Die Heilandsklagen zur Kreuzverehrung

Improperien


"Das Kreuz von San Zeno" des Florentiner Malers Coppo di Marcovaldo und seines Sohnes Salerno di Coppo (1274) im Dom von Pistoia
"Das Kreuz von San Zeno" des Florentiner Malers Coppo di Marcovaldo und seines Sohnes Salerno di Coppo (1274) im Dom von Pistoia

Am Kar­frei­tag spitzt sich das Heils­ge­sche­hen zu töd­li­cher Dra­ma­tik zu. Die Bezeich­nung des zwei­ten der drei hei­li­gen Tage als Kar­frei­tag geht auf das alt­hoch­deut­sche Wort kara für Klage/​Trauer zurück. An die­sem Tag gedenkt die Kir­che des Kreu­zes­to­des unse­res Herrn Jesus Chri­stus. Zur neun­ten Stun­de hauch­te er auf Gol­go­tha, vor den Mau­ern Jeru­sa­lems, sein Leben aus. Das war genau zur sel­ben Zeit, als im Tem­pel die Opfer­läm­mer für das Pas­cha­fest geschlach­tet wur­den. So hat sich auf eben­so grau­sa­me wie wun­der­ba­re Wei­se die Pro­phe­zei­ung Abra­hams (Gen 22,8) erfüllt.

Anzei­ge

Es ist ein stren­ger Fast- und Absti­nenz­tag. Es ist der ein­zi­ge Tag im gan­zen Jahr, an dem die Kir­che kei­ne hei­li­ge Mes­se fei­ert. Sie ehrt viel­mehr den Opfer­tod ihres gött­li­chen Erlö­sers durch eine eige­ne Lit­ur­gie, die durch ihre beson­de­re Schlicht­heit vie­le Ele­men­te aus der älte­sten Zeit bewahrt hat. Der erste Teil spie­gelt den Beginn einer hei­li­gen Mes­se in den ersten Jahr­hun­der­ten wider, als es noch kei­nen Intro­itus gab und der Prie­ster sich still vor den Stu­fen des Altars nie­der­warf. Die­se Pro­stra­tio (Nie­der­wer­fen) drückt in der Kar­frei­tags­lit­ur­gie nicht nur Anbe­tung und tie­fe Demut aus, ange­sichts der Uner­meß­lich­keit der Erlö­sungs­tat Chri­sti, son­dern ver­sinn­bild­licht auch den Zustand der Mensch­heit vor der Erlö­sung, da sie durch den Sün­den­fall regel­recht am Boden lag.

In der Kar­frei­tags­lit­ur­gie erklin­gen am Beginn der Kreuz­ver­eh­rung die Impro­pe­ri­en, die Hei­lands­kla­gen, die sich auf erschüt­tern­de Wei­se an jeden Men­schen rich­ten. Sie fin­den ihre Anleh­nung an das alt­te­sta­ment­li­che Buch Micha 6,3–4:

„Mein Volk, was habe ich dir getan, womit dich belei­digt? Ant­wor­te mir! Ich habe dich aus dem Land Ägyp­ten geführt, aus dem Skla­ven­haus dich erlöst. Als Füh­rer sand­te ich dir Moses, Aaron und Mirjam…“

Das Gan­ze ist, für den „moder­nen“ Men­schen kaum faß­bar, ein Rechts­streit und als sol­cher kehrt er in der Kar­frei­tags­lit­ur­gie wie­der: ein Rechts­streit zwi­schen dem Mes­si­as und sei­nem undank­ba­ren Volk.

Dar­in ent­hal­ten ist der Hym­nus Trisha­gi­on, der auch in der latei­ni­schen Kir­che nicht nur latei­nisch, son­dern auch grie­chisch gesun­gen wird. Neben dem Kyrie elei­son ist das der ein­zi­ge ver­blie­be­ne Teil des römi­schen Ritus im Kir­chen­jahr auf grie­chisch, des­sen Lit­ur­gie­spra­che seit dem 4. Jahr­hun­dert Latein ist. Wäh­rend das Kyrie in jeder hei­li­gen Mes­se erklingt, wird die­ser Hym­nus, das zwei­te grie­chi­sche Ele­ment der hei­li­gen Lit­ur­gie des Westens, nur ein­mal im Jahr, am Kar­frei­tag, ange­stimmt. Die­ser drei­ma­li­ge Hei­lig­ruf wur­de in jüng­ster Zeit in den Barm­her­zig­keits­ro­sen­kranz über­nom­men, des­sen Abschluß er bildet.

