Von Pater Réginald Garrigou-Lagrange*
Die Kirche hat unter Benedikt XV. am 21. Januar 1921 das Officium und die Missa propria für Maria, die Mittlerin aller Gnaden, approbiert, und viele Theologen halten diese Lehre für hinreichend im Offenbarungsschatz enthalten, um eines Tages feierlich von der unfehlbaren Kirche als Glaubensgegenstand verkündet zu werden. Sie wird de facto durch das ordentliche Lehramt vermittelt, das sich in der Liturgie, Enzykliken, den Hirtenbriefen der Bischöfe, der universalen Predigt und den Werken von der Kirche approbierten Theologen manifestiert.
Wir wollen sehen, was unter dieser Vermittlung zu verstehen ist, wie sie von der Tradition bekräftigt und durch die theologische Vernunft begründet wird.
1. Die doppelte Vermittlung Christi
Der heilige Thomas von Aquin sagt über die Vermittlung des Erlösers: „Der Mittler zwischen Gott und den Menschen hat die Aufgabe, sie miteinander zu verbinden“ (S. Th. III, q. 26, a. 1), das heißt, wie an derselben Stelle erläutert (a. 2), muß der Mittler Gott die Gebete der Menschen und vor allem das Opfer darbringen, die Haupthandlung der Tugend der Religion, und er muß den Menschen auch die göttlichen Gaben zukommen lassen, die heiligen, das göttliche Licht und die Gnade.
Es gibt demnach eine doppelte Vermittlung: eine aufsteigende in Form von Gebet und Opfer, eine absteigende durch die Verteilung der göttlichen Gaben an die Menschen.
Dieses Mittleramt entspricht in vollkommener Weise allein Christus, dem Gottmenschen, der uns nur durch das Darbringen eines unendlich wertvollen Opfers für die ganze Menschheit, nämlich des Kreuzesopfers, mit Gott versöhnen konnte, welches in der Substanz in der Messe fortbesteht. Er allein, als Haupt der Menschheit, konnte uns auch die zur Erlösung nötigen Gnaden verdienen und verteilt sie allen Menschen, die sich seiner heilenden Wirkung nicht entziehen. Er ist also Mittler als Mensch, insofern seine Menschheit persönlich mit dem Logos verbunden ist und die Fülle der Gnade empfangen hat, die uns zuteilwerden muß. Paulus sagt: „Denn es gibt einen Gott und einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Menschen Christus Jesus, der sich selbst für alle hingegeben hat“ (1 Tim 2,5–6).
Nichts hindert jedoch, so sagt der heilige Thomas, „daß es zwischen Gott und den Menschen unterhalb Christi sekundäre Mittler gibt, die zur Vereinigung in dispositiver oder ministerieller Weise beitragen“ (loc. cit., a. 1), das heißt, die Menschen vorbereitend, die Wirkung des Hauptmittlers zu empfangen, oder sie weiterleitend, jedoch stets in Abhängigkeit von Christi Verdienst.
So waren im Alten Testament die Propheten und Priester des levitischen Priestertums Mittler für das auserwählte Volk, indem sie den Erlöser ankündigten und Opfer darbrachten, die ein Abbild des großen Kreuzesopfers waren. Auch die Priester des Neuen Testaments können als Mittler zwischen Gott und den Menschen bezeichnet werden, insofern sie Diener des höchsten Mittlers sind, der im Namen Christi das heilige Opfer darbringt und die Sacramente verwaltet.
2. Maria als universelle Mittlerin
Es stellt sich nun die Frage, ob Maria in untergeordneter Weise und in Abhängigkeit vom Verdienst Christi universelle Mittlerin für alle Menschen ist, seit der Ankunft unseres Herrn, um alle Gnaden im allgemeinen und im besonderen zu erlangen und zu verteilen. Sie ist es nicht im eigentlichen Sinne als Dienerin, sondern als Mitwirkende am erlösenden Werk ihres Sohnes, gemäß dem Ausdruck des heiligen Albertus Magnus: „nicht im Ministerium, sondern in Gemeinschaft und Unterstützung“ (Mariale, q. 42).
