Nigerias Bischöfe sehen US-Militäraktion gegen Dschihad-Milizen als Hoffnung

Weihnachten ohne Terror. Die Gesamtlage bleibt aber prekär


Dank der US-Militäraktion konnten die Christen Nigerias erstmals seit Jahren Weihnachten ohne Terror und Gewalt erleben
Dank der US-Militäraktion konnten die Christen Nigerias erstmals seit Jahren Weihnachten ohne Terror und Gewalt erleben

Die katho­li­sche Kir­che in Nige­ria hat die kürz­lich erfolg­ten Mili­tär­ope­ra­tio­nen der USA gegen den Ter­ro­ris­mus des Isla­mi­schen Staa­tes (IS) auf nige­ria­ni­schem Boden vor­sich­tig, aber grund­sätz­lich posi­tiv bewer­tet. In der Ope­ra­ti­on, die in enger Abstim­mung mit der nige­ria­ni­schen Regie­rung durch­ge­führt wur­de, sehen die Bischö­fe einen Hoff­nungs­schim­mer für eine Bevöl­ke­rung, die seit über fünf­zehn Jah­ren unter Ter­ror, Auf­stän­den und Ban­di­ten­tum isla­mi­scher Grup­pen leidet.

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Die Angrif­fe rich­te­ten sich auf ter­ro­ri­sti­sche Zie­le im Staat Soko­to im Nord­we­sten des Lan­des und erfolg­ten unter Koope­ra­ti­on der nige­ria­ni­schen Streit­kräf­te. Offi­zi­el­le Ver­tre­ter aus Washing­ton beton­ten den koor­di­nier­ten Cha­rak­ter der Ope­ra­ti­on und dank­ten der nige­ria­ni­schen Regie­rung für ihre Unterstützung.

Über das Ein­grei­fen der USA läßt sich dis­ku­tie­ren. Tat­sa­che ist jedoch, daß die inter­na­tio­na­le Staa­ten­ge­mein­schaft jah­re­lang weg­schau­te und dem isla­mi­sti­schen Mor­den in Nige­ria nicht Ein­halt gebot, wäh­rend sich die nige­ria­ni­sche Regie­rung als unfä­hig zeig­te, aus eige­ner Kraft zu handeln. 

Vorsichtige, aber positive Bewertung durch die Kirche

Bischof Emma­nu­el Ade­toy­ese Bade­jo von der Diö­ze­se Oyo unter­strich die Bedeu­tung, daß die Mili­tär­ak­ti­on als gemein­sa­mes Unter­neh­men prä­sen­tiert wur­de. Dies kön­ne, so der Bischof, die übli­che Poli­ti­sie­rung sicher­heits­po­li­ti­scher Maß­nah­men in einem stark pola­ri­sier­ten Land abmil­dern. Er erin­ner­te dar­an, daß die nige­ria­ni­sche Regie­rung – die aus Mus­li­men und Chri­sten besteht, den Nor­den und den Süden ver­tritt, und daher zahl­rei­che Rück­sicht­nah­men erfol­gen – die Gewalt gegen Chri­sten nicht als „Geno­zid“ ein­stuft, jedoch die anhal­ten­de Unsi­cher­heit, beson­ders im Nor­den, aner­kennt und inter­na­tio­na­le Unter­stüt­zung erbe­ten hat.

Msgr. Bade­jo wies zudem dar­auf hin, daß die Ope­ra­ti­on von wei­ten Tei­len der Bevöl­ke­rung – Chri­sten wie Mus­li­men – als mög­li­cher Rich­tungs­wech­sel wahr­ge­nom­men wer­de. Ähn­li­che Töne fand Pater Patrick Alu­mu­ku, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­lei­ter der Erz­diö­ze­se Abu­ja. Er beton­te, daß die Zusam­men­ar­beit zwi­schen Nige­ria und den USA ein kla­res Signal sen­de: Die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft igno­riert die Gewalt im Land nicht länger.

