Taylor Swift, die Terrorgefahr und wie und warum man ein Idol für die Massen erfindet

Die Theorie des mimetischen Begehrens


Taylor Swift und die Idole für die Massen
Taylor Swift und die Idole für die Massen

Am 8., 9. und 10. August soll­te das medi­al zum „Star“ auf­ge­bla­se­ne Pop-Stern­chen Tay­lor Swift gleich drei Kon­zer­te in einem Wie­ner Fuß­ball­sta­di­on geben. Dar­aus wur­de nichts, weil der US-Geheim­dienst NSA Öster­reichs Behör­den dar­über infor­mier­te, daß ein Isla­mist mög­li­cher­wei­se ein Atten­tat pla­ne. Eini­ge Medi­en, die Ein­hei­mi­sche par­tout als schlecht und Frem­de par­tout als gut kate­go­ri­sie­ren, waren um reflex­ar­ti­ge Ver­schleie­rung bemüht und umschrie­ben den mut­maß­li­chen Atten­tä­ter, einen 19jährigen, als „öster­rei­chi­schen Staats­bür­ger mit Ver­bin­dun­gen zum Bal­kan“. Sei­ne offen­bar moti­vie­ren­de Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit wur­de ver­schwie­gen, gilt jedoch als ein offe­nes Geheimnis.

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Manch­mal könn­te man als poli­tisch kor­rek­ter Jour­na­list zwi­schen Isra­el-Freund­schaft und Migra­ti­ons-Unter­stüt­zung, und alles gleich bedin­gungs­los, schon ins Strau­cheln kommen.

In der Ange­le­gen­heit selbst liegt noch viel im Dun­keln. Es kann alles so gewe­sen sein, wie es mit gro­ßem Auf­wand durch Regie­rung und Medi­en kom­mu­ni­ziert wur­de. Es kann aber alles auch enden wie das Horn­ber­ger Schie­ßen. Viel Getö­se um kru­de Inter­net­phan­ta­sien eines Halb­wüch­si­gen. Der ent­schei­den­de Effekt, und der gleich inter­na­tio­nal, wur­de auch nicht durch öster­rei­chi­sche Akteu­re erzielt, son­dern durch die Absa­ge der Konzerte.

Euro­pa hat nun jeden­falls die behörd­lich atte­stier­te Gewiß­heit – wer es wis­sen woll­te, wuß­te es schon vor­her –, daß die USA welt­weit, auch im fer­nen, klei­nen Öster­reich, jeden Chat über­wa­chen, den irgend­wer auf irgend­ei­nem sozia­len Netz­werk schreibt. Kein ange­neh­mes Gefühl. Gelern­te Öster­rei­cher, so ver­si­chert man, fra­gen sich nun: „Ja dür­fen die das?“ Da dem gelern­ten Öster­rei­cher auch atte­stiert wird, ein fei­nes Sen­so­ri­um dafür zu haben, was „oben“ gewünscht ist, wird er sich eher hüten, sol­che Fra­gen zu stel­len, jeden­falls nicht zu laut.

Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung ist das eine, die soll sich gegen Gefähr­der rich­ten, aber nicht gegen die 99,99 Pro­zent recht­schaf­fe­nen, anstän­di­gen Bür­ger. Außer aber, der Fak­tor Kon­trol­le, gene­rel­le Kon­trol­le als Instru­ment der Herr­schafts­aus­übung, spielt eine weit wich­ti­ge­re Rol­le hin­ter dem Vor­wand der Ter­ror­be­kämp­fung. Und wie ist das mit der Sou­ve­rä­ni­tät ande­rer Staaten?

Dann ist da noch der schlei­chen­de Ein­druck, daß der isla­mi­sche Ter­ro­ris­mus irgend­wie wie auf Wunsch immer dann auf­zu­tau­chen scheint, wenn er gera­de gebraucht wird – die loka­len Self-Made-Hals­ab­schnei­der ein­mal aus­ge­nom­men. Damit soll nicht gesagt wer­den, es hand­le sich gene­rell etwa um eine Erfin­dung, um Fake-Ter­ro­ris­mus. Nein. Es geht vor allem um die Fra­ge, wann und war­um Regie­run­gen und Medi­en die „isla­mi­sche Gefahr“ das eine Mal mini­mie­ren und klein­re­den und manch­mal mit gro­ßem Auf­wand hinausposaunen.

Unter Oba­ma tauch­te der Isla­mi­sche Staat (IS) wie aus dem Nichts auf, ver­füg­te über Orga­ni­sa­ti­on, Män­ner, Waf­fen und Fahr­zeu­ge. Den Euro­pä­ern wur­de eine Ober­gren­ze für Bar­geld auf­ge­zwun­gen, die zudem immer wei­ter nach unten gedrückt wird, mit der Begrün­dung der Ter­ror­be­kämp­fung, doch der IS hat­te kei­ne Beschaf­fungs­pro­ble­me. Er erober­te den hal­ben Irak und halb Syri­en und war in min­de­stens einem Dut­zend wei­te­rer Staa­ten aktiv. Kaum quar­tier­te sich Donald Trump im Wei­ßen Haus ein, war der Spuk been­det. Erst unter Biden tauch­te er punk­tu­ell wie­der auf. Das soll­te nach­denk­lich stim­men. IS war zudem zu einer Chif­fre des Gru­sel­ka­bi­netts gemacht wor­den, die man­che, Poli­ti­ker und Jour­na­li­sten, auf Abruf bereit­zu­hal­ten schei­nen, um sie zu gege­be­nem Anlaß der Öffent­lich­keit hinzuwerfen.

Der­zeit, seit dem grau­sa­men Hamas-Angriff auf Isra­el und dem grau­sa­men Häu­ser­kampf im Gaza­strei­fen, ist der isla­mi­sche Ter­ro­ris­mus wie­der „gefragt“. Um im Westen eine bestimm­te Stim­mung wach­zu­hal­ten – wenn nicht für die eine Sei­te im Nah­ost­kon­flikt, so zumin­dest gegen die ande­re Sei­te, was den­sel­ben Effekt zei­tigt –, wird in einem erprob­ten Zusam­men­spiel aus bestimm­ten Tei­len der Poli­tik und der Gesamt­heit des Main­stream-Kom­ple­xes, ein wenig nach­ge­hol­fen. Dafür eig­net sich die Absa­ge der Tay­lor-Swift-Kon­zer­te mit Tau­sen­den von ent­täusch­ten Girls bestens.

Da paßt es auch gut, daß eben die­se Tay­lor Swift im US-Prä­si­dent­schafts­wahl­kampf für Kama­la Har­ris noch eine Rol­le spie­len soll. Die Sän­ge­rin oute­te sich geflis­sent­lich als Unter­stüt­ze­rin der demo­kra­ti­schen Cau­sa und soll die Wäh­ler­schaft ent­spre­chend mobi­li­sie­ren. Da sind Schlag­zei­len über ihre (tat­säch­li­che oder ver­meint­li­che) Bedro­hung im Aus­land durch „die Fein­de Isra­els“, die angeb­lich „auch uns bedro­hen“, Teil des per­fekt funk­tio­nie­ren­den PR-Appa­rats, der die „Iko­ne“ Tay­lor Swift ver­mark­tet. Das Star­let selbst scheint es gelas­sen zu neh­men und fei­er­te schon kurz nach der Absa­ge von Wien schon wie­der Par­ty in Lon­don. The Show must go one und ist ja nicht für die „oben“, son­dern für den „Popo­li­no“, die Mas­sen, unten.

An die­ser Stel­le ist ein Arti­kel von Anto­nio Soc­ci inter­es­sant, der sich am 20. Juli mit der US-Sän­ge­rin befaß­te, also zu einem völ­lig unver­däch­ti­gen Zeit­punkt, als die Öffent­lich­keit noch nichts von irgend­ei­ner (rea­len oder fik­ti­ven) Ter­ror-Gefahr in Wien wuß­te. Hier sein lesens­wer­ter Text:

Wie und warum erfindet man ein Idol zur Anbetung für die Massen

Von Anto­nio Socci*

Vor einem Jahr began­nen die ita­lie­ni­schen Medi­en über die Sän­ge­rin Tay­lor Swift zu berich­ten, die in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten außer­or­dent­lich popu­lär gewor­den war. Sie war also bei uns berühmt, weil sie (in Über­see) berühmt war.

In Ita­li­en – wie fest­ge­stellt wur­de – kann­te nie­mand ihre Lie­der (mit weni­gen Aus­nah­men). Als jedoch kurz dar­auf ihre Euro­pa­tour­nee ange­kün­digt wur­de, begann das „Fie­ber“, das Tau­sen­de von Men­schen in das Mai­län­der San-Siro-Sta­di­on brach­te, um sie zu hören.

Der Fall Tay­lor Swift ist bei­spiel­haft und zeigt, wie die mime­ti­sche Begeh­rens­ma­schi­ne funk­tio­niert, d. h. wie Mythen (im Show­busi­ness und dar­über hin­aus) geschaf­fen und Moden (auch ideo­lo­gi­sche) eta­bliert werden.

Es ist eine Fra­ge, die nicht nur mit den Kostü­men, Lie­dern oder der Poli­tik zu tun hat. Son­dern mit der sozia­len Ver­packung des Pro­dukts, denn das zieht die Natur des Men­schen an.

Um dies zu ver­ste­hen, muß man sich auf die Arbei­ten von René Girard (1923–2015) zurück­grei­fen, einem fran­zö­si­schen Den­ker, der aus­ge­hend von der Lite­ra­tur­kri­tik die Theo­rie des mime­ti­schen Begeh­rens ent­wickel­te, die dann auch die Anthro­po­lo­gie, Sozio­lo­gie, Theo­lo­gie, Psy­cho­lo­gie und ande­re Dis­zi­pli­nen einbezog.

Girard – ein fran­zö­si­scher Aka­de­mi­ker – hat haupt­säch­lich in den USA gelehrt und war dort so ein­fluß­reich, daß er heu­te als Vor­den­ker des Vize­prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten von Donald Trump, James Van­ce, in den Vor­der­grund gerückt wird.

Zunächst eine all­ge­mei­ne Ein­füh­rung, um sein Den­ken zu ver­ste­hen. Alle Tie­re haben Bedürf­nis­se, die hier auf der Erde befrie­digt wer­den. Nur der Mensch ist eine Aus­nah­me, denn er hat nicht nur Bedürf­nis­se, son­dern auch ein unend­li­ches Ver­lan­gen, das kein natür­li­ches Objekt hat (und das immer unbe­frie­digt bleibt), und – da er die Wirk­lich­keit von klein auf durch Nach­ah­mung ent­deckt und ken­nen­lernt – ver­sucht er, sie durch Nach­ah­mung ande­rer zu finden.

„Wenn die natür­li­chen Bedürf­nis­se befrie­digt sind“, schreibt Girard, “begeh­ren die Men­schen inten­siv, aber ohne genau zu wis­sen, was, denn kein Instinkt lei­tet sie. Sie haben kein eige­nes Begeh­ren. Was dem Begeh­ren eigen ist, ist, daß es nichts Eige­nes hat. Um wirk­lich zu begeh­ren, müs­sen wir auf die Men­schen um uns her­um zurück­grei­fen, wir müs­sen uns ihr Begeh­ren ausleihen.“

Der „Ver­mitt­ler“ kann auch die Kunst sein: In Dan­tes Geschich­te von Pao­lo und Fran­ce­s­ca ist es die rit­ter­li­che Roman­ze von Lan­ce­lot und Guin­eve­re, die das Begeh­ren ent­facht. Der­sel­be Mecha­nis­mus wird durch die rit­ter­li­chen Roma­ne aus­ge­löst, die von Don Qui­jo­te, und durch die roman­ti­schen, die von Madame Bova­ry gele­sen wurden.

Es kann aber auch der bewuß­te Wunsch bestehen, mime­ti­sches Begeh­ren zu wecken. Und genau so funk­tio­niert die Wer­bung als Begeh­rens­ma­schi­ne. Sie wirbt nicht für ein bestimm­tes Pro­dukt wegen des­sen Eigen­schaf­ten, son­dern für einen Lebens­stil oder eine Atmo­sphä­re. Sodaß man nicht die­ses Getränk begehrt, son­dern das Leben der ande­ren, die es begeh­ren: „Das Begeh­ren“, schreibt Mar­co Dot­ti, um Girards Gedan­ken zu erläu­tern, „exi­stiert nicht an sich. Um zu exi­stie­ren, braucht es die Exi­stenz des ande­ren. Oder bes­ser gesagt, eines ande­ren, der begehrt. (…) Ein Objekt, ein Sta­tus, ein Sym­bol, eine Per­son sind also nur dann begeh­rens­wert, wenn ein ande­rer, den ich mir zum Vor­bild neh­me, sie vor mir begehrt, (…) des­halb ist das wah­re Objekt des Begeh­rens nie­mals das Objekt an sich.“

Unse­re (ideo­lo­gi­schen, göt­zen­haf­ten) Mythen ent­ste­hen durch mime­ti­sche Ansteckung, ent­täu­schen aber immer unser Ver­lan­gen nach Glück, das unend­lich ist.

Girard eröff­ne­te sein erstes Werk mit einem Satz von Max Scheler:

„Der Mensch hat ent­we­der Gott oder einen Götzen.“

*Anto­nio Soc­ci stu­dier­te Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­ten, war in sei­ner Jugend in der radi­ka­len Lin­ken aktiv, durch sei­ne Bekeh­rung kehr­te er in die katho­li­sche Kir­che zurück; seit 1984 ist er Jour­na­list, Vater von drei Kin­dern, kurz­zei­tig Chef­re­dak­teur der Monats­zeit­schrift 30giorni, Kolum­nist ver­schie­de­ner Tages­zei­tun­gen, 2002–2004 stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur der Nach­rich­ten­re­dak­ti­on des zwei­ten staat­li­chen Fern­seh­sen­ders RAI 2, 2004–2020 Direk­tor der von der RAI und der Uni­ver­si­tät Peru­gia getra­ge­nen Hoch­schu­le für Fern­seh­jour­na­lis­mus (eine Stel­le, von der er nach Kri­tik an Papst Fran­zis­kus zurück­tre­ten muß­te).

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons

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