Christus König und Gegenrevolution

Tagung "Per me reges regnant"


Per me reges regnant. Durch mich herrschen die Könige (Buch der Sprüche)
Per me reges regnant. Durch mich herrschen die Könige (Buch der Sprüche)

Am ver­gan­ge­nen 8. Novem­ber fand in Gri­ci­glia­no, dem Mut­ter­haus des Insti­tuts Chri­stus König und Hohe­prie­ster, die Tagung „Per me reges regnant“ statt. Die­se Stel­le aus dem Buch der Sprü­che (8,15) fin­det sich auf der Kai­ser­kro­ne des Hei­li­gen Römi­schen Reichs.

Anzei­ge

Von Gio­van­ni Formicola*

„Dixit itaque ei Pila­tus: ‚Ergo rex es tu?‘. Respon­dit Iesus: ‚Tu dicis quia rex sum‘ “. 

„Pila­tus sag­te zu ihm: ‚Also bist du doch ein König?‘ Jesus ant­wor­te­te: ‚Du sagst es, ich bin ein König‘ “
(Joh 18, 37). 

Jesus weist die Königs­herr­schaft nicht zurück, Er win­det sich nicht her­aus, Er fürch­tet nicht das Gewicht der Wor­te, Er ent­zieht sich nicht der „Inve­sti­tur“, Er lehrt nicht jene „fal­sche Beschei­den­heit“, jene Ver­fäl­schung der Demut, mit denen man Ehren mei­det, um deren Lasten nicht tra­gen zu müs­sen, oder mit denen man einen Ega­li­ta­ris­mus bekennt, der eben­so unbe­grün­det wie bloß zur Schau gestellt ist. 

Er erklärt sich, als Mensch und als Gott, als Mensch-Gott, zum „König des Uni­ver­sums“. Eine „Got­tes­lä­ste­rung“ für den San­he­drin, weil Er sich zu Gott macht; aber auch eine „Got­tes­lä­ste­rung“ für uns heu­ti­ge Men­schen, die wir Göt­zen­an­be­ter von Frei­heit und Gleich­heit sind, weil Er sich zum „Höhe­ren“ macht, sich als Auto­ri­tät kon­sti­tu­iert, weil Er bean­sprucht, zu „befeh­len“. Sei­ne Königs­herr­schaft kann in der Tat nicht die eines moder­nen „kon­sti­tu­tio­nel­len Königs“ sein, der herrscht, aber nicht regiert. Sie ist ent­we­der effek­tiv oder sie ist es nicht. Sie kann nur eine authen­ti­sche Sou­ve­rä­ni­tät sein: Jesus erklärt, daß Er der Herr ist. Der Ein­zi­ge und der Allei­ni­ge: Er ant­wor­tet dem Ver­tre­ter des mäch­tig­sten Herr­schers jenes Ortes und jener Zeit, und mild, aber bestimmt, pro­kla­miert Er sich als König, indem Er ihm sagt: „Du selbst erkennst mich als König an“, das heißt „auch jene zeit­li­che Macht, die du reprä­sen­tierst, ist mir unter­wor­fen“. Er ist wahr­lich Domi­nus Iesus, der Herr Jesus.

Und Er begnügt sich nicht damit, sich als König zu bezeich­nen. Er erklärt auch, daß sein Reich kein bana­les welt­li­ches Reich ist, dazu bestimmt, zu ent­ste­hen und unter­zu­ge­hen, einen Anfang und ein Ende zu haben, ein Reich für eini­ge, aber nicht für alle – in die­sem Sin­ne erklärt sich Jesus nicht zum Mon­ar­chen, denn sei­ne Königs­herr­schaft ist die der abso­lu­ten Emi­nenz, und er ver­wen­det den damals ver­ständ­lich­sten Begriff, um sie zu beschrei­ben. Unmit­tel­bar nach­dem er sich zum König erklärt hat, sagt er: 

„Ego in hoc natus sum et ad hoc veni in mund­um, ut testi­mo­ni­um per­hi­beam veritati“ 

„Dazu bin ich gebo­ren und dazu bin ich in die Welt gekom­men: um Zeug­nis für die Wahr­heit abzu­le­gen.“ (Joh 18, 37). 

Jesus ist König für die Wahr­heit und aus der Wahr­heit, Er selbst ist die Wahr­heit, die sich in Ihm offen­bart. Und da die Wahr­heit eine ist, von jeher, und für alle, ist Jesus ein­zig­ar­tig als König, ist Er auf immer König, ist Er für alle König.

Ich glau­be, daß nichts den moder­nen Men­schen so sehr skan­da­li­siert wie die­se Aus­sa­ge, ohne die jedoch der christ­li­che Glau­be sei­ner Essenz ent­leert ist. Denn er ist der Glau­be an jene Per­son, die sich als König der Wahr­heit und für die Wahr­heit bezeich­net hat, und Jesus in die­sem Punkt nicht ernst zu neh­men, bedeu­tet schlicht, Ihn über­haupt nicht ernst zu neh­men. Alles, was Er gesagt und getan hat, grün­det auf der Erklä­rung, der Herr zu sein, nicht einer von vie­len. Und der heu­ti­ge Mensch – so „beschei­den“, daß er sich der Wahr­heit nicht gewach­sen erklärt – kann alles ertra­gen, außer der Fest­stel­lung, daß die Wahr­heit exi­stiert und in irgend­ei­ner Wei­se erkenn­bar ist; mehr noch, daß es jeman­den gibt, der sie mit Auto­ri­tät leh­ren kann und der den Lehr­stuhl dafür errich­tet hat. Und lei­der scheint es, daß sich die­ses Wahr­heits­an­spru­ches auch vie­le schä­men, die ihn eigent­lich beken­nen sollten.

Aber viel­leicht gibt es eine ande­re Aus­sa­ge, die in die­sem Sich-als-König-Beken­nen Jesu impli­ziert ist und die noch skan­da­lö­ser klingt. Die Enzy­kli­ka von Papst Pius XI. Quas pri­mas1, mit der das lit­ur­gi­sche Hoch­fest Christ­kö­nig2 ein­ge­führt wur­de, lehrt klar, daß Jesus nicht nur König der Ein­zel­nen sein kann, nicht nur über die Her­zen der Men­schen herr­schen kann, son­dern daß Er auch über die Gesell­schaft herrscht, da „kein Unter­schied zwi­schen den ein­zel­nen Men­schen und dem häus­li­chen und bür­ger­li­chen Gemein­we­sen [besteht], denn die in Gesell­schaft ver­ein­ten Men­schen sind nicht weni­ger der Gewalt Chri­sti unter­stellt als die ein­zel­nen Men­schen. […] Die Füh­rer der Natio­nen sol­len sich daher nicht wei­gern, mit ihren Völ­kern das öffent­li­che Zeug­nis der Ehr­erbie­tung und des Gehor­sams gegen­über dem Reich Chri­sti abzu­le­gen». Und des­halb ver­ur­teilt sie «die Seu­che unse­res Zeit­al­ters […], den soge­nann­ten “Lai­zis­mus”», der «der Kir­che das Recht – das aus dem Recht Jesu Chri­sti ent­springt – bestrit­ten hat, […] die Völ­ker zu leh­ren, Geset­ze zu erlas­sen, die Völ­ker zu regie­ren, um sie zur ewi­gen Selig­keit zu füh­ren“.3

Gera­de die­ser Aspekt der Königs­herr­schaft – die, repe­tita iuvant, natür­lich als Titel der „Hoheit“ ver­stan­den wird und nichts mit der histo­risch bestimm­ten mon­ar­chi­schen Insti­tu­ti­on zu tun hat, so hoch­acht­bar die­se auch sein mag – den der Herr Jesus für die Welt bean­sprucht, ist wahr­schein­lich noch skan­da­lö­ser: ihre öffent­li­che Dimen­si­on, die sozia­le Königs­herr­schaft, erscheint unan­nehm­bar für jene, die mei­nen, der Glau­be sei allen­falls eine Pri­vat­sa­che. Aber ob es gefällt oder nicht, das Reich des Herrn kann kei­ne Gren­zen haben; und es ist ein for­dern­des Reich.

Viel­leicht wur­de Er des­halb mit Dor­nen gekrönt. Die­se höh­ni­sche Ant­wort auf die Erklä­rung Jesu, König zu sein, ist eine ewi­ge Mah­nung für jeden Chri­sten. Wenn es wahr ist, daß vie­le ihm gefolgt sind, Ihm fol­gen und ihm fol­gen wer­den, so ist es auch wahr, daß in der Geschich­te die­je­ni­gen wirk­ten, wir­ken und wir­ken wer­den, die der hei­li­ge Papst Johan­nes Paul II. als die „anti-evan­ge­li­sie­ren­de Front„4 bezeich­ne­te, bestehend aus den Fein­den Got­tes, die in der Geschich­te unab­läs­sig wie­der­ho­len: „Nolu­mus hunc regna­re super nos“, „Wir wol­len nicht, daß die­ser über uns herr­sche“ (Lk 19, 14).

Die Königs­herr­schaft Chri­sti ist daher, außer einer tröst­li­chen Rea­li­tät, auch eine Mis­si­on: Sie muß geför­dert und ver­tei­digt wer­den, in unse­ren Her­zen, aber auch in der Gesell­schaft, damit sie aner­kannt wird. Und in einer Gesell­schaft, in der die Ableh­nung die­ser Herr­schaft domi­niert, lei­der auch unter vie­len guten Gläu­bi­gen5, hat jener, der sich frei­wil­lig zu ihrem Unter­tan macht, eine prä­zi­se Auf­ga­be6. Heu­te nennt man das Neue­van­ge­li­sie­rung, das heißt kei­ne „neue“ Ver­kün­di­gung, son­dern „von Neu­em“ das immer­wäh­ren­de Evan­ge­li­um zu ver­kün­den. Aber ich zie­he es vor, Gegen­re­vo­lu­ti­on zu sagen, was ein Pro­zeß ist, der dem revo­lu­tio­nä­ren ent­ge­gen­ge­setzt ist, der im Lau­fe der Jahr­hun­der­te zur Ver­wü­stung des­sen geführt hat, was die christ­lich-abend­län­di­sche Zivi­li­sa­ti­on war. Und zwar durch vier Pha­sen – die reli­giö­se, die pseu­do-pro­te­stan­ti­sche Refor­ma­ti­on; die sozio-poli­ti­sche, die soge­nann­te Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on; die sozio-öko­no­mi­sche, die kom­mu­ni­sti­sche Revo­lu­ti­on, und die kul­tu­rel­le, in die wir ein­ge­taucht sind, das (emble­ma­ti­sche) ’68 und alle sei­ne liber­ti­nen, mani­pu­lie­ren­den Kon­se­quen­zen des huma­num in einer ech­ten anthro­po­lo­gi­schen Kata­stro­phe – denen die Anstren­gung ent­ge­gen­ge­setzt wer­den muß, ihren Weg zu unter­bre­chen und den gegen­wär­ti­gen Zustand des revo­lu­tio­nä­ren Durch­ein­an­ders zu kor­ri­gie­ren. Damit nicht nur die Her­zen, son­dern auch die Völ­ker, die Natio­nen, die Kul­tu­ren, die gesam­te Zivi­li­sa­ti­on neu evan­ge­li­siert wer­den und das sozia­le Reich Jesu Chri­sti von unten wie­der­her­ge­stellt wird – indem von oben das himm­li­sche Jeru­sa­lem herabsteigt.

Gegen­über die­ser Mis­si­on kann man nicht ein­wen­den, dass einem ent­thron­ten König nicht mehr Gehor­sam geschul­det wird als einem auf­ge­ho­be­nen Gesetz. Sie kann auch nicht auf eine nost­al­gi­sche Ope­ra­ti­on redu­ziert wer­den, eine Art anti-histo­ri­scher Legi­ti­mis­mus, der sich zum Ziel setzt, einer Dyna­stie, die zu Unrecht ihrer beraubt wur­de, den Thron zurück­zu­ge­ben. Die Chri­sten­heit kann nicht für end­gül­tig ver­lo­ren erklärt wer­den, und der Ver­zicht auf das sozia­le Reich Chri­sti ist, auch wenn er von hoch­ran­gi­gen, manch­mal sehr hoch­ran­gi­gen Kir­chen­män­nern kommt, per defi­ni­tio­nem nich­tig.

