
Unter Papst Franziskus gab es eine regelrechte Flut an Interviews, Gesprächsbüchern, Biographien und „Autobiographien“ (z. B. hier). In der Kirche haben viele die seit vier Monaten währende Veröffentlichungsstille als wohltuend empfunden. Doch damit ist es nun vorbei: Gestern ist das erste Gesprächsbuch von Papst Leo XIV. erschienen.
Das Buch basiert auf einem exklusiven Interview, das der neue Papst – wenig überraschend – einem US-amerikanischen Medium gewährte. Genauer gesagt: Leo XIV. sprach mit der Journalistin Elise Ann Allen, die für das katholische Nachrichtenportal Crux mit besonderem Schwerpunkt auf den Vatikan tätig ist.
Crux, 2014 von John L. Allen Jr. im Rahmen des Boston Globe gegründet, ist für seine Fachkompetenz bekannt, vertritt dabei jedoch einen moderat progressiven Kurs. Die Interviewpartnerin von Papst Leo XIV. ist – trotz des gleichen Familiennamens – nicht mit dem Gründer und Chefredakteur verwandt.
Die Wahl dieses Mediums läßt erkennen, daß Leo XIV. mit dem Buch den kirchlichen und medialen Mainstream ansprechen will. Bemerkenswerter jedoch ist die Wahl der Gesprächspartnerin: Elise Ann Allen gilt als eine der schärfsten Kritikerinnen des peruanischen Sodalicio de Vida Cristiana (Sodalitium des Christlichen Lebens). Sie ist als Vatikanistin für Crux tätig.

Leo XIV., dem zwar in anderem Zusammenhang Untätigkeit im Kampf gegen Mißbrauchsfälle vorgeworfen wurde, schritt seinerzeit als Bischof von Chiclayo in Peru energisch gegen Mißbrauchsfälle durch Tatverdächtige aus den Reihen des Sodalicio de Vida Cristiana ein.
Der unter Papst Franziskus geführte Kampf gegen das Sodalitium schlug in der Kirche Perus erhebliche Wunden. Jenseits persönlicher Schuld, mit der sich Mitglieder durch sexuellen Mißbrauch befleckt haben, hatte der bergoglianische Kampf gegen das Sodalitium stets den Beigeschmack einer ideologischen Konfrontation. Das 1971 gegründete Sodalitium verstand sich als Gegengewicht zum starken befreiungstheologischen Einfluß in Peru und insgesamt in Lateinamerika. Diese Ausrichtung brachte ihm viel Feindschaft und starke Gegner – in und außerhalb der Kirche. Unter Franziskus, der den Kampf gegen den sexuellen Mißbrauch von Minderjährigen sehr selektiv führte und vor dem Hauptgrund, der Homosexualität bewußt die Augen verschloß, wurde der Kampf eindeutig entschieden, indem er Anfang des Jahres die Gemeinschaft vollständig auflöste. Das Sodalitium, einst eine Kraft in Lateinamerika und wichtiger Bezugspunkt für Katholiken, die sich mit dem linken Zeitgeist nicht abfinden wollten, existiert nicht mehr. Eine Woche vor seinem Tod wurde die von Franziskus betriebene Auflösung vollzogen.
Das Buch trägt den Titel „Leo XIV.: Weltbürger, Missionar des 21. Jahrhunderts“ und wurde zunächst in Peru in spanischer Sprache vom Verlag Penguin Random House herausgegeben, dessen Hauptsitz sich in New York befindet – ein Unternehmen der deutschen Bertelsmann-Gruppe. Die englische Ausgabe ist in Vorbereitung.
In dem Buch spricht Leo XIV. laut Ankündigung unter anderem über die Plage des sexuellen Mißbrauchs durch Kleriker, aber auch über die Rolle der Frau in der Kirche und die „Inklusion“ der sich selbst so bezeichnenden „LGBTQ+-Gemeinschaft“.
Der Verlag schreibt dazu:
„Die Journalistin Elise Ann Allen, Rom-Korrespondentin des renommierten, auf vatikanische Themen spezialisierten Portals Crux (und sehr gut mit dem Sodalitium-Fall in Peru vertraut), zeichnet ein detailliertes und scharfsinniges Porträt des Menschen, der heute auf dem Stuhl Petri sitzt: seine Kindheit in Chicago, seine frühe Berufung, die Werte, die ihn als Augustiner geprägt haben, seine lange und beständige Tätigkeit als Missionar in Lateinamerika, insbesondere in Peru, seine ausgeprägte Führungsrolle in verschiedenen Bereichen der Kirche, seine Beziehung zu seinem Vorgänger Jorge Mario Bergoglio und seine letzte Etappe als Kardinal und Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe im Vatikan, die ihn letztlich als echten ‚Weltbürger‘ etablierte. All diese Facetten sind von besonderer Bedeutung, um vorauszusehen, wie Leo XIV. das Papstamt in einer polarisierten und sich ständig wandelnden Welt prägen könnte. Welche Kontinuitäten – aber auch welche Unterschiede – zeichnen sich bereits in den ersten Wochen seines Pontifikats ab?“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Crux (Screenshot)
Hinterlasse jetzt einen Kommentar