Hunderte Gläubige und mehr als 50 Priester begleiteten den bekannten Moraltheologen, Hochw. Ingo Dollinger, am Montag in Opfenbach zu Grabe. Der Priester des Bistums Augsburg war am 11. Juni, dem Dreifaltigkeitssonntag, verstorben. Der promovierte Theologe war ein großer Förderer und Verteidiger der Tradition. Zuletzt war es zum sogenannten Dritten Geheimnis von Fatima zu einem für ihn schmerzlich empfundenen Ferndisput mit dem Heiligen Stuhl gekommen. Zum Lebenslauf siehe den Bericht Ingo Dollinger tot – Priester, Moraltheologe, Förderer der Tradition – Disput mit dem Vatikan zum Dritten Geheimnis von Fatima.
Das Requiem in der Opfenbacher Pfarrkirche zum heiligen Nikolaus zelebrierte Msgr. Athanasius Schneider, Weihbischof im Erzbistum der Allerheiligsten Jungfrau Maria zu Astana in Kasachstan. Die Predigt von Bischof Schneider im Wortlaut:
Liebe hochwürdige Mitbrüder im priesterlichen Dienst, liebe Brüder und Schwestern in Christus, christliche Trauergemeinde!
„Den König, dem alles lebt, kommt wir beten Ihn an! Regem, Cui omnia vivunt, venite, adoremus!“ Diese Worte aus dem Offizium für die Verstorbenen erstrahlen heute über dem priesterlichen Leben unseres verehrten und geliebten Dr. Ingo Dollinger. Christus, unser Herr und König, hat Seinem Diener Ingo Dollinger ein langes und geistig sehr fruchtbares Priesterleben geschenkt. Vielleicht könnte folgende Aussage den Kern der ganzen Existenz und Aktivität von Dr. Dollinger am treffendsten berühren: „Er war ein von Gott ganz ergriffener Priester“. Das „Von Gott-ergriffen-sein“ war die verborgene Kraft, die diesem Priester ein intensives, und ein gleichsam mystisches geistliches Leben vermittelte und ihn gleichzeitig zu einem rastlosen, sich verzehrendem apostolischen Leben bewegt hat. Ein Mystiker in rastlosem Eifer für die Ehre Christi, seines Königs.
Der Priester Ingo Dollinger war ein ganz auf das Wesentliche, auf Christus, das allein Notwendige, konzentrierter Priester. Deshalb stand das Gebetsleben im Mittelpunkt seines Lebens. Er verbrachte täglich einige Stunden im Gebet, und das war der Fall nicht nur in seinen letzten, von der Krankheit gezeichneten, Lebensjahren. Das war seine Gewohnheit in seinem ganzen Priesterleben. Er sagte immer wieder: „ohne Gebet verkümmert meine Seele“, „ohne Gebet kann ich nichts tun“. In seinen geistlichen Vorträgen sagte er oft: „In unserem Leben kommt alles auf das Einssein mit dem Herrn an. Vom bewussten, liebenden Einssein mit dem Herrn während unseres ganzen Tages hängt alles ab“. Schon in der Zeit als Primiziant hinterließ er tiefsinnige Briefe über die Liebe Gottes zu uns und unsere Liebe zu Gott.
Die Worte und Taten von Hochwürden Dr. Dollinger zeugten davon, wie lebendig er die übernatürliche Größe des Priestertums erfasste, und wie sehr er die einzigartige Gnade der priesterlichen Berufung schätze. Diese seine Haltung wurde bei ihm entscheidend durch den heiligen Pater Pio von Pietrelcina geprägt, bei dem er öfters das Sakrament der Buße empfangen konnte. Dr. Dollinger sagte wiederholt, dass er die Begegnungen mit dem heiligen Pater Pio als eine der größten Gnaden seines Lebens betrachtete. Im heiligen Pater Pio sah und erlebte Dr. Dollinger das, was ein katholischer Priester letztlich sein sollte, nämlich: gleichsam verliebt sein in das Heilige Meßopfer und in die Rettung der Seelen durch die Spendung des Bußsakraments.
Eine würdige, innerliche und ehrfürchtige Feier des Heiligen Meßopfers und eine unermüdliche, geduldige und väterliche Verwaltung des Bußsakramentes mit individueller Seelenführung waren die beiden Brennpunkte, auf die sich das priesterliche Wirken von Hochwürden Dr. Dollinger konzentriert hat. Aus der gnadenhaften Erfahrung und Erkenntnis dieser beiden geistig lebensnotwendigen und unersetzbaren priesterlichen Handlungen in der Kirche, erwuchs in ihm ein großer Eifer, sich in der Kirche unserer Tage für die Priesterausbildung einzusetzen, und zwar für eine Priesterausbildung gemäß dem unveränderlichen und vollständigen Glauben, der unvergänglichen Schönheit und Erhabenheit der Liturgie und einem wahrhaft katholischen Priesterbild nach dem Vorbild der großen heiligen Priestergestalten.
In diesem seinem Einsatz war Hochwürden Dr. Dollinger ein Werkzeug der Göttlichen Vorsehung, denn er durfte den verdienstvollen Beitrag für die Priesterausbildung in einer Zeit leisten, in welcher sich die Priesterausbildung, das Priestertum wie auch die Kirche insgesamt in einer kaum dagewesenen tiefen Krise befanden, einer Krise die sich in unseren Tagen sogar noch verschlimmert hat. So konnte Dr. Dollinger einigen von der Göttlichen Vorsehung erweckten neuen Ordensgemeinschaften tatkräftig helfen, die kirchliche Anerkennung zu erhalten für deren Werk der Erneuerung der Kirche und vor allem einer wahrhaft katholischen Priesterausbildung.
Eine besondere Bedeutung gewann sein Jahrzehnte langer Einsatz in der priesterlichen Ausbildungsstätte in Brasilien in der Stadt Anapolis, in einer Zeit – es waren in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts – als die sogenannte Theologie der Befreiung auf dem Höhepunkt ihres Einflusses war. Bekanntlich handelte es sich bei dieser Theologie und Praxis um eine marxistisch angehauchte und naturalistische Uminterpretation des Evangeliums. Anapolis gehörte zudem zu einer Region Brasiliens, die als Hochburg der Theologie der Befreiung galt. Jahrelang war Dr. Dollinger in Anapolis Regens des diözesanen Priesterseminars sowie Rektor des Institutum Sapientiae, einer dem Orden vom Heiligen Kreuz angehörenden Philosophisch-Theologischen Hochschule. In diesem seinen Einsatz wurde er stets anerkennend vom Bekennerbischof von Anapolis Dom Manoel Pestana unterstützt. In Brasilien ließ Dr. Dollinger nicht nur einen Teil seiner Gesundheit, sondern vor allem sein großes priesterliches Herz zurück. Keine geringe Zahl von brasilianischen Priestern und nicht wenige deutsche, aber auch afrikanische Priester betrachten ihn als ihren priesterlichen Vater und Lehrer. Ich selbst hatte die Freude, in Dr. Dollinger einen vorbildlichen priesterlichen Lehrer gehabt zu haben, wofür ich stets dankbar bleibe.
Aus Afrika schrieb mir ein Priester folgende bewegende Worte zum Heimgang Dr. Dollingers: „Herzliches Beileid zum Heimgang unseres lieben Vaters in Christus und im Glauben. Wenn es Kopien von menschlichen Personen geben könnte, so könnte es dennoch keinen anderen Hochwürden Dollinger geben!!! Er war eine Gabe, ein Wunder Gottes in unserer Zeit, ein Geschenk für die heilige Kirche, ein Erzieher einer neuen Generation von Priestern!!! Glücklich sind jene, die seine Vorlesungen erleben und hören konnten. Aber noch glücklicher werden jene sein, die seinen Eifer, seine Liebe und sein priesterliches Beispiel werden fortsetzen können. Ich bitte Sie: nehmen Sie uns seine Schüler alle mit zu seiner Beerdigung, um vor seinem aufgebahrten Leib zu beten, welcher ohne Zweifel im Zustand des „odorem suavitatis“ (des lieblichen Wohlgeruchs) sein wird!!“
Ein bleibendes und kirchengeschichtlich bedeutsames Verdienst von Hochwürden Dr. Dollinger war seine tatkräftige Hilfe, die er zusammen mit Bischof Josef Stimpfle und der Deutschen Bischofskonferenz dem Heiligen Stuhl anbot in der theologischen und kirchenrechtlichen Beurteilung der Freimaurerei. Dieser Beitrag war ausschlaggebend für die im Jahre 1983 erfolgte Feststellung der Glaubenskongregation, welche besagt, dass die Grundsätze und die Praxis der Freimaurerei in schwerwiegender Weise dem katholischen Glauben widersprechenden und dass sich deswegen Mitglieder der Freimaurer objektiv im Zustand einer schweren Sünde befinden und folglich nicht die Heilige Kommunion empfangen dürfen.
Hochwürden Dr. Ingo Dollinger, ein von Gott ganz ergriffener Priester. Viele Menschen können es bezeugen, dass sich seine Augen mit Tränen füllten, wenn er von Gott, und insbesondere wenn er von der Heiligsten Dreifaltigkeit sprach. Es war gleichsam eine Aufmerksamkeit der Vorsehung Gottes, dass Er Seinen treuen Diener aus diesem Leben zu Sich am Hochfest der Heiligsten Dreifaltigkeit rief, und zwar als die Zeit des Vesperoffiziums anbrach, wo die Kirche diese Worte singt: „Iam sol recedit igneus, Tu lux perennis Unitas, nostris, beata Trinitas, infunde amorem cordibus“, „Während nun die feuerstrahlende Sonne untergeht, gieße ein unseren Herzen die Liebe, Du Licht, Du ewige Einheit, Du selige Dreifaltigkeit“.
Bitten wir, dass die Seele von Hochwürden Dr. Dollinger nun immer mehr von diesem Licht erfüllt wird, um gereinigt bald die Liebe der Heiligsten Dreifaltigkeit zu schauen. „Den König, dem alles lebt, kommt wir beten Ihn an! Regem, Cui omnia vivunt, venite, adoremus!“ Amen.
+ Athanasius Schneider, Weihbischof von Astana
Opfenbach/Kirche St. Nikolaus, 19. Juni 2017
Bild: OnePeterFive