Österreichs Geschichte einmal anders erzählt

Die christliche Zivilisation und der Seitenhieb auf die politische Korrektheit


Das Dorf Wiesenberg, Schauplatz der Zeitreise. Gestaltung des Buchumschlages von „Alba“, die Morgendämmerung Österreichs.

(Rom) Die ita­lie­ni­schen Ehe­leu­te Emi­lio und Maria Anto­ni­et­ta Bia­gi­ni wur­den gemein­sam zu den Autoren eines histo­ri­schen Romans, der nichts weni­ger als die Geschich­te Öster­reichs erzählt. Was ist dar­an beson­ders? Eini­ges. Der erste Band liegt nun vor.

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Dem ita­lie­nisch­spra­chi­gen Publi­kum wird eine brei­te Dar­stel­lung der öster­rei­chi­schen Geschich­te gebo­ten, die für den Leser garan­tiert viel Unbe­kann­tes und Neu­es prä­sen­tiert. Das ist nicht ohne Bedeu­tung, da sich die Nach­barn Öster­reich und Ita­li­en noch vor hun­dert Jah­ren in einer „Erb­feind­schaft“ gegen­über­la­gen, was auch die Geschichts­schrei­bung nicht unbe­ein­flußt ließ.
Seit­her hat sich viel getan, und es fehlt nicht an Publi­ka­tio­nen, die den alten Hader über­wun­den haben, als die ita­lie­ni­sche Natio­nal­be­we­gung das deutsch gepräg­te, aber über­na­tio­na­le Gebil­de namens Öster­reich noch als das Haupt­hin­der­nis ihrer Ver­wirk­li­chung betrach­te­te. Das nach dem Ersten Welt­krieg klein­ge­mach­te Öster­reich, dem kaum mehr als die Hälf­te sei­ner deut­schen Bewoh­ner ange­hör­te, geschwei­ge denn noch ande­re Völ­ker, die sich alle selb­stän­dig mach­ten, wur­de von Rom mehr gön­ner­haft behan­delt als ernst genom­men. Der Vati­kan bemüh­te sich um Mil­de gegen­über der ein­sti­gen katho­li­schen Vor­macht.
Und dann ist da immer noch die Süd­ti­rol-Fra­ge, von der heu­te wegen der ver­ord­ne­ten Glo­ba­li­sie­rung vie­le nichts mehr wis­sen wol­len, was sie aber nicht aus der Welt zaubert. 

Band 1, wie viele Bände es werden sollen, ist noch nicht bekannt
Wie vie­le Bän­de es wer­den sol­len, ist nicht bekannt

In die­ses gewan­del­te Kli­ma, in die­sem Fall tat­säch­lich und ganz auf der mensch­li­chen Ebe­ne „men­schen­ge­macht, stößt das Buch des Autoren­du­os hin­ein, und das auf höchst erfreu­lich Wei­se, soweit es zumin­dest den nun vor­lie­gen­den ersten Band betrifft. Er trägt den Titel „Alba“ und meint die Mor­gen­däm­me­rung Öster­reichs. Der Band umfaßt den für die mensch­li­che Vor­stel­lungs­kraft kaum faß­ba­ren Zeit­raum von 7500 vor Chri­stus bis 1233 nach Christus. 

Die Ehe­leu­te Bia­gi­ni sind in Ita­li­en als Publi­zi­sten und Vor­tra­gen­de einem katho­li­schen Publi­kum bekannt durch Roma­ne, aber auch Essay­bän­de, etwa die gemein­sam ver­faß­ten Bücher „Die häß­lich­sten Geschich­ten. Wie erzählt man den Enkel­kin­dern die Lügen der Zeit­ge­schich­te“ („Le sto­rie più brut­te“) oder „Kle­ri­ka­le Sati­ren“ („Sati­re cler­ca­li“), die sich auf iro­ni­sche Wei­se der aktu­el­len Gebre­chen in der Kir­che anneh­men. Die nun ver­öf­fent­lich­te Dar­stel­lung der öster­rei­chi­schen Geschich­te kommt nicht nur ohne alte, natio­na­li­sti­sche Sei­ten­hie­be aus, son­dern auch ohne die neu­en ideo­lo­gi­schen Ver­ren­kun­gen, die nicht sel­ten einen anti­christ­li­chen Zun­gen­schlag verraten. 

Der für den ersten Band gewähl­te Zeit­raum umfaßt die über wei­te Strecken quel­len­ar­me Ur- und Früh­ge­schich­te, die müh­sam inter­dis­zi­pli­när erschlos­sen wer­den muß. Vie­les ist dies­be­züg­lich im Dun­keln und wird es wohl auch blei­ben. Da mag man viel­leicht auch nicht allem zustim­men, was im Buch dar­ge­legt wird. Emi­lio Bia­gi­ni, der an den Uni­ver­si­tä­ten Genua und Caglia­ri Geo­gra­phie lehr­te, kennt das von ihm behan­del­te Gebiet durch vie­le Rei­sen jeden­falls aus eige­ner Anschau­ung, und das offen­sicht­lich sogar sehr gründ­lich. Dabei muß wohl eine Lie­be zu die­sem Land in den Alpen und an der Donau ent­stan­den sein, die sei­ne Frau mit ihm teilt. Mit ihr wähl­te er das Gen­re eines Romans, wohl um der Trocken­heit einer fach­spe­zi­fi­schen Abhand­lung zu ent­ge­hen und ein mög­lichst gro­ßes Publi­kum mit auf die Rei­se in die Ver­gan­gen­heit zu neh­men. Trotz die­ser Wei­chen­stel­lung steckt das Buch vol­ler Gelehr­sam­keit und ist kennt­nis­reich gefüllt mit histo­ri­schen Fak­ten, die nicht nur für eine ita­lie­ni­sche Leser­schaft viel Inter­es­san­tes über Ent­wick­lun­gen und Ver­wer­fun­gen der Geschich­te, über Men­schen, Völ­ker und Spra­chen, über Brauch­tum, Nah­rung und Sit­ten enthüllen. 

Klerikale Satiren derselben Autoren
Kle­ri­ka­le Sati­ren der­sel­ben Autoren

An die­ser Stel­le ent­fal­ten sich die phi­lo­lo­gi­schen Kennt­nis­se des Ehe­paars, das gründ­li­chen Ein­blick vor allem in sprach­li­che Ent­wick­lun­gen bie­tet, akri­bisch die voll­zo­ge­nen Volks- und Sprach­wech­sel doku­men­tiert und kaum den Namen einer Stadt oder einen Begriff ohne ety­mo­lo­gi­sche und seman­ti­sche Anmer­kun­gen in den Text ein­flie­ßen läßt. Das Spek­trum schließt nicht nur die all­ge­mein bekann­ten kel­ti­schen Bewoh­ner und den Ein­fluß der latei­ni­schen Spra­che mit ein. Im Buch fin­det sich eben­so das Vater­un­ser auf Gotisch und auf Alt­bai­risch. Es geht um Ski­ren, Qua­den, Mar­ko­man­nen, Rugier, Heru­ler, Van­da­len, Bur­gun­den und natür­lich Ale­man­nen und Fran­ken, um den Rei­gen der ger­ma­ni­schen Völ­ker zu voll­enden, die seit Chri­sti Geburt am ande­ren Donau­ufer saßen und auf ihre Gele­gen­heit war­te­ten, Öster­reich for­men zu kön­nen. Dazwi­schen tra­ten eini­ge Zeit die Awa­ren auf, die von ihrem Zen­trum zwi­schen Donau und Theiß im heu­ti­gen Ungarn ihren Macht­be­reich nach Westen aus­streck­ten, und mit ihnen die Sla­wen. Wäh­rend die Awa­ren wie­der ver­schwan­den, sind die Sla­wen geblie­ben, zunächst im Nor­den, Osten und Süden. Ihren Platz im Osten, der ein­sti­gen karo­lin­gi­schen Ost­mark, weder zu ver­wech­seln mit Ost­ari­chi noch mit Hit­lers „Ost­mark“, nah­men dann die Ungarn ein.

