Die jüngst vom Glaubensdikasterium mit Billigung von Papst Leo XIV. veröffentlichte lehrmäßige Note Mater populi fidelis löste vielerorts Stirnrunzeln aus. Nicht etwa, weil sie nutzlos wäre – immerhin provozierte sie eine Debatte und brachte die Theologie allgemein und die Mariologie im besonderen in Bewegung. Der Dogmatiker und Mariologe Salvatore Perrella aus dem Servitenorden ist ein eher zurückhaltender, nüchterner Vertreter seines Fachbereichs. Er vertritt weder maximalistische Positionen noch ist er ein Vorstreiter in marianischen Fragen. Doch auch von ihm kommt Kritik an dem römischen Dokument, in dem er erhebliche Unausgewogenheiten erkennt.
Pater Perrella lehrt an der Päpstlichen Theologischen Fakultät Marianum in Rom. Er ist Vorstandsmitglied der Internationalen Marianischen Päpstlichen Akademie und war Peritus in der von Benedikt XVI. eingesetzten sogenannten Ruini-Kommission zur Untersuchung von Medjugorje.
Im Sommer 2018 erklärte der Mariologe, daß die damals von Franziskus geführte Kirche „das Dogma der Corredemptrix, Mediatrix oder Advocata nicht befürwortet“. Er widersprach auch Behauptungen, Johannes Paul II. habe beabsichtigt, dieses Dogma zu proklamieren. Dennoch bemängelt Pater Perrella, daß die Note Mater populi fidelis zwischen christologischen, ekklesiologischen und anthropologischen Bezügen kein ausgewogenes Verhältnis wahre und wichtige trinitarische wie symbolische Dimensionen nahezu ausblende. Dies sagte der Servit in einem Interview mit dem Fernsehen der italienischen Schweiz.
Hinter dem ganzen Text, so der Dogmatiker, schimmere vor allem die kritische Haltung von Papst Franziskus zum umstrittenen Marientitel „Miterlöserin“ durch. Zwar gesteht Perrella zu, daß marianische Titel seit dem 19. Jahrhundert immer wieder neu durchdacht wurden und manche Formulierungen zu Recht verworfen wurden. Doch erinnert er auch daran, daß das Lehramt – von Leo XIII. bis Johannes Paul II. – ein breites Spektrum legitimer Ausdrucksweisen kennt, die den Dienst Mariens an der Heilsgeschichte ausloten. Persönlich bevorzuge er, so Perrella, eine nüchterne Linie, die sich an Lumen gentium orientiert: ohne polemische Verwerfung, aber auch ohne Überhöhung.
Gerade deshalb irritiere ihn der Ton mancher Passagen des neuen Dokuments. Daß ein Titel unangebracht sei, weil er „ständiger Erklärungen“ bedürfe, hält er für eine fragwürdige Prämisse, denn zentrale marianische und christologische Bezeichnungen wie „Gottesgebärerin“ oder „Mutter der Kirche“ oder „Unbefleckte Empfängnis“ verlangen erläuternde Theologie und Katechese. Ein Dokument, dem es an historischem Gedächtnis mangle, verenge die Perspektive, so der Mariologe.
Noch grundsätzlicher fragt Perrella, ob die gegenwärtigen theologischen Herausforderungen – Krise des Trinitätsglaubens, Unsicherheiten über die Person Christi – nicht ganz woanders liegen und Maria in dieser Lage zwar „zweite, aber nicht sekundäre“ Gestalt sei. Eine zu monolithische Mariologie trage wenig zur Gesamtsicht des Glaubens bei, so der Servit.
Kritisch äußert er sich auch zu den neuen Normen für angebliche übernatürliche Phänomene, auf die sich die Note beruft. Daß das große, historisch gewachsene Instrumentarium der marianischen Sprache zugunsten formaler Kriterien eingeschränkt wird, empfindet er als Verlust. Er hätte sich eine sorgfältige Weiterentwicklung der älteren Normen gewünscht, keine Verkürzung ihres theologischen Reichtums.
Schließlich weist Perrella auf die Spannung zwischen rationaler Klärung und der „Herzenssprache“ der Volksfrömmigkeit hin. Die Kirche habe, wie bereits Joseph Ratzinger betonte, eine doppelte Verpflichtung: Vernunft und Empfindung in Einklang zu bringen. Diese Harmonie gerate heute leicht aus dem Blick. Und so bleibe Maria, pointiert gesagt, oft eine „ungelernte Arbeitskraft“, die man benutzt, ohne sie wirklich theologisch zu verstehen. Eine erneuerte Mariologie müsse ihren Ort in Schrift, Tradition und sensus fidelium suchen – nicht in polemischen Verkürzungen, sondern in einem geerdeten und zugleich weiten Blick auf das Ganze des Glaubens.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: TV2000/Youtube (Screenshot)

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