(Nur-Sultan) Am 9. August, wenige Tage vor der Ankunft von Papst Franziskus und anderer Religionsführer, wurde in Nur-Sultan die größte Moschee Zentralasiens eröffnet. Ein deutliches Signal im Vorfeld des Kongresses der Führer der Weltreligionen und traditionellen Religionen, der seit Dienstag in der kasachischen Hauptstadt stattfindet.
Kasachstans erster Staatspräsident Nursultan Nasarbajew eröffnete am vergangenen Freitag eine der größten Moscheen der Welt. Nach ihm ist die heutige Hauptstadt Kasachstans benannt. Nasarbajew regierte das zentralasiastische Land bereits zu Sowjetzeiten als Generalsekretär des ZK der Kommunistischen Partei Kasachstans. Nach dem Zusammenbruch des roten Imperiums wandelte sich der Atheist zum freimaureraffinen „gemäßigten“ Muslim und beherrschte das Land drei Jahrzehnte als „demokratischer“ Despot. In seiner Eröffnungsansprache sagte er vergangene Woche:
„An diesem heiligen Freitag eröffnen wir eine wunderschöne Moschee in unserer Hauptstadt. Dies ist ein wichtiges Ereignis nicht nur für unsere Hauptstadt, sondern auch für alle unsere Bürger, die Muslime.“
Nasarbajew, auf den seit 1997 der planmäßige Ausbau Astanas zurückgeht, so hieß die 1830 von Rußland gegründete Stadt bis 2019, hatte als damals noch amtierendes Staatsoberhaupt den Grundstein zur Großen Moschee gelegt. In seiner Planhauptstadt ist alles überdimensional, weshalb auch die Moschee Anwärter für gleich mehrere Einträge in das Guinness-Buch der Rekorde ist.
In den vergangenen 20 Jahren wurde der größte Moscheebau in Kasachstan gleich mehrfach überboten. 2005 war die Nur-Astana-Moschee als größte Moschee des Landes eröffnet worden, 2012 wurde sie durch die Hazrat-Sultan-Moschee übertrumpft und diese nun 2022 durch die Große Moschee. Die Kuppel der Nur-Astana-Moschee ist 40 Meter hoch, die Höhe ihrer vier Minarette beträgt 63 Meter. Die Kuppel der Hazrat-Sultan-Moschee erreicht eine Höhe von 51 Metern und ihre ebenfalls vier Minarette ganze 77 Meter. Die Große Moschee überragt sie jedoch alle: Deren Hauptkuppel hebt sich 83 Meter in den Himmel und ihre vier Minarette sogar 130 Meter. Eines der Minarette ist öffentlich zugänglich. Über einen Aufzug kann eine Aussichtsterrasse erreicht werden, von wo aus Nur-Sultan überblickt werden kann. In der großen Gebetshalle befindet sich mit 70 Metern der größte handgeknüpfte Teppich der Welt. Im Vergleich zu den superlativen Moscheebauten der neuen kasachischen Machthaber wirken die historischen Moscheen, die es vor der kommunistischen Machtübernahme gab, wie bescheidenste Miniaturausgaben. Heute gibt es in Kasachstan insgesamt mehr als 2.300 registrierte Moscheen.
Die Große Moschee von Nur-Sultan erstreckt sich über ein Gelände von zehn Hektar, von denen 6,8 Hektar verbaut sind. Sie umfaßt zwei Stockwerke mit Unterrichtsräumen der Koranschule, eine große Konferenzhalle, einen Bankettsaal, Waschräume für 30.000 Menschen, Opferungsräume, ein Fernsehstudio, ein Museum, einen Saal für Hochzeiten, Seminarräume, Nobelzimmer für besondere Gäste und vieles mehr. Sie kann unglaublichen 235.000 Menschen Platz bieten: 35.000 davon im Inneren (30.000 Plätze für Männer, 5.000 für Frauen), 200.000 im Freien.
Die Reihung als siebtgrößte Moschee der Welt bezieht sich auf ihr Gesamt-Fassungsvermögen. Die größten Moscheen der Welt sind jene von Mekka und Medina. Unter anderen Gesichtspunkten ist nun jedoch die Große Moschee von Nur-Sultan die größte Moschee der Welt.
Seit dem Ende der Sowjetunion erlebt Kasachstan eine Kasachisierung und Islamisierung. 1989 lebten in dem flächenmäßig gigantischen Staatsgebiet (2,7 Millionen qkm bei nur 18,6 Millionen Einwohnern) fast gleichviel Russen wie Kasachen. Heute sind es nur mehr 18,5 Prozent Russen, aber 69 Prozent Kasachen. Während sich die Zahl der Russen halbierte, schrumpfte jene der Deutschen auf ein Fünftel. 1991 lebten noch eine Million Deutsche in dem Land (sechs Prozent der Gesamtbevölkerung), fast zur Gänze Nachkommen der von Stalin 1941 deportierten Rußlanddeutschen. Der Anteil der Christen schrumpfte entsprechend auf 25 Prozent, während jener der Muslime nach neuesten Zahlen auf 72 Prozent anwuchs. Die von Nasarbajew definierte Staatsdoktrin vertritt die friedliche Koexistenz von Völkern und Religionen. Tatsächlich aber fördert der Staat das Kasachentum und den sunnitischen Islam, der sich in einer vom Staat kontrollierten Weise entfalten darf.
Das an Bodenschätzen reiche Land wird auf dem geopolitischen Kampffeld von verschiedenen Mächten umworben, von Rußland, der Volksrepublik China, der Türkei, den arabisch-sunnitischen Golf-Emiraten und nicht zuletzt von den USA.
Beobachter warnen seit einiger Zeit, daß das autokratische Machtgefüge, das inzwischen von Nasarbajew auf seinen Nachfolger Qassym-Schomart Toqajew übergegangen ist, durch äußere Interventionen leicht aus dem Gleichgewicht geraten könnte. In diesem Fall könnte sich die seit den 90er Jahren forcierte Islamisierung nicht nur als Brandbeschleuniger erweisen, sondern bitter rächen.
Am morgigen 16. September wird Großscheich Ahmad al-Tayyib von Al-Azhar in Ägypten das Freitagsgebet in der neuen Moschee leiten. Er reiste wie Papst Franziskus zum Kongreß der Führer der Weltreligionen nach Nur-Sultan, wo ihn Franziskus herzlich begrüßte. Franziskus und al-Tayyib hatten am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi das umstrittene Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt unterzeichnet. Es brachte Franziskus den Vorwurf ein, die „Häresie aller Häresien“ zu fördern, wie es der österreichische Philosoph Josef Seifert formulierte. Während Franziskus noch heute abreisen wird, bleibt al-Tayyib für das Freitagsgebet in der Stadt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/MiL