Die Heilandsklagen

Popu­le meus, quid feci tibi? Aut in quo con­tri­stavi te?
Respon­de mihi.

Quia edu­xi te de ter­ra Aegyp­ti: para­sti crucem sal­va­to­ri tuo.

Hagios ho The­os – Sanc­tus Deus
Hagios Ischy­ros – Sanc­tus For­tis
Hagios Atha­na­tos, elei­son hemas – Sanc­tus Immor­ta­lis, mise­re­re nobis

Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt?
Ant­wor­te mir.
Aus der Knecht­schaft Ägyp­tens habe ich dich her­aus­ge­führt.
Du aber berei­test das Kreuz dei­nem Erlöser.

Hagios, ho The­os – Sanc­tus Deus – Hei­li­ger Gott
Hagios Ischy­ros – Sanc­tus For­tis – Hei­li­ger, star­ker Gott
Hagios Atha­na­tos, elei­son hemas –
Sanc­tus Immor­ta­lis, mise­re­re nobis –
Hei­li­ger, unsterb­li­cher Gott, erbar­me dich unser.

Vier­zig Jah­re habe ich dich gelei­tet durch die Wüste.
Ich habe dich mit Man­na gespeist
und dich hin­ein­ge­führt in das Land der Ver­hei­ßung.
Du aber berei­test das Kreuz dei­nem Erlöser.

Hei­li­ger Gott
Hei­li­ger, star­ker Gott
Hei­li­ger, unsterb­li­cher Gott, erbar­me dich unser.

Was hät­te ich dir mehr tun sol­len und tat es nicht?
Als mei­nen erle­se­nen Wein­berg pflanz­te ich dich,
du aber brach­test mir bit­te­re Trau­ben,
du hast mich in mei­nem Durst mit Essig getränkt
und mit der Lan­ze dei­nem Erlö­ser die Sei­te durchstoßen.

Hei­li­ger Gott
Hei­li­ger, star­ker Gott
Hei­li­ger, unsterb­li­cher Gott, erbar­me dich unser.

Dei­net­we­gen habe ich Ägyp­ten geschla­gen und sei­ne Erst­ge­burt,
du aber hast mich geschla­gen und dem Tod überliefert.

Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt?
Ant­wor­te mir.

Ich habe dich aus Ägyp­ten her­aus­ge­führt
und den Pha­rao ver­sin­ken las­sen im Roten Meer,
du aber hast mich den Hohen­prie­stern überliefert.

Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt?
Ant­wor­te mir.

Ich habe vor dir einen Weg durch das Meer gebahnt,
du aber hast mit der Lan­ze mei­ne Sei­te geöffnet.

Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt?
Ant­wor­te mir.

In einer Wol­ken­säu­le bin ich dir vor­an­ge­zo­gen,
du aber hast mich vor den Rich­ter­stuhl des Pila­tus geführt.

Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt?
Ant­wor­te mir.

Ich habe dich in der Wüste mit Man­na gespeist,
du aber hast mich ins Gesicht geschla­gen
und mich gegeißelt.

Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt?
Ant­wor­te mir.

Ich habe dir Was­ser aus dem Fel­sen zu trin­ken gege­ben und dich geret­tet,
du aber hast mich getränkt mit Gal­le und Essig.

Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt?
Ant­wor­te mir.

Dei­net­we­gen habe ich die Köni­ge Kanaans geschla­gen,
du aber schlugst mir mit einem Rohr auf mein Haupt.

Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt?
Ant­wor­te mir.

Ich habe dir ein Königs­zep­ter in die Hand gege­ben,
du aber hast mich gekrönt mit einer Kro­ne von Dornen.

Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt?
Ant­wor­te mir.

Ich habe dich erhöht und aus­ge­stat­tet mit gro­ßer Kraft,
du aber erhöh­test mich am Holz des Kreuzes.

Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt?
Ant­wor­te mir.

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