Blutigste Hexenjagd im protestantischen Deutschland


Inquisition
Inquisition hat nicht mit den Bildern zu tun, die Francisco Goya ihr widmete

(Rom) Eine ein­fa­che Umfra­ge unter Deut­schen nach Inqui­si­ti­on und Hexen­jagd wür­de wenig über­ra­schen­de Ergeb­nis­se an den Tag brin­gen. Bei­de Phä­no­me­ne gel­ten als blut­rün­stig, als fin­ster­stes Mit­tel­al­ter und wer­den mit reli­giö­sem Fana­tis­mus, Spa­ni­en und dem päpst­li­chen Rom, auf alle Fäl­le jeden­falls mit der katho­li­schen Kir­che in Ver­bin­dung gebracht. Im 19. Jahr­hun­dert wur­de die anti­ka­tho­li­sche Ankla­ge häu­fig als Mischung aus Sex und Gewalt dar­ge­stellt. Der „ganz nor­ma­le“ Deut­sche wür­de stau­nen, wenn er wüß­te, wo die blu­tig­ste Hexen­jagd wirk­lich stattfand.

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Die blu­tig­ste Hexen­jagd, neben der die viel­ge­schol­te­ne Inqui­si­ti­on gera­de­zu als „harm­los“ erscheint, fand im pro­te­stan­ti­schen Deutsch­land statt. Eben­so wür­de es den „ganz nor­ma­len“ Deut­schen erstau­nen, wenn er wüß­te, daß die päpst­li­che Inqui­si­ti­on unter allen For­men der Inqui­si­ti­on die mil­de­ste war.

War­um glau­ben dann so vie­le Men­schen etwas ganz ande­res, und das sogar mit inbrün­sti­ger Über­zeu­gung? Weil sie Opfer einer inzwi­schen schon jahr­hun­der­te­lan­gen Pro­pa­gan­da sind. Das heu­te „ganz nor­ma­le“ Vor­ur­teil zu Inqui­si­ti­on und Hexen­jagd ist näm­lich vor allem ein Pro­pa­gan­da­pro­dukt der Auf­klä­rung und eini­ger pro­te­stan­ti­scher Staaten.

Was den Fach­hi­sto­ri­kern bestens ver­traut ist, ist in der all­ge­mei­nen Wahr­neh­mung weit­ge­hend ent­stellt. Die Ver­zer­run­gen sind in der Regel kei­ne zufäl­li­gen Gedächt­nis­lücken, son­dern kol­lek­ti­ve Falsch­wahr­neh­mun­gen als Fol­ge geziel­ter vor­ur­teils­be­la­de­ner Mani­pu­la­ti­on, die sich bei aus­rei­chen­dem Nach­druck zum all­ge­mei­nen Geschichts­bild ver­dich­tet. Sie zu kor­ri­gie­ren ist meist ein schwie­ri­ges Unter­fan­gen, das viel Geduld und Steh­ver­mö­gen verlangt.

Hexenjagd ein Phänomen der Renaissance

Zu denen, die die Geduld auf­ge­bracht haben, der histo­ri­schen Wahr­heit auf den Grund zu gehen, gehört die ita­lie­ni­sche Histo­ri­ke­rin Mari­na Mon­te­sa­no von der Uni­ver­si­tät Genua. Sie ver­öf­fent­lich­te das Buch Hexen­jagd (Cac­cia alle streg­he, 2012), in dem sie auf­zeigt, daß es sich dabei vor allem um ein Phä­no­men der Renais­sance han­del­te, das nicht im Mit­tel­al­ter ent­stan­den ist, obwohl die­ses im Volks­mund irri­ger­wei­se als das „dunk­le Zeit­al­ter der Inqui­si­ti­on“ bezeich­net wird.

Im gesam­ten Zeit­raum zwi­schen 1450 und 1650 wur­de in Euro­pa nicht die phan­ta­sie­vol­le Über­trei­bung von einer Mil­li­on Hin­rich­tun­gen durch­ge­führt, son­dern zwi­schen 40.000 und 60.000 Todes­stra­fen ver­hängt. Der Teil Euro­pas, in dem die mei­sten Hin­rich­tun­gen statt­fan­den, war nicht das katho­li­sche Rom oder das katho­li­sche Spa­ni­en, son­dern der pro­te­stan­ti­sche Nor­den und dort vor allem das pro­te­stan­ti­sche Deutsch­land. Im Gegen­satz zur land­läu­fig wohl­ge­heg­ten anti­ka­tho­li­schen, vor allem anti­s­pa­ni­schen Geschichts­schrei­bung mach­te die viel­ge­schol­te­ne Spa­ni­sche Inqui­si­ti­on als Gerichts­be­hör­de, die zum Pro­to­ty­pen fin­ster­ster Ver­fol­gung sti­li­siert wur­de, „einen äußerst mode­ra­ten Gebrauch von der Fol­ter und for­der­te im Ver­gleich zu Mit­tel- und Nord­eu­ro­pa eine gera­de­zu sehr gerin­ge Zahl an Opfern.“

