
Der katholische Hospitalorden Broeders van Liefde (Brüder der Liebe) sorgt in der katholische Kirche für heftige Diskussionen, weil der belgische Zweig des Ordens Ende April bekanntgab, in seinen Krankenhäusern und Betreuungseinrichtungen die Euthanasie einzuführen. Über den Orden und dessen Vergangenheit informiert unser Autor.
Von Ferdinand Boischot
Die „Brüder von Liebe“ (fratres caritate) wurden vor 210 Jahren vom Genter Kanonikus Petrus Josephus Triest (1760–1836) gegründet.
Petrus Triest (übrigens nicht verwandt mit dem Renaissance-Bischof von Brügge und Gent, Antonius Triest) stammte aus bescheidenen Verhältnissen: geboren in Brüssel in einer kinderreichen Familie, Sohn eines Schmieds und Enkel von Landwirten, konnte er mit Hilfe von Schulstipendien die Lateinschulen der Jesuiten und der Augustiner besuchen. Später hielt er sich länger in Geel (Provinz Antwerpen) auf, wo seit Jahrhunderten psychisch Kranke bei Bauern zu Hause gepflegt wurden.
Nach dem Studium an der Universität Löwen und im Großseminar Mecheln wurde Triest 1786 zum Priester geweiht. Kaum zum Vikar geworden, geriet er in den Strudel der Revolutionen in den südlichen Niederlanden. Triest blieb romtreu und katholisch und ging vorübergehend in den Untergrund.
Das gewaltige Elend und die fortschreitende Proletarisierung der Bevölkerung sehend, gründete Triest 1800 eine Armenschule für Waisenmädchen und 1803 mit bischöflicher Unterstützung eine kleine Frauenkongregation, die „Schwestern der Liebe von Jesus und Maria“, die rasch wuchs und 1816 päpstlich approbiert wurde.
Die kirchliche und staatliche Obrigkeit (zunächst die revolutionäre französische Besatzung, dann die holländischen Behörden (1815–1830) und schließlich die belgischen (ab 1831) unterstützten Kanonikus Triest bei seinem vielfältigen karitativen Einsatz.

Ab 1807 war Triest in der Stadt Gent verantwortlich für die Armensorge, für Waisen und Findlinge, für die Altenpflege, für Seelenkranke, für die Unterbringung von Bettlern und Landstreichern und besonders für die städtischen Spitäler.
Im selben Jahr 1807 gründete Triest eine männliche Kongregation, die „Brüder Hospitalier von St. Vincentius“, etwas später in „Brüder der Liebe“ (Fratres caritate/Broeders van Liefde) umbenannt.
Kennzeichnend für diese Kongregation war eine intensive Verknüpfung von monastischem Lebensstil mit gemeinschaftlichem Gebet und Frömmigkeitsübungen, stark angelehnt an die Zisterzienser (der durch die Revolution aus seinem aufgehobenen Orden vertriebene Zisterzienser Simon Bernhardus Denoter wurde der erste Generalobere der neuen Kongregation), mit zugleich karitativen und erzieherischen Aufgaben.
Eine weitere Charakteristik war die intensive Zusammenarbeit mit kirchlichen und staatlichen Stellen und mit psychiatrisch interessierten Ärzten (z.B. Dr. Jozef Guislain mit zwei großen Einrichtungen für Geisteskranke in Gent; später in vielen Städten in Belgien).
Ab 1814 folgte die Gründung und der Ausbau eines großen Schulnetzwerks für ärmere Kinder, ab 1925 auch für Taubstumme und Blinde.
Das Engagement von Triest wurde schon zu Lebzeiten sehr gewürdigt:
er wurde Kanonikus an der Kathedrale von Gent (1807 Ehrenkanonikus, 1825 Titularkanonikus); es erfolgten mehrere Ordensverleihungen im Königreich der Niederlande; er wurde 1833 Ritter des Leopoldsordens von Belgien; 1834 erhielt er bemerkenswerterweise als „Wohltäter der Menschheit“ die Medaille der (freimaurerisch orientierten) Société Philantropique Montyon et Franklin verliehen.
Nach seinem Tod wurde es rasch ziemlich still um Kanonikus Triest: 1846 wurde ihm zu Ehren in der Brüsseler Kathedrale eine Gedenkplatte angebracht, 1961 idem im Spital Bijlokehof in Gent.
2001 hat das Bistum Gent in Rom einen Antrag auf Seligsprechung gestellt.
Die von Triest gegründete Kongregation entwickelte sich sehr schnell. In den innenpolitischen Kämpfen zwischen Katholiken und Liberalen in Belgien mit rasch fortschreitender Segregation („Versäulung“) wurde dieser Orden durch seinen sozialen Einsatz und seine zunehmende Größe zu einem der wichtigsten Elemente des katholischen Lebens in Flandern.
Der Orden dominierte alsbald das Oligopol der Sozialfürsorge in Belgien. Finanziell am Anfang sehr wacklig, wurde er vom Staat immer wieder großzügig unterstützt.
Die Bischöfe haben den Orden stets unterstützt und geschützt, auch bei schlimmsten Problemen. Mindestens ein Weihbischof hatte die Schule bei den Brüdern besucht.
Der Orden hat sich politisch immer sehr belgischnational verhalten. Parteipolitisch war er auf das Engste mit den Christdemokraten verknüpft.
Seine Spezialeinrichtungen (z.B. das christliche Blindenwerk „Licht und Liebe“) hatten in Belgien faktisch ein Monopol.
Die Größe und der Einfluß des Ordens heute läßt sich schwer bemessen:
das Personal-und Freundesblatt Dichtbij/Approches hat etwa eine Auflage von 12.500 Stück;
2017 befinden sich insgesamt 3.200 psychiatrische Betten in Flandern in der Hand des Ordens.
Der Umsatz in Belgien kann grob geschätzt werden auf etwa eine Viertel Milliarde Euro jährlich.
1865 wurde die erste Niederlassung in Kanada gegründet, 1911 in der belgischen Kolonie Kongo, 1992 in Rumänien.
Heute ist der Orden in 26 Ländern aktiv :
Provinz Europa:
- Region St. Vincentius (Belgien, Rumänien, Ukraine)
- Region St. Maria (Niederlande)
- Region Vereintes Königreich und Irland
- Region Italien
Provinz Afrika:
- Region Kongo-Kinshasa, Ruanda, Burundi, Kenia und Tansania
- Region Südafrika
- Region Elfenbeinküste
Provinz Asien:
- Region Pakistan und Indien
- Region Sri Lanka und Indonesien
- Region Vietnam, Japan, Philippinen und Papua-Neuguinea
Provinz Amerika:
- Region Vereinte Staaten und Kanada
- Region Brasilien
- Region Peru
Text: Ferdinand Boischot
Bild: Wikicommons