Die Protestanten lehnen dies ab. Auf die gestellte Frage antwortet jedoch der christliche Sinn der Gläubigen, die im Laufe der Jahrhunderte durch die katholische Liturgie geformt wurden, welche Ausdruck des ordentlichen Lehramtes der Kirche ist, sofort: „Maria, in ihrer Eigenschaft als Mutter Gottes, Erlöserin aller Menschen, ist vollkommen dazu bestimmt, universelle Mittlerin zu sein, denn sie vermittelt wahrhaftig zwischen Gott und den Menschen, insbesondere zwischen ihrem Sohn und uns.“
Maria bleibt, da sie eine Kreatur ist, immer geringer als Gott und Christus, aber sie ist über alle Menschen erhoben durch die Gnade der göttlichen Mutterschaft, die auf hypostatischer Ordnung beruht, durch die Gnadenfülle, die sie im Augenblick der Unbefleckten Empfängniß empfangen hat und die weiterhin wuchs, und schließlich durch das Privileg, von jeder Schuld bewahrt zu sein.
Es wird also deutlich, was unter dieser Vermittlung zu verstehen ist, die Liturgie und der christliche Sinn der Gläubigen Maria zuschreiben. Es handelt sich um eine Vermittlung, die streng genommen derjenigen des Erlösers untergeordnet ist, also vollständig von den Verdiensten Christi, des universalen Erlösers, abhängt; es handelt sich auch um eine nicht nötige Vermittlung (denn die Christi ist bereits überreichlich und bedarf keines Zusatzes), die aber von der Vorsehung gewollt ist, als Ausstrahlung der des Erlösers, die unter allen die ausgezeichneteste ist. Die Kirche betrachtet sie als höchst nützlich und wirksam, um uns von Gott alles zu erlangen, was uns direkt oder indirekt zur Vollkommenheit und zur Erlösung führen kann. Schließlich handelt es sich um eine beständige Vermittlung, die sich auf alle Menschen und auf alle Gnaden erstreckt, ohne Ausnahme, wie wir weiter unten sehen werden.
In diesem präzisen Sinn wird die universelle Vermittlung Maria durch die Liturgie am Fest der Maria, der Mittlerin, und durch Theologen, die in jüngster Zeit zahlreiche Werke zu diesem Thema veröffentlicht haben, zugeschrieben.
3. Das Zeugnis der Tradition
Diese Lehre wurde schon in den ersten Jahrhunderten allgemein und implizit bekräftigt, da Maria seit dem 2. Jahrhundert die neue Eva, die Mutter der Lebenden, genannt wurde, wie oben erwähnt. Dieser Titel wurde ihr stets nicht nur deshalb zugeschrieben, weil sie den Erlöser leiblich empfangen und geboren hat, sondern auch, weil sie moralisch an seinem Erlösungswerk mitwirkte, vor allem, indem sie sich innig mit dem Kreuzesopfer vereinigte.
Ab dem 4. Jahrhundert und besonders im 5. Jahrhundert bekräftigen die Kirchenväter ausdrücklich, daß Maria für uns Fürsprache einlegt, daß alle nützlichen Wohltaten und Beistände zur Erlösung durch sie kommen, durch ihr Eingreifen und ihren besonderen Schutz. Ab derselben Zeit wird sie als Mittlerin zwischen Gott und den Menschen oder zwischen Christus und uns bezeichnet.
Neuere Studien haben diesen Punkt erheblich beleuchtet.
Die Antithese zwischen Eva, Ursache des Todes, und Maria, Ursache des Heils für die ganze Menschheit, wird von Kyrill von Jerusalem, Epiphanius, Hieronymus und Johannes Chrysostomus dargestellt. Wir müssen dieses Gebet des heiligen Ephräm zitieren: „Ave Dei et hominum Mediatrix optima. Ave totius orbis conciliatrix efficacissima“ und „post mediatorem mediatrix totius mundi“ („Sei gegrüßt, beste Mittlerin von Gott und den Menschen; sei gegrüßt, wirksamste Versöhnerin der ganzen Welt, nach dem höchsten Mittler“).
Bei Augustinus wird Maria Mutter aller Glieder unseres Hauptes Jesus Christus genannt, und es heißt, daß sie „mit ihrer Liebe an der geistlichen Geburt der Gläubigen mitgearbeitet hat, die die Glieder Christi sind“. Petrus Chrysologus sagt: „Maria ist durch Gnade die Mutter der Lebenden, während Eva durch Natur die Mutter der Sterbenden ist“, und wir sehen, daß Maria für ihn dem göttlichen Plan unserer Erlösung zugeordnet ist.
Im 8. Jahrhundert spricht Beda ebenso, Andreas von Kreta nennt Maria Mittlerin der Gnade, Geberin und Ursache des Lebens; Germanus von Konstantinopel sagt, daß niemand ohne die Mitwirkung der Mutter Gottes erlöst wurde. Johannes Damascenus verleiht Maria ebenfalls den Titel der Mittlerin und betont, daß wir alle Güter, die uns durch Jesus Christus zuteilwurden, ihr verdanken.
Im 11. Jahrhundert lehrte Petrus Damiani, daß in der Arbeit unserer Erlösung nichts ohne Maria vollbracht wird.
Im 12. Jahrhundert äußern sich Anselm, Eadmer und Bernhard von Clairvaux in ähnlicher Weise. Letzterer nennt Maria „gratiae inventrix, mediatrix salutis, restauratrix saeculorum“ („Erfinderin der Gnade, Mittlerin des Heils, Wiederherstellerin der Zeitalter“).
Ab der Mitte des 12. Jahrhunderts und besonders im 14. Jahrhundert wird die Mitwirkung Mariens an unserer Erlösung sehr deutlich hervorgehoben, vollendet durch ihr persönliches Opfer, das sie im Augenblick der Verkündigung akzeptierte und auf Golgatha vollendete. Diese Lehre finden wir bei Arnold von Chartres, Richard von Saint Victor, Albertus Magnus, Richard von Saint Laurent; sie wird von Thomas von Aquin erwähnt und immer deutlicher von Bernhardin von Siena, Antoninus, Suarez, Bossuet und Alfons Maria Liguori bekräftigt. Im 18. Jahrhundert war der heilige Louis Grignion de Montfort einer derjenigen, die diese Lehre am meisten verbreiteten und ihre praktischen Konsequenzen aufzeigten. Seitdem ist sie Lehrmeinung aller katholischen Theologen.
Pius X. sagt in der Encyclica Ad diem illum vom 2. Februar 1904, daß Maria die allmächtige Mittlerin und Versöhnerin der ganzen Erde bei ihrem eingeborenen Sohn ist: „Totius terrarum orbis potentissima apud Unigenitum Filium suum mediatrix et conciliatrix“ [„Sie ist die mächtigste auf der ganzen Erde als Mittlerin und Versöhnerin bei ihrem eingeborenen Sohn“]. Der Titel wurde durch das am 21. Januar 1921 eingeführte Fest Maria, der Mittlerin, gefeiert und gefestigt.
*Pater Réginald Garrigou-Lagrange (1877–1964), Dominikaner, Professor für Scholastische Theologie an der Päpstlichen Universität Heiliger Thomas von Aquin (Angelicum) in Rom, führender Vertreter der Neuscholastik; Auszug aus seinem Buch „La Mère du Sauveur et notre vie intérieure“ („Die Mutter des Erlösers und unser inneres Leben“) über die universelle Vermittlung Mariens (Teil II, Kapitel II, Artikel I).
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: „Die Verkündigung“ von Bartolomé Esteban Murillo (um 1655, Eremitage (Sankt Petersburg))/Wikicommons

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