
(London) Erstmals seit 110 Jahren findet in England wieder eine öffentliche Prozession mit dem Allerheiligsten statt. Seit 1908 war es den Katholiken von England und Wales verboten, in der Öffentlichkeit eine Eucharistische Prozession abzuhalten.
Die britische Regierung sorgte sich 1908 um die öffentliche Ordnung. Unruhen seien zu befürchten, hieß es. In Wirklichkeit wurde eine Rekatholisierung des Landes befürchtet.

Damals regierten im Vereinigten Königreich die Liberalen. Premierminister war Herbert Asquith. Grund des Anstoßes war, daß König Eduard VII. (1901–1910) an einer Heiligen Messe teilgenommen hatte, einem Requiem für König Karl I. von Portugal, der von einem Republikaner ermordet worden war. Karl I. war ein Verwandter Eduards. Beide entstammten dem deutschen Adelsgeschlecht Sachsen-Coburg und Gotha. Diese Teilnahme durch den König, dem man bereits eine katholische Neigung nachsagte, wurde als öffentliche Bekundung zugunsten der Katholizität angesehen und trieb anglikanische und protestantische Kreise auf die Barrikaden. Radikale anglikanische Gruppen behaupteten, der König habe seinen Krönungseid verletzt, der Verteidiger des (anglikanischen) Glaubens zu sein. Zudem erlaubte Innenminister Herbert Gladstone den Katholiken, angeführt von Kardinal Vannutelli, eine Eucharistische Prozession auf den Straßen Londons abzuhalten. Die Stimmung war so aufgeladen, daß Asquith das einzige katholische Regierungsmitglied, Lord Ripon, entlassen mußte.
Als Papst Benedikt XVI. Schottland und England besuchte, berichteten im Vorfeld einige Zeitungen, daß König Eduard VII., ein Sohn von Königin Victoria und erster König des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Irland aus dem Haus Sachsen-Coburg und Gotha (heute Windsor genannt), wie vor ihm bereits König Karl II. (1685–1689), auf dem Sterbebett zur katholischen Kirche konvertiert sei.
1908 verbot die liberale Regierung jedenfalls als Reaktion auf die Teilnahme des Königs am Requiem für seinen ermordeten Vetter die Durchführung Eucharistischer Prozessionen. Den Katholiken sollte damit die öffentliche Sichtbarkeit entzogen werden. Die religiöse Freiheit, die Englands Katholiken nach fast 300 Jahre der Unterdrückung erst 1829 zurückerlangt hatten, wurde damit wieder eingeschränkt.
110 Jahre mußten vergehen, bis erstmals wieder eine Eucharistische Prozession auf englischem Boden möglich wird. Anlaß ist der Eucharistische Kongreß „Adoremus“, der vom 7.–9. September in Liverpool stattfinden wird.
Adoremus ist eine Initiative der Katholischen Bischofskonferenz von England und Wales zur Förderung der Verehrung des Altarsakramentes. Der Vorsitzende von Adoremus, Weihbischof Robert Byrne von Birmingham, sagte:
„Heute leben wir in ganz anderen Zeiten. Die katholische Kirche ist Teil der englischen Gesellschaft. Ihre Verbreitung ist weit umfangreicher als noch vor hundert Jahren und wird nicht mehr als fremde Bedrohung wahrgenommen.“
Msgr. Byrne weiter:
„Nach den schwierigen Jahren der Mißbrauchsskandale können wir endlich eine positive Botschaft senden.“

Die Anführer aller christlichen Konfessionen von Liverpool, auch der anglikanische Bischof, wurden eingeladen, an der Prozession teilzunehmen, die den Eucharistischen Kongreß abschließen wird. Es gebe bereits etliche Zusagen, so der Weihbischof.
Der Eucharistische Kongreß dient der Vertiefung des eucharistischen Verständnisses. Am Symposium am 7. September werden mehr als 2000 Teilnehmer kommen, vor allem Lehrer und Katecheten, Priester, Ordensleute und Laien. Am 8. September werden bis zu 10.000 Menschen zur Messe und den Ansprachen erwartet. Am Sonntag, dem 9. September wird der Kongreß seinen Höhepunkt mit einer Messe und der Prozession erleben.
Während des Kongresses werde es „viel Raum für die eucharistische Anbetung“ geben, die „in jedem Augenblick möglich sein wird“, so der Weihbischof.
Er sieht als größte Herausforderung für die Kirche von England und Wales die Evangelisierung. Der Kongreß Adoremus versuche darauf zu antworten.
„Wir leben in einer immer stärker säkularisierten Welt, besonders in Großbritannien, wo man Gott inzwischen vergessen hat. Hinter einem liberalen und toleranten Programm versteckt sich eine zutiefst antireligiöse Tagesordnung. Der Glaube soll aus dem öffentlichen Raum verdrängt und zu einer rein privaten Sache reduziert werden. Mit der Prozession fordern wir das vorherrschende Denken unserer Zeit heraus“, so Weihbischof Byrne.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Adoremus