
(Norcia) Es wurden erste Entwürfe für den Wiederaufbau der Basilika von Norcia bekannt, die durch die Erdbeben von 2016 zerstört wurde. Seit die EU dafür 30 Millionen Euro zugesichert hat, geht es drunter und drüber. Das Wettrennen jener habe zum Geldtopf begonnen, denen der heilige Benedikt und Norcia „egal“ seien, so der Schriftsteller Michele Sanvico, der den zuständigen Erzbischof von Spoleto ausdrücklich in seine Kritik mit einschließt.
Norcia ist der Geburtsort des heiligen Benedikt von Nursia, des Gründers des abendländischen Mönchstums. Als Wiege des lateinischen Ordenslebens kommt der mittelitalienischen Stadt besondere Bedeutung zu. Mit 30 Millionen Euro sollen nun „neue Maßstäbe“ gesetzt werden, wie Erzbischof Renato Boccardo erklärte.
Das Erdbeben und die Zerstörung
Beim Erdbeben Ende August 2016 war die Basilika des heiligen Benedikt in Mitleidenschaft gezogen worden, aber stehengeblieben. Das Beben vom 30. Oktober 2016 überstand sie aber nicht mehr. Sie stürzte bis auch kleine Reste ein. Die Kirche entstand aus dem Geburtshaus des heiligen Gründervaters und reicht damit in ihrer Geschichte bis ins 6. Jahrhundert zurück.
Seit 2000 wurde sie von einem damals neugegründeten Benediktinerkloster betreut, dessen Mönche die überlieferte Form des Römischen Ritus pflegen. Napoleon hatte die Benediktiner aus der Stadt ihres „Vaters“ vertrieben. Nach 200 Jahren kehrten sie zurück. Nach dem Erdbeben lebten die Mönche in Zelten. Im vergangenen September konnten sie ein Notkloster samt Notkirche aus Holz einweihen.
Die italienische Regierung sicherte den Wiederaufbau der Basilika zu, dennoch werden die Mönche dorthin nicht mehr zurückkehren können. Der zuständige Erzbischof von Spoleto ist nicht mehr derselbe, der im Heiligen Jahr 2000 den altrituellen Benediktinern die Niederlassung in Norcia erlaubt hatte.
Wiederaufbau „im modernen Stil“ als „Symbol europäischer Solidarität“

Der neue Bischof will das Erdbeben nützen, um die altehrwürdige Basilika, die in ihrem bisherigen Aussehen 800 Jahre alt ist, im „modernen“ Stil wiederaufzubauen. Zugleich nützte er die Gelegenheit, den altrituellen Benediktinern die Kirche, die ihnen sein Vorgänger übertragen hatte, zu entziehen. Diese hatten sie in den vergangenen Jahren schrittweise wieder in die ursprüngliche Form zurückgeführt, wie es für die Zelebration des überlieferten Ritus notwendig ist.
Der Wiederaufbau der Kirche wird, wie Ende November 2016 von der italienischen Regierung mitgeteilt wurde, mit EU-Geldern erfolgen als „Symbol der nachhaltigen europäischen Solidarität“.
Immer häufiger nimmt Erzbischof Renato Boccardo von Spoleto in jüngster Zeit zum Wiederaufbau Stellung und spricht von einer „anderen Kirche“. Wörtlich sagte der Bischof am 25. Oktober zu Picweb:
„Ich bin fest überzeugt von meiner Wiederaufbau-Idee: Man muß eine Überlegung vorantragen, die für alle Ideen offen ist.“
Mit geheime Absprachen vollendete Tatsachen schaffen?
Kritiker befürchten, daß die „moderne“ und „andere“ Kirche, die dem Erzbischof von Spoleto vorschwebt, eine „Häßlichkeit“ (bruttura) wird. Der Schriftsteller Michele Sanvico gehört zu den Kritikern der Baupläne des Erzbischofs. Er wirft Msgr. Boccardo Geheimniskrämerei und Absprachen hinter verschlossenen Türen vor. Die betroffene Bevölkerung und die Gläubigen sollen vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
Kritisiert werden vor allem bestimmte Aussagen des Erzbischof, der am 12. Oktober erklärt hatte:
„Alles wieder so aufzubauen, wie es vorher war, wäre eine echte Fälschung. Die Basilika war ja schon eine. Lohnt sich das? Warum also nicht die verbliebenen Reste der Basilika mit etwas von heute verknüpfen?“
Basilika war vor dem Erdbeben „eine echte Fälschung“?

Was der Bischof mit den Worten meinte, die Basilika sei schon vor ihrer Zerstörung eine „echte Fälschung“ gewesen, darüber kann nur spekuliert werden. Die Entfernung der Benediktiner und damit die Verdrängung des überlieferten Ritus aus der Basilika läßt bei manchen zumindest einen Verdacht aufkommen.
Sanvico stößt sich an der Vorgangsweise des Erzbischofs, dem er vorwirft, „Versuchsballons“ zu starten, damit sich die Bevölkerung an seine „Ideen“ gewöhnen könne. Ärgerlich, so der Romanautor, seien vor allem Aussage des Erzbischofs wie: der „Wiederaufbau im modernen Stil“ könne ja „eine Touristenattraktion“ werden, oder: „Wir beauftragen ein Genie der Architektur mit dem Wiederaufbau“.
Sanvico stellt dazu die Frage, worum es eigentlich geht: um das „Prestigeprojekt mit Stararchitekt eines Prälaten“ oder um Norcia und die Basilika des heiligen Benedikt.
„Sie interessieren die 30 Millionen Euro. Der heilige Benedikt interessiert sie nicht“
Sanvico in seiner Kritik:
„Das ‚Genie der Architektur‘ wird in Wirklichkeit der Zerstörer der perfekten Harmonie sein, die an der Piazza San Benedetto von Norcia durch die Jahrhunderte in Stein gemeißelt wurde. Eine Harmonie, die alle geliebt haben, und um die uns die Welt beneidet hat.“
Der Schriftsteller weiter:
„Das Problem ist immer dasselbe: Sie kümmert weder der heilige Benedikt noch die Geschichte Norcias und schon gar nicht Harmonie und Verhältnismäßigkeit. Sie nehmen nur den Duft dieses immensen, wunderbaren, vibrierenden Geldberges wahr, jene 30 Millionen Euro, die von der EU für den Wiederaufbau der Basilika des heiligen Benedikt zur Verfügung gestellt werden und die in den Taschen des Stararchitekten vom Dienst und vieler ‚Freunde‘ der Auftraggeber und vieler, vieler ‚Freunde der Freunde‘ verschwinden werden.“
Sanvico fragt stattdessen, warum die Basilika nicht einfach wieder originalgetreu rund um ein erdbebensicheres Skelett wiederaufgebaut werde. Das sei heute problemlos möglich:
„Weil das keine 30 Millionen Euro kosten würde. Sie haben schon alles entschieden. Sie wollen die 30 Millionen. Und sie werden sie bekommen, koste es, was es wolle, heiliger Benedikt, Benediktinerkloster, die Bewohner von Norcia hin oder her.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL