Jene, die dem Pontifikat von Franziskus nachtrauern, können aufatmen: Papst Leo XIV. hat geliefert. Bei der traditionellen Weihnachtsansprache an die Römische Kurie präsentierte sich der neue Pontifex ganz in der Linie seines „verehrten“ Vorgängers. So sehr, daß man stellenweise den Eindruck gewinnen konnte, die Rede sei von diesem posthum diktiert worden – oder zumindest von dessen Redenschreibern beeinflusst worden. Sogar eines der Lieblingswörter des Verstorbenen, die von ihm allgegenwärtig gewitterte „Rigidität“, feierte ein verläßliches Comeback.
Mit akribischer Aufmerksamkeit registrierten die einschlägigen Kommentatoren zunächst empört, daß Kardinaldekan Giovanni Battista Re in seiner Grußadresse den verstorbenen Papst nicht erwähnt hatte. Umso größer war die Genugtuung, als Leo XIV. dieses vermeintlich unerträgliche Versäumnis umgehend korrigierte, indem er seine Rede mit einer ausdrücklichen Erinnerung an Franziskus und einer Würdigung seines Pontifikats eröffnete.
Man darf auch an dieser Stelle immerhin festhalten, daß Leo auf die scharfen Etikettierungen verzichtete, die sein Vorgänger zu diesem Anlaß regelmäßig bemühte. Doch darüber hinaus wird sie jene noch mehr enttäuschen, die sich in und außerhalb Roms von Leo XIV. eine Wende erhofft hatten. Die Rede hinterläsßt Enttäuschung. Inhaltlich bot sie wenig Neues, vielmehr eine neue Variation bekannter Mahnungen, vertrauter Schlagworte und altbekannter Warnungen vor Ideologien und innerkirchlicher Verhärtung, an denen bisher vor allem nur einer Gefallen gefunden hatte, der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri. Hier der vollständige Wortlaut in der offiziellen Übersetzung des Vatikans:
ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS LEO XIV.
BEIM WEIHNACHTSEMPFANG DER RÖMISCHEN KURIE
Segnungsaula
Montag, 22. Dezember 2025
Sehr geehrte Kardinäle,
verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!
Das Licht der Weihnacht kommt uns entgegen und lädt uns ein, die Neuheit wiederzuentdecken, die von der bescheidenen Grotte in Betlehem aus die Geschichte der Menschheit begleitet. Angezogen von dieser Neuheit, die die gesamte Schöpfung umfängt, wandeln wir in Freude und Hoffnung, denn der Retter ist uns geboren (vgl. Lk 2,11): Gott ist Mensch geworden, er ist unser Bruder geworden und bleibt für immer der Gott-mit-uns.
Mit dieser Freude im Herzen und mit tiefer Dankbarkeit können wir auf die Ereignisse blicken, die sich, auch im Leben der Kirche, zugetragen haben. Nun, kurz vor den Weihnachtsfeiertagen, möchte ich euch alle herzlich grüßen und dem Kardinaldekan für seine Worte danken, die stets voller Begeisterung sind: heute sagt uns der Psalm, dass wir siebzig Jahre leben, die Kräftigsten achtzig Jahre, und so feiern wir auch mit euch. Vor allem möchte ich an meinen geliebten Vorgänger Papst Franziskus erinnern, dessen irdisches Leben in diesem Jahr zu Ende gegangen ist. Seine prophetische Stimme, sein pastoraler Stil und sein reichhaltiges Lehramt haben den Weg der Kirche in diesen Jahren gekennzeichnet und uns vor allem ermutigt, die Barmherzigkeit Gottes wieder in den Mittelpunkt zu stellen, der Evangelisierung größeren Schwung zu verleihen, eine frohe und freudige Kirche zu sein, die alle annimmt und den Ärmsten Aufmerksamkeit schenkt.
Ausgehend von seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium möchte ich auf zwei grundlegende Aspekte des kirchlichen Lebens zurückkommen: die Mission und die Gemeinschaft.
Die Kirche ist von Natur aus extrovertiert, auf die Welt ausgerichtet, missionarisch. Sie hat von Christus die Gabe des Heiligen Geistes empfangen, um allen die Frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu verkünden. Als lebendiges Zeichen dieser göttlichen Liebe zur Menschheit existiert die Kirche, um einzuladen, zu rufen und zum Festmahl zu versammeln, das der Herr für uns bereitet, damit jeder sich als geliebtes Kind, als Bruder und Schwester seines Nächsten, als neuer Mensch nach dem Bild Christi und damit als Zeuge der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Friedens erfahren kann.
