
Von Roberto de Mattei*
Ein 56 Meter langes Segelschiff, das ausdrücklich für den Einsatz auf dem Meer bei einem Sturm konzipiert war und als unsinkbar galt, sank innerhalb von fünfzehn Minuten nach einem leichten Wirbelsturm etwa hundert Meter von der Küste entfernt, während rundherum kleine Boote den Wirbelsturm unbeschadet überstanden. Der Schiffbruch der Yacht Bayesian, der sich am 19. August 2024 auf der Reede des Hafens von Porticello in der Provinz Palermo auf Sizilien ereignete, erschütterte die öffentliche Meinung durch die Dynamik des Unfalls, aber auch durch die Identität seiner Protagonisten.
Das Segelschiff gehörte nämlich dem britischen Magnaten Mike Lynch, der eine Kreuzfahrt organisiert hatte, um seinen Freispruch in einem Prozeß zu feiern, in dem er wegen eines 10-Milliarden-Dollar-Betrugs im Zusammenhang mit dem Verkauf seines Softwareunternehmens an Hewlett-Packard (HP) im Jahr 2011 angeklagt worden war. Nach mehr als zehnjährigem juristischem Gerangel hatte eine US-Jury den Unternehmer am 6. Juni dieses Jahres von allen Vorwürfen freigesprochen. Lynch hatte eine kleine Gruppe von Freunden auf seine Luxusyacht eingeladen, darunter seinen Anwalt im Prozeß, Christopher Morvillo, und den Vorsitzenden von Morgan Stanley International, Jonathan Bloomer, dessen Aussage entscheidend zu Lynchs Rettung in dem Verfahren beigetragen hatte. Sieben von 22 Personen kamen bei dem Schiffsunglück ums Leben, darunter die drei Freunde Lynch, Morvillo und Bloomer.
Durch einen seltsamen Zufall starb Lynchs Geschäftspartner Stephen Chamberlain, ebenfalls Mitangeklagter in dem Prozeß, am Vorabend des Schiffbruchs, als er beim Joggen in der Nähe seines Hauses in England von einem Auto überfahren wurde.
Nimmt man noch hinzu, daß es Verbindungen zwischen Lynchs Firma, dem britischen Geheimdienst und dem Mossad gibt, wird deutlich, daß die Affäre beunruhigende Fragen aufwirft. Wir warten auf die Ermittlungen der Justiz, um zu verstehen, ob es neben dem Wetter auch eine menschliche Verantwortung schuldhafter oder böswilliger Natur gab. Nichts kann ausgeschlossen werden, und alle Hypothesen können aufgestellt werden. Aber wenn uns menschliche Ereignisse unverständlich erscheinen, müssen wir uns daran erinnern, daß es keinen Zufall gibt und daß in allem, was geschieht, eine göttliche Botschaft steckt, die zu unserem Verstand und unserem Herzen spricht. Was könnte die Botschaft sein, die uns der mysteriöse Untergang der Bayesian vermittelt?
Vielleicht diese: Es reicht nicht aus, reich und mächtig zu sein, sich der menschlichen Justiz zu entziehen, den Sieg zu besingen und sich einzureden, daß wir die Welt zum Narren gehalten haben. Was zählt, ist nicht das Urteil der Menschen, sondern das Gottes. Und Gott kann uns jederzeit für unsere Taten zur Rechenschaft ziehen. Lassen wir uns nicht blenden von dem, was die Welt uns am verlockendsten anbietet: Was zählt, ist allein das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit. Die Party kann ganz plötzlich enden und in eine Tragödie umschlagen. Das gilt für die Menschen, aber auch für die Völker, die von einem Moment auf den anderen in ihrer Geschichte gerichtet werden können. Es ist die Heilige Schrift selbst, die uns im Buch Daniel daran erinnert.
Der babylonische Fürst Balthasar, Sohn des Königs Nebukadnezar, hatte ein Festmahl mit tausend Gästen vorbereitet, an dem seine Großen, seine Frauen und seine Konkubinen teilnahmen. Während des Festes erschien an einer Wand eine Schrift mit den drei geheimnisvollen Worten: Mene, Tekel, Fares. Der König erschrak und ließ Astrologen, Chaldäer und Wahrsager rufen, aber keiner von ihnen konnte die Bedeutung dieser Worte erklären. Da schlug die Königin dem König vor, Daniel zu konsultieren, der für seine Fähigkeit, Träume zu deuten und Rätsel zu lösen, bekannt war. Daniel wurde vor den König gerufen, der ihm große Geschenke anbot, wenn er diese obskuren Worte erklären könnte. Daniel lehnte die Geschenke des Königs ab, gab ihm aber die verlangte Erklärung:
„Du hast dich gegen den Herrn des Himmels entweiht, und die Gefäße seines Tempels sind vor dich gebracht worden, und du, deine Würdenträger, deine Frauen und deine Nebenfrauen haben daraus Wein getrunken. Du hast die Götter des Goldes, des Silbers, der Bronze, des Eisens, des Holzes und des Steins gepriesen, die weder sehen noch hören noch verstehen. Und du hast Gott nicht gepriesen, in dessen Händen dein Leben ist und dem alle deine Wege gehören. Von ihm wurde dann die Hand gesandt, die diese Schrift zeichnete. Das Geschriebene aber lautet: Mene, Tekel, Fares, und dies ist die Deutung:
Mene: Gott hat die Tage deiner Herrschaft gezählt und hat sie beendet. Tekel: Du wurdest in der Waage gewogen und für zu leicht befunden. Fares: Dein Reich ist geteilt und wird den Medern und Persern gegeben werden. […] Noch in derselben Nacht wurde Balthasar, der König der Chaldäer, getötet und der Meder Darius erhielt das Königreich im Alter von etwa zweiundsechzig Jahren“ (Daniel 5,23–6, 1).
Pater Giuseppe Brunengo (1821–1891) schreibt in seiner beeindruckenden historischen Studie über das Ende des Babylonischen Reiches: „Etwa sechs Jahrhunderte nach der Eroberung durch Kyros war die Zerstörung Babylons nach einer langen Dekadenz und Agonie vollendet. Die Häuser, die Paläste, die Tempel, die Denkmäler der riesigen Stadt, der Palast selbst mit seinen hängenden Gärten und die kolossalen Mauern, die ein Weltwunder waren, alles war nur noch ein Trümmerhaufen und fast ein riesiges Meer von Tumuli oder gigantischen Gräbern, in dessen Mitte der Euphrat, sozusagen das einzige Lebendige in diesem Reich des Todes und der Verwüstung, seinen stillen und majestätischen Lauf zum Ozean fortsetzte.“1
Mene, Tekel, Fares. Diese Worte erinnern uns daran, daß für jeden der Tag der redde rationem kommt, der Tag, an dem wir vor Gott Rechenschaft über unsere Taten ablegen müssen. Dies ist kein verschwörungstheoretischer, sondern ein religiöser und moralischer Schlüssel zum Verständnis dessen, was an der Küste von Palermo geschah und was mit einer Gesellschaft geschehen könnte, die munter gegen das natürliche und göttliche Gesetz verstößt, während sie vielleicht am Vorabend eines dramatischen Schiffbruchs steht.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Zusendung/Corrispondenza Romana
1 Giuseppe Brunengo: L’Impero di Babilonia e di Ninive dalle origini fino alla conquista di Ciro, descritto secondo i Monumenti cuneiformi comparati col Bibbia, Giachetti, Prato 1885, Bd. 2, S. 519f.