Die außergewöhnliche Geschichte von Ausonio Franchi

Erst im Moment des Todes ist das Leben eines Menschen entschieden


Das Grabmal des Priesters und Philosophen Cristoforo Bonavino, der unter dem Pseudonym Ausonio Franchi das Christentum verleugnete und bekämpfteDas Grabmal des Priesters und Philosophen Cristoforo Bonavino, der unter dem Pseudonym Ausonio Franchi das Christentum verleugnete und bekämpfte
Das Grabmal des Priesters und Philosophen Cristoforo Bonavino, der unter dem Pseudonym Ausonio Franchi das Christentum verleugnete und bekämpfte

Von Rober­to de Mattei*

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Wer hat je von Aus­o­nio Fran­chi gehört? Wahr­schein­lich nur sehr weni­ge. Dabei war er zu sei­ner Zeit ein berühm­ter und gefei­er­ter Mann. Sein Leben ver­dient es, erzählt zu werden.

Sein rich­ti­ger Name war Cri­sto­fo­ro Bona­vi­no. Er wur­de am 27. Febru­ar 1821 in Peg­li in Ligu­ri­en als Sohn einer gro­ßen und zutiefst christ­li­chen Fami­lie gebo­ren. Im Alter von sech­zehn Jah­ren wur­de er in das Prie­ster­se­mi­nar auf­ge­nom­men, wo er sich durch sei­nen Stu­di­en­ei­fer und vor allem durch sei­ne Ver­eh­rung der Got­tes­mut­ter aus­zeich­ne­te. Im Novem­ber 1840 trat er in die Kon­gre­ga­ti­on der Obla­ten des hei­li­gen Alphons zur Erneue­rung des Kle­rus ein, die kurz zuvor vom Bischof von Bob­bio Anto­nio Maria Gian­nel­li (1779–1846) gegrün­det wor­den war, einer gro­ßen Per­sön­lich­keit des katho­li­schen Epi­sko­pats des 19. Jahr­hun­derts, der 1951 von Pius XII. hei­lig­ge­spro­chen wurde.

Auf­grund sei­ner intel­lek­tu­el­len Fähig­kei­ten wur­de Cri­sto­fo­ro, schon Kle­ri­ker, 1842 zum Stu­di­en­prä­fek­ten und Pro­fes­sor der Phi­lo­so­phie ernannt. 1844 wur­de er zum Prie­ster geweiht, hat­te aber einen wider­spen­sti­gen und hoch­mü­ti­gen Cha­rak­ter und geriet in Kon­flikt mit sei­nen Vor­ge­setz­ten, und zwar wegen der Leh­re, die das Insti­tut, dem er ange­hör­te, kenn­zeich­ne­te: die Liguo­ri­mo­ral, der er einen Jan­se­nis­mus-freund­li­chen Rigo­ris­mus ent­ge­gen­set­zen woll­te. Im sel­ben Jahr 1844 sah sich Bischof Gian­nel­li, der Cri­sto­fo­ro wie einen Sohn lieb­te, gezwun­gen, ihn aus der Kon­gre­ga­ti­on zu ent­las­sen, die auch wegen des Skan­dals nur ein kur­zes Leben hat­te.1 Pater Bona­vi­no wur­de Welt­prie­ster und ver­tief­te sich so eif­rig in das Stu­di­um der ratio­na­li­sti­schen Phi­lo­so­phen sei­ner Zeit, daß er sich bald deren radi­kal­ste Ideen aneig­ne­te. Er begann, heim­lich eini­ge anti­kle­ri­ka­le Pam­phle­te zu ver­öf­fent­li­chen, bis er fünf Jah­re nach sei­ner Prie­ster­wei­he vor dem Gene­ral­vi­kar sei­ner Diö­ze­se eine auf­se­hen­er­re­gen­de Geste mach­te: Er leg­te sei­ne Sou­ta­ne ab und ver­warf sogar sei­nen Tauf­na­men. Statt­des­sen nahm er den Namen Aus­o­nio Fran­chi an, was soviel besa­gen soll­te wie „frei­er Italiener“.

