(Rom) Tausende von Gläubigen waren am 7. Dezember gekommen, um in Montichiari im Bistum Brescia den Feierlichkeiten zur Errichtung des Diözesanen Heiligtums der Rosa Mistica und Mutter der Kirche beizuwohnen. Montichiari gehört neben Medjugorje weltweit zu den bekanntesten und ältesten unter den jüngeren Orten, an denen Marienerscheinungen stattgefunden haben sollen. Die geänderte Haltung der Ortskirche stellt eine weitere Parallele zu Medjugorje dar.
„Ein sehr wichtiges Kapitel wurde aufgetan, nicht nur was die angeblichen Marienerscheinungen betrifft, sondern für die Geschichte der ganzen Kirche.“
Mit diesen Worten begrüßte Riccardo Caniato die Entscheidung des Bischofs von Brescia. Caniato gilt als beste Kenner des Phänomens in der lombardischen Poebene.
Die anwesenden Gläubigen erfreuten sich auch an der Natur. Während der Feierlichkeiten am späteren Nachmittag färbten sich die Wolken am Himmel in der Abenddämmerung leuchtend rot in allen Schattierungen. Das Naturphänomen bildete eine unübertreffliche Kulisse für das kirchliche Ereignis, das im Freien zu Füßen eines Kruzifixes stattfand. Die Natur schien zusammen mit den Gläubigen ihre Reverenz zu erweisen, wie Caniato meint.
Msgr. Pierantonio Tremolada, der Bischof von Brescia, war sichtlich bewegt an diesem Tag, der laut Caniato „in die Geschichte eingehen wird“. Bischof Tremolada zelebrierte in Montichiari anläßlich der Errichtung des Diözesanheiligtums die Messe. Hier in der Poebene wird seit dem Zweiten Weltkrieg die Gottesmutter Maria als Rosa Mistica – Mutter der Kirche verehrt. Nicht immer konfliktfrei, was die kirchliche Hierarchie betrifft.
Für Caniato ist es ein „großer Tag der Dankbarkeit“. Er war der erste Herausgeber der Tagebücher von Pierina Gilli, der angeblichen Seherin von Fontanelle, und ist Mitglied der Stiftung Maria Rosa Mistica. Fontanelle ist ein Ortsteil von Montichiari, etwa vier Kilometer vom Hauptort entfernt. An der dortige Quelle und im Dom zu Montichiari sollen vor 70 bzw. 50 Jahren die bedeutendsten Marienerscheinungen stattgefunden haben.
Diese „Marienerscheinungen“ von Montichiari wurden von der Kirche nicht anerkannt, auch nicht am vergangenen Samstag, dafür aber der Erscheinungsort als Marienheiligtum. Die Kirche reagierte damit auf die „spontane Volksfrömmigkeit“, die sich seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts an diesem Ort ausgebreitet hat.
„Im Zusammenhang mit einigen Statuen und Darstellungen der Rosa Mistica ereigneten sich unerklärliche Vorfälle“, so Caniato.
„Im Libanon zum Beispiel gibt es Darstellungen der Rosa Mistica, die ein wohlriechendes Öl absondern. In den USA gibt es zwei Statuen, die Blut und Tränen weinen. Dasselbe Phänomen ereignete sich auch in Indien, wo Bischöfe und Kardinäle sahen, wie eine Statue als Segenszeichen Honig absonderte. Aus der Verehrung der Rosa Mistica sind zwei religiöse Orden entstanden, die von den jeweiligen Bischöfen anerkannt wurden. Die Zahl der religiösen Organisationen und Gruppen, die weltweit entstanden sind, ist unüberschaubar. Die Heilungen und Bekehrungen lassen sich nicht mehr zählen.“
Was die Erscheinungen der Seherin Pierina Gilli anbelangt, liegt von Seiten der Kirche keine Anerkennung vor. Allerdings, wie Caniato betont, habe sich im Zuge der Errichtung als Gebetsstätte herausgestellt, daß es auch keine negative kirchliche Entscheidung, kein „non constat“ gibt, wie es hingegen bisher angenommen und von verschiedener Seite behauptet worden war. Die Kirche unterscheidet zwischen Anerkennung und Ablehnung eines übernatürlichen Phänomens, während sie vor dieser Entscheidung zur Zurückhaltung mahnt. Im Fall Montichiari liegt bisher keine Entscheidung vor, von der Ortskirche wurde aber zur Zurückhaltung gemahnt.
Pierina Gilli und ihr geistliches Tagebuch
Pierina Gilli wurde 1911 in eine einfache Bauernfamilie von Montichiari geboren. Der Vater starb 1918 an den Folgen der Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg. Die Mutter heiratete wieder, damit die Familie einen Ernährer und die Kinder einen Ziehvater haben. Zunächst arbeitete Pierina als Kindergartenhelferin. Der 1944 erfolgte Eintritt in den Frauenorden der Ancillae Caritatis in Montichiari zerschlug sich nach wenigen Monaten, wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit.
Im Dezember 1944 war es so schlecht um sie bestellt, daß man um ihr Leben fürchtete. Am 17. Dezember, wie sie in ihrem geistlichen Tagebuch verzeichnete, sei ihr die Ordensgründerin Maria Crocifissa Di Rosa erschienen, die 1940 von Papst Pius XII. seliggesprochen worden war. 1954 erfolgte durch denselben Papst ihre Heiligsprechung. Die Selige, deren Gedenktag an jenem Tag begangen wurde (nach der Heiligsprechung wurde er auf den 15. Dezember vorverlegt), habe der Postulantin die Genesung, aber auch zukünftige Prüfungen angekündigt. Sie wurde tatsächlich gesund, hatte aber unter anderen gesundheitlichen Beschwerden zu leiden.
Nachdem sich die Hoffnung auf das Ordensleben zerschlagen hatte, sie aber genesen war, arbeitete Pierina als Krankenschwester in einem Krankenhaus am nahen Gardasee. In der Nacht auf den 24. November 1946 erschien ihr dort, immer laut ihrem Tagebuch, erstmals die Gottesmutter Maria:
„Dann sah ich eine wunderschöne Frau, wie durchsichtig, veilchenblau gekleidet und mit einem weißen Schleier, der bis zu den Füßen reichte. Sie hatte ihre Arme geöffnet, und ich sah drei Schwerter, die ihr Herz durchbohrten.“
Nach einem Herzinfarkt im Alter von 35 Jahren verzeichnete Pierina am 12. März 1947 eine erneute Erscheinung der seligen Ordensgründerin. Sie erholte sich aus diesmal wie ihr vorhergesagt wurde, nachdem sie ihre Leiden für die Gottgeweihten aufopferte.
Im Mai 1947 hatte die junge Krankenschwester eine Höllenvision. Dabei wurden ihr vor allem Gottgeweihte gezeigt, die ihrer Berufung untreu wurden, die in der Todsünde gestorben sind sowie „Judas-Priester“, die den Herrn verraten haben.
Im selben Jahr begannen die „großen Erscheinungen“ der Maria Rosa Mistica. Als solche habe sich die Gottesmutter selbst vorgestellt. Diese Anrufung findet sich in der Lauretanischen Litanei, die seit der Traslatio, der Überführung des Hauses Mariens aus Nazareth in die Marken im 13. Jahrhundert entstand, aber auf ältere Formen aufbaute. Hatten die ersten Erscheinungen im Kloster und im Krankenhaus stattgefunden, erfolgten sie nun im Dom zu Montichiari.
Die Gottesmutter, so steht es in Pierinas Tagebuch, habe zu Gebet, Buße und Sühne aufgerufen für die Sünden der Gottgeweihten. Dazu bat sie in besonderer Weise um die Einführung einer neuen Andacht in den Ordensgemeinschaften.
Am 22. November 1947 forderte die Gottesmutter im Dom zu Montichiari „Gebet und Buße“ von allen Gläubigen und kündigte die Mittagsstunde des 8. Dezember, dem Hochfest Mariä Verkündigung, als „Gnadenstunde“ an. Die Pfarrkirche war trotz ihrer Bezeichnung im Volksmund als „Dom“ nie eine Bischofskirche, ist aber seit 1963 eine Basilika minor.
Auf die Frage Pierinas, was unter „Stunde der Gnade“ zu verstehen sei, habe ihr die Gottesmutter gesagt:
„Die Stunde der Gnade wird ein Ereignis von großen und zahlreichen Bekehrungen sein. Seelen, ganz verhärtet, kalt wie dieser Marmor, werden von der göttlichen Gnade gerührt, und sie werden treu und wieder Gott liebend werden.“
Am 8. Dezember 1947 führte die Gottesmutter den Wunsch näher aus:
„Ich bin die Unbefleckte Empfängnis. Ich bin Maria die Gnadenreiche, Mutter meines göttlichen Sohnes Jesus Christus. Durch mein Kommen hier in Montichiari wünsche ich, als Rosa Mystica angerufen und verehrt zu werden. Ich wünsche, daß man jedes Jahr am 8. Dezember um die Mittagszeit die Gnadenstunde für die ganze Welt feiere. Mit dieser Übung wird man zahlreiche seelische und leibliche Gnaden erlagen.“
Die Gottesmutter hatte nun, offenbar, weil Pierina ihrem Ruf zur Sühne gefolgt war, nicht mehr drei Schwerter in der Brust, sondern drei Rosen auf der Brust, eine rote, eine weiße und eine goldene. Jede stelle das Verdienst für die Sühne für die drei in der Höllenvision geschauten Gruppen der Gottgeweihten dar.
Auch diese Erscheinung habe im Dom zu Montichiari stattgefunden. Da die Gottesmutter den Termin ihres Erscheinens an diesem Tag angekündigt hatte, waren mehrere tausend Menschen zusammengeströmt. Ein fünfjähriger Junge, der gelähmt war, und eine 26-jährige Frau, die stumm dar, wurden geheilt. „Alle waren sehr beeindruckt“, wie es heißt. Der geheilte Junge selbst sagte: „Ich habe die Madonna gesehen“. Er konnte ein normales Leben führen und später heiraten. Die geheilte Stumme trat in ein Kloster ein. Eine dritte Heilung, die einer 36-jährigen Behinderten, ereignete sich zeitgleich, aber räumlich getrennt bei ihr zu Hause, sodaß eine Form der Massensuggestion ausgeschlossen werden kann. Ihre Schwägerin hatte für sie gebetet: „O liebe Gottesmutter, wenn du jetzt tatsächlich im Dom zu Montichiari erscheinst, so heile doch jetzt diese arme Kranke“.
Unter bischöflicher Anweisung verließ Pierina darauf Montichiari und verbrachte ein Jahr in der Toskana, anschließend – ebenfalls auf Anweisung – rund 20 Jahre als Pflegerin in einem Franziskanerinnenkloster in Brescia, wo ihr Beichtvater Rektor war. Die eingesetzte bischöfliche Untersuchungskommission begegnete ihr mit großem Vorbehalt.
Das Phänomen von 1966
1966 verzeichnete Pierina weitere Erscheinungen. Die erste erfolgte im Franziskanerinnenkloster. Die Gottesmutter habe ihr aufgetragen, eine Bußwallfahrt zur Grottenquelle von Fontanelle bei Montichiari durchzuführen. Mit dem „wundertätigen Wasser“ der dortigen Quelle sollten die Wunden der Kranken gewaschen werden.
„Das Wasser wird eine Quelle der Reinigung und der Gnaden werden.“
Am 17. April 1966 habe die Gottesmutter an der Wassergrotte zu Pierina gesagt, die Gläubigen sollten zuerst in der Kirche „meinen göttlichen Sohn im allerheiligsten Altarsakrament anbeten“ und dann zur Quelle kommen. Zuerst aber sollten sie „dem Herrn danken, der so überaus gütig und barmherzig ist“.
Am 6. August 1966 bat die Erscheinung, den 13. Oktober als „Tag der Sühnekommunionen“ zu begehen.
„Jenen Priestern und Gläubigen, die diese eucharistische Übung fördern, verspreche ich eine Überfülle meiner Gnaden.“
Das bischöfliche Ordinariat untersagte Pierina darauf, Fontanelle zu betreten, woran sie sich in Treue hielt. Ihr weiteres Leben verbrachte sie in einem anderen Ortsteil von Montichiari. In ihrem Tagebuch verzeichnete sie zwischen 1968 und 1983 noch weitere 40 Marienerscheinungen in ihrer Hauskapelle, die sie sich eingerichtet hatte, im Dom zu Montichiari und vor der Statue der Rosa Mystica.
Es ergingen an sie die „übernatürlichen Anweisungen“, in Fontanelle eine Kirche zu errichten und eine Medaille prägen zu lassen, was 1970 in Altötting geschah. 1975 fand die erste Prozession mit der Marienstatue der Rosa Mystica statt, die ein Südtiroler Holzschnitzer nach den Angaben Pierinas anfertigte.
Pierina Gilli, die insgesamt ein sehr zurückgezogenes Leben führte, starb am 12. Januar 1991 im 80. Lebensjahr.
Mitte der 90er Jahre waren nach dem Vorbild der erwähnten Statue weltweit an die 50.000 Pilgermadonnen unterwegs. So schnell verbreitete sich die Verehrung der Gottesmutter als Rosa Mystica, obwohl die kirchliche Autorität sie nicht förderte.
Die Haltung der Kirche
Unter Msgr. Luigi Morstabilini, Bischof von Brescia von 1964–1983, wurden Pierina Gilli Einschränkungen auferlegt und die Verehrung in Fontanelle, wenn nicht unterdrückt, so doch hintangehalten. 1968 untersagte das bischöfliche Ordinariat jede Veröffentlichung oder Aussage, die eine Echtheit des Phänomens behauptet, solange die Kirche nicht darüber entschieden hat.
1975 erließ Bischof Morstabilini eine Erklärung, in der er die vorhergehende Verlautbarung bekräftigte, und die Gläubigen aufforderte, „von der Kirche anerkannte Heiligtümer und Orte“ aufzusuchen.
1984 erklärte sein Nachfolger, Bischof Bruno Foresti (1983–1998), das Phänomen weise „keine Glaubwürdigkeit“ auf, weshalb der bezügliche Kult der Madonna Rosa Mystica weder approbiert sei noch praktiziert oder gefördert werden darf. „Wer ihn begünstigt, indem er Schriften verbreitet oder Wallfahrten organisiert, hilft nicht, sondern stört den Glauben der Gläubigen, indem sie aufgefordert werden, gegen die Bestimmungen der Kirche zu handeln.“
1997 bekräftigte Bischof Foresti noch einmal diese Anweisung.
Sein Nachfolger, Bischof Giulio Sanguenti (1998–2007) äußerte sich nicht zu Pierina Gilli und dem Phänomen Montichiari.
Msgr Luciano Monari, Bischof von 2009–2017, untersagte nicht die Volksfrömmigkeit, die ungebrochen in Fontanelle bei Montichiari fortdauerte, verlangte aber in einer Stellungnahme 2008, daß alles unterlassen werden solle, was direkt oder auch indirekt die Gläubigen zur Annahme veranlassen könnte, die Kirche habe ihre Haltung „bezüglich der sogenannten Erscheinungen oder anderen außergewöhnlicher Phänomenen in positivem Sinn geändert“.
Der neue Umgang
Im selben Jahr wurde posthum ein Buch des 2004 verstorbenen Theologen Msgr. Enrico Rodolfo Galbiati veröffentlicht. Der Altphilologe und Bibelwissenschaftler, der das Indult erhielt, auch im Byzantinischen Ritus zelebrieren zu können, war Präfekt der berühmten Biblioteca Ambrosiana in Mailand. Msgr. Galbiati hatte das geistliche Tagebuch von Pierina Gilli studiert und befunden, daß dessen Echtheit „außer Zweifel“ stehe. Das Tagebuch wurde „von Anfang bis Ende“ von derselben Hand geschrieben und weißt durchgehend in Syntax und Grammatik dieselben Fehler auf. Er untersuchte auch den Inhalt der Botschaften und die Symbolik der Erscheinungen und konnte keine Abweichungen von der kirchlichen Lehre feststellen. Vielmehr zeigte er sich erstaunt über den theologischen Gehalt, der es seines Erachtens schwer vorstellbar erscheinen lasse, daß eine einfache Frau Ende der 40er Jahre erfinde, daß sich Maria als „Mutter der Kirche“ vorstellt, eine Anrufung, die erst 1964 von Papst Paul VI. approbiert wurde, oder daß ihr Jesus zur selben Zeit „auf klare und vollständige Weise“ das Dogma der Aufnahme Mariens in den Himmel erklärte, das erst 1950 von Papst Pius XII. verkündet wurde.
Der seit 2017 amtierende Diözesanbischof von Brescia, Msgr. Pierantonio Tremolada, setzte nun einen ganz anderen Schritt. Er errichtete den tatsächlichen oder vermeintlichen Erscheinungsort Fontanelle als diözesanes Marienheiligtum, und das unter genau jener Bezeichnung, unter der die Gottesmutter dort laut Pierina Gilli verehrt werden will, als Rosa Mystica – Mutter der Kirche.
Eine Anerkennung der behaupteten Erscheinungen und Botschaften ist das nicht, aber eine Haltungsänderung gegenüber seinen Vorgängern. Das Vorgehen von Bischof Tremolada erinnert an jenes von Papst Franziskus gegenüber Medjugorje in der Herzegowina.
Text: Filip Rojek
Bild: Fondazione Rosa Mystica (Screenshots)
Ich sehe auch eine Parallele: Montichiari und die Rosa Mystica sind eine Art Medjugorje und Gospa für Tradis.