Evangelii gaudium ermutigt uns, in der missionarischen Umgestaltung der Kirche voranzuschreiten, die ihre unerschöpfliche Kraft im Auftrag des auferstandenen Christus findet. »Heute sind in diesem „Geht“ Jesu die immer neuen Situationen und Herausforderungen des Evangelisierungsauftrags der Kirche gegenwärtig, und wir alle sind zu diesem neuen missionarischen „Aufbruch“ berufen« (EG, 20). Dieser Missionsauftrag ergibt sich aus der Tatsache, dass Gott selbst sich zuerst auf den Weg zu uns gemacht und in Christus gekommen ist, um uns zu suchen. Die Mission hat ihren Ursprung im Herzen der Heiligsten Dreifaltigkeit: Gott hat nämlich seinen Sohn geweiht und in die Welt gesandt, damit »jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat« (Joh 3,16). Der erste große „Exodus“ ist also derjenige Gottes, der aus sich selbst herausgeht, um uns entgegenzukommen. Das Geheimnis von Weihnachten verkündet uns genau dies: Die Mission des Sohnes besteht in seinem Kommen in die Welt (vgl. Augustinus, De Trinitate, IV, 20.28).
So wird die Mission Jesu auf Erden, die im Heiligen Geist in der Mission der Kirche ihre Fortsetzung findet, zum Unterscheidungskriterium für unser Leben, für unseren Glaubensweg, für das kirchliche Handeln und auch für den Dienst, den wir in der Römischen Kurie leisten. Die Strukturen dürfen nämlich den Weg des Evangeliums nicht erschweren oder verlangsamen oder die Dynamik der Evangelisierung behindern; im Gegenteil, wir müssen »dafür sorgen, dass sie alle missionarischer werden« (Evangelii gaudium, 27).
Daher sind wir alle aufgrund unserer gemeinsamen Verantwortung aus der Taufe dazu aufgerufen, an der Sendung Christi teilzunehmen. Auch die Arbeit der Kurie muss von diesem Geist beseelt sein und die pastorale Sorge im Dienst der Teilkirchen und ihrer Hirten fördern. Wir benötigen eine immer missionarischere Römische Kurie, in der die Institutionen, Ämter und Aufgaben auf die großen kirchlichen, pastoralen und sozialen Herausforderungen der heutigen Zeit ausgerichtet sind und nicht nur der Gewährleistung der laufenden Verwaltung dienen.
Zugleich ist im Leben der Kirche die Mission eng mit der Gemeinschaft verbunden. Das Geheimnis von Weihnachten feiert nämlich die Sendung des Sohnes Gottes unter uns und blickt zugleich auf ihr Ziel: Gott hat die Welt durch Christus mit sich versöhnt (vgl. 2 Kor 5,19) und uns in ihm zu seinen Söhnen und Töchtern gemacht. Weihnachten erinnert uns daran, dass Jesus gekommen ist, um uns das wahre Antlitz Gottes zu offenbaren, nämlich das eines Vaters, damit wir alle seine Kinder und somit Brüder und Schwestern untereinander werden können. Die Liebe des Vaters, die Jesus in Taten der Befreiung und in seiner Verkündigung verkörpert und offenbart, befähigt uns im Heiligen Geist, Zeichen einer neuen Menschheit zu sein, die nicht mehr auf der Logik des Egoismus und Individualismus beruht, sondern auf gegenseitiger Liebe und Solidarität.
Dies ist eine äußerst dringende Aufgabe, sowohl ad intra als auch ad extra.
Sie ist es ad intra, weil die Gemeinschaft in der Kirche immer eine Herausforderung bleibt, die uns zur Umkehr aufruft. Manchmal lauern hinter einer scheinbaren Ruhe die Geister der Spaltung. Und diese verleiten uns dazu, zwischen zwei gegensätzlichen Extremen hin und her zu schwanken: entweder alles zu vereinheitlichen, ohne die Unterschiede zu würdigen, oder im Gegenteil die Unterschiede und Sichtweisen überzubetonen, anstatt die Gemeinschaft zu suchen. So besteht in den zwischenmenschlichen Beziehungen, in den internen Dynamiken der Ämter und Rollen oder bei der Behandlung von Themen, die den Glauben, die Liturgie, die Moral oder andere Bereiche betreffen, die Gefahr, der Starrheit oder Ideologie zum Opfer zu fallen, mit den daraus resultierenden Entgegensetzungen.
Wir sind jedoch die Kirche Christi, wir sind seine Glieder, sein Leib. Wir sind Brüder und Schwestern in ihm. Und in Christus sind wir, obwohl wir viele und unterschiedlich sind, eins: „In Illo uno unum”.
Wir sind, auch und vor allem hier in der Kurie, dazu gerufen, Baumeister der Gemeinschaft Christi zu sein, die danach verlangt, in einer synodalen Kirche Gestalt anzunehmen, in der alle an derselben Mission zusammenarbeiten und mitwirken, jeder entsprechend seinem Charisma und der ihm übertragenen Aufgabe. Dies lässt sich jedoch weniger mit Worten und Dokumenten als vielmehr durch konkrete Gesten und Haltungen erreichen, die sich in unserem Alltag, auch im Arbeitsumfeld, manifestieren müssen. Ich möchte gerne daran erinnern, was der heilige Augustinus in seinem Brief an Proba schrieb: »So ist in allen menschlichen Dingen dem Menschen nichts freundlich ohne einen Freund.« Mit einem Hauch von Bitterkeit fragte er sich jedoch: »Aber wie selten wird ein Freund gefunden, über dessen Gesinnung und Charakter in diesem Leben volle Gewissheit besteht!« (Brief an Proba, 130, 2.4).