Sein Glau­be war erlo­schen. Von nun an waren die Auto­ri­tät und die Dog­men der Kir­che das Ziel sei­ner unab­läs­si­gen Angrif­fe im Namen des herr­schen­den Ratio­na­lis­mus. Von 1854 bis 1858 lei­te­te er die Zei­tung La Ragio­ne (Die Ver­nunft) mit der Absicht, eine neue Reli­gi­on der Mensch­heit zu ver­brei­ten, nach­dem er den nur mehr rein histo­ri­schen Cha­rak­ter des Chri­sten­tums nach­ge­wie­sen hat­te. Im Jahr 1853 schrieb er ein Buch mit dem Titel „Die Reli­gi­on des 19. Jahr­hun­derts“, in dem er den unüber­brück­ba­ren Gegen­satz zwi­schen der Katho­li­zi­tät und den Frei­heits­be­stre­bun­gen der moder­nen Gesell­schaft her­vor­hob. Die­se Posi­tio­nen brach­ten ihm Ruhm und Ehre ein. Mit dem aka­de­mi­schen Jahr 1860/​61 erhielt er einen Lehr­stuhl für Phi­lo­so­phie­ge­schich­te an der Uni­ver­si­tät Pavia, und 1863/​64 wur­de er mit mit dem glei­chen Lehr­auf­trag an die Wis­sen­schaft­lich-Lite­ra­ri­sche Aka­de­mie in Mai­land beru­fen. Wie vie­le abtrün­ni­ge Prie­ster geriet er bald in die Netz­wer­ke der Frei­mau­re­rei. Er wur­de Mit­glied der Loge „Insubria“ des Ita­lie­ni­schen Sym­bo­li­schen Ritus und Vor­sit­zen­der des Gro­ßen Sym­bo­li­schen Rates die­ses Ritus. Im Jahr 1868 fusio­nier­te der Sym­bo­li­sche Ritus mit dem Groß­ori­ent von Ita­li­en. Aus­o­nio Fran­chi war ein vehe­men­ter Befür­wor­ter die­ser Fusi­on und der Ver­ei­ni­gung aller frei­mau­re­ri­schen Kräfte.

Die Blind­heit von Aus­o­nio Fran­chi dau­er­te mehr als drei­ßig Jah­re, aber nie­mand muß bis zum letz­ten Augen­blick sei­nes Lebens, der der ein­zi­ge ist, der vor Gott zählt, an sei­ner Erlö­sung ver­zwei­feln. Die Geschich­te der Kir­che kennt den Fall vie­ler abtrün­ni­ger Prie­ster, die star­ben, ohne die Gna­de der Buße zu erlan­gen, von Vin­cen­zo Gio­ber­ti, der 1852 im Alter von 51 Jah­ren plötz­lich von einem Schlag­an­fall hin­ge­rafft wur­de, bis zu dem Phi­lo­so­phen Rober­to Ardi­gò, der sich 1920 im Alter von 90 Jah­ren die Puls­adern auf­schnitt. Wie sie hat auch Aus­o­nio Fran­chi, der den Glau­ben ver­leug­ne­te, die Kir­che und ihre Dog­men öffent­lich ange­grif­fen. Für eine geweih­te See­le gibt es kei­ne grö­ße­re Sün­de als die­se. Doch Gott hat­te Erbar­men mit ihm. Mit einem groß­her­zi­gen Akt Sei­ner unend­li­chen Güte woll­te Er ihn ret­ten, wohl auch um zu zei­gen, daß kei­ne Bekeh­rung unmög­lich ist und daß wir für alle See­len beten müs­sen, beson­ders für die, die der gött­li­chen Barm­her­zig­keit am mei­sten bedür­fen, wie es die Got­tes­mut­ter 1917 in Fati­ma emp­foh­len hat.

