Die Mär vom Ius primae noctis

Ius primae noctis - Le Nozze di figaro
Ius primae noctis - Le Nozze di figaro

(Köln) Wer erin­nert sich nicht an die dra­ma­ti­sche Sze­ne im Kino­film „Bra­ve­he­art“ von Mel Gib­son, in der ein eng­li­scher Feu­dal­herr auf einer schot­ti­schen Hoch­zeit das Ius pri­mae noc­tis ein­for­dert und die soeben ange­trau­te Braut fort­schleppt? Der Zuschau­er fühlt und lei­det mit. Doch nichts dar­an ist wahr. Ein „Recht der ersten Nacht“ hat es nie gege­ben, jeden­falls nicht im christ­li­chen Europa.

Nicht nur durch die gro­ße Lein­wand prä­gen sich irri­ge Vor­stel­lung ins kol­lek­ti­ve Gedächt­nis ein. Blei­ben wir in Schott­land: Der phan­ta­sie­be­gab­te schot­ti­sche Histo­ri­ker Hec­tor Boe­ce (1465–1536) erfand das schau­ri­ge Mär­chen zwar nicht, daß dem Feu­dal­her­ren ein „Her­ren­recht“ auf die Hoch­zeits­nacht, also die Ent­jung­fe­rung der Braut zustün­de. Von ihm scheint aber 1526 der ent­schei­den­de Impuls aus­ge­gan­gen zu sein, daß das Motiv im Lau­fe der Neu­zeit von einer gan­zen Rei­he von Schrift­stel­lern auf­ge­grif­fen und publi­kums­wirk­sam wei­ter­ver­brei­tet wur­de, beson­ders durch Ver­tre­ter der Auf­klä­rung im 18. Jahrhundert.

Pierre Augustin Caron de Beaumarchais
Pierre Augu­stin Caron de Beaumarchais

Zu den bekann­te­sten Bei­spie­len zäh­len Pierre Augu­stin Caron de Beaum­ar­chais (1732–1799) mit sei­ner Komö­die „La fol­le jour­née ou Le maria­ge de Figa­ro“ (Der tol­le Tag oder Die Hoch­zeit des Figa­ro), die Wolf­gang Ama­de­us Mozart 1786 als Vor­la­ge für sei­ne Oper „Le noz­ze di Figa­ro“ (Die Hoch­zeit des Figa­ro) dien­te. Eben­so greift Fried­rich Schil­ler 1804 die Anschul­di­gung im „Wil­helm Tell“ auf.

An die­ser Stel­le kann nicht auf anthro­po­lo­gi­sche Aspek­te zum hohen Gut der Jung­fräu­lich­keit und der Ableh­nung des Tyran­nen ein­ge­gan­gen wer­den, die zur Ent­ste­hung einer sol­chen Erfin­dung in Euro­pa bei­getra­gen haben mögen. Eben­so wenig auf die unter­schied­li­chen Erklä­rungs­ver­su­che der Eth­no­lo­gen für pri­mi­ti­ve, ori­en­ta­li­sche und ost­asia­ti­sche Bele­ge. Tat­säch­lich gibt es im anti­ken Ori­ent Über­lie­fe­run­gen einer sol­chen Pra­xis, etwa in Meso­po­ta­mi­en über­lie­fert im Gil­ga­mesch-Epos (zumin­dest 18. Jahr­hun­dert vor Chri­stus), in Nord­afri­ka über­lie­fert durch Hero­dot (5. Jahr­hun­dert vor Chri­stus), eben­so aus Tibet durch Mar­co Polo (13. Jahr­hun­dert nach Chri­stus). Bei allen Unter­schie­den im Detail ist den genann­ten Bei­spiel gemein­sam, daß eine rang­hö­he­re Per­son die Ent­jung­fe­rung der Frau­en vornahm.

Dem christ­li­chen Abend­land war die­se „heid­ni­sche“ Prak­tik, wie die Enci­clo­pe­dia Cat­to­li­ca schreibt, jedoch völ­lig fremd.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons

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1 Kommentar

  1. Viel­leicht ist die­se Mär in über­tra­ge­nem Sin­ne als Wirk­lich­keit zu ver­ste­hen und spie­gelt die, wenn eben nicht All­mäch­tig­keit, die Viel­mäch­tig­keit des Feu­dal­herrs wieder.

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