In der Tat ist die sozia­le Königs­herr­schaft Chri­sti kei­ne Tat­sa­che der Ver­gan­gen­heit, so wahr es auch ist, daß ihr heut­zu­ta­ge nicht nur der geschul­de­te Gehor­sam, son­dern sogar die Exi­stenz selbst und ihre Not­wen­dig­keit für die Stadt des Men­schen, die die gesam­te Geschich­te durch­zieht und die manch­mal nicht ein­mal die Gläu­bi­gen aner­ken­nen, ver­wei­gert wird. Die Königs­herr­schaft Chri­sti, die auch sozi­al ist, ist eine stets aktu­el­le Rea­li­tät, eine Tat­sa­che, die den wech­seln­den Geschicken der Geschich­te ent­zo­gen ist. Sie ist. Aber den Men­schen ist die tra­gi­sche Wahl gege­ben, sie zu ver­leug­nen, ihr zu ent­flie­hen, sie nicht zu respek­tie­ren, anstatt sich ihr füg­sam zu unter­wer­fen, so weit wie mög­lich post pec­ca­tum, eine Mög­lich­keit, der jedoch nie­mals die Unter­stüt­zung der Gna­de fehlt, die nie­man­dem ver­wei­gert wird, selbst dem, der sie nicht erbit­tet. Eine tra­gi­sche Wahl, weil sie nicht ohne Kon­se­quen­zen ist, obwohl sie vom König „respek­tiert“ wird, der das Ende der Zeit erwar­tet, um das Unkraut vom Wei­zen zu tren­nen (vgl. Mt 13, 24–30 und 37–42).

Doch inzwi­schen wird die Welt, die sich schritt­wei­se7 von jener histo­ri­schen Inkar­na­ti­on der sozia­len Königs­herr­schaft Chri­sti, die die christ­li­che Zivi­li­sa­ti­on, die soge­nann­te mit­tel­al­ter­li­che Chri­sten­heit, war, ent­fernt, die „moder­ne“ Welt, d. h. theo­pho­bisch und voll­stän­dig säku­la­ri­siert, immer unbe­wohn­ba­rer, und das nicht nur für die ver­folg­ten Guten.

„Die moder­ne Welt wird nicht bestraft. Sie ist die Stra­fe.„8

Wer die Stadt ohne Gott baut, baut sie gegen den Men­schen9 und ver­wirk­licht eine histo­ri­sche Höl­le. Es ist schwie­rig, die tota­li­tä­ren Regime des Jahr­hun­derts des Bösen10 anders zu defi­nie­ren, eben­so wie es unmög­lich ist, ande­res über unse­re Zeit zu sagen, die mit Gott und der Königs­herr­schaft Chri­sti folg­lich die mensch­li­che Natur selbst, die geschlecht­li­che Rea­li­tät des Men­schen und damit Ehe, Fami­lie und Fort­pflan­zung leug­net, die schlimm­sten Schänd­lich­kei­ten und Gräu­el­ta­ten legi­ti­miert – ja adelt –, bis hin zur Ermög­li­chung des Mut­ter­mor­des durch die kosten­pflich­ti­ge Leih­mut­ter­schaft oder adop­tier­te Kind­schaft, das Recht auf Leben leug­net und es zu Labor­ma­te­ri­al und zu Han­dels­wa­re macht, als ob sie des­sen Herr wäre, sich mit pflanz­li­chen, che­mi­schen, aku­sti­schen und psy­cho­lo­gi­schen Dro­gen betäubt, die ele­men­tar­sten Frei­hei­ten und das Eigen­tums­recht leugnet.

Daher, wie der kata­la­ni­sche Jurist Àlva­ro d’Ors – einer der vie­len Mei­ster ohne Schü­ler im sae­cu­lum – lehrt, „da […] Jesus Chri­stus der ‚König‘ ist, exi­stiert in der Geschich­te kei­ne ande­re ursprüng­li­che Macht, kei­ne ande­re Sou­ve­rä­ni­tät, als die Chri­sti. Alle, die als ‚Sou­ve­rä­ne‘ bezeich­net wer­den, trotz ihrer schein­ba­ren Maje­stät, sei­en sie auto­kra­ti­sche oder kon­sti­tu­tio­nel­le Köni­ge, olig­ar­chi­sche oder demo­kra­ti­sche Regie­run­gen, sind nichts ande­res als Dele­gier­te, die im Namen Jesu Chri­sti befeh­len müs­sen und denen aus fol­gen­dem Grund gehorcht wer­den muß: wegen der Macht, die sie von Ihm emp­fan­gen haben„11.