Die Bekeh­rung von Aus­o­nio Fran­chi begann 1889, als bei einem Besuch des Mari­en­hei­lig­tums Madon­na del­la Guar­dia in Sestri Ponen­te die Reue in sei­nem Her­zen explo­dier­te und er noch ein­mal zurück­kehr­te, um nie­der­zu­knien und zu Maria zu beten. Nach sei­ner Rück­kehr zum Glau­ben gab er bekannt, daß er auch in den Jah­ren, in denen er sich am wei­te­sten von der katho­li­schen Kir­che ent­fernt hat­te, nie die täg­li­che Pra­xis auf­ge­ge­ben hat­te, drei Ave Maria zu beten, und daß er über­zeugt war, sei­ne Ret­tung die­sem Umstand zu ver­dan­ken. Denn nie­mand wird geret­tet oder kehrt zu Gott zurück, außer durch Maria, die Mut­ter, Zuflucht und Trost der armen Sterb­li­chen ist.2

Nach­dem er im August 1889 sei­nen Irr­tü­mern abge­schwo­ren hat­te, wur­de er im Mai 1890 von Papst Leo XIII. emp­fan­gen und zog sich 1892 in das Klo­ster der Unbe­schuh­ten Kar­me­li­ter in Genua zurück. Im sel­ben Jahr ver­öf­fent­lich­te er unter dem Titel „Eine letz­te Kri­tik“ eine phi­lo­so­phi­sche Wider­le­gung sei­ner Irr­tü­mer. Dabei gab er Kant zugun­sten des hei­li­gen Tho­mas von Aquin, sei­nes ersten intel­lek­tu­el­len Lehr­mei­sters, auf. Zugleich nahm er wie­der sei­nen Tauf­na­men Cri­sto­fo­ro Bona­vi­no an, zog das Prie­ster­ge­wand wie­der an und durf­te wie­der die Hei­li­ge Mes­se zele­brie­ren. Er beteu­er­te, daß er als gehor­sa­mer und treu­er Sohn der hei­li­gen Kir­che ster­ben wol­le. So emp­fing er im vol­len Bewußt­sein sei­nes Gewis­sens die Letz­te Ölung und ent­schlief in der Nacht des 12. Sep­tem­ber 1895 fried­lich im Ver­trau­en auf die gött­li­che Barm­her­zig­keit. Er erwar­tet nun die Stun­de der Auf­er­ste­hung auf dem Fried­hof von Peg­li, wo sein Grab­stein die Inschrift trägt:

Cri­sto­fo­ro di Gio­van Bat­ti­sta Bona­vi­no, Prie­ster und einer der bedeu­tend­sten Phi­lo­so­phen unse­rer Zeit, hat­te sich unter dem Pseud­onym Aus­o­nio Fran­chi zum offen­sten Ratio­na­lis­mus bekannt, aber in dem Werk ‚Eine letz­te Kri­tik‘ wider­leg­te er sei­ne Irr­tü­mer und lei­ste­te auf leuch­ten­de Wei­se Wie­der­gut­ma­chung für den der Kir­che Jesu Chri­sti zuge­füg­ten Schmerz. Nach­dem er sich nach Genua zu den Kar­me­li­tern von St. Anna zurück­ge­zo­gen hat­te, starb er am 12. Sep­tem­ber 1895 im Alter von 75 Jah­ren hei­lig­mä­ßig, geseg­net vom Hei­li­gen Vater Leo XIII. und bei­gesetzt in sei­ner Hei­mat durch sei­ne Fami­lie, die Gott dafür dankt, ihn zum Licht der Wahr­heit zurück­ge­ru­fen zu haben.“

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL


1 Die 1838 gegrün­de­ten Obla­ten des hl. Alphons für die Erneue­rung des Kle­rus lösten sich bereits 1846, kurz nach dem Tod ihres Ordens­grün­ders, des hl. Anto­nio Maria Gia­nel­li, wie­der auf.

2 vgl. Arturo Col­let­ti: Aus­o­nio Fran­chi e i suoi tem­pi. Apo­sta­sia e con­ver­sio­ne. Mari­et­ti, Turin 1925, S. 338–341.

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