Und über­haupt: So ein­fach war das natür­lich nicht mit der For­mung Öster­reichs. Wer und was dafür alles not­wen­dig war, das schil­dert das bespro­che­ne Buch unter Beto­nung des alles ent­schei­den­den Bei­trags des Chri­sten­tums – im Roman emble­ma­tisch in der Figur des hei­li­gen Seve­rins kri­stal­li­siert –, der heut­zu­ta­ge ger­ne in Abre­de gestellt oder her­un­ter­ge­spielt wird. Das Chri­sten­tum zivi­li­sier­te die ger­ma­ni­schen Völ­ker und befä­hig­te sie, selbst zu Trä­gern der Zivi­li­sa­ti­on zu wer­den. Wer glaubt, es wäre alles Posi­ti­ve der ver­gan­ge­nen 1.500 Jah­re ohne die­se christ­li­che Umwand­lung genau­so erfolgt, oder gar meint, es wür­de heu­te ohne Chri­sten­tum gehen, der soll­te sich lie­ber nicht täu­schen. Ech­te Zivi­li­sa­ti­on ist christ­lich oder gar nicht. Ein ideo­lo­gisch unbe­fan­ge­ner Blick in das Buch der Geschich­te lie­fert den viel­fäl­ti­gen Beweis.

Emilio Biagini, emeritierter Professor der Geographie, mit einer Leidenschaft für die Literatur und die Kirche
Emi­lio Bia­gi­ni, eme­ri­tier­ter Pro­fes­sor der Geo­gra­phie, mit einer Lei­den­schaft für die Lite­ra­tur und die Kirche

Die bei­den Autoren ver­ste­hen es, leben­dig zu schrei­ben, und das mit einem guten Schuß Iro­nie und nicht ohne gele­gent­li­che Sei­ten­hie­be auf die gras­sie­ren­de poli­ti­sche Kor­rekt­heit. Geschil­dert wird die Zeit­rei­se anhand der fik­ti­ven Fami­lie Adler und ihrer Ver­zwei­gun­gen, Aben­teu­er, Ehe­schlie­ßun­gen und Todes­fäl­le. Es ergießt sich eine schnel­le Abfol­ge von ern­sten und hei­te­ren, tra­gi­schen und komi­schen Ereig­nis­sen. Im Mit­tel­punkt steht das klei­ne Berg­dorf Wie­sen­berg, von dem der Roman sei­nen Namen hat, ita­lie­nisch „Pra­to alto“. Die Ange­hö­ri­gen der Fami­lie Adler durch­le­ben und durch­lei­den die Geschich­te Öster­reichs, sie kämp­fen für das christ­li­che Euro­pa und ste­hen sogar vor Jeru­sa­lem. Es ist eine Geschich­te von Mut und Ver­rat, und selbst der Gang ins Exil bleibt ihnen nicht ver­wehrt, aber sie fin­den immer wie­der zurück nach Wie­sen­berg. Da führt der Weg gera­de­zu zwangs­läu­fig vom ersten Ein­rit­zen eines Adlers in den Bal­ken der fami­li­en­ei­ge­nen Block­hüt­te über das blut­ver­schmier­te Hemd eines Kreuz­rit­ters zum Wap­pen­tier und der Fah­ne des heu­ti­gen Öster­reichs. Dazwi­schen lie­gen Hun­der­te von histo­ri­schen Fra­gen, die durch das Autoren­paar beant­wor­tet wer­den. Nur so kön­nen wir wirk­lich ver­ste­hen, war­um bestimm­te Ent­wick­lun­gen in der Geschich­te gescha­hen, wie sie gesche­hen sind, und nicht anders.

An der Donau kann man sich freu­en, in dem Autoren­duo Emi­lio und Maria Anto­ni­et­ta Bia­gi­ni sym­pa­thi­sche Ban­ner­trä­ger für Öster­reich bekom­men zu haben.

Emi­lio und Maria Anto­ni­et­ta Bia­gi­ni: Pra­to Alto, Alba, Edi­zio­ni Sol­fa­nel­li, Chie­ti 2019, 424 Sei­ten, ISBN-978–88-3305–089‑8.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Solfanelli/​MiL

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