Es ist das ein­zi­ge Kri­te­ri­um der Legi­ti­mi­tät jeder sou­ve­rä­nen Macht, jedes Geset­zes, jeder Auto­ri­tät, jeder zivi­len Ord­nung. Wenn es kei­ne Macht gibt, die nicht dele­giert ist – die Befehls­ge­walt ist per Defi­ni­ti­on ein Man­dat –, gibt es kei­ne Dele­gie­rung, die letzt­lich nicht von Gott (Röm 13, 1), von Chri­stus dem König, stammt: Ihm muß daher jede Sou­ve­rä­ni­tät Rechen­schaft able­gen. Hier und jetzt, und im Jenseits.

„Nach der Erlö­sung kann es kei­ne legi­ti­me Macht geben, die sich nicht als gött­li­che Dele­gie­rung von Chri­stus dem König erkennt, dem die allei­ni­ge Sou­ve­rä­ni­tät die­ser Welt zukommt. […]
In jedem Fall bin­den die kon­kre­ten Hand­lun­gen der Macht mora­lisch nicht, wenn sie jenen mora­li­schen Gebo­ten wider­spre­chen, die kon­sti­tu­tiv für das sozia­le Ethos sind und die sich aus dem Natur­recht ablei­ten.
Die Kir­che muß uni­ver­sell als authen­ti­sche Inter­pre­tin des Natur­rechts aner­kannt wer­den. Von ihrer Auto­ri­tät hängt die mora­li­sche Ver­pflich­tung ab, der kon­sti­tu­ier­ten Macht zu gehor­chen.„12

Dies ist der eigent­li­che Sinn der Sozi­al­leh­re der Kir­che – nicht zu ver­wech­seln mit dem Anspruch einer „sozia­li­sti­schen Leh­re der Kir­che“, deren Zen­trum sozio­öko­no­mi­sche Fra­gen wären –, die das „Pro­gramm“ des sozia­len Rei­ches Chri­sti ist. Sie hat daher kei­nen gerin­ge­ren Hori­zont und kann ihn nicht haben, als die christ­li­che Instau­ra­tio der zeit­li­chen Rea­li­tä­ten13 – d. h. die sozia­le Ach­tung des ersten Gebots in der geschicht­li­chen Zeit –, die nicht auf­ge­zwun­gen, son­dern auch als histo­ri­scher Weg des Heils aner­kannt wird und daher, noch ein­mal, nicht von oben mit Gewalt her­ab­ge­las­sen wird, son­dern orga­nisch von unten entspringt.

Und so keh­ren wir zur Mis­si­on und zur Neue­van­ge­li­sie­rung, d. h. zur Gegen­re­vo­lu­ti­on, zurück.

John Hen­ry New­man hat­te ein tie­fes und demü­ti­ges Kon­zept der Hei­lig­keit. Er sah sich nicht für das Leben der kano­ni­sier­ten Hei­li­gen „prä­de­sti­niert“, jenes der gro­ßen Gesten, der Wun­der, des spek­ta­ku­lä­ren Ver­zichts, son­dern für eine ver­bor­ge­ne, all­täg­li­che, intel­lek­tu­el­le Hei­lig­keit, die aus Treue zum Gewis­sen und Lie­be zur Wahr­heit besteht. In die­sem Sin­ne kön­nen wir sagen, daß er einen ori­gi­nel­len Weg zur Hei­lig­keit auf­ge­zeigt hat: den des gläu­bi­gen Den­kers, des Man­nes, der reflek­tiert, der zwei­felt, der sucht, aber der sich schließ­lich der Wahr­heit mit Klar­heit und Mut ergibt. Sein Leben zeigt, daß auch die Intel­li­genz zum Ort der Hei­li­gung wer­den kann, daß die Lite­ra­tur die Suche nach dem Gött­li­chen aus­drücken kann und daß das Stu­di­um, wenn es als Dienst gelebt wird, zur Form der Näch­sten­lie­be wird. Es ist bezeich­nend, daß ein Schrift­stel­ler wie James Joy­ce, der sich von der Kir­che ent­fernt hat­te, in New­man „den größ­ten eng­li­schen Pro­sa­ik­er“ erkannt hat. Das bedeu­tet, dass sei­ne Schrif­ten, die sich nicht nur in theo­lo­gi­schen Abhand­lun­gen, son­dern auch in Roma­nen und Gedich­ten aus­drück­ten, auch in der säku­la­ren Kul­tur Spu­ren hin­ter­las­sen haben, nicht nur in der kirch­li­chen. Der Satz über das Schuh­put­zen für die Hei­li­gen ist emble­ma­tisch: Es ist kei­ne fal­sche Beschei­den­heit, son­dern die Iro­nie des­sen, der weiß, dass wah­re Hei­lig­keit nicht auf­fäl­lig sein muss. New­man lehrt uns, dass man auch in Biblio­the­ken, in Semi­na­ren, in den Kor­ri­do­ren der Uni­ver­si­tä­ten hei­lig sein kann. Eine intel­lek­tu­el­le, aber nicht intel­lek­tua­li­sti­sche Heiligkeit.

