn­te flüch­ten. Pacha­ca­mac töte­te dar­auf die Frau. Der zwei­te Sohn räch­te sei­ne Mut­ter und warf Pacha­ca­mac ins Meer.

Eine sehr wil­de Geschich­te, offen­sicht­lich aus meh­re­ren Strän­gen auf­ge­baut und der alt­grie­chi­schen Mytho­lo­gie mit dem Kampf der Gigan­ten und Tita­nen nicht unähnlich.

Die Inkas über­nah­men Pacha­ca­mac, mach­ten ihn zum Sohn von Tay­ta Inti und Mama­qui­la, und en pas­sant spä­ter zum Ehe­mann von Mama­Pacha, wobei etwas unklar ist, ob er sie nicht auch töte­te (das wäre dann wohl so etwas wie „Tötung im Affekt“). 

Pachamama-Figuren, wie sie bei der Amazonassynode im Vatikan gezeigt und angebetet wurden.
Pacha­ma­ma-Figu­ren, wie sie bei der Ama­zo­nas­syn­ode im Vati­kan gezeigt und ange­be­tet wurden.

Schon seit den frü­he­sten Zei­ten der Con­qui­sta­do­ren sehr gut bekannt und berühmt ist der Wall­fahrts­ort Pacha­ca­mac, ca. 30 km von der Inka­haupt­stadt Cuz­co entfernt.

Noch Jahr­hun­der­te spä­ter , teils bis jetzt, war dies ein viel­be­such­tes reli­giö­ses Zen­trum und ein Wall­fahrts­ort der India­ner und eine sehr rei­che archäo­lo­gi­sche Fund­stel­le (Kul­tu­ren der Ich­ma, Wari, des soge­nann­ten Pacha­ca­mac-Rei­ches, Chan­cay und Chimú).

Seit dem 19. Jahr­hun­dert war der Name Pacha­ca­mac des­halb in Euro­pa und den Ver­ei­nig­ten Staa­ten sehr gut bekannt.

In den gro­ßen Hand­bü­chern, Kunst­bü­chern und Kata­lo­gen kommt das Stich­wort Pachacamac/​Pachacamaq des­halb äußerst häu­fig und mit reich­li­chen bild­li­chen Dar­stel­lun­gen vor.

Das Wort „Pacha­ma­ma“ dage­gen erscheint erst im spä­ten 20. Jahrhundert.

Inter­es­san­te Anek­do­te: Das Wort „Pacha­ca­mac“ kommt in dem am mei­sten gele­se­nen und gedruck­ten Buch über süd­ame­ri­ka­nisch-india­ni­sche Kul­tur und Reli­gi­on an her­vor­ra­gen­der Stel­le (ganz vor­an in einer span­nen­den Geschich­te) zwei­mal vor.

Es han­delt sich hier um die Zei­chen­bild­ge­schich­te „Le Temp­le du Soleil“ („Der Son­nen­tem­pel“) des berühm­ten bel­gi­schen Comic­zeich­ners Her­gé (Serie: Tim & Strup­pi), 1939/​1946 publi­ziert und seit­dem welt­weit in allen gro­ßen Spra­chen über­setzt (17 Mil­lio­nen Exemplare).

Her­gé und sei­ne Mit­ar­bei­ter sam­mel­ten sehr viel eth­no­lo­gi­sches und archäo­lo­gi­sches Mate­ri­al, u.a. im Musée des Arts et de l’Hi­stoire in Brüssel.

„Pacha­ca­mac“ ist dort der Name eines Sal­pe­ter­frach­ters, der vor der Küste von Peru in Qua­ran­tä­ne gehal­ten wird.

Unter der Bezeich­nung Pacha­ma­ma fin­det sich in der älte­ren Lite­ra­tur hin­ge­gen nichts, was auch nur von gering­ster Bedeu­tung wäre.

*Rei­he von Anto­nio Tortillatapa:


Literatur:

Dis­sel­hoff, H.D./Linné S. : Alt­ame­ri­ka (Serie: Kunst der Welt MCMLXII), Hol­le, Baden-Baden, 1964

Lothrop, S.K./ Fos­hag, W.F./ Mahler, Joy: Pre-Colum­bi­an Art/​The Coll­ec­tion Robert Woods Bliss, Phai­don Press, Lon­don 1956)

Alci­na, José: L’Art Pré­co­lom­bien (Série: L’art et les gran­des civi­li­sa­ti­ons), Édi­ti­ons d’Art Luci­en Mazen­od, Paris 1978

Kricken­berg, W. : Ame­ri­ka, in: Die gro­ße Völ­ker­kun­de von Hugo A. Ber­nat­zik, Bd. 3, Biblio­gra­phi­sche Insti­tut, Leip­zig 1939

Trim­born, H.: Das prä­ko­lum­bi­sche Ame­ri­ka, in: Pro­py­lä­en Welt­ge­schich­te, Bd. 6 (Weltkulturen/​Renaissance in Euro­pa), Ber­lin 1964

Mül­ler, J.G.: Geschich­te der ame­ri­ka­ni­schen Urre­li­gio­nen, Schweig­hau­ser, Basel 1855

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