Ein orthodoxer Patriarch mit Tiara – und der Papst ohne

Insignien und Vollmacht


Ein orthodoxer Patriarch mit einer Tiara auf dem Haupt inzensierte am vergangenen Samstag Papst Leo XIV. in Konstantinopel
Ein orthodoxer Patriarch mit einer Tiara auf dem Haupt inzensierte am vergangenen Samstag Papst Leo XIV. in Konstantinopel

Papst Leo XIV. kehr­te gestern am spä­te­ren Nach­mit­tag von sei­ner Apo­sto­li­schen Rei­se in die Tür­kei und den Liba­non nach Rom zurück. Ein Foto, das der­zeit im Inter­net und in kirch­li­chen Krei­sen kur­siert, sorgt für Auf­merk­sam­keit. Es zeigt den grie­chisch-ortho­do­xen Patri­ar­chen von Alex­an­dri­en, Theo­do­ros II., wie er Papst Leo XIV. am ver­gan­ge­nen 29. Novem­ber in der Georgs­ka­the­dra­le im Pha­nar, dem Sitz des Öku­me­ni­schen Patri­ar­chen von Kon­stan­ti­no­pel, inzen­siert. Die Auf­nah­me ent­stand am Fest des hei­li­gen Andre­as wäh­rend der apo­sto­li­schen Rei­se des Pap­stes in die Tür­kei anläß­lich des 1700jährigen Jubi­lä­ums des Ersten Kon­zils von Nicäa.

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Der Aus­lö­ser für die leb­haf­te Dis­kus­si­on ist nicht die lit­ur­gi­sche Zere­mo­nie selbst, bei der Papst Leo XIV. etwas ver­le­gen wirk­te, da er mit der ortho­do­xen Lit­ur­gie wenig ver­traut scheint. Aus­lö­ser ist viel­mehr ein Detail, das west­li­chen Beob­ach­tern unmit­tel­bar ins Auge ste­chen muß­te: Anwe­send war nicht nur Bar­tho­lo­mai­os, der Öku­me­ni­sche Patri­arch von Kon­stan­ti­no­pel, son­dern auch Theo­do­ros II., der grie­chisch-ortho­do­xe Patri­arch von Alex­an­dri­en in Ägyp­ten. Die­ser Patri­arch trug eine Tia­ra, jene drei­fa­che Kro­ne, nahe­zu iden­tisch mit jener, die über Jahr­hun­der­te von den römi­schen Päp­sten getra­gen wur­de – bis Paul VI. Die­ser Papst ließ sich als letz­tes Kir­chen­ober­haupt am 30. Juni 1963 mit der päpst­li­chen Tia­ra krö­nen. Dann aber leg­te er sie als Geste der „Moder­ni­tät“ ab und ent­fern­te damit ein star­kes Sym­bol kirch­li­cher Auto­ri­tät aus dem sicht­ba­ren Leben der Kirche.

In sozia­len Medi­en kur­sie­ren sati­ri­sche Reak­tio­nen. Beson­ders ver­brei­tet ist ein Meme, in dem der Papst – halb iro­nisch, halb melan­cho­lisch – fragt: „Hät­te ich mei­ne auch mit­brin­gen sol­len?“ Dabei han­delt es sich um Humor, gewiß. Aber wie so oft berührt Humor eine tie­fe­re Wahrheit.

Im Gegen­satz zur katho­li­schen Kir­che, die sich seit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil unter dem Stich­wort „Demut“ als Begrün­dung in vie­ler­lei Hin­sicht ent­blöß­te, füh­ren die ortho­do­xen Kir­chen ihre reich ent­fal­te­te lit­ur­gi­sche und sym­bo­li­sche Tra­di­ti­on ohne Kom­ple­xe wei­ter. Die Tia­ra des Patri­ar­chen von Alex­an­dri­en ist kei­ne Pro­vo­ka­ti­on, son­dern schlicht Teil sei­ner ange­stamm­ten Insi­gni­en – seit Jahr­hun­der­ten unge­bro­chen. Die Ursprün­ge der lit­ur­gi­schen Kopf­be­deckung las­sen sich in Alex­an­dri­en zumin­dest bis ins frü­he 12. Jahr­hun­dert belegen.

Der grie­chisch-ortho­do­xe Patri­arch von Alex­an­dri­en mit Tia­ra tritt vor den Papst

Der latei­ni­sche Westen hin­ge­gen ver­zich­te­te im 20. Jahr­hun­dert auf zahl­rei­che For­men, die einst die Wür­de und die Iden­ti­tät des Petrus­dien­stes sicht­bar mach­ten. Offi­zi­ell abge­schafft wur­de die päpst­li­che Tia­ra aller­dings nie. Paul VI. setz­te sie demon­stra­tiv ab und leg­te sie auf den Altar. Sie wird seit­her ledig­lich nicht mehr getra­gen. Im per­sön­li­chen Wap­pen der Päp­ste blieb sie bis Bene­dikt XVI. prä­sent, im all­ge­mei­nen Papst­wap­pen ist sie es bis heu­te. Es han­delt sich also um ein Sym­bol, das wei­ter­lebt, obwohl es in den Pon­ti­fi­ka­ten seit 60 Jah­ren nicht mehr erscheint. Der zeit­li­che Rah­men fällt dabei genau mit der Zeit zusam­men, die für die katho­li­sche Kir­che durch eine star­ke inne­re und äuße­re Kri­se gezeich­net ist. Mit Bezug auf die Sym­bo­lik sehen man­che in der Nie­der­le­gung der Tia­ra den Beginn der Kirchenkrise.

Die histo­ri­sche Bedeu­tung der Tia­ra ist erheb­lich: Sie steht für die drei­fa­che Voll­macht des Pap­stes – zu leh­ren, zu hei­li­gen und zu lei­ten – und ver­weist auf sei­nen Dienst als uni­ver­sa­ler Hir­te Chri­sti. Die drei Kron­rei­fen ver­wei­sen dar­auf, daß der römi­sche Pon­ti­fex nicht nur ober­ster kirch­li­cher Ver­wal­ter, son­dern – kraft gött­li­cher Ein­set­zung – auch sicht­ba­res Fun­da­ment der Ein­heit der Kir­che ist. Daß aus­ge­rech­net im Osten die drei­fa­che Kro­ne noch selbst­ver­ständ­lich getra­gen wird, wäh­rend sie im Westen pau­pe­ri­stisch ver­stei­gert wur­de, ist ein para­do­xes, aber auf­schluß­rei­ches Zei­chen der Zeit.

Unter den Gläu­bi­gen blieb der Wunsch groß, die kirch­li­che Auto­ri­tät auch äußer­lich wie­der­her­zu­stel­len, indem sich die Päp­ste wie­der mit der Tia­ra krö­nen las­sen. Meh­re­ren Päp­sten wur­den dazu Tia­ren zum Geschenk gemacht, so wur­de zum Bei­spiel 1981 Johan­nes Paul II., 2011 Bene­dikt XVI. und 2016 sogar Fran­zis­kus eine Tia­ra geschenkt.

2011 wur­de Papst Bene­dikt XVI. eine Tia­ra geschenkt

In die­sem Zusam­men­hang erin­nern die Wor­te Johan­nes Pauls II., die Kir­che müs­se „mit bei­den Lun­gen atmen“, an eine Wahr­heit, die heu­te dring­li­cher denn je erscheint. Der öku­me­ni­sche Dia­log darf nicht nur theo­lo­gi­scher Aus­tausch sein, son­dern muß auch die Fra­ge nach der Selbst­ver­ges­sen­heit des Westens stel­len. Die Ost­kir­chen füh­ren vor, was eine unge­bro­che­ne Ehr­furcht vor der eige­nen Über­lie­fe­rung bedeu­tet: Man bleibt sich treu, ohne sich zu schä­men. Der Westen hin­ge­gen neigt seit Jahr­zehn­ten zu iko­no­kla­sti­schen Gesten – einer schwe­ren theo­lo­gi­schen Irr­leh­re, von der im Früh­mit­tel­al­ter der Osten befal­len war, aber nie der Westen –, die mehr Ver­wir­rung als Erneue­rung stiften.

Das Bild in der Georgs­ka­the­dra­le des Patri­ar­chen mit Tia­ra neben einem „ent­krön­ten“ Papst wirk­te daher wie ein stil­les Mene­te­kel. Es zeig­te nicht Über­heb­lich­keit, son­dern ein intak­tes, unver­zerr­tes Gedächt­nis. Die katho­li­sche Kir­che wur­de dar­an erin­nert, was sie war und viel­leicht wie­der sein könn­te, wenn sie den Mut fin­det, ihr eige­nes Erbe neu zu bejahen.

Eis pol­la eti, Des­po­tai – auf vie­le Jah­re den Hir­ten der Kir­che, wie Gre­go­ry DiPip­po für das New Lit­ur­gi­cal Move­ment kom­men­tier­te. Viel­leicht auch: Ad mul­tos annos eccle­siae ren­as­cen­tis – auf vie­le Jah­re einer Kir­che, die ihre eige­ne Iden­ti­tät wie­der­zu­ent­decken beginnt.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Youtuve/​VaticanNews/​NLM (Screen­shots)

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