*Gio­van­ni For­mico­la, Rechts­an­walt, ver­hei­ra­tet, Vater von fünf Kin­dern, Mit­grün­der der Alle­an­za Cat­to­li­ca und der Gemein­schaft Opti­on Bene­dikt. Autor meh­re­rer Bucher dar­un­ter „Il Ses­s­an­tot­to“ („Ach­tun­sech­zig“), „Dif­ese­ro la fede, fer­ma­ro­no il comu­nis­mo. La Cri­stia­da, Mes­si­co 1926–1929. La Cruzada, Spa­gna 1936–1939“ („Sie ver­tei­dig­ten den Glau­ben und stopp­ten den Kom­mu­nis­mus. Die Cri­stia­da, Mexi­ko 1926–1929. Die Cruzada, Spa­ni­en 1936–1939“).

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild:


[1] Vgl. Pius XI. (1922–1939), Enzy­kli­ka Quas pri­mas über die Königs­herr­schaft Chri­sti, 11. Dezem­ber 1925.

[2] „Die Fei­er die­ses Festes, das sich jedes Jahr wie­der­holt, soll auch eine Mah­nung an die Natio­nen sein, daß die Pflicht, Chri­stus öffent­lich zu ver­eh­ren und ihm Gehor­sam zu lei­sten, nicht nur die ein­zel­nen, son­dern auch die Obrig­kei­ten und Regie­ren­den betrifft: […] denn sei­ne könig­li­che Wür­de erfor­dert, daß die gesam­te Gesell­schaft sich den gött­li­chen Gebo­ten und den christ­li­chen Grund­sät­zen anpaßt, sei es bei der Fest­le­gung von Geset­zen, sei es bei der Ver­wal­tung der Gerech­tig­keit, sei es schließ­lich bei der Prä­gung der See­len der Jugend mit der hei­li­gen Leh­re und der Hei­lig­keit der Sit­ten“ (Ibi­dem).

[3] Ibi­dem.

[4] „Es wird viel­leicht nicht über­trie­ben sein, wenn wir sagen, daß sich auf die­sem Gebiet [Leben, Ehe und Fami­lie, Anm. d. Red.] in beson­de­rer Wei­se die ‚anti-evan­ge­li­sie­ren­de Front‘ kon­zen­triert, die über eine spe­zi­fi­sche Argu­men­ta­ti­on und dar­über hin­aus über viel­fäl­ti­ge ‚Mit­tel‘ ver­fügt“ (Hl. Johan­nes Paul II. [1978–2005], Anspra­che an die Teil­neh­mer der IX. Voll­ver­samm­lung des Päpst­li­chen Rates für die Fami­lie, 4. Okto­ber 1991). 

[5] „Die­ser Zustand ist viel­leicht der Apa­thie oder der Zag­haf­tig­keit der Guten zuzu­schrei­ben, wel­che sich vom Kampf fern­hal­ten oder nur schwach Wider­stand lei­sten; dar­aus schöp­fen die Fein­de der Kir­che grö­ße­re Kühn­heit und Wage­mut“ (Pius XI., Enzy­kli­ka Quas pri­mas, zit.).

[6] „Wenn aber alle Gläu­bi­gen begrei­fen, daß sie tap­fer und immer unter den Fah­nen Chri­sti des Königs kämp­fen müs­sen, wer­den sie sich mit apo­sto­li­schem Eifer bemü­hen, die Auf­stän­di­schen und Unwis­sen­den zu Gott zurück­zu­füh­ren, und wer­den sich anstren­gen, die Rech­te Got­tes selbst unver­sehrt zu wah­ren“ (Ibi­dem).

