Das Schweißtuch der Veronika

Die Heiligen aller Jahrhunderte haben über das Leiden Christi geweint


Befindet sich nicht das Schweißtuch der Veronika in Manoppello, sondern das Heilige Antlitz (das kleine Grabtuch)?
Befindet sich nicht das Schweißtuch der Veronika in Manoppello, sondern das Heilige Antlitz (das kleine Grabtuch)?

Von Rober­to de Mattei*

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Simon von Cyre­ne und Vero­ni­ka sind zwei Figu­ren, die die Tra­di­ti­on der Kir­che den Gläu­bi­gen ans Herz gelegt hat, weil sie beim Kreuz­weg an der Pas­si­on unse­res Herrn teilnehmen.

Von Simon heißt es im Evan­ge­li­um: „Da zwan­gen sie einen Vor­über­ge­hen­den, Simon von Cyre­ne, den Vater von Alex­an­der und Rufus, der vom Lan­de kam, das Kreuz zu tra­gen“ (Mk 15,21).

Simon aus Cyre­ne, einer Stadt im nord­afri­ka­ni­schen Liby­en, in der es damals eine blü­hen­de jüdi­sche Gemein­de gab, kam zufäl­lig vor­bei und wur­de gezwun­gen, das Kreuz zu tra­gen, weil Jesus kei­ne Kraft mehr hat­te und die Juden aber woll­ten, daß er den gan­zen Weg nach Gol­ga­tha ging, um ihn dort kreu­zi­gen zu las­sen. Der Zwang, dem man Simon unter­warf, wur­de für ihn zu einem außer­ge­wöhn­li­ches Pri­vi­leg. Es ist daher erlaubt, sich vor­zu­stel­len, daß die gött­li­che Vor­se­hung ihn aus­wähl­te, weil sei­ne See­le ange­sichts des schänd­li­chen Schau­spiels von tie­fem Mit­leid ergrif­fen war.

Vero­ni­ka hin­ge­gen han­del­te aus eige­nem Antrieb, aus jenem Impuls her­aus, der Frau­en oft groß­zü­gi­ger und opfer­be­rei­ter macht als Män­ner. Die Beloh­nung für sie war außer­ge­wöhn­lich. Der Über­lie­fe­rung zufol­ge wur­de das Bild des Hei­li­gen Ant­lit­zes Jesu auf dem Lei­nen­tuch ver­ewigt, das sie dem Hei­land ange­bo­ten hat­te, um Blut und Schweiß von sei­nem Gesicht abzuwischen.

Über bei­de ist wenig bekannt, aber die Tat­sa­che, daß im Mar­kus­evan­ge­li­um (15,21) die Söh­ne Simons erwähnt wer­den, deu­tet dar­auf hin, daß sei­ne Fami­lie dann eine akti­ve Rol­le in der frü­hen Kir­che gespielt haben könn­te und daß der von Mar­kus erwähn­te Rufus der­sel­be ist, den Pau­lus im Römer­brief erwähnt, wenn er sagt: „Grüßt Rufus, den Aus­er­wähl­ten im Herrn, und sei­ne Mut­ter, die auch mei­ne Mut­ter ist“ (Röm 16,13).

Vero­ni­ka kommt in den kano­ni­schen Evan­ge­li­en nicht vor, aber im Gegen­satz zu Simon wird sie von der katho­li­schen Kir­che als Hei­li­ge ver­ehrt, was sie zu einer unbe­strit­te­nen histo­ri­schen Figur macht, die dank ihres Schlei­ers, der zu einer der wert­voll­sten Reli­qui­en des Chri­sten­tums gewor­den ist, in der kirch­li­chen Ver­eh­rung eine gro­ße Bedeu­tung hat.

Der Schlei­er der Vero­ni­ka wird min­de­stens seit Anfang des 8. Jahr­hun­derts im Peters­dom auf­be­wahrt, als Papst Johan­nes VII. eine eige­ne Kapel­le im Peters­dom errich­ten ließ, die der Reli­quie gewid­met ist, die wie vie­le ande­re aus Kon­stan­ti­no­pel stam­men könn­te. Die Aner­ken­nung ihrer Echt­heit zeigt sich auch dar­in, daß Papst Inno­zenz III. im 13. Jahr­hun­dert ihre öffent­li­che Zur­schau­stel­lung geneh­mig­te und sie von da an zu beson­de­ren Anläs­sen von der Log­gia des Peters­doms aus den Pil­gern gezeigt wur­de, zu denen ein gro­ßer Zustrom von Gläu­bi­gen zu ver­zeich­nen war. Dies wird uns von Dan­te Ali­ghie­ri bezeugt, der sich in einer berühm­ten Pas­sa­ge der Gött­li­chen Komö­die mit einem der vie­len Pil­ger ver­gleicht, die „viel­leicht aus Kroa­ti­en“ kamen, um die Iko­ne des Ant­lit­zes Chri­sti im ersten Hei­li­gen Jahr der Kir­chen­ge­schich­te 1300 zu verehren:

Wie einer, der viel­leicht aus Kroa­ti­en kommt,
um unse­re Vero­ni­ka zu erblicken,
der sich an sei­ner alten Sehn­sucht nicht satt­se­hen kann,
und der beim Anblick still im Gei­ste spricht:
„Mein Herr, Jesus Chri­stus, wah­rer Gott,
so war also euer Ant­litz gestal­tet?“
Para­dies, XXXI, 103–108

Aus­druck die­ser Ver­eh­rung ist auch die gro­ße Vero­ni­ka-Sta­tue des Bild­hau­ers Fran­ces­co Moc­chi aus dem Jahr 1640, die sich in einer Nische der vier Pfei­ler des Peters­doms befindet.

