Leo XIV. und das jüdische Tikkun olam

Begriffe und Mißverständnisse


Verschiedene Darstellungen des "Baums des Lebens" mit den Sephitoth der Kabbala, einer hochmittelalterlichen Richtung der jüdischen Mystik
Verschiedene Darstellungen des "Baums des Lebens" mit den Sephitoth der Kabbala, einer hochmittelalterlichen Richtung der jüdischen Mystik

Eine Video­bot­schaft von Leo XIV. vom 20. Sep­tem­ber 2025 anläß­lich des ALS Walk for Life – Chi­ca­go blieb weit­ge­hend unbe­ach­tet. Es han­del­te sich um eine Bene­fiz-Ver­an­stal­tung, die von Amy­o­tro­pher Late­ral­skle­ro­se Betrof­fe­ne und ihre Fami­li­en zusam­men­bringt mit Betei­li­gung aus dem Bereich der Kran­ken­pfle­ge – ein auf natür­li­cher Ebe­ne zwei­fel­los lobens­wer­tes Unter­fan­gen. Dabei han­delt es sich um eine schwe­re neu­ro­de­ge­nera­ti­ve Erkran­kung, bei der moto­ri­sche Ner­ven­zel­len abster­ben und die Mus­kel­kon­trol­le zuneh­mend ver­lo­ren­geht. Es gibt bis­lang kei­ne Hei­lung. Die Ver­an­stal­tung ist ein gro­ßes jähr­li­ches Gemein­schafts­event mit Spen­den­samm­lung, um die For­schung zur Hei­lung die­ser Krank­heit zu fördern.

Anzei­ge

Ange­sichts des gewal­ti­gen Leids, das die­se Krank­heit ver­ur­sacht, wähl­te Leo – unter ande­rem – zwei Hin­wei­se, die nach­denk­lich stimmen:

„Wie unse­re mus­li­mi­schen Freun­de berich­ten, heißt es im Hadith, daß 70.000 Engel anwe­send sind, wenn die Pfle­ger am Mor­gen ein­tref­fen. Wei­te­re 70.000 Engel kom­men am Abend. Ich glau­be, auch ihr seid Engel.“

„Unse­re jüdi­schen Brü­der und Schwe­stern sagen uns, daß eines der gro­ßen Vor­ha­ben, die Gott der Mensch­heits­fa­mi­lie anver­traut hat, dar­in besteht, die wun­der­ba­re Schöp­fung, die er uns gege­ben hat, zu voll­enden und zu ver­voll­komm­nen – tik­kun olam.“

Nun – selbst wenn man ange­sichts des Kreu­zes kör­per­li­cher und see­li­scher Lei­den die über­rei­che Fül­le an hei­li­gen Bei­spie­len aus­blen­den woll­te, die sich in jenem gewal­ti­gen Kata­log der Näch­sten­lie­be fin­det, wel­cher die zwei­tau­send­jäh­ri­ge Geschich­te der auf Gol­ga­tha gegrün­de­ten Kir­che prägt –, so blie­be doch die Fra­ge, war­um man nach Wor­ten im Hau­se der „mus­li­mi­schen Freun­de“ und der „jüdi­schen Brü­der und Schwe­stern“ suchen muß.

Bis zu die­sem Punkt bewe­gen wir uns im bekann­ten und längst ver­trau­ten Muster, das sich seit der Revo­lu­ti­on des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils her­aus­ge­bil­det hat. Doch es gibt ein wei­te­res Ele­ment, das der beson­de­ren Beach­tung bedarf: näm­lich das Kon­zept des „Tik­kun olam“.

Es han­delt sich dabei nicht ledig­lich um einen Aus­druck, der all­ge­mein dem Juden­tum zuge­ord­net wer­den kann. Tik­kun olam bedeu­tet „die Welt repa­rie­ren“, „die Welt in Ord­nung brin­gen“ und hat neben ande­ren Deu­tun­gen – es läßt sich schon in der Misch­na als strikt recht­li­ches Kon­zept nach­wei­sen – erst im Rah­men der luria­ni­schen Kab­ba­la der jüdi­schen Mystik eine spe­zi­fi­sche Bedeu­tung erlangt.

Die Vor­stel­lung des Tik­kun olam wird in der Ency­clopæ­dia Bri­tan­ni­ca wie folgt zusam­men­ge­faßt. Dort heißt es, daß der Begriff im Zoh­ar des 13. Jahr­hun­derts, dem grund­le­gen­den Text der Kab­ba­la, eine tie­fe­re reli­giö­se Dimen­si­on erhielt:

Aus­schnitt der Video­bot­schaft von Papst Leo XIV. an die Bene­fiz­ver­an­stal­tung von ALS Walk for Life – Chi­ca­go am 20. Sep­tem­ber 2025

„Im Zoh­ar wer­den zehn Sephi­r­ot genannt – gött­li­che Emana­tio­nen, von denen die unter­ste die Shek­hi­nah (oder Malkhut) ist, die Gegen­wart Got­tes in der mate­ri­el­len Welt. Mensch­li­che Hand­lun­gen – wie Gebet, Mitz­vot (gute Taten) und Fest­ta­ge – bewir­ken, daß das gött­li­che Licht durch die Sephi­r­ot her­ab­steigt, die irdi­sche mit der himm­li­schen Welt ver­eint und eine Wie­der­her­stel­lung (tik­kun) des Selbst, der Erde und des Him­mels bewirkt, wäh­rend die gött­li­che Gegen­wart alles durch­dringt. Nicht nur die sozia­le Welt wird in die­sem Pro­zeß geheilt, son­dern das gesam­te Uni­ver­sum wird „repa­riert“ und mit gött­li­chem Licht erfüllt.“

Die Sephi­r­ot sind in einem Baum („Baum des Lebens“) in drei Säu­len und zehn Stu­fen ange­ord­net. Sie reprä­sen­tie­ren sowohl kos­mi­sche Prin­zi­pi­en als auch inne­re See­len­kräf­te des Men­schen. Die Kab­ba­la kommt aus dem Juden­tum her­aus, wird aber inner­halb des Juden­tums von den ver­schie­de­nen Strö­mun­gen sehr unter­schied­lich bewer­tet. Der Kab­ba­la nei­gen chas­si­di­sche und auch nicht-chas­si­di­sche ortho­do­xe Grup­pen zu.

Wäh­rend die Sephi­r­ot in den nie­de­ren Gra­den der Frei­mau­re­rei kei­ne Rol­le spie­len, tau­chen sie in den Hoch­gra­den aller Obö­di­en­zen häu­fig auf. Ins­ge­samt ist der west­li­che Okkul­tis­mus stark davon durchdrungen. 

Isaak ben Solo­mon Luria (1534–1572), der namens­ge­ben­de Begrün­der der luria­ni­schen kab­ba­li­sti­schen Schu­le, ver­lieh dem Tik­kun olam eine mysti­sche Tie­fe. Luria lehr­te, daß beim Schöp­fungs­akt das gött­li­che Licht eini­ge Gefä­ße (iden­ti­fi­ziert mit den Sephi­r­ot) zer­bre­chen ließ. Das Licht wur­de in die mate­ri­el­le Welt ver­streut, wo es in Kli­pot (Hül­len) ein­ge­schlos­sen blieb und sich mit dem Bösen ver­misch­te.
Durch Mitz­vot, Gebet und kon­tem­pla­ti­ve Betrach­tung könn­ten die Men­schen die­se Fun­ken wie­der zum Gött­li­chen empor­he­ben. Mit einer hin­rei­chen­den Zahl sol­cher erhö­hen­der Taten, so Luria, wür­de die Welt geheilt – und der Mes­si­as könn­te kom­men.

Der zen­tra­le Gedan­ke besteht also dar­in, daß gemäß die­ser Leh­re die ursprüng­lich frei­ge­setz­ten gött­li­chen Fun­ken gesam­melt und in einem uni­ver­sa­len Wie­der­her­stel­lungs­pro­zeß zurück­ge­führt wer­den müssen.

Wer auch nur eine ober­fläch­li­che Kennt­nis der mit Gno­sis und Kab­ba­la ver­bun­de­nen Gedan­ken­gän­ge besitzt, wird die Trag­wei­te die­ser Vor­stel­lung rasch erken­nen. Doch auch ohne sich auf kab­ba­li­sti­sche Spe­ku­la­tio­nen ein­zu­las­sen, bleibt fest­zu­hal­ten, daß jene erwähn­te „Ver­voll­komm­nung und Voll­endung“ ohne Chri­stus gedacht ist.

Mit ande­ren Wor­ten: eine „Repa­ra­tur“ ohne den eigent­li­chen Repa­rie­rer, ohne den Erlö­ser, der am Kreuz starb – auf Geheiß jener Hohen­prie­ster, die im zwei­ten jüdi­schen Tem­pel herrsch­ten, der mit dem Ende des Alten Bun­des zer­stört wurde.

Die­ser Sach­ver­halt soll­te mit Blick auf sei­ne mög­li­chen Impli­ka­tio­nen gese­hen wer­den – näm­lich nicht nur eine Erlö­sung ohne den wah­ren Erlö­ser, son­dern ein Mes­sia­nis­mus ohne den wah­ren Mes­si­as. Eine nach­christ­li­che jüdi­sche Vor­stel­lung, die der christ­li­chen zuwi­der­läuft.

Aus der kur­zen Bemer­kung geht weder her­vor, wor­auf Leo XIV. kon­kret anspiel­te, noch läßt sich sei­ne Absicht mit Sicher­heit beur­tei­len – wobei eine wohl­wol­len­de vor­aus­ge­setzt wer­den soll­te. Neu­er­dings wird Tik­kun olam vom libe­ra­len Juden­tum all­ge­mein für „sozia­les Enga­ge­ment“ (für sozia­le Gerech­tig­keit, Men­schen­rech­te, Umwelt­schutz) ver­wen­det. Es gibt also ver­schie­de­ne Inter­pre­ta­ti­ons­mög­lich­kei­ten, was aber auch Miß­ver­ständ­nis­se her­vor­ru­fen kann.

Wün­schens­wert und rat­sam wäre es daher wohl, wenn hohe kirch­li­che Wür­den­trä­ger, ein­schließ­lich des Pap­stes, bestimm­te nicht-christ­li­che Begrif­fe und Kon­zep­te viel­leicht mit grö­ße­rer Sorg­falt behan­deln – oder, bes­ser noch, ganz dar­auf ver­zich­ten würden.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons

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4 Kommentare

  1. Es gibt aller­dings auch die mes­sia­ni­schen Juden und „Söh­ne der Pro­phe­ten“. Und es gibt auch die christ­li­che Kabbalah.
    Der Hei­li­ge und Kir­chen­leh­rer Alber­tus Magnus war ein christ­li­cher Magier.

    Der Kol­lek­tiv­na­me häre­ti­scher Systeme

    Gno­sti­zis­mus, ein Kol­lek­tiv­na­me häre­ti­scher Syste­me in den ersten Jahr­hun­der­ten der Kir­che. Das (grie­chi­sche) Wort, wel­chem bei dem uralten Über­set­zer des hl. Ire­nä­us das latei­ni­sche agni­tio ent­spricht (z. B. 1, 1, 1; 4, 33, 8), bedeu­tet eigent­lich Erkennt­nis, das Wis­sen, im bibli­schen und christ­li­chen Sprach­ge­brauch gewöhn­lich mit beson­de­rer Bezie­hung auf reli­giö­se Gegen­stän­de. Der alte christ­li­che Sprach­ge­brauch rich­tet sich nach den bibli­schen. Die hei­li­ge Schrift kennt aber eine zwei­fa­che Gno­sis, ein ech­tes und ein fal­sches Wis­sen, deren eines sie rühmt und emp­fiehlt, wäh­rend sie das ande­re brand­markt und ver­wirft. Wie das Wis­sen noch heut­zu­ta­ge ent­we­der als Stei­ge­rung des Glau­bens oder als Gegen­satz des Glau­bens auf­tritt, so in der christ­li­chen Urzeit die Gnosis.
    Zwei­fa­che Gnosis
    Die ech­te Gnosis

    Die ech­te Gno­sis, die Gno­sis im guten Sinn des Wor­tes, ist ein immer tie­fe­res Ein­drin­gen in das inne­re Wesen des unwan­del­bar fest gehal­te­nen, von Gott geof­fen­bar­ten Glau­bens, ver­bun­den mit einer auf festen Beweis­grün­den ruhen­den Über­zeu­gung von des­sen Wahr­heit, ein immer all­sei­ti­ge­res Erfas­sen des­sel­ben mit allen Kräf­ten des mensch­li­chen Gei­stes, so daß der­sel­be vom Ver­stand aus das gan­ze Leben durch­dringt (vgl. Röm. 15, 14; 1. Kor. 1, 5; 8, 1. 7. 10. 11; 12, 8; 13, 2. 8;14, 6; 2. Kor. 6, 6; 11, 6; Kol. 2, 3; 2. Petr. 1, 5. 6; 3, 18). Das ist die Gno­sis, wel­che der Sohn Got­tes geof­fen­bart und der Mensch­heit über­ge­ben hat (Cle­mens Alex. Strom. 6, 7, ed. Pot­ter II, 771); das ist „die voll­kom­me­ne und ver­läß­li­che Gno­sis“, um derent­wil­len die Chri­sten zu Korinth in den ersten Zei­ten allent­hal­ben gerühmt waren (Cle­mens Rom. ep. I, c. 1); das ist jenes erha­be­ne Ide­al christ­li­cher Gei­stes­bil­dung und voll­kom­me­ner Hand­lungs­wei­se, (…) und wel­ches die edel­sten gebil­det­sten Män­ner der ersten Jahr­hun­der­te unab­läs­sig anstreb­ten. Daher wird auch das Ide­al des voll­kom­me­nen Chri­sten von Cle­mens von Alex­an­dri­en in sei­nen begei­ster­ten Schil­de­run­gen immer mit dem Namen Gno­sti­cus bezeich­net (s. das gan­ze 6. und 7. Buch der Stroma­ta, vgl. Strom. 2, 17). Eben die­ser alex­an­dri­ni­sche Cle­mens, wel­cher der vor­nehm­ste Stimm­füh­rer der wah­ren Gno­sis im Alter­tum ist, erklärt an ver­schie­de­nen Stel­len, was er unter der­sel­ben ver­ste­he, und wie die­sel­be nur auf dem Grund des Glau­bens gedei­he; so Paed. 1, 6, ed. Pot­ter I, 116; Strom. 2, 17 p. 468; 3, 5 p. 531; 6, 1 p. 736; 6, 8 p. 774 und beson­ders 7, 10 p. 864–866 (wo er sie den „voll­kom­me­nen und siche­ren Beweis des­sen“ nennt, „was man im Glau­ben bereits erfaßt hat, den Auf­bau auf der Grund­la­ge des Glau­bens, wodurch man zum unfehl­ba­ren Ver­ständ­nis gelangt“). –

    https://​katho​lisch​glau​ben​.info/​k​i​r​c​h​e​n​l​e​x​i​k​o​n​-​d​i​e​-​i​r​r​l​e​h​r​e​-​d​e​s​-​g​n​o​s​t​i​z​i​s​m​us/

    Zur Bibel gehört auch die 4 bzw. 5 Ele­men­te-Leh­re von den Ele­men­te-Prin­zi­pi­en als „Prin­ci­pi­is“ bzw. Ele­men­tar­kräf­ten. Im Ayur­ve­da als der tra­di­tio­nel­len indi­schen Heil­kunst Indi­ens auch die „Tatt­was“ genannt. Auch die bei­den Hei­li­gen und Kir­chen­leh­rer Alber­tus Magnus und Hil­de­gard von Bin­gen sowie Orig­e­nes und Philo(n) von Alex­an­dri­en als jüdi­scher Theo­lo­ge und Mer­ka­ba-Mysti­ker und Her­me­ti­ker kann­ten und ver­wand­ten sie. Man fin­det sie auch in der Hil­de­gard-Medi­zin der Hei­li­gen und Kir­chen­leh­re­rin Hil­de­gard von Bin­gen und so wei­ter usw.

    Vier-Ele­men­ten-Leh­re

    https://​www​.kath​pe​dia​.com/​i​n​d​e​x​.​p​h​p​?​t​i​t​l​e​=​V​i​e​r​-​E​l​e​m​e​n​t​e​n​-​L​e​hre

