
Die britische Ägyptologin und Anthropologin Margaret Murray (1863–1963) setzte 1921 mit ihrem Buch „Der Hexen-Kult in Westeuropa“ die These einer gesamteuropäischen, heidnischen, antichristlichen Religion in die Welt. Ausgangspunkt ihrer Überlegung war, eine Erklärung für die „Hexenjagd“ zu finden, die von der Renaissance bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts in Teilen Europas stattfand. Die Verfolgung habe einer real existierenden mittelalterlichen Geheimreligion gegolten, die sich auf vorchristliche Fruchtbarkeitskulte stützte. Das Werk Murrays war einige Zeit sehr in Mode. Das ermöglichte es ihr, sogar den Beitrag über die Hexen und die Hexerei in der Encyclopedia Britannica zu verfassen, der mehrere Ausgaben lang erschien. Heute ist sich die Wissenschaft mit Norman Cohn darin einig, daß die Kenntnisse Murrays bestenfalls „oberflächlich und eine Beherrschung der historischen Methoden nicht vorhanden war“.
Vielmehr steht heute fest, daß Murray wissenschaftlich fahrlässig und unkorrekt gearbeitet hat, aber vor allem intellektuelle Redlichkeit vermissen ließ. Ihre These konnte sie lediglich durch absichtliche Verstümmelung der Originalquellen untermauern, indem sie bewußt Zitate aus dem Zusammenhang der Verhörprotokolle der Hexenprozesse riß. Alles was ihre These nicht stützte, unterschlug sie konsequent. Heute gilt ihre Arbeit als völlig wertlos, geistert allerdings noch in einer Reihe obskurer heidnischer oder antichristlicher Gruppen herum.
Murray interpretierte den Tod der heiligen Johanna von Orleans als Ritualopfer für eine gute Ernte, um ein Beispiel herauszugreifen. Ebenso behauptete sie, daß Wilhelm der Eroberer und alle seine Nachfolger für vier Jahrhunderte geheime Priester des „Hexenkultes“ gewesen seien.
Von Murray bleibt ein anschauliches Beispiel, wie man die historische Darstellung ganzer Epochen verfälschen und in der allgemeinen Wahrnehmung verzerren kann.
Text: NBQ/Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons