
Alle Seiten bemühen sich, dem neugewählten Papst Leo XIV. Rosen zu streuen und ihn ihrer Treue und Anhänglichkeit zu versichern. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das hat seine Gründe vor allem darin, daß der 267. Stellvertreter Christi auf Erden noch allgemein ein recht unbeschriebenes Blatt ist. Das sollte durchaus als positiv gesehen werden. Und natürlich versuchen sich alle Seiten, besonders auch die höchsten Kirchenmänner und Kurialen mit dem neuen Kirchenoberhaupt gut zu stellen. Die Folge sind sehr konträre Puzzleteile, die auf das Feld geworfen werden. Das sorgt für eine gewisse Verwirrung und Unsicherheit. Sowohl Progressive als auch Konservative bemühen sich, Leo XIV. auf die eine oder andere Weise zu vereinnahmen. Dahinter steht eine sehr spezielle Diskussion in den USA nicht zurück.
Diese unterschiedlichen und oft gegensätzlichen Stimmen, die sich derzeit erheben, sollten nur bedingte Aufmerksamkeit finden. Die Ausrichtung des Pontifikats wird sich bald zeigen. Vorerst darf es – angesichts der Ausgangslage im Konklave – als erfreulich gesehen werden, daß keine einseitige progressive Stoßrichtung erfolgt ist, vielmehr auf progressiver Seite nicht minder Unsicherheit herrscht als auf konservativer, und die Progressiven in nicht geringerem Maße um die Gunst Leos XIV. buhlen. In der Tat vorerst eine mit der nötigen Zurückhaltung zu sehende erfreulich positive Situation.
In den USA ist eine ganz eigene Diskussion im Gange. Leo XIV. ist der erste US-Amerikaner auf dem Stuhl Petri. An dieser Stelle wurde bereits darauf verwiesen, daß noch 2013 die Wahl eines US-Amerikaners von den US-Kardinälen selbst als ungünstig gesehen und davon abgeraten wurde. Allein diese Veränderung, die in den vergangenen zwölf Jahren eingetreten ist, sorgt für Diskussionsstoff und zahlreiche Interpretationsversuche. Manche sehen darin das Ende der unipolaren US-Dominanz widergespiegelt, andere verweisen auf den „Kampf um die Vereinigten Staaten“, der zwischen links und rechts stattfinde und weltweite Auswirkungen habe. Wieder andere sehen in der Wahl von Kardinal Prevost die progressive Absicht, US-Präsident Donald Trump einen anderen US-Amerikaner als sichtbaren und weltweit agierenden Gegenpart entgegenzusetzen. Alle diese Erklärungsversuche, und es gibt deren noch mehr, enthalten in gewisser Weise einen Funken Wahrheit, greifen aber zu kurz. Die Kirche ist die Kirche, die USA sind die USA.
Die Unsicherheit zeigte sich unmittelbar nach der Wahl, als in den USA eine Debatte losbrach, ob Leo XIV. ausreichend „amerikanisch“ sei. Eine etwas seltsam anmutende Diskussion.
Anlaß dazu war, daß er, als er sich das erste Mal der Stadt und dem ganzen Erdkreis zeigte, italienisch und spanisch sprach, aber nicht englisch. Ein US-Amerikaner habe Englisch zu sprechen, hielten sogar US-Senatoren dem neuen Papst vor. Dahinter steht eine innenpolitische Streitfrage, da immer mehr US-Amerikaner aufgrund der massiven Einwanderung zuletzt vor allem unter Joe Biden nicht Englisch als Muttersprache haben und in den Familien immer häufiger eine Fremdsprache gesprochen wird. Insbesondere die spanische Sprache erlangt zahlenmäßig stetig größere Bedeutung. Dem soll entgegengewirkt werden, indem Englisch als Staatssprache und sogar alleinige Amtssprache festgeschrieben werden soll. Die USA kennen auf Bundesebene keine verbindliche Staats- oder Amtssprache. Noch vor kurzem galt die Festschreibung einer solchen als unamerikanisch, doch die Zeiten ändern sich durch den Migrationsdruck.
Gleich am nächsten Tag, als Leo XIV. mit den Papstwählern unter den Kardinälen eine Dankmesse Pro Ecclesia zelebrierte, sprach er dann auch englisch und tat dies seither bei allen allgemeinen, die Gesamtkirche betreffenden Ereignissen. Die aufgeflammte Sprach-Empörung in den USA wird also schnell wieder erlöschen. Doch in Wirklichkeit geht es dabei um die größere Frage, wem der neue Papst nahesteht: Trump, den Republikanern oder den Demokraten? Wie steht er zu den aktuellen innenpolitischen Konfliktlinien in den USA? Wie zu den zentralen geopolitischen Bruchlinien?
Man weiß es noch nicht. Niemand weiß es so recht, deshalb kommt es zu dem mißtönenden Herumstochern, das derzeit aber nicht weiterhilft. Man muß Leo XIV. an seinen Taten messen und kann dann mögliche Linien zu früheren Positionen und Stellungnahmen aufzeigen, nicht aber umgekehrt.
Zumindest eines weiß man: Von den drei Prevost-Brüdern ist einer, Robert Francis Prevost, nun Papst und ein anderer, der älteste, Louis Martín Prevost, ein überzeugter Trump-Anhänger. Darauf angesprochen erklärte Louis Martín Prevost, daß er über die politischen Überzeugungen seines Bruders, des Papstes, aus naheliegenden Gründen nichts öffentlich sagen möchte, daß die Brüder aber untereinander durchaus über politische Themen sprechen würden. Der mittlere Prevost-Bruder, John Joseph Prevost, äußerte die Annahme, sein Bruder werde „die Linie von Papst Franziskus fortsetzen“.
Die Abstammung des Papstes
Der Vater von Papst Leo XIV., Louis Marius Prevost, wurde 1920 in Chicago, Illinois, geboren. Dessen Vater stammte aus dem Piemont wie auch die Vorfahren von Papst Franziskus, allerdings aus einer anderen Gegend. Dessen Mutter Suzanne Fontaine, die Großmutter von Leo XIV., war hingegen eine Französin aus Le Havre in der Normandie. Der Familiennamen Prevost (lat. praepositus, Propst) ist französischer Herkunft und dürfte ins Piemont gekommen sein, da dieses heute zur Republik Italien gehörende Gebiet historisch Teil des Herzogtums Savoyen war. Der Familienname ist in Frankreich sehr häufig mit besonderer Konzentration im Nordosten, in der Île-de-France, der Normandie, der Picardie, im Artois und dem Hennegau, also auch im wallonischen Teil Belgiens. Louis Marius Prevost, der als Leutnant im Zweiten Weltkrieg an der amerikanischen Landung in der Normandie teilnahm, absolvierte anschließend in Chicago ein Lehramtsstudium und wurde Lehrer, Schulleiter und schließlich Bezirksschulleiter. Er war in seiner Pfarrei sehr aktiv, wo er als Katechist wirkte. 1997 ist er verstorben.
Die Mutter von Leo XIV., Mildred Martínez, stammt aus dem kulturell französisch geprägten New Orleans in Louisiana. Ihr Familienname verweist auf spanische Einflüsse. Mildred Martínez wurde 1912 in Chicago geboren, kurz nachdem ihre Familie aus New Orleans dorthin gezogen war. Ihr Vater Joseph Martínez stammte aus Santo Domingo, der heutigen Dominikanischen Republik, die Mutter Louise Baquié hingegen aus New Orleans. In Louisiana wurden sie bei Volkszählungen als Mulatten geführt, nach der Übersiedlung nach Illinois aber als Weiße. Ihre Tochter Mildred Martínez erwarb dort einen Bachelor in Bibliothekswissenschaften und an der DePaul University, an der auch ihr Mann studierte, einen Master in Pädagogik. Sie war als Bibliothekarin tätig und wie ihr Mann in ihrer Pfarrei sehr aktiv. Die Mutter von Papst Leo XIV. ist 1990 verstorben.
Was hingegen die derzeitigen Treuebekundungen gegenüber Leo XIV. betrifft, wird sich zeigen, wie lange sie anhalten werden.
Text. Giuseppe Nardi
Bild: TV2000 (Screenshots)
Schmunzeln, wenngleich höchsterfreut, musste ich über die Bildauswahl zum Artikel. In jeglicher Hinsicht werden wir erfahren, wohin die Reise mit Leo XIV. gehen wird. Fakt ist, bezüglich Schönheit, Anmut und Ästhetik, mit der Benedikt XVI. das Amt erfüllte, werden wir noch lange zehren müssen. Unter Leo XIV. keine Rückkehr zu einem goldenen Brustkreuz, einem mit dem päpstlichen Wappen verzierter Gürtel, geschweige denn roten oder rotbraunen Schuhen. Hoffen wir auf wichtige inhaltliche Korrekturen des Vorgängers.
Papst Leo wird sich von politischer und medial-politischer Seite nicht vereinnahmen lassen. Schon bei Papst JP II. gab es die versuchten Einordnungen rechts-links usw. An ihm ist das alles abgeprallt.
Es geht um Christus, der Weg, Wahrheit und Leben ist: das ist die Leitlinie von Papst Leo. In Verfolgung dieses Weges wird der neue Papst nicht umhinkommen, der woken Welt eine Absage zu erteilen.
Interessant ist der familiäre Hintergrund von Leo XIV. Amerikanischer geht es kaum, aber Angelsachsen finden sich keine unter seinen Vorfahren. Das Katholische könnte in den USA an Boden gewinnen und auch Auswirkungen auf den Sprachgebrauch im allgemeinen haben. In der Tat kann Englisch nicht als alleinige Staatssprache in den USA fungieren, zumal geschichtlich gesehen große Teile der heutigen USA mal zur spanischen Krone gehörten und dann zu Mexiko: Florida, Texas, Kalifornien, Arizona, Neu-Mexiko. Andere große Teile waren der französischen Krone unterstellt, von den Großen Seen bis zum Golf von Mexiko.