    Der spät­an­ti­ke Theo­lo­ge Pseu­do-Dio­ny­si­us Areo­pa­gi­ta, des­sen neu­pla­to­nisch gepräg­te Wer­ke im Mit­tel­al­ter hohes Anse­hen genos­sen, führ­te den Begriff „Theur­gie“ in die christ­li­che Theo­lo­gie ein. Er bezeich­ne­te damit das Wir­ken des Hei­li­gen Gei­stes und Jesu Chri­sti und ins­be­son­de­re die von Gott her­bei­ge­führ­te Wirk­sam­keit der Sakramente.
    Auch der christ­li­che Mysti­ker Dio­ny­si­os Areo­pa­gi­ta ver­wen­de­te das Wort „Theur­gie“ also im Zusam­men­hang mit dem Hei­li­gen Geist als Geist Gottes.
    Der stark vom Neu­pla­to­nis­mus beein­fluss­te spät­an­ti­ke Theo­lo­ge Pseu­do-Dio­ny­si­us Areo­pa­gi­ta über­nahm den Begriff „Theur­gie“ in die christ­li­che Theologie.
    Theur­gie (grie­chisch θεουργία theour­gía „Got­tes­werk“) ist eine anti­ke Bezeich­nung für reli­giö­se Riten und Prak­ti­ken, die es ermög­li­chen soll­ten, mit gött­li­chen Wesen in Ver­bin­dung zu tre­ten und von ihnen Hil­fe zu erlan­gen. Der Aus­üben­de wird „Theurg“ genannt. Nach der gän­gi­gen Auf­fas­sung der anti­ken Theur­gen wur­de nicht ver­sucht, die erwünsch­te Reak­ti­on der Göt­ter mit magi­schen Mit­teln zu erzwin­gen, son­dern es ging um ein Zusam­men­wir­ken von Gott und Mensch, bei dem sich der Theurg gött­li­chem Ein­fluss öff­ne­te. Sie­he dazu auch Johan­nes „Scottus“ Eri­uge­na und Cle­mens von Alex­an­dri­en als Hei­li­gen Kle­mens und sei­nen Schü­ler Orig­e­nes und den Hei­li­gen und Kir­chen­leh­rer Alber­tus Magnus zur Her­me­tik als her­me­ti­schen Phi­lo­soph und christ­li­chen Hermetiker.
    Und Moses war laut Neu­em Testa­ment auch in aller Weis­heit der Ägyp­ter kun­dig. Es gibt eben die­se Weis­heits­leh­ren und Weis­heits­tra­di­tio­nen der gött­li­chen Geheim­nis­se und Myste­ri­en als Myste­ri­en-Kul­te, sie­he auch die Weis­heits­li­te­ra­tur. „Sopia“ und „Logos“ sind dort wich­ti­ge Begrif­fe – sie­he aber auch „Myste­ri­en“ und „Myster­ion“ und „Myste­ri­um“ als gött­li­che Geheim­nis­se und den Bene­dik­ti­ner Odo Casel mit sei­ner wie­der­ent­deck­ten Myste­ri­en- und Bogu­mil-Theo­lo­gie dazu Justin den Mär­ty­rer zur Mer­curi­us als römi­scher Name des Her­mes Tris­me­gi­stos im Zusam­men­hang mit dem Logos. Auch in der christ­li­chen Mystik wur­de die Her­me­tik rezipiert.

    Offe­ne Geheim­nis­se – her­me­ti­sche Tex­te und ver­bor­ge­nes Wis­sen in der mit­tel­al­ter­li­chen Rezep­ti­on von Augu­sti­nus bis Alber­tus Magnus
    Janu­ary 2008
    Authors:
    Mat­thi­as Heiduk
    Leib­niz-Zen­trum für Archäologie

    https://​www​.rese​arch​ga​te​.net/​p​u​b​l​i​c​a​t​i​o​n​/​2​7​9​8​4​6​3​2​0​_​O​f​f​e​n​e​_​G​e​h​e​i​m​n​i​s​s​e​_​-​_​h​e​r​m​e​t​i​s​c​h​e​_​T​e​x​t​e​_​u​n​d​_​v​e​r​b​o​r​g​e​n​e​s​_​W​i​s​s​e​n​_​i​n​_​d​e​r​_​m​i​t​t​e​l​a​l​t​e​r​l​i​c​h​e​n​_​R​e​z​e​p​t​i​o​n​_​v​o​n​_​A​u​g​u​s​t​i​n​u​s​_​b​i​s​_​A​l​b​e​r​t​u​s​_​M​a​g​nus

    Die Stu­die unter­sucht erst­mals umfas­send und syste­ma­tisch die Rezep­ti­on her­me­ti­scher Tra­di­tio­nen in der latei­ni­schen Lite­ra­tur von der Spät­an­ti­ke bis zum Aus­gang des 13. Jahr­hun­derts. Sie nimmt dabei sämt­li­che Schrif­ten des betref­fen­den Zeit­raums in den Blick, in denen die mythi­sche Urhe­ber­schaft der hybri­den Gestalt des Her­mes Tris­me­gi­stos in Anspruch genom­men wird. Ziel der Unter­su­chung ist, die spe­zi­fi­schen histo­ri­schen Kon­tex­te der Aneig­nung auf­zu­decken und so dem mit­tel­al­ter­li­chen Dis­kurs um die Her­me­ti­ca ein eigen­stän­di­ges Pro­fil zu ver­lei­hen. Zen­tra­le Fra­gen berüh­ren die Rah­men­be­din­gun­gen für Über­set­zung und Ver­brei­tung der hand­schrift­li­chen Über­lie­fe­rung, den Umgang mit dem antik-paga­nen Mythos Her­mes Tris­me­gi­stos im christ­li­chen Umfeld des Mit­tel­al­ters, die sozia­len Milieus und intel­lek­tu­el­len Befind­lich­kei­ten der Rezi­pi­en­ten und die Aus­prä­gun­gen und Umfor­mun­gen des Her­mes-Mythos im Wan­del der Rezep­ti­ons­mo­ti­ve. Wich­ti­ge Ergeb­nis­se der Unter­su­chung las­sen sich in fol­gen­den The­sen zusam­men­fas­sen: Mit dem Aus­klang der Anti­ke erfolg­te kein radi­ka­ler Abbruch der Tra­di­ti­ons­bil­dung um Her­mes in der abend­län­disch-latei­ni­schen Lite­ra­tur, die hand­schrift­li­che Über­lie­fe­rung und die Aus­le­gung der Kir­chen­vä­ter sorg­ten für Kon­ti­nui­tä­ten. Ab dem 12. Jahr­hun­dert mach­ten sich neue Impul­se in der Rezep­ti­on bemerk­bar. Zum einen ver­lieh der Rück­griff auf die Auto­ri­tät des Her­mes im Wett­streit der Schu­len wach­sen­des Pre­sti­ge in den gelehr­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen, zum ande­ren eröff­ne­ten die Über­set­zun­gen neu­er Tex­te aus dem Grie­chi­schen und Ara­bi­schen eine Viel­zahl neu­er her­me­ti­scher Tra­di­tio­nen, die im Kon­text der Aneig­nung neu­en Wis­sens und neu­er Wis­sen­schafts­stan­dards gese­hen wur­den. Bis zum Ende des 13. Jahr­hun­derts war der Trans­fer von Her­me­ti­ca natur­kund­li­chen, alche­mi­schen, astro­lo­gi­schen und magi­schen Inhalts weit­ge­hend abge­schlos­sen und die fol­gen­den Jahr­hun­der­te bau­ten in ihrer Aus­ein­an­der­set­zung auf die­sem mit­tel­al­ter­li­chen Bestand auf. Ein spe­zi­fi­sches Milieu von Rezi­pi­en­ten in Geheim­ge­sell­schaf­ten oder her­me­ti­schen Zir­keln lässt sich für das Mit­tel­al­ter nicht fest­stel­len, war doch die Beschäf­ti­gung mit den Her­me­ti­ca mit kei­nen sank­ti­ons­be­haf­te­ten Tabus ver­bun­den. Gleich­wohl erweist sich die Aneig­nung der Auto­ri­tät des Her­mes als viel­fäl­tig und ori­gi­nell mit zustim­men­den wie ableh­nen­den Kon­no­ta­tio­nen. Das ver­brei­te­te Dik­tum, wonach die Her­mes-Rezep­ti­on ein epo­chen­spe­zi­fi­sches Phä­no­men der Renais­sance sei und mit­tel­al­ter­li­che Spu­ren allen­falls als mar­gi­na­les Vor­spiel betrach­tet wer­den kön­nen, wird durch die Stu­die auf brei­ter Basis widerlegt.

    • Ich glau­be doch, daß da ein durch­ge­hen­der Gegen­satz war. Die Kir­che hat das Volk in Unmün­dig­keit und Erkennt­nis­lo­sig­keit belas­sen wol­len. War doch das gesam­te Mit­tel­al­ter eine Zeit, in kein Abend­län­der die Bibel in sei­ner Mut­ter­spra­che lesen konn­te. Der Feld­zug gegen die Katha­rer war Aus­druck die­ses Gegen­sat­zes. Gali­lei wur­de unter­drückt, weil er auf der mate­ri­el­len Ebe­ne Erkennt­nis brach­te. Die Schrif­ten des Aero­pa­gi­ten wur­den Jahr­hun­der­te lang münd­lich über­lie­fert, bis sie schließ­lich ver­öf­fent­licht wurden.