Beson­ders bemer­kens­wert sei, daß in die­sem Jahr zu Weih­nach­ten kei­ne Angrif­fe auf Kir­chen regi­striert wur­den – ein Zeit­raum, der in den ver­gan­ge­nen Jah­ren regel­mä­ßig von Dschi­ha­di­sten-Grup­pen gezielt genutzt wur­de, um maxi­ma­le Wir­kung zu erzie­len – was kon­kret meist vie­le tote und ver­letz­te Chri­sten bedeutet.

Realität vs. romantische Symbolik

Die­ser Umstand ist bedeut­sam vor dem Hin­ter­grund bestimm­ter euro­päi­scher Stim­men inner­halb der Kir­che, die Kon­flik­te mit dem radi­ka­len Islam, heu­te oft Isla­mis­mus genannt, gern sym­bo­lisch oder histo­risch ver­klärt dar­stel­len und igno­rie­ren. Ver­glei­che mit der Weih­nachts­ru­he 1914 im Ersten Welt­krieg, als deut­sche und fran­zö­si­sche Sol­da­ten gemein­sam san­gen oder Fuß­ball spiel­ten, wie sie jüngst wie­der zu hören waren, mögen gut gemeint sein, grei­fen jedoch an der gegen­wär­ti­gen Rea­li­tät vorbei.

Der Isla­mi­sche Staat und ver­gleich­ba­re dschi­ha­di­sti­sche Grup­pen ken­nen kei­ne Pau­sen im Respekt vor christ­li­chen Festen; sie pla­nen Anschlä­ge viel­mehr gezielt an sym­bo­lisch auf­ge­la­de­nen Ter­mi­nen, wie dem 25. Dezem­ber. Eine Les­art, die von huma­ni­tä­ren Pau­sen oder spon­ta­nen Gesten der Ver­söh­nung zwi­schen Geg­nern aus­geht, ver­kennt die Natur der isla­mi­sti­schen Bedrohung.

Grenzen militärischer Lösungen

So not­wen­dig und mora­lisch gebo­ten die Bekämp­fung bewaff­ne­ter Ver­bre­cher, Ter­ro­ri­sten und Ban­di­ten ist, so wenig darf dar­über hin­weg­ge­täuscht wer­den, daß mili­tä­ri­sche Maß­nah­men allein das nige­ria­ni­sche Grund­pro­blem nicht lösen wer­den kön­nen. Die dau­er­haf­te Gewalt ist nicht ledig­lich das Resul­tat man­geln­der Sicher­heit, wie es wie­der­holt behaup­tet wird, son­dern Aus­druck eines tief­grei­fen­den struk­tu­rel­len und reli­giö­sen Kon­flik­tes, der den Staat seit Jahr­zehn­ten zerreißt.

Nige­ria ist als Staat in sei­nen heu­ti­gen Gren­zen ein Pro­dukt der bri­ti­schen Kolo­ni­al­herr­schaft. Die Bri­ten hat­ten ab 1900 ihre kolo­nia­le Herr­schaft am Unter­lauf des Nigers mili­tä­risch durch­ge­setzt. Zuvor gab es in dem Gebiet ver­schie­de­ne König­rei­che, Herr­schaf­ten und Stadts­staa­ten. 1914 ver­ei­nig­te die bri­ti­sche Kolo­ni­al­macht ihre dor­ti­gen Besit­zun­gen zur Colo­ny and Pro­tec­to­ra­te of Nige­ria, wobei Groß­bri­tan­ni­en im Süden die Herr­schaft direkt, im Nor­den indi­rekt aus­üb­te. Die Gren­zen wur­den von Groß­bri­tan­ni­en fest­ge­legt, ohne die kom­ple­xen eth­ni­schen, sprach­li­chen oder kul­tu­rel­len Unter­schie­de der Bevöl­ke­rung zu berück­sich­ti­gen. 1960 wur­de Nige­ria mit die­sen künst­li­chen Gren­zen in die Unab­hän­gig­keit entlassen. 

