Von Wolfram Schrems*
Bereits im Jahr 2017 erschien eine profunde Biographie des seligen Alojzije Viktor Kardinal Stepinac (1898 – 1960), Erzbischof von Agram ab 1937, in einem renommierten deutschen Verlagshaus. Im deutschen Sprachraum ist das freilich ein Randthema. Der Selige sollte aber nach Meinung dieses Rezensenten auch bei uns viel mehr bekannt gemacht werden. Und zwar aus zwei Gründen: wegen der persönlichen Vorbildhaftigkeit des Seligen in Lebensführung und Verkündigung, als auch wegen der mit seiner Biographie verbundenen Notwendigkeit, wichtige geschichtliche und geschichtspolitische Fragen zu behandeln.
Daher im folgenden etwas ausführlicher.
Die Autorin und ihr ambitioniertes Projekt
Dr. Claudia Stahl, aus Hamburg gebürtig, studierte Jus, Musikwissenschaft und Philosophie. Derzeit ist sie Richterin am Verwaltungsgericht Cottbus. In einem Interview mit Kirche in Not spricht sie über ihre Motivation, eine Biographie über den Seligen zu schreiben. Sie schreibt ihm, der ihr Firmpatron ist, eine Gebetserhörung zu (Kurzversion eines längeren Interviews, die betreffende Aussage findet sich bei Minute 2:40).
Frau Stahl lernte eigens die kroatische Sprache, um die historischen Dokumente lesen zu können. Auch ihre Aktivkenntnisse sind beachtlich (bei Minute 1:47).
Alleine die Sichtung der Briefe des Seligen und der Gerichtsakten ist eine gigantische Arbeitsleistung – neben einer verantwortungsvollen und schwierigen Erwerbsarbeit.
Damit zur Person der Untersuchungen anhand der gegenständlichen Biographie:
Ringen um die Berufung: Seminar, Militär, Heiratspläne, noch einmal Seminar
Alojzije Stepinac („z“ ist stimmhaftes s, im Deutschen außerhalb der Bühnensprache nicht üblich, Familienname wird „ßtepínatz“ ausgesprochen) wird am 8. Mai 1898 in Brezarić bei Krasić (Gespanschaft Agram/Zagreb) in eine kinderreiche Familie geboren. Seine Mutter Barbara ist die zweite Frau seines verwitweten Vaters Josip, eines tüchtigen und wohlhabenden Großbauern.
Alojzije entscheidet sich früh für das Priesterseminar. Allerdings kommt der Krieg dazwischen. Stepinac geht als Offizier an die italienische Front und gerät in italienische Kriegsgefangenschaft. Dort schließt sich Stepinac der Südslawischen Legion an. Wie viele andere glaubt er nicht mehr an die Doppelmonarchie, sondern wendet sich der jugoslawischen (bzw. „illyrischen“) Idee der Vereinigung der südslawischen Völker in einem Staat zu.[1]
Die Desillusionierung der Kroaten vom neuen SHS-Staat (Staat der Slowenen, Kroaten und Serben, danach Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, ab 1929 Königreich Jugoslawien), auch die von Stepinac selbst, setzte jedoch bald ein.
Nach seiner Entlassung beginnt Stepinac Landwirtschaft zu studieren, wird aber nicht froh dabei. Er arbeitet in der väterlichen Landwirtschaft mit. Der Vater regt den Sohn an, sich zu verheiraten. Es kommt zu einer (von Seiten Stepinacs offenbar gar nicht als solche betrachteten) Verlobung mit seiner ehemaligen Schulkollegin Marija Horvath. Der Kauf der Verlobungsringe ist der quälende Tiefpunkt einer unstimmigen Beziehung, die ganz offensichtlich nicht den Plänen der göttlichen Vorsehung entspricht. Die Verbindung wird gelöst, Marija, unverheiratet geblieben, stirbt im Jahr 1939 bei einem Autounfall.
Stepinac ringt sich noch einmal durch, das Priesteramt anzustreben. Er geht nach Rom ins Collegium Germanicum et Hungaricum und studiert an der Gregoriana, beides Einrichtungen der Gesellschaft Jesu. Der Tagesablauf ist klösterlich streng, die Fastenzeit jeweils eine harte Prüfung für die jungen Männer, das Studienniveau elitär, die geistliche Formung profund:
Im Haus herrschte eine strenge Klausur. Jeder Student hatte sein eigenes Zimmer, das durchgehend ungeheizt und spartanisch wie eine Klosterzelle eingerichtet war. Nach der „Schwellenregel“ war es streng verboten, die Zimmerschwelle eines Kommilitonen zu überschreiten. Gespräche durften nur an der Schwelle stattfinden, wobei man sich mit „Sie“ anzusprechen hatte, und mussten kurz sein. Die regula tactus verbot jeden Körperkontakt. Im ganzen Haus herrschte Stillschweigen, damit alle ungestört lernen konnten. (…) Nicht jeder Spätberufene konnte diese klösterliche Lebensweise ertragen. (56)
Die Sommerferien werden gemeinsam auf einem Landsitz des Seminars verbracht, Stepinac kommt also sieben Jahre nicht in seine Heimat. Nach Promotionen in Philosophie und Theologie wird er 1930 zum Priester geweiht.
Schneller, aber nicht angestrebter Aufstieg in der Kirchenhierarchie in schwieriger Zeit
Nach einer kurzen Zeit als Kaplan wird er zum Zeremoniär des Agramer Erzbischofs Antun Bauer ernannt. Bauers Eltern stammten aus Deutsch-Westungarn, dem heutigen Burgenland. Der Erzbischof, ehemaliger Professor für Philosophie, ist ein strenger Vorgesetzter.
Stepinac wird von Papst Pius XI. zum Erzbischof-Koadjutor mit Nachfolgerecht ernannt und am 24. Juni 1934 zum Bischof geweiht. Einwände werden nicht akzeptiert. Nach dem Tod von Erzbischof Bauer am 7. Dezember 1937 ergreift Stepinac von seinem Erzbistum Besitz.
Die Zeiten sind schwierig. Die jugoslawische Königsdiktatur der Karađorđević-Dynastie erwies sich für die katholische Kirche und das kroatische Volk als Alptraum. So hatte man sich zur Zeit der Habsburgermonarchie den Illyrismus nicht vorgestellt. Man hatte ein zwar nicht perfektes, aber bewährtes politisches System gegen eine Illusion eingetauscht und erlebte politische Morde, Folter und Unterdrückung.
Die Erfahrungen der Kroaten mit der serbischen Dominanz in Jugoslawien führten zu Haß und Rachegefühlen. Mit deutscher Hilfe wurde dann 1941 der so genannte Unabhängige Staat Kroatien (Nezavisna Država Hrvatska, NDH), der territorial in etwa das heutige Kroatien (ohne Istrien und Dalmatien) und Bosnien-Herzegowina umfaßte, errichtet.
Die Verwicklung katholischer Laien und Priester in Greueltaten an serbischen Zivilisten (unter anderem im berüchtigten Lager Jasenovac) gehört zu den dunkelsten Episoden der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts. Es waren unter anderem Franziskaner und Ex-Franziskaner, die sich hier hervortaten. Auf diese hatte Stepinac meist aber weder kirchenrechtlichen noch faktischen Einfluß.[2]
Erzbischof Stepinac selbst intervenierte bei der Regierung des neuen Staates häufig und mutig zugunsten politisch Verfolgter. Eine Begebenheit zeigt seinen großen Mut: Kurz nach Ausrufung des neuen Staates fragte er bei seinem Antrittsbesuch den Poglavnik („Führer“), Regierungschef Ante Pavelić, undiplomatisch geradeheraus, ob dieser in den Mord an König Aleksandar in Marseille im Jahr 1934 verwickelt gewesen sei (174). Pavelić, der tatsächlich am Rande involviert war, redete sich heraus. Er sei von der Frage sehr getroffen worden und habe niemals einen Gegenbesuch bei Stepinac gemacht.
Stepinac wurde kein Freund der neuen Regierung und auch nicht der deutschen Besatzungsmacht, konnte und wollte aber nicht einen Konfrontationskurs fahren. Seine Interventionen retteten politischen Gegnern, Serben, Juden und sogar Kommunisten das Leben. Was letztere später nicht hindern sollte, ihrerseits gegen Stepinac vorzugehen, als sie die Macht erlangten.
Und das kam sehr rasch.
Kommunistischer Haß gegen Kirche und Christentum
In einem Schauprozeß nach dem Kriegsende und der Machtübernahme Titos wurde Stepinac am 11. Oktober 1946 trotz des fähigen und tapferen Verteidigers Ivo Politeo und zahlreicher Eingaben serbischer und jüdischer Antragssteller zu sechzehn Jahren Gefängnis mit Zwangsarbeit, Verlust der bürgerlichen und politischen Recht für zusätzliche fünf Jahre und Einzug des Vermögens verurteilt.[3]
Von einem fairen Verfahren konnte nicht die Rede sein, die Prozeßzuschauer bauten – vom Geheimdienst instruiert – Druck auf, entlastendes Material kam kaum zum Einsatz.
Die juristisch versierte Autorin dazu:
Der tatsächliche Verlauf der Hauptverhandlung ist heute nicht mehr vollständig und exakt rekonstruierbar. Die Hauptverhandlung wurde von Gerichtsstenografen protokolliert. Nachdem ihre stenografischen Notizen übertragen worden waren, wurden sie zu einem geheimnisvollen Gerichtsbeamten „zur Korrektur“ gebracht. Die angeblich wörtlichen Mitschriften, die dann täglich in den jugoslawischen Zeitungen erschienen, waren verfälscht gegenüber dem, was im Gerichtssaal tatsächlich gesagt worden war. Insbesondere wurde alles, was für Stepinac sprach, verfälscht. Die Geheimpolizei verbot auch den Zuhörern, eigene Mitschriften anzufertigen, und beschlagnahmte einige solcher Notizen (336).
Die eigentliche Schuld des Erzbischofs bestand in seinem Widerstand gegen Titos Pläne, eine kroatische Nationalkirche, abgelöst vom Papst, zu errichten. Zudem war Stepinac als Antikommunist bekannt. Er mußte weg.
Geistige Zermürbung – langes Martyrium und Ergebenheit bis zum Ende
Stepinac wurde in das Gefängnis in Lepoglava (in der Nähe von Varaždin) gebracht. Das Gebäude war ein ehemaliges Paulinerkloster, das von Kaiser Joseph II. aufgehoben worden war. Im Gefängnis wurde er zwar nicht physisch mißhandelt und erhielt auch gute Verpflegung, die Frauen aus der dortigen Pfarre zubereiteten, aber die Unsicherheit und der psychische Druck einschließlich der Empathie mit den Mithäftlingen führten nach und nach zu Krankheitssymptomen. Im Gegensatz zur ursprünglichen Verurteilung wurde ihm aus Rücksichtnahme auf die Bevölkerung keine Zwangsarbeit auferlegt. Er konnte Studien nachgehen, so verfaßte er Kommentare zur Bibel und übersetzte geistliche Texte aus dem Französischen.
Er weigerte sich, ein Begnadigungsansuchen zu stellen, weil Regime und Weltöffentlichkeit das als Schuldeingeständnis gewertet hätten.
Im Jahr 1951 wurde er in den Hausarrest entlassen. Offenbar war das eine indirekte Folge des Bruchs Titos mit Stalin und einer good will – Aktion Titos, um im Westen leichter Kreditgeber und Verbündete zu finden.
Stepinac verbrachte etwa neun Jahre im Hausarrest im Pfarrhaus von Krašić. Er durfte das Gemeindegebiet nicht verlassen – und natürlich auch sein Amt als Agramer Erzbischof nicht ausüben.
In dieser Zeit wirkte Stepinac als Kaplan des Ortspfarrers. Er erlegte sich ein großes Gebetspensum auf und stellte sich daher den Wecker auf viertel nach drei (497).
Die permanente Überwachung durch den Geheimdienst und die massive Beschränkung des Wirkungskreises wirkte so, wie es beabsichtigt war: Die Gesundheit des Erzbischofs litt Schaden. Zudem kamen Gerüchte auf, er sei zuvor in Lepoglava in kleinen Dosen sukzessive vergiftet worden. Auch von einer geheimen Röntgenbestrahlung von der Nebenzelle aus ist die Rede. All das ist weder bewiesen noch widerlegt.
Papst Pius XII. kreierte Stepinac 1952 zum Kardinal, was den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Jugoslawien und dem Heiligen Stuhl bewirkte.
Stepinac starb am 10. Februar 1960 und wurde unter triumphaler Anteilnahme des gläubigen Volkes in der Agramer Kathedrale begraben.
1998 wurde er von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen. Der Heiligsprechungsprozeß ist im Gange.
Bis heute wird das Gedächtnis des Kardinals besudelt. Ob die medial verbreitete Anklage aus der Zeit des Schauprozesses, wonach Stepinac eigenhändig serbische Kinder ermordet haben soll (!), derzeit wiederholt wird, ist dem Rezensenten nicht bekannt. Unreflektiert und pauschal wird allerdings der Vorwurf erhoben, mit einem faschistischen Regime „kollaboriert“ und die staatlich betriebenen Zwangskonversionen von Orthodoxen zur Katholischen Kirche unterstützt zu haben. Diese Kritik kommt zumeist aus der serbischen Öffentlichkeit und der serbisch-orthodoxen Kirche, sowie aus westeuropäischen Linkskreisen.
Was Kardinal Stepinac uns Heutige lehren kann
Für unsere gegenwärtige Situation ist Stepinac aus folgenden Gründen von Bedeutung:
Die priesterliche Berufung ist heute besonders angefochten, weil die kirchliche Obrigkeit seit Jahrzehnten in vielen Ländern Priesternachwuchs de facto verhindert und nun sogar ein Papst Verachtung für das Priesteramt zeigt. Aber leicht war der Schritt in diese Form der Nachfolge Christi vermutlich nur für wenige. Fromme Seminarregenten und Spirituale sowie gläubige Theologieprofessoren sind daher eine in der Regel notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für die tatsächliche Verwirklichung einer geistlichen Berufung. Es braucht noch eine spezielle Hilfe von oben. Die Biographie von Kardinal Stepinac zeigt das.
Von daher kann und soll Stepinac Vorbild und Fürsprecher in dieser delikaten Angelegenheit sein.
Sodann ist Stepinac ein Märtyrer der kirchlichen Einheit. Er widerstand dem dreisten Ansinnen Titos, eine kroatische Nationalkirche, abgelöst vom Vikar Christi und Nachfolger Petri, zu erschaffen. In einer Epoche zentrifugaler Tendenzen der Kirche ist Stepinac ein wichtiger Zeuge der Verbindung der nationalen Kirchen mit Petrus. In einer Zeit, in der allerdings nicht einmal der Papst selbst das Petrusamt stiftungsgemäß ausführt, ist die Lage kompliziert.
Stepinac zeigt sodann, daß es kein kirchliches Leben ohne den überkommenen, traditionellen, also „vorkonziliaren“ Glauben gibt und geben kann. Das sollte sich besonders die kroatische Hierarchie zu Herzen nehmen, die, wie man hört, der traditionellen lateinischen Messe und ihren Priestern und Gläubigen feindlich gegenüber steht.[4]
Die doktrinellen und liturgischen Zerstörungen im Gefolge des Konzils lagen wohl jenseits des Vorstellungshorizontes des Seligen.[5]
Sodann lehrt die Biographie des Seligen, daß sich ein Hirte der Kirche manchmal in komplizierten politischen Situationen bewähren muß. Dieser Punkt wird von der Autorin sehr gut herausgearbeitet: Stepinac war kein Freund der Ustaša-Regierung und jeder kroatische Patriot und ausländische Freund des kroatischen Volkes muß ein solches System ablehnen. Stepinac protestierte und intervenierte oft sehr mutig. Es war keineswegs ausgemacht, daß das Regime ihn nicht verhaften oder beseitigen würde. Andererseits mußte er als Hirte des Volkes einen modus vivendi mit der Regierung finden. Zudem ballte sich in der Partisanenbewegung eine neue Bedrohung für Kirche und Volk zusammen.
Für die gegenwärtige Situation könnten die Hirten daraus lernen, daß man der Politik widerstehen muß, wenn sie der Lehre Christi widerspricht, daß aber die Bedrohungen von mehreren Seiten kommen können.
Schließlich kann uns Stepinac als Seliger des Hausarrests ein Beispiel geben, wie man in Zeiten mehr oder weniger (un)gerechtfertigter Ausgangsbeschränkungen die Zeit in der unfreiwilligen Klausur fruchtbar nutzen kann.
Kritik: bedauerliche Konzessionen an Modeströmungen
Doch gibt es auch Anlaß zu Kritik am vorliegenden Werk. Diese betrifft zwar nicht den Grundductus des Buches, doch aber damit zusammenhängende Punkte. Die Kritik entzündet sich an Annäherungen der Autorin an den kirchlichen, „konziliaren“ Zeitgeist:
Erstens ist die Rede vom „ökumenischen Heiligen“ (15, 570ff) irreführend und daher zu vermeiden. Die römisch-katholische Kirche, die die Kirche Jesu Christi ist, entscheidet mit ihren Kriterien über die Heiligkeit, nicht ein Kollegium von verschiedenen „Religionsgemeinschaften“. Leider gibt es ja auch zahlreiche Märtyrer, die von nicht-katholischen Christen mißhandelt und ermordet wurden. Von daher ist die Initiative von Papst Franziskus, den Heiligsprechungsprozeß „vorerst nicht abzuschließen“ und der serbisch-orthodoxen Kirche quasi ein Veto bei der Heiligsprechung von Stepinac zu gewähren, kritisch zu sehen (571).[6]
Eine „ökumenische Dimension“ von Heiligkeit gar auf das Judentum auszudehnen, ist besonders widersinnig, weil sich das Judentum seit der kollektiven Option gegen Jesus Christus (vgl. 1 Thess 2,15f) und für Barabbas, eben per definitionem gegen die kirchlichen Kriterien richtet. Die „von jüdischer Seite geäußerten Bedenken“ (573) können also kein Kriterium kirchlicher Entscheidungen sein.
Der von Frau Stahl genannte Einsatz für „Menschenwürde, Menschenrechte, Religions- und Gewissensfreiheit“ (vgl. 15, 573) kann nobel sein. Für sich genommen konstituiert er aber selbstverständlich noch keine Heiligkeit. Alle diese Forderungen stammen historisch gesehen aus nicht-christlichen Quellen, aus Freimaurerei und Revolution, und wurden gegen die Kirche eingesetzt. Eine falsch konzipierte „Menschenwürde“ bildet sogar die Grundaussage des verunglückten und folgenreichen Dokuments Dignitatis humanae des II. Vaticanums.
Zweitens stellt die Autorin die satanische Qualität des Kommunismus mit seinen unfaßbaren Greueln ab dem Jahr 1917 zu schwach dar. Die Sowjetunion hatte ja nicht nur katholische Priester und Bischöfe ermordet und das katholische Leben lahmgelegt (130), sondern in die Millionen gehende Massenmorde begangen, an Arbeitern und Bauern, wie auch am russisch-orthodoxen Klerus.