  2. Die Schrif­ten soll­ten immer von der Inter­pre­ta­ti­on der Schrif­ten unter­schie­den wer­den. Die Kon­zils­kir­che in Rom hat auch die rich­ti­gen Schrif­ten. Es hapert an der Interpretation. 

    Im Juden­tum fin­det sich in der Gegen­wart ein histo­risch ein­ma­li­ges Bemü­hen, dem Schöp­fungs­plan zuzu­ar­bei­ten. Sie tun alles, was mög­lich ist, ohne den Namen Jesus ein­zu­be­zie­hen. Es geht etwa soweit, daß gesagt wird: „Alles Gute kommt von den Juden und Jesus ist ein Aus­druck die­ses Guten.“ 

    Ich glau­be, es han­delt sich bei einer Aus­sa­ge im Text um eine Fehl­an­nah­me: „(Es) bleibt fest­zu­hal­ten, daß jene erwähn­te „Ver­voll­komm­nung und Voll­endung“ ohne Chri­stus gedacht ist.“ Chri­stus wird nicht ver­neint, son­dern ledig­lich nicht expli­zit erwähnt. Sol­che Din­ge sind immer noch Teil der gehei­men münd­li­chen Über­lie­fe­rung. Wir Chri­sten kön­nen nicht hin­ter den Vor­hang des Juden­tums sehen. Wir betrach­ten ein äuße­res Bild, das sich uns zeigt. Viel­ver­spre­chend erscheint es. Wer hin­ge­gen behaup­tet, die Juden wür­den auf den Herrn zuge­hen, ohne sei­nen Namen zu nen­nen, liegt anhand des äuße­ren Ein­drucks nicht falsch. Wir wis­sen es nicht, was hin­ter dem Vor­hang ist. Die Prie­ster, die sich jeden Mor­gen vor Son­nen­auf­gang an der West­mau­er des Tem­pels ver­sam­meln, tra­gen einen Schlei­er als Sym­bol des Vor­hangs, hin­ter den die Außen­welt nicht sehen kann. Die Pro­phe­ten im alten Testa­ment sagen aus­drück­lich, Moshiach wird das Pro­blem lösen. Solan­ge schwei­gen die Rab­bi­ner. Bis dahin ist es für die Blin­den Schrö­din­gers Kat­ze, für die Auf­merk­sa­men aber sehr vielversprechend. 

    Zum Ver­hält­nis des Juden­tums zu Jesus sind von christ­li­cher Sei­te zwei Din­ge zu beach­ten. Erstens hat Petrus in sei­ner Tem­pel­re­de nach Aus­gie­ßung des hei­li­gen Gei­stes gesagt: 

    „Nun, Brü­der, ich weiß, ihr habt aus Unwis­sen­heit gehan­delt, eben­so wie eure Führer.
    […] Also kehrt um und tut Buße, damit eure Sün­den getilgt werden“ 

    Genau das tun sie. Sie ver­rich­ten die Buße so, wie Petrus es ihnen auf dem Tem­pel­berg auf­ge­tra­gen hat! Die zuneh­men­de Inten­si­tät ihre Buße ent­spricht dem Schluß­spurt eines Läu­fers vor dem ersehn­ten Ziel. Dabei wagen sie es nicht, vor­zei­tig den Tem­pel­berg zu betre­ten, auf dem Petrus sei­ne Rede gehal­ten hat. 

    Zwei­tens sind die Hohen­prie­ster Annas und Kai­phas von dem Ara­ber Hero­des ein­ge­setz­te Vasal­len gewe­sen. Sie wären ohne Hero­des nicht Hohe­prie­ster gewe­sen. Ihre Taten kön­nen dem Juden­tum nur beschränkt zur Last gelegt werden.

  3. Papst Leo begibt sich wie­der ein­mal aufs Glatt­eis und ver­un­si­chert die Katho­li­ken. Chri­sten brau­chen kei­ne „Anlei­hen“ bei Mos­lems und Juden zu machen. Es genügt auf Jesus Chri­stus, auf sein Kreu­zes­op­fer und sei­ne Auf­er­ste­hung zu schau­en. Chri­stus allein genügt; aber man­chen offen­kun­dig nicht.
    Papst Leo ist wohl nicht sat­tel­fest im Glauben.

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