Diese Bitterkeit macht sich manchmal auch unter uns breit, wenn wir, vielleicht nach vielen Jahren im Dienst der Kurie, mit Enttäuschung feststellen, dass sich einige Dynamiken, die mit der Ausübung von Macht, dem Streben nach Vorrang und der Pflege eigener Interessen zusammenhängen, nur schwer ändern lassen. Und man fragt sich: Können wir in der Römischen Kurie Freunde sein? Können wir freundschaftliche, geschwisterliche Beziehungen pflegen? Es ist schön, wenn es bei all den täglichen Anstrengungen Freunde gibt, denen wir vertrauen können, wenn Masken und Heimlichtuereien abfallen, wenn Menschen nicht ausgenutzt und übergangen werden, wenn man sich gegenseitig hilft, wenn man den Wert und die Kompetenz jedes Einzelnen anerkennt und so Unzufriedenheit und Groll vermeidet. Es gibt eine persönliche Umkehr, die wir anstreben und verfolgen müssen, damit in unseren Beziehungen die Liebe Christi durchkommen kann, die uns zu Brüdern und Schwestern macht.
Dies wird auch ad extra zu einem Zeichen, in einer Welt, die von Zwietracht, Gewalt und Konflikten verwundet ist, in der wir auch eine Zunahme von Aggressivität und Wut beobachten, die nicht selten von der digitalen Welt wie auch von der Politik instrumentalisiert werden. Die Geburt des Herrn bringt das Geschenk des Friedens mit sich und lädt uns ein, in einem allzu zersplitterten menschlichen und kulturellen Umfeld zu einem prophetischen Zeichen dafür zu werden. Die Arbeit der Kurie und der Kirche im Allgemeinen muss auch in diesem weiten Horizont gedacht werden: Wir sind keine kleinen Gärtner, die sich um ihren eigenen Garten kümmern, sondern wir sind Jünger und Zeugen des Reiches Gottes, die berufen sind, in Christus Sauerteig einer universalen Geschwisterlichkeit zwischen verschiedenen Völkern, verschiedenen Religionen, zwischen Frauen und Männern aller Sprachen und Kulturen zu sein. Und dies geschieht, wenn wir zuerst selbst als Brüder und Schwestern leben und das Licht der Gemeinschaft in der Welt aufleuchten lassen.
Meine Lieben, Mission und Gemeinschaft sind möglich, wenn wir Christus wieder in den Mittelpunkt stellen. Das Heilige Jahr hat uns daran erinnert, dass nur er die Hoffnung ist, die nicht vergeht. Und gerade während des Heiligen Jahres haben uns wichtige Jahrestage an zwei weitere Ereignisse erinnert: das Konzil von Nizäa, das uns zu den Wurzeln unseres Glaubens zurückführt, und das Zweite Vatikanische Konzil, das durch seine Ausrichtung auf Christus die Kirche gefestigt und dazu bewegt hat, auf die Welt zuzugehen und auf die Freuden und Hoffnungen, die Trauer und die Ängste der Menschen von heute zu hören (vgl. Gaudium et spes, 1).
Abschließend möchte ich daran erinnern, dass vor fünfzig Jahren, am Tag der Unbefleckten Empfängnis, das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi von Papst Paul VI. veröffentlicht wurde, das nach der dritten Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode verfasst worden war. Darin werden unter anderem zwei Dinge betont, an die ich hier erinnern möchte: dass »es die ganze Kirche ist, die die Sendung zur Evangelisierung empfängt, und die Mitwirkung jedes einzelnen […] für das Ganze von Wichtigkeit« ist (Nr. 15); und gleichzeitig die Überzeugung, dass »das Zeugnis eines echt christlichen Lebens mit seiner Hingabe an Gott in einer Gemeinschaft, die durch nichts zerstört werden darf, und gleichzeitig mit einer Hingabe an den Nächsten in grenzenloser Einsatzbereitschaft der erste Weg der Evangelisierung« ist (Nr.41).
Denken wir daran, auch in unserem Dienst in der Kurie: Die Arbeit jedes Einzelnen ist wichtig für das Ganze, und das Zeugnis eines christlichen Lebens, das in der Gemeinschaft Ausdruck findet, ist der erste und größte Dienst, den wir tun können.
Eminenzen, Exzellenzen, liebe Brüder und Schwestern, der Herr steigt vom Himmel nieder und beugt sich zu uns herab. Wie Bonhoeffer schrieb, als er über das Geheimnis von Weihnachten nachdachte: »Gott schämt sich der Niedrigkeit des Menschen nicht, er geht mitten hinein […]. Gott […] liebt das Verlorene, das Unbeachtete, Unansehnliche, das Ausgestoßene, das Schwache und Zerbrochene« (D. Bonhoeffer, London 1933–1935, DBW 13, 339f). Möge der Herr uns seine Nachsicht, sein Mitgefühl und seine Liebe schenken, auf dass wir jeden Tag seine Jünger und Zeugen sein können.
Ich wünsche euch allen von Herzen gesegnete Weihnachten. Der Herr bringe uns sein Licht und schenke der Welt Frieden!
Einleitung: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screnshot)

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