Inquisition
Ita­lie­ni­sche Inquisition

Ein ande­rer ist der bri­ti­sche Histo­ri­ker Chri­sto­pher Black mit sei­ner Geschich­te der Inqui­si­ti­on in Ita­li­en (The Ita­li­an Inqui­si­ti­on, 2010). Dar­in erin­nert der Autor, daß bereits Adria­no Pro­spe­ri mit sei­nem 1996 erschie­ne­nen Buch Gewis­sens­tri­bu­na­le. Inqui­si­to­ren, Beicht­vä­ter und Mis­sio­na­re (Tri­bu­na­li del­la cosci­en­za. Inqui­si­to­ri, con­fes­so­ri e mis­sio­na­ri) die The­sen der anti­kle­ri­ka­len Geschichts­schrei­bung wider­leg­te, laut der die Römi­sche Inqui­si­ti­on ein „blut­rün­sti­ges Tri­bu­nal“ gewe­sen sei. Black belegt akri­bisch, daß auf der ita­lie­ni­schen Halb­in­sel im Gegen­satz zum Nor­den „ver­hält­nis­mä­ßig weni­ge“ Todes­ur­tei­le ver­hängt wur­den, und die Römi­sche Inqui­si­ti­on, also jene des päpst­li­chen Kir­chen­staa­tes, im Ver­gleich zu den Gerich­ten der ande­ren ita­lie­ni­schen Staa­ten noch ein­mal deut­lich weni­ger Todes­ur­tei­le ver­hängt und noch weni­ger voll­streckt hat. „Im Kir­chen­staat wur­de die Fol­ter sel­te­ner ange­wandt und den Ange­klag­ten kon­kre­te Mög­lich­kei­ten gebo­ten, einen gericht­li­chen Ver­gleich zu finden.“

Ins­ge­samt kommt Black zum Schluß, daß die Römi­sche Inqui­si­ti­on kei­ne „so maka­bre Geschich­te war, wie Legen­den und Vor­ur­tei­le zu sug­ge­rie­ren schei­nen“. Sie habe nichts mit „den Bil­dern zu tun, die Fran­cis­co Goya der End­pha­se der Spa­ni­schen Inqui­si­ti­on wid­me­te“. In den Län­dern, in denen nach dem Mit­tel­al­ter die katho­li­sche Inqui­si­ti­on tätig war, wur­de die Fol­ter meist „weit selek­ti­ver und phy­sisch weni­ger aggres­siv und weni­ger grau­en­voll und aus­ge­tüf­tel­ter ange­wandt“, als dies heu­te in vie­len moder­nen Staa­ten prak­ti­ziert oder fak­tisch akzep­tiert wird „mit Son­der­ge­set­zen, die auf viel­fa­che Wei­se die inter­na­tio­na­len Kon­ven­tio­nen und die Rech­te der Gefan­ge­nen verletzen“.

Inquisition die „bestmögliche Strafgerichtsbarkeit“ im Europa der Neuzeit

Auch John Tede­schi bot in sei­nem 1997 erschie­ne­nen Buch Der Rich­ter und der Häre­ti­ker. Stu­di­en zur Römi­schen Inqui­si­ti­on (Il giudi­ce e l’e­re­ti­co. Stu­di sul­l’In­qui­si­zio­ne roma­na) eine umfang­rei­che Dar­stel­lung, daß die Römi­sche Inqui­si­ti­on alles ande­re als eine „Kari­ka­tur eines Gerichts“, ein „Tun­nel des Schreckens“, ein „Justiz­la­by­rint war, aus dem es kein Ent­rin­nen gab“.

Die ame­ri­ka­ni­sche Histo­ri­ke­rin Anne Jacob­son Schutte zeig­te mit stich­hal­ti­gen Argu­men­te auf, daß das System der Inqui­si­ti­on die „best­mög­li­che Straf­ge­richts­bar­keit“ im Euro­pa der Neu­zeit bot. Schutte for­der­te auf, zu berück­sich­ti­gen, daß es Päp­ste wie Paul III. oder Pius IV. waren, die eine „wei­che“ Hand­ha­be in die­sen Fra­gen hat­ten, daß eine beacht­li­che Zahl von Bischö­fen zwi­schen 1520 und 1570 sich Reform­ideen zu eigen mach­te und ande­re dafür kämpf­ten, zu stren­ge Inqui­si­to­ren in die Schran­ken zu wei­sen und deren per­sön­li­che Über­zeu­gun­gen zurück­zu­drän­gen. Zwi­schen dem Epi­sko­pat und den Inqui­si­to­ren war das Ver­hält­nis mehr als nur dialektisch.

Black stimmt schließ­lich der Posi­ti­on von Adria­no Pro­spe­ri und Simon Ditch­field zu, daß die „Römi­sche Inqui­si­ti­on trotz ihrer dunk­len Sei­te auch eine krea­ti­ve und erzie­he­ri­sche Kraft war, die dazu bei­getra­gen hat, die ita­lie­ni­sche Kul­tur zumin­dest bis zum Ende des 19. Jahr­hun­derts zu for­men und zu beeinflussen“.

Pao­lo Mie­li schrieb im Cor­rie­re del­la Sera dazu:

„Indem die Über­trei­bun­gen der ‚Schwar­zen Legen­de‘ kor­ri­giert wer­den, hof­fe ich nicht eine ‚Rosa‘ oder ‚Graue Legen­de‘ zu för­dern“. Das Phä­no­men der Inqui­si­ti­on ist „sicher nicht idyl­lisch. Was jedoch beson­ders beein­druckt, ist die Tat­sa­che, daß sich die ver­schie­de­nen Inqui­si­tio­nen bei nähe­rem Hin­se­hen wie eine viel­ge­stal­ti­ge, inko­hä­ren­te und teil­wei­se sogar wider­sprüch­li­che Welt prä­sen­tie­ren. Es fal­len auch nicht sel­te­ne Ver­quickun­gen zwi­schen Justiz und Poli­tik auf, die sehr ähn­lich jenen schei­nen, wie wir sie heu­te fünf Jahr­hun­der­te spä­ter auch erleben.“

Text: UCCR/​Giuseppe Nardi
Bil­der: Wikicommons

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