Erster Odins-Tempel der Geschichte Islands

Neuheidentum Germanenkult
Neuheidentum: (Pseudo)-Germanenkult auf Island

(Reykja­vík) Es klingt wie ein Scherz, ist aber kei­ner. Auf Island wird nach weit über 1000 Jah­ren erst­mals wie­der ein Tem­pel den Göt­tern Thor und Odin errich­tet. Um genau zu sein, dürf­te es sich über­haupt um den ersten Tem­pel die­ser Art in der Insel­ge­schich­te han­deln. Der Schein trügt näm­lich manch­mal, auch wenn es um das Neu­hei­den­tum geht.

Laut eines ver­zer­ren­den Nar­ra­tivs habe das Chri­sten­tum den alten, ger­ma­ni­schen Göt­ter­him­mel mit Zwang und Gewalt zer­stört. In Wirk­lich­keit hat es ihn ein­fach nur ent­zau­bert. Mit der Ver­brei­tung der Bot­schaft des Jesus von Naza­reth setz­te unwei­ger­lich die Göt­ter­däm­me­rung ein.

Die Behaup­tung, die Ger­ma­nen hät­ten nur unter Zwang den Chri­sten­gott ange­nom­men, ist ein vor allem poli­tisch-ideo­lo­gisch moti­vier­tes Mär­chen des spä­ten 19. Jahr­hun­derts, das nicht wah­rer wird, weil es auch noch man­che im 21. Jahr­hun­dert behaupten.

Der ger­ma­ni­sche Göt­ter­him­mel war in dem Augen­blick mau­se­tot und als leer und hohl erkannt, als Chri­stus auch auf die ger­ma­ni­sche Büh­ne trat, was spä­te­stens im 3. Jahr­hun­dert gesche­hen ist.

Die Behaup­tung einer „Wie­der­be­le­bung“ eines ger­ma­ni­schen Hei­den­tums ist stau­nens­wer­ter Hum­bug. Was seit tau­send Jah­ren nicht mehr exi­stiert, kann nicht „wie­der­be­lebt“ wer­den. Was heu­te als Ger­ma­nen­kult aus­ge­ge­ben wird, ist eine mehr oder weni­ger schlecht gelun­ge­ne Neu­erfin­dung. Dar­an ist weder etwas alt noch echt.

Das nor­di­sche Neu­hei­den­tum hat nichts mit dem Ger­ma­nen­tum und nicht mit den alten Göt­tern zu tun. Es ist ein­fach nur, was das Wort sagt: Neuheidentum.

Des­sen unge­ach­tet behaup­ten 3900 Islän­der, Anhän­ger der Asen­glau­bens­ge­mein­schaft Ásatrúar­fé­la­gið zu sein.

Der Kult ist, wie könn­te es anders sein, eine Erfin­dung aus jüng­ster Zeit. Die Grün­dung geht auf das Jahr 1972 zurück und war eine der zahl­rei­chen Fol­ge­wir­kun­gen der 68er-Bewegung.

Bemer­kens­wer­ter ist, daß sich 2002 erst 570 Islän­der zu die­sem Kult bekann­ten. Von Asen-Kult ist nur des­halb die Rede, weil der Grün­der, Sveinbjörn Beint­eins­son, die Bezeich­nung „Hei­den“ ver­mei­den woll­te. Noch im Grün­dungs­jahr erhielt die Ver­ei­ni­gung die behörd­li­che Aner­ken­nung und Beint­eins­son wur­de der Ober­prie­ster des neu­en Odi­ni­sten-Kul­tes, „Hoch­go­de“ genannt.

Der Grün­der starb 1993, aber der Kult lebt wei­ter, weil – wie Exper­te für Sek­ten und Neue reli­giö­se Gemein­schaf­ten sagen – die Ableh­nung des Chri­sten­tums eine Haupt­trieb­fe­der dar­stellt. Der heu­ti­ge Odin-Hoch­go­de, Örn Himars­son, beschreibt den Kult so:

„Wir betrach­ten die [alten] Geschich­ten als poe­ti­sche Meta­phern und als Mani­fe­sta­ti­on der Natur­kräf­te und der mensch­li­chen Psyche“.

Der Kult ist pan­the­istisch und islän­disch geprägt. Als beson­de­re „islän­di­sche Wer­te“ gel­ten dabei „Ehr­lich­keit und Tole­ranz und der Respekt für die Umwelt“, was vor allem poli­tisch kor­rekt klingt. Die Rede ist des­halb auch von einem „huma­ni­sti­schen Heidentum“.

Seit Jah­ren wird er ange­kün­digt, doch Ende 2018 soll der erste Ásatrúar­fé­la­gið-Tem­pel end­lich fer­tig­ge­stellt sein. Der Plan stammt vom Archi­tek­ten Magnus Jens­son, der Mit­glied der neu­heid­ni­schen Reli­gi­on ist. Der Tem­pel soll das Ver­hält­nis von Erde, Him­mel und Son­ne wider­spie­geln und 250 Men­schen Platz „für reli­giö­se Zere­mo­nien und Kon­zer­te“ bieten.

Ver­schie­de­ne Medi­en, dar­un­ter auch der bri­ti­sche Guar­di­an, berich­te­ten über das Tem­pel­vor­ha­ben, der offi­zi­ell Hof Ásatrúar­fé­lagsins hei­ßen soll. Fälsch­li­cher­wei­se wur­de in den Medi­en­be­rich­ten jeweils behaup­tet, es hand­le sich­seit 1000 Jah­ren um den „ersten“ Tem­pel für Thor und Odin auf der Insel. Rich­tig ist viel­mehr, daß es sich über­haupt um den ersten Tem­pel die­ser Art in der gesam­ten Geschich­te der Insel han­delt, was bereits unter­streicht, daß es kei­nen wirk­li­chen histo­ri­schen Zusam­men­hang mit irgend etwas gibt. Das hat damit zu tun, daß weder ein Odin- oder Thor-Tem­pel über­lie­fert ist. Wohl auch des­halb zele­briert der Hei­den­kult die „Homo-Ehe“, die es bei den alten Ger­ma­nen mit Sicher­heit nicht gab.

2016 war in Däne­mark ein Odin geweih­ter Tem­pel namens Val­heim Hof eröff­net wor­den. Für Däne­mark gilt aller­dings das­sel­be wie für Island.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Guardian

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2 Kommentare

  1. Es gibt das Neu-Hei­den­tum unter ver­schie­de­nen Namen, auch unter dem Namen des abge­fal­le­nen Teils der katho­li­schen Kirche.

  2. Ein inter­es­san­tes Phä­no­men, dass den ger­ma­ni­schen Göt­tern Thor und Odin ein Tem­pel errich­tet wer­den soll. Mög­li­cher­wei­se ist das ein Hin­weis auf einen ver­bor­gen schlum­mern­den Wunsch der Men­schen dort nach reli­giö­ser Sinn­ge­bung, der von den aktu­el­len ‑sit venia ver­bo- “ reli­giö­sen Anbie­tern“ nicht erfüllt wird.

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