Daß es „Schwarzweiß-Malerei“ (126) gewesen sein soll, wenn Stepinac „in kräftigen Ausdrücken“ vor dem Kommunismus warnte, ist angesichts der erwähnten Greuel der Sowjetunion, einschließlich dem nur ein Jahr vor der Bischofsweihe von Stepinac zu Ende gegangenen Genozid („Holodomor“) an der ukrainischen Bevölkerung mit buchstäblich Millionen an Hungertoten, nicht nachvollziehbar. Schließlich erwies sich auch der jugoslawische Kommunismus der Tito-Partisanen als Horror.[7]
In diesem Zusammenhang ist auch die verunglückte Formulierung: „Seine [Stepinacs] Zuhörer, die Franziskaner, waren Menschen, die in ihrem Orden auf Privateigentum verzichteten, in diesem Punkt also den Kommunisten durchaus nahe waren“ (127), zu erwähnen, die nahelegt, daß die Kommunisten auf Privateigentum verzichtet hätten. Angesichts der „luxuriöse[n] Sommerresidenz“ Titos auf Brijuni (528) und des üppigen Lebensstils von kommunistischen Führern und Funktionären von Stalin und Mao bis zur berüchtigten DDR-Elite wird man nicht von einem asketischen Lebensstil der realen Kommunisten ausgehen können.
Allzu pauschal wird viertens „das in seiner [Stepinacs] Zeit herrschende, aus heutiger Sicht überholte vorkonziliare kirchliche Staatsverständnis“ abgetan (154). Alleine schon durch den Ausdruck „vorkonziliar“ wird im heutigen Sprachgebrauch implizit nahegelegt, daß das damit Bezeichnete nur defizitär sein kann. „Überholt“ ist das vorkonziliare Staatsverständnis angesichts des flächendeckenden Zusammenbruchs der christlichen Zivilisation nach 1965 aber nun wirklich nicht. Es ist der Autorin rebus sic stantibus positiv anzurechnen, daß sie die hochproblematische Konzilserklärung Dignitatis humanae als „in Einzelfragen nicht unumstritten“ qualifiziert (ebd.). Aus Sicht des Rezensenten ist das allerdings – angesichts der Wirkung des Dokuments – kraß untertrieben.
Um also die gegenständliche Biographie zu ergänzen:
Stepinac blieb es erspart, das II. Vaticanum mit seinem schändlichen Schweigen zum Kommunismus (Geheimabkommen mit der Sowjetunion in Metz), die Vatikanische Ostpolitik von Johannes XXIII. und Paul VI., einschließlich der verwerflichen Opferung des ungarischen Primas Kardinal József Mindszenty (von der Autorin gemeinsam mit Erzbischof Josef Beran von Prag erwähnt, 457) und des ukrainischen Großerzbischofs Kardinal Josyf Slipyj durch Papst Paul VI. zugunsten des „Dialogs“ mit den Kommunisten miterleben zu müssen. Vielleicht verhinderte sein früher Tod, selbst dem „Dialog mit dem Teufel“ geopfert zu werden.
Auch die fälschlich so genannte „Liturgiereform“ mitzuerleben blieb ihm, dem die hl. Messe so viel bedeutete, erspart. Sie hätte ihn wohl rasch ins Grab gebracht.
Und eine „konziliare“ Formation des jungen Stepinac hätte wohl niemals dessen heroisches Lebenszeugnis hervorbringen können.
Fünftens: „Muslimische Zivilgesellschaft“ (237) ist wie die Rede von auf das Privateigentum verzichtenden Kommunisten eine Stilblüte. Man soll keine zeitgeistig geprägten und ideologisch aufgeladenen Phrasen wie „Zivilgesellschaft“ (eine im Bereich des Kulturmarxismus angesiedelte, vom italienischen Kommunisten Antonio Gramsci erfundene Vokabel) verwenden.
Und „muslimische Geistliche“ (ebd.) gibt es auch nicht.
Diese zu kritisierenden Punkte ergeben sich, wie gesagt, aus Konzessionen an zeitgeistige Denkmuster in Kirche und Politik. Der Rezensent regt ein Überdenken dieser Punkte an, möchte aber, um die Proportionen richtig zu setzen, die überwältigend positive Leistung der Autorin gebührend herausstreichen.