[7] „Chri­stus ja, Kir­che nein. Dann: Gott ja, Chri­stus nein. Schließ­lich der gott­lo­se Schrei: Gott ist tot; oder bes­ser: Gott ist nie gewe­sen. Und hier ist der Ver­such, die Struk­tur der Welt auf Fun­da­men­ten zu errich­ten, die wir nicht zögern, als die Haupt­ver­ant­wort­li­chen für die Bedro­hung zu bezeich­nen, die über der Mensch­heit schwebt: eine Wirt­schaft ohne Gott, ein Recht ohne Gott, eine Poli­tik ohne Gott. Der ‚Feind‘ hat sich bemüht und bemüht sich, daß Chri­stus ein Frem­der in den Uni­ver­si­tä­ten, in der Schu­le, in der Fami­lie, in der Rechts­pfle­ge, in der Gesetz­ge­bung, im Kreis der Natio­nen, dort, wo über Frie­den oder Krieg ent­schie­den wird, sei“ (Pius XII. [1939–1958], Anspra­che an die Män­ner der Katho­li­schen Akti­on, 12. Okto­ber 1952). 

[8] Nicolás Gómez Dávila (1913–1994), Esco­li­os a un tex­to implí­ci­to, Bd. II, Insti­tu­to Colom­bia­no de Cul­tu­ra, San­ta Fe de Bogo­tá 1977, S. 344. 

[9] „Eine Welt ohne Gott baut sich frü­her oder spä­ter gegen den Men­schen auf“ (Hl. Johan­nes Paul II., Bot­schaft an die Jugend Frank­reichs, Paris, 1. Juni 1980). Vgl. auch: „Der Ver­such, die mensch­li­chen Din­ge so zu gestal­ten, daß man voll­stän­dig auf Gott ver­zich­tet, führt uns immer mehr an den Rand des Abgrunds, zur tota­len Aus­klam­me­rung des Men­schen“ (Joseph Ratz­in­ger, L’Europa di Bene­det­to nella cri­si del­le cul­tu­re, Can­tag­al­li, Sie­na 2005, S. 62). Die The­se wird anschlie­ßend mit päpst­li­cher Auto­ri­tät wie folgt arti­ku­liert und begrün­det: „Wer Gott aus sei­nem Hori­zont aus­schließt, ver­fälscht den Begriff der ‚Wirk­lich­keit‘ und kann folg­lich nur in Irr­we­ge und mit destruk­ti­ven Rezep­ten gera­ten. Die erste grund­le­gen­de Aus­sa­ge ist daher fol­gen­de: Nur wer Gott aner­kennt, kennt die Rea­li­tät und kann ihr ange­mes­sen und wirk­lich mensch­lich ant­wor­ten. Die Wahr­heit die­ser The­se wird ange­sichts des Schei­terns aller Syste­me deut­lich, die Gott in Klam­mern set­zen“ (Bene­dikt XVI. [2005–2013], Anspra­che bei der Eröff­nung der V. Gene­ral­kon­fe­renz des Latein­ame­ri­ka­ni­schen und Kari­bi­schen Epi­sko­pats, Apa­re­ci­da 13. Mai 2007, in Bei­la­ge zu: L’Osservatore Roma­no vom 2. Juni 2007, S. 9). In die­sen Äuße­run­gen ist das Echo von De Lubac (1896–1991) zu hören: „Es ist dann nicht wahr, wie man manch­mal sagen möch­te, dass der Mensch unfä­hig sei, die Erde ohne Gott zu orga­ni­sie­ren. Aber wahr ist, dass er sie ohne Gott letzt­end­lich nur gegen den Men­schen orga­ni­sie­ren kann“ (Hen­ri De Lubac, Das Dra­ma des athe­isti­schen Huma­nis­mus [Erste Aus­ga­be Paris 1945], Mor­cel­lia­na, Bre­scia 1988, S. 9). 

[10] Vgl. Alain Besan­çon, Nove­cen­to. Il seco­lo del male. Nazis­mo, comu­nis­mo, Sho­ah, ital. Übers., Lin­dau, Turin 2008. 

[11] Álva­ro d’Ors y Peréz-Peix (1915–2004), La vio­len­za e l’ordine, Mar­co, Lungro di Cosen­za [CS] 2003, S. 62. 

[12] Ibid., S. 142–143.

[13] Vgl. Zwei­tes Öku­me­ni­sches Vati­ka­ni­sches Kon­zil, Dekret über das Lai­en­apo­sto­lat Apo­sto­li­cam actuo­sitatem, 18. Novem­ber 1965.

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