Der Jesu­it Hein­rich Pfeif­fer (1939–1921), Pro­fes­sor für Kunst­ge­schich­te an der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Gre­go­ria­na, ver­tritt in sei­nem Buch Il Vol­to San­to di Manop­pel­lo („Das Hei­li­ge Ant­litz von Manop­pel­lo“, Car­sa Edi­zio­ni, Pes­ca­ra 2000) die The­se, daß die kost­ba­re Reli­quie, die jahr­hun­der­te­lang im Peters­dom auf­be­wahrt wur­de, angeb­lich gestoh­len und zwi­schen 1608 und 1618 heim­lich in die klei­ne abruz­zi­sche Stadt Manop­pel­lo gebracht wurde.

Vero­ni­ka Maria Sei­fert, Dozen­tin für Kir­chen­ge­schich­te an der Hoch­schu­le für Reli­gi­ons­wis­sen­schaf­ten San­t’A­pol­li­na­re, gelangt in ihrem akri­bisch recher­chier­ten Buch Il suda­rio del­la Vero­ni­ca e il Vol­to San­to. Sto­ria e devo­zio­ne („Das Schweiß­tuch der Vero­ni­ka und das Hei­li­ge Ant­litz. Geschich­te und Ver­eh­rung“, Velar, Ber­ga­mo 2024) zum Schluß, daß es sich bei der im 17. Jahr­hun­dert aus dem Peters­dom ent­nom­me­nen Reli­quie nicht um das Grab­tuch der Vero­ni­ka, son­dern um das Hei­li­ge Ant­litz han­delt, d. h. um das klei­ne Grab­tuch, das Johan­nes im lee­ren Grab gese­hen hat (Joh 20,7). Die Mut­ter­got­tes, die Apo­stel und die Jün­ger hat­ten sorg­fäl­tig alle Gegen­stän­de gesam­melt, die mit Jesus in Berüh­rung gekom­men waren, erklärt die Autorin die­ser Stu­die, und die bei­den Reli­qui­en, die in der Kir­che von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on gehü­tet wur­den, kamen bei­de nach Rom. Das Grab­tuch der Vero­ni­ka befin­det sich nach wie vor im Vati­kan, wäh­rend das Hei­li­ge Ant­litz im 17. Jahr­hun­dert in das Kapu­zi­ner­klo­ster von Manop­pel­lo gebracht wur­de. Zwi­schen den bei­den Reli­qui­en gibt es unfaß­ba­re Berüh­rungs­punk­te, aber auch tief­grei­fen­de Unter­schie­de: von den geschlos­se­nen oder geöff­ne­ten Augen bis hin zu dem mehr oder weni­ger gut erkenn­ba­re „Bild“, das auf das Tuch geprägt ist.

Der Peters­dom bean­sprucht seit dem Früh­mit­tel­al­ter den Vero­ni­ka­schlei­er für sich und zeig­te ihn öffent­lich zuletzt am 6. April 2025, wie an jedem fünf­ten Sonn­tag der Fasten­zeit, von der Vero­ni­ka­log­gia aus. Die hei­li­gen Reli­qui­en, die als „Achei­ro­poie­ta “ gel­ten, d. h. als nicht von Men­schen­hand gemal­te Bil­der, die den Gläu­bi­gen das Bild­nis des lei­den­den, toten und auf­er­stan­de­nen Chri­stus wie­der­ge­ben, sind also drei: das Schweiß­tuch der Vero­ni­ka, das Hei­li­ge Ant­litz von Manop­pel­lo und das Grab­tuch von Turin.

Unab­hän­gig von der Zahl die­ser Reli­qui­en und dem Ort, an dem sie auf­be­wahrt wer­den, wird das Hei­li­ge Ant­litz Jesu seit jeher tief ver­ehrt. Die hei­li­ge The­re­se vom Kin­de Jesu und vom Hei­li­gen Ant­litz war eine glü­hen­de Ver­eh­re­rin. Sie betrach­te­te mit uner­meß­li­cher Lie­be das Ant­litz Jesu, das trotz der Spu­ren aller erlit­te­nen Wun­den, Schlä­ge und Demü­ti­gun­gen eine beein­drucken­de Barm­her­zig­keit, Sanft­mut und edle Gesichts­zü­ge zum Aus­druck brachte.

Die Kir­che ist der mysti­sche Leib Chri­sti und steht vor uns wie Chri­stus vor Vero­ni­ka. In dem hei­li­gen Ant­litz, das Vero­ni­ka uns über­lie­fert hat, betrach­ten wir heu­te die Lei­den der Kir­che, die an ihrem Kar­frei­tag lei­det, aber die außer­or­dent­li­che Wür­de bewahrt, die das Ant­litz Chri­sti in sei­nem Lei­den erstrah­len ließ. Die Hei­li­gen aller Jahr­hun­der­te haben über das Lei­den Chri­sti geweint. Möge die Got­tes­mut­ter wenig­stens unse­re Augen befeuch­ten und unse­re erstarr­ten Her­zen auf­rüt­teln, indem sie uns im Hei­li­gen Tri­du­um eng mit ihrem erlö­sen­den Erbar­men verbindet.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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1 Kommentar

  1. Klei­ne Koprek­tur: Der Jesu­it Hein­rich Pfeif­fer wur­de 1939 gebo­ren und starb 2021 (wie damals mit­ge­teilt: an einem Corona-Infekt).
    Geforscht hat er auch über die erste Bio­gra­phie des hl. Igna­ti­us von Loyola.
    In Deutsch­land ist sein groß­wr Bild­band über die Six­ti­ni­sche Kapel­le bekannt.

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