Ein sachlicher Irrtum findet sich auf S. 117, wo von einem selbständigen Patriarchat in „Karlovac“ (dt. Karlstadt) die Rede ist. Es muß aber „Sremski Karlovci“ heißen, also das syrmische Karlowitz, bekannt durch einen dort vereinbarten Friedensschluß zwischen Österreich und dem Osmanischen Reich im Jahr 1699.
Zwei Anregungen für eine allfällige Neuauflage
Es wäre sicher gut, geographische Karten einzufügen, damit sich der Leser ein Bild machen kann, wo sich die Ereignisse abgespielt haben und wo die häufig wechselnden Grenzen verliefen.
Allenfalls wäre auch zu erwägen, statt „Zagreb“ den alten deutschen, und in den südlichen Bundesländern Österreichs auch in den Medien immer noch verbreiteten Namen „Agram“ zu verwenden. Denn „Zagreb“ wird fast immer falsch ausgesprochen, nämlich mit „ts“ anstelle des im Deutschen ja unüblichen stimmhaften s. Auch das lang auszusprechende a wird meist kurz ausgesprochen, sodaß mit „tsaggreb“ eine sehr unschöne Verballhornung der kroatischen Hauptstadt herauskommt.
Aber das ist sicher eine Ermessenssache.
Schlußfolgerung
Das Buch ist sehr gut recherchiert, eine unglaubliche Fülle an Material ist eingearbeitet. Vierundzwanzig Abbildungen und ein umfangreiches Register runden das Buch ab. Die Autorin hat die innere Entwicklung des Seligen und die äußeren Ereignisse übersichtlich, kurzweilig und in einer dem Stoff angemessenen katholischen Perspektive dargestellt. Im deutschen Sprachraum wenig bekannte und komplexe Vorgänge wurden anschaulich dargestellt. Deshalb eignet sich das Buch zu einem vertieften Bekanntwerden mit einer großen Gestalt der Kirche des 20. Jahrhunderts einerseits und dem Erfassen der geistigen Strömungen der Zeit andererseits.
Von daher gebühren der Autorin Dank und Anerkennung.
Wir wünschen dem Buch bzw. einer allfälligen Neuauflage weite Verbreitung. Möge es der historischen Wahrheit, der Erneuerung im Glauben und der Versöhnung der getrennten Christen dienen.
Und möge der Selige für diese Anliegen eintreten.
Blaženi Alojzije Stepinče, moli za nas!
Claudia Stahl, Alojzije Stepinac – Die Biographie, Ferdinand Schönigh, Paderborn 2017, 592 Seiten
*Wolfram Schrems, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro Lifer, kirchlich-karitativer Einsatz in Sarajewo nach der Implementierung des Dayton-Abkommens, Kenntnisse der kroatischen Sprache, verfaßte bereits 2003 in der VISION 2000 einen kurzen Artikel über Stepinac anhand der Biographie von Ernest Bauer (1979).
Sie können die Biographie von Claudia Stahl über Kardinal Stepinac über unsere Partnerbuchhandlung beziehen.