Die zwang­haf­te, not­falls töd­li­che Auf­recht­erhal­tung die­ser will­kür­lich ent­stan­de­nen staat­li­chen Ein­heit Nige­ri­as hat sich als desta­bi­li­sie­ren­des poli­ti­sches Dog­ma erwie­sen, das immer neue Opfer for­dert, ohne den betrof­fe­nen Gemein­schaf­ten dau­er­haf­ten Schutz zu bie­ten. Beson­ders die christ­li­che Bevöl­ke­rung des Lan­des lebt seit Jah­ren unter einem per­ma­nen­ten, teils töd­li­chen Druck isla­mi­sti­scher Grup­pen, loka­ler Mili­zen und dschi­ha­di­sti­scher Netz­wer­ke, deren Gewalt nicht epi­so­disch, son­dern syste­ma­tisch ist.

Teilung als politischer Ausweg

Vor die­sem Hin­ter­grund erscheint die zurück­hal­ten­de, aber vor­han­de­ne Dis­kus­si­on über eine fried­li­che poli­ti­sche Neu­ord­nung des Lan­des nicht als Kapi­tu­la­ti­on, son­dern viel­mehr als rea­li­sti­scher Aus­weg. Eine Tei­lung Nige­ri­as in einen christ­lich gepräg­ten Süd­staat und einen eigen­stän­di­gen isla­mi­schen Nord­staat wür­de der reli­giö­sen und kul­tu­rel­len Rea­li­tät des Lan­des Rech­nung tra­gen und den Chri­sten erst­mals die Mög­lich­keit eröff­nen, in einem eige­nen staat­li­chen Rah­men Sicher­heit, Recht und kul­tu­rel­le Kon­ti­nui­tät zu gewährleisten.

Eine sol­che Lösung wäre ein Ver­such, dau­er­haf­te Gewalt durch poli­ti­sche Klar­heit zu erset­zen. Staa­ten, die auf dau­er­haft unver­ein­ba­ren Ord­nungs­prin­zi­pi­en beru­hen, las­sen sich nicht unbe­grenzt durch Zwang zusam­men­hal­ten, ohne ihre Bür­ger zu opfern. Sozi­al­ro­man­ti­ker ver­su­chen auf Kosten ande­rer, sinn­lo­se „Ein­hei­ten“ zwang­haft zu erhal­ten: Das EU-Pro­tek­to­rat Bos­ni­en und Her­ze­go­wi­na könn­te als ein sol­ches Nega­tiv­bei­spiel genannt werden.

Verteidigung der Zivilbevölkerung als moralische Pflicht

Die posi­ti­ve Bewer­tung der nige­ria­ni­schen Geist­li­chen ent­springt nicht einem kriegs­trei­be­ri­schen Impuls, son­dern der kon­kre­ten Erfah­rung von Gemein­den, die wie­der­holt unter Angrif­fen gelit­ten haben. Aner­ken­nung und Unter­stüt­zung einer ent­schlos­se­nen Reak­ti­on auf Ter­ro­ris­mus bedeu­tet kei­ne Kriegs­ver­herr­li­chung, son­dern die Ver­tei­di­gung der Unschuldigen.

Lang­fri­stig jedoch wird der Schutz der Chri­sten Nige­ri­as weni­ger von der Stär­ke mili­tä­ri­scher Inter­ven­tio­nen abhän­gen als von der Bereit­schaft, poli­ti­sche Rea­li­tä­ten anzu­er­ken­nen und Struk­tu­ren zu schaf­fen, die Frie­den ermög­li­chen, statt ihn immer wie­der mit Gewalt erzwin­gen zu wollen.

Für die christ­li­chen Gemein­den ist die Abwe­sen­heit von Angrif­fen wäh­rend Weih­nach­ten kein blo­ßer sym­bo­li­scher Akt, son­dern ein rea­les, greif­ba­res Auf­at­men – aber zugleich eine Mah­nung, daß Sicher­heit ohne struk­tu­rel­le Lösun­gen pre­kär bleibt.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: snl​.no/​N​i​g​e​ria (Screen­shot)

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