Bild: Youtube/LTV (Screenshots)/Wikicommons
[1] Dieser Schritt in die Legion ist natürlich ethisch nicht unproblematisch. Die Autorin dazu:
‚In kroatisch-nationalen, aber auch in österreichisch-ungarischen Kreisen wurden Kämpfer der südslawischen Legion bzw. der „Saloniki-Front“, wie sie auch genannt wurde, später verachtet. General Glaise von Horstenau, ein ehemaliger k.u.k.-Offizier, der Stepinac im April 1941 kennenlernte, notierte abfällig in seinem Tagebuch: „Dieser Typ war österreichischer Freiwilliger, und dann desertierte er und nahm als serbischer Offizier an der Front in Saloniki teil, im Kampf gegen sein früheres Heimatland, dem er die Treue geschworen hatte.“‘ (36)
[2] Die Autorin erwähnt einige Fälle von Priestern, bei denen Stepinac disziplinarisch durchgegriffen hat (182). – Jasenovac ist ein geschichtspolitisches Minenfeld und ein fixer Topos antikroatischer und kommunistischer Propaganda. Soweit man das erheben kann, steht die Zahl der Opfer keineswegs fest (sehr ausgewogen dazu die Autorin, etwa 195, die übrigens auch öfter Igor Vukić, einen serbischstämmigen kroatischen Journalisten zitiert, der das gängige Narrativ nach intensiven Archivstudien und Interviews bestreitet. Klar ist, daß die „offizielle“ Geschichtsschreibung der Sieger „Dogmen“ braucht und daher solche erschafft. Das Gesagte bedeutet selbstverständlich keine Rechtfertigung kroatischer Greueltaten.
[3] Die Machtergreifung Titos ging mit Greueltaten, Massenmorden und Schauprozessen einher. Nicht-kommunistische Kräfte wurden liquidiert. Besonders schändlich ist übrigens die Mitwirkung der Engländer bei der gegen Offiziersehrenwort erfolgten Auslieferung kroatischer, slowenischer und serbischer Soldaten und Paramilitärs und von deren Angehörigen sowie deutscher Kriegsgefangener in Bleiburg und Viktring (Kärnten) an Tito.
[4] Den Rezensenten erreichte der Hinweis, daß die Erzdiözese Agram offenbar nicht interessiert ist, das Tagebuch des Seligen zu veröffentlichen. Claudia Stahl gibt auch an, daß das Tagebuch in keiner wissenschaftlichen Standards genügenden Form vorliegt:
„Offen ist, ob die [gemischte kroatisch-serbische] Kommission Einblick in bislang noch nicht zugängliche Dokumente verlangen und ob sie diese erhalten wird. Denkbar wären z.B. Einblicke in Stepinacs bislang nie in historisch-kritischer Form veröffentlichte Tagebücher, in die eventuell in Serbien oder anderswo noch über ihn vorhandenen UDBA-Akten oder auch in etwaige im Vatikan vorhandene und bisher unveröffentlichte Akten“ (572).
[5] Andererseits besteht auch kein Grund zur pauschalen Glorifizierung der kroatischen Kirche der 1930er Jahre: Als Stepinac einen vom Erzbischof abgezogenen, beliebten Pfarrer in dessen Gemeinde ersetzen mußte, wurde er von erbosten Gläubigen sogar angespuckt (!) (79f). Die Achtung gegenüber dem geistlichen Amt kann also nicht sehr groß gewesen sein. Die von Stepinac später beklagte hohe Zahl der Abtreibungen unter den Kroaten und die Verbreitung der Pornographie (133) zeigt auch den damals schon mangelnden Respekt vor dem ungeborenen Menschenleben bzw. der Keuschheit.
[6] Leider sind die Kriterien der Kanonisation dermaßen aufgeweicht worden, daß etliche Heiligsprechungen der letzten Jahre den schalen Beigeschmack politischer Opportunität gewonnen haben.
[7] Es sei der Hinweis gestattet, daß sich im Jahr 2007 der kanadische katholische Autor Michael D. O’Brien in seinem großartigen, aber auch schockierenden Roman Island of the World dieses Themas annahm. Es gibt eine kroatische Übersetzung (Otok svijeta). O’Brien hatte intensiv recherchiert, sei aber nach Meinung kroatischer Antikommunisten noch zu sanft gewesen. Dem Rezensenten war die Lektüre schockierend genug.
Jus studierte sie höchstwahrscheinlich nicht, sondern in Deutschland Jura. Allgemeiner hätte man als aus Österreich Schreibender formulieren können: Rechtswissenschaften.
Beeindruckend. Umso mehr wundert man sich, dass hierzulande der Kommunismus und Sozialismus immer noch in den Köpfen herumspukt. Er müsste